HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 583
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 490/06, Urteil v. 27.04.2007, HRRS 2007 Nr. 583
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 13. Juni 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Verfall eines Betrages von 50.000 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Der Angeklagte war von 1998 bis 1999 Oberstadtdirektor der Stadt K. Nach den Feststellungen des Landgerichts beauftragte er den Fraktionsvorsitzenden der SPD-Ratsfraktion, R., im Jahre 1999 mit der Beschaffung von Spenden von dem Abfallentsorgungsunternehmer T. Er äußerte dabei: "Ich kann das nicht machen, ich bin ja Amtsträger". Das Geld sollte der Finanzierung des im Jahre 1999 anstehenden Wahlkampfs um das Oberbürgermeisteramt in K. dienen, um das sich der Angeklagte bewerben wollte. T., der wusste, dass die Spendenanfrage vom Angeklagten ausging, übergab an R. insgesamt 150.000 DM in bar. Allen Beteiligten war klar, dass T. mit der Geldzahlung das Ziel verfolgte, der Angeklagte solle im Rahmen seiner Tätigkeit als Oberstadtdirektor bzw. als zukünftiger Oberbürgermeister Einfluss auf den Stadtrat und auf die SPD-Fraktion nehmen, um eine Teilprivatisierung der K. Abfallentsorgung unter Beteiligung von Unternehmen des T. zu erreichen. Das übergebene Geld floss teilweise direkt der Wahlkampfkasse des Angeklagten, teilweise in Form vorgetäuschter Kleinspenden der SPD zu.
Die neben anderen Verfahrensrügen und der Sachrüge zulässig erhobene Rüge der Verletzung der §§ 250, 251 StPO führt zur Aufhebung des Urteils.
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Das gegen den Abfallentsorgungsunternehmer T. wegen Vorteilsgewährung im Zusammenhang mit der hier abgeurteilten Tat geführte Ermittlungsverfahren war durch die Staatsanwaltschaft Köln im Dezember 2004 gemäß § 154 StPO vorläufig eingestellt worden. In diesem Verfahren hatten seine Verteidiger am 7. September 2004 eine schriftliche Stellungnahme zu dem hier abgeurteilten Tatgeschehen für ihn abgegeben. Nach der vorläufigen Einstellung gab T. am 4. Juli 2005 gegenüber der Staatsanwaltschaft eine schriftliche "Zeugenerklärung" ab, in der er ausführte, dass die Angaben in dem anwaltlichen Schreiben vom 7. September 2004 auf seinen Informationen beruhten, er sich den darin enthaltenen Tatsachenvortrag zu eigen mache und als Zeuge bestätige.
Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens lud der Vorsitzende der Strafkammer im Mai 2006 T. sowie dessen Verteidiger als Zeugen zur Hauptverhandlung. Letztere sollten dazu vernommen werden, welche Angaben ihr Mandant ihnen gegenüber zu dem im Schriftsatz vom 7. September 2004 behandelten Sachverhalt gemacht hatte. Die Rechtsanwälte teilten daraufhin in einem Schreiben an den Vorsitzenden mit, T. habe sie nicht von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden; sie seien daher nicht befugt, als Zeugen zu diesem Beweisthema auszusagen. Weiterhin teilten sie mit, dass T. im hier vorliegenden Verfahren von einem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO umfassend Gebrauch machen und zur Sache nichts aussagen werde. Der Vorsitzende der Strafkammer lud daraufhin T. und seine Rechtsanwälte wieder ab.
In der Hauptverhandlung am 18. Mai 2006 regte die Strafkammer an, das anwaltliche Schreiben vom 7. September 2004 sowie die "Zeugenerklärung" des T. zu verlesen. Ein Verteidiger des Angeklagten widersprach dieser Vorgehensweise. Daraufhin ordnete die Strafkammer durch Beschluss die Verlesung der beiden Schriftstücke gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO mit der Begründung an, T. könne auf Grund der Geltendmachung seines Auskunftsverweigerungsrechtes als Zeuge in absehbarer Zeit nicht vernommen werden. Da in einem solchen Fall anerkanntermaßen Vernehmungspersonen als Zeugen zu dem Inhalt früherer Vernehmungen vernommen werden könnten, sei es "nicht erklärlich", warum dann nicht auch von dem Zeugen stammende Erklärungen verlesen werden könnten. Der Beschluss wurde ausgeführt. Die Strafkammer hat die verlesenen Urkunden im Urteil verwertet.
2. Die hiergegen erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen §§ 250, 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ist zulässig. Entgegen der vom Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung vertretenen Ansicht bedurfte es gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht des Vortrags einer früheren Vernehmung des Zeugen T. Die Frage, ob T. schon vor der schriftlichen Erklärung seiner Verteidiger einmal als Beschuldigter vernommen worden war und was er bei dieser Gelegenheit aussagte, konnte allenfalls hinsichtlich des Beruhens des Urteils auf der Verlesung der späteren Urkunden von Belang sein. Für den Vortrag und den Beweis des gerügten Rechtsfehlers selbst, also der nach Ansicht der Revision unzulässