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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2007
8. Jahrgang
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1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzogen werden. (BGHSt)
2. Die Urkundspersonen haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung zunächst den Beschwerdeführer anzuhören. Widerspricht er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urkundspersonen trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. (BGHSt)
3. Die Beachtlichkeit der Protokollberichtigung unterliegt im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung. (BGHSt)
4. Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet. Wenn prozessual erhebliche Tatsachen aus der tatrichterlichen Hauptverhandlung der Klärung bedürfen, muss grundsätzlich der wahre Sachverhalt, wie er sich zugetragen hat, maßgeblich sein (vgl. BGHSt 36, 354, 358 f.). (Bearbeiter)
5. Eine veränderte Einstellung der Strafverteidiger zu der Praxis, auf unwahres Vorbringen Verfahrensrügen zu stützen, spricht dafür, die Zurückhaltung bei der Berücksichtigung der Protokollberichtigung aufzugeben, auch wenn mit der Berichtigung einer zulässig erhobenen Rüge die Tatsachengrundlage entzogen wird. (Bearbeiter)
6. Die Sitzungsniederschrift ist zu dem Zeitpunkt fertig gestellt, zu dem die letzte der beiden erforderlichen Unterschriften geleistet wurde (§ 271 Abs. 1 StPO), selbst wenn die Niederschrift sachlich oder formell fehlerhaft ist oder Lücken aufweist und auch unabhängig davon, ab später eine Protokollberichtigung erfolgt. Daher ist in letzterem Falle keine neuerliche Zustellung des Urteils erforderlich. (Bearbeiter)
7. Dem berichtigten Teil des Protokolls kommt keine formelle Beweiskraft zu. (Bearbeiter)
1. Kann ein Zeuge in der Hauptverhandlung nicht abschließend vernommen werden, können Aufklärungsgesichtspunkte die Verlesung von Niederschriften über frühere Vernehmungen rechtfertigen. (BGHSt)
2. Allein die auslandsspezifische Hilflosigkeit eines Tatopfers und dessen Angst vor ausländer- und strafrechtlichen Konsequenzen seines illegalen Aufenthalts begründen noch keine schutzlose Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB. (BGHSt)
3. Für § 173 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist stets erforderlich, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Angst vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (vgl. BGH NStZ 2003, 533 f.). (Bearbeiter)
1. Wird ein Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen, weil er sich vorab auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen hat, so darf seine Vernehmung nicht durch Verlesung von ihm stammender früherer schriftlicher Erklärungen gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ersetzt werden. (BGHSt)
2. Macht ein Zeuge von seinem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch, so liegt kein Fall vor, bei dem der Zeuge im Sinne von § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO "nicht vernommen werden kann". (Bearbeiter)
3. Der Vernehmung einer Auskunftsperson über deren Wahrnehmungen kommt gegenüber der Verlesung eines Protokolls über eine frühere Vernehmung oder von Erklärungen der Auskunftsperson Vorrang zu, wenn hierdurch der Beweis entscheidungserheblicher Tatsachen geführt werden soll. (Bearbeiter)
4. Ausnahmen sind nur unter bestimmten, in den §§ 251 ff. StPO im Einzelnen aufgeführten Voraussetzungen möglich. Grundsätzlich kann nur in diesen enumerativ aufgezählten Fällen die unmittelbare Aussage einer Vernehmungsperson durch die Verlesung von Niederschriften über frühere Vernehmungen oder von der Beweisperson herrührender schriftlicher Erklärungen ersetzt werden. (Bearbeiter)
1. Bei der Ablehnung eines zum Zweck der Prozessverschleppung gestellten Beweisantrags hält es der Senat für angezeigt, das objektive Kriterium, dass die zu erwartende Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben. (BGHSt)
2. Zum Nachweis der Absicht der Prozessverschleppung. (BGHSt)
3. Einzelfall des Schlusses auf die Prozessverschleppungsabsicht aus einer Verteidigeräußerung im Kontext laufender Abspracheverhandlungen. (Bearbeiter)
4. Zwar ist der späte Zeitpunkt der Antragstellung - für sich allein - im Hinblick auf den Ablehnungsgrund der Prozessverschleppungsabsicht unschädlich. Wenn aber der Antrag erst nach einer umfangreichen Beweisaufnahme gestellt wird und die verlangte Beweiserhebung längere Zeit in Anspruch nehmen würde, andererseits der Beweisstoff für den Antragsteller erkennbar erschöpft ist und ein nachvollziehbarer Anlass für die späte Antragstellung weder dargetan noch sonst ersichtlich ist, kann alledem eine maßgebliche Indizwirkung zukommen. (Bearbeiter)
5. Hat ein Verteidiger den Beweisantrag gestellt, so gilt: Es kommt darauf an, ob dieser in Verschleppungsabsicht handelt oder sich die Verschleppungsabsicht des Angeklagten zu Eigen macht. Der Tatrichter kann seine Überzeugung auf der Grundlage aller dafür erheblichen Umstände gewinnen. Das Verbot der Beweisantizipation gilt dabei nicht. Die Überzeugungsbildung hat namentlich unter Beachtung des Verhaltens des Angeklagten und des Verteidigers in und außerhalb der Hauptverhandlung, aber auch schon im Ermittlungsverfahren zu erfolgen; der Tatrichter kann ferner den bisherigen Verfahrensverlauf berücksichtigen. (Bearbeiter)
6. Für die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung kann nicht mehr der Maßstab des § 229 Abs. 1 StPO zugrunde gelegt werden. (Bearbeiter)
7. Nach Abschluss der vom Gericht nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten gehaltenen Beweiserhebungen kann der Vorsitzende die übrigen Verfahrensbeteiligten unter Fristsetzung auffordern, etwaige Beweisanträge zu stellen. Dies gilt namentlich bei länger dauernden Verfahren im Sinne von § 229 Abs. 2 StPO, also solchen mit einer Hauptverhandlung, die mindestens zehn Verhandlungstage umfasst. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, dann hat der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert darzulegen. Besteht nach der Überzeugung des Gerichts kein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung, so kann es - falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gleichwohl zur Beweiserhebung drängt - grundsätzlich davon ausgehen, dass der Antrag nichts anderes als die Verzögerung des Verfahrens bezweckt. (Bearbeiter)
1. Eine fehlende Dokumentation der Voraussetzung der Gefahr im Verzug führt nicht zu einer groben Verkennung des Richtervorbehalts und mithin nicht zu einem Verwertungsverbot (vgl. BGH NStZ 2005, 392).
2. Es ist inakzeptabel, dass in einer Stadt der Größe Augsburgs um die Mittagszeit des 1. Weihnachtsfeiertags kein Bereitschaftsrichter erreichbar ist (vgl. BVerfG StV 2006, 676; StraFo 2006, 368).
Eine nur rechtsfehlerhafte aber nicht willkürliche Durchsuchung steht der Beschlagnahme und der Verwertung der sichergestellten Beweismittel nicht entgegen.
1. Die besondere Fristenregelung für die Urteilsverkündung (§ 268 Abs. 3 Satz 2 StPO) ist zwingendes Recht; ihre Verletzung deshalb revisibel.
2. Wird die Frist für die Urteilsverkündung überschritten, so kann nur in Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß ausgeschlossen werden.
3. Auch nach der Verlängerung der Unterbrechungsfristen in § 229 Abs. 1 StPO behält die kürzere besondere Frist zur Urteilsverkündung ihren Sinn, denn sie stellt jedenfalls sicher, dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinnerung sind.
4. Eine wenig überzeugende Einlassung des Angeklagten muss nicht schon deshalb geglaubt werden, weil sie nicht widerlegt werden kann.
1. Der Senat lässt offen, ob sich die negative Beweiskraft des Protokolls grundsätzlich darauf erstreckt, dass eine nicht protokollierte Verfahrensabsprache auch nicht stattgefunden habe.
2. Die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden entzieht dem insoweit schweigenden Protokoll eine etwaige negative Beweiskraft zumindest dann, wenn sie mit dem entsprechenden Revisionsvortrag des Beschwerdeführers übereinstimmt, wonach eine Verfahrensabsprache außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden habe.
1. Erweckt eine Äußerung des Vorsitzenden den Eindruck, dass das Gericht nicht mehr bereit sei, über einen Tatvorwurf unvoreingenommen zu verhandeln und zu entscheiden, so eröffnet dies nicht die Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO unter dem Aspekt, dass das Gericht sich dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu dem Anklagevorwurf verschlossen und sein Urteil deshalb nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft habe. Allenfalls kann eine solche Äußerung Anlass eines Ablehnungsantrags (§ 24 StPO) sein.
2. Es besteht berechtigter Anlass, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln, wenn er zu Beginn der Hauptverhandlung äußert, er man sei sich einig, dass auf eine bestimmte Strafe erkannt werden solle.
1. Die Ablehnung eines auf die Feststellung von Indiztatsachen gerichteten Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit erfordert eine Begründung, warum das Gericht auch im Falle der Feststellung der behaupteten Indiztatsachen den vom Antragsteller erstrebten Schluss nicht ziehen will.
2. Hierzu müssen die Indiztatsachen so, als seien sie erwiesen, in das Gesamtbeweisgefüge eingestellt und die Überlegungen mitgeteilt werden müssen, warum der Tatrichter trotz dieser als erwiesen unterstellten Indizien von dem Schluss überzeugt ist, den er seinem Urteil zugrundelegt (hypothetische Beweiswürdigung).
3. Bei dieser hypothetischen Beweiswürdigung im Rahmen der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit darf nicht das Gegenteil der behaupteten Indiztatsache als erwiesen angenommen werden; dies wäre eine unzulässige Beweisantizipation.
4. Wird in einem Hauptverhandlungstermin lediglich eine einzige Beweisaufnahme vorgenommen, deren Bedeutungslosigkeit für die Urteilsfindung von vornherein offenkundig war - etwa die Verlesung eines überflüssigen Gutachtens -, so liegt es nahe, dass damit nur eine Scheinverhandlung in Form eines Schiebetermins zur Fristwahrung stattfindet.
5. Nimmt der Tatrichter für sich eigene Sachkunde in Anspruch, die über das Allgemeinwissen hinausgeht, so ist es notwendig, dass er diese Sachkunde in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren und überprüfbaren Weise in den Urteilsgründen darstellt.
Wird Betrug banden- und gewerbsmäßig begangen, liegt nicht lediglich ein nur für die Strafzumessung bedeutsames Regelbeispiel vor; vielmehr enthält § 263 Abs. 5 StGB einen Qualifikationstatbestand, der die Tat, wenn sie, kumulativ banden- und gewerbsmäßig begangen ist, zum Verbrechen macht. Für banden- und gewerbsmäßig begangene Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 4 StGB) gilt dies in gleicher Weise. Ist jedoch ein eigener Straftatbestand mit besonderen Qualifikationsmerkmalen verwirklicht, so ist dies in der Urteilsformel durch Aufführung dieser Qualifikationsmerkmale zum Ausdruck zu bringen.
Die Aussage eines "Zeugen vom Hörensagen" vermag für sich genommen ohne zusätzliche Indizien von einigem Gewicht einen Schuldspruch nicht zu tragen (BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02 m.w.N.).
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters.
2. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist, mit Denkgesetzen nicht vereinbar ist oder die Bedeutung von Beweistatsachen im Einzelnen grundsätzlich verkannt oder in ihrem Verhältnis zueinander falsch eingeschätzt hat.
3. Solche Fehler liegen nicht schon deshalb vor, weil die Schlussfolgerungen, welche der Tatrichter gezogen hat, nicht zwingend sind oder weil die Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse auch zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.
4. Sind keine Umstände erkennbar, nach denen der Angeklagte darauf hätte vertrauen dürfen, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen, so belegt dies zwar Fahrlässigkeit hinsichtlich der Todesfolge, aber gerade nicht das voluntative Element des Tötungsvorsatzes.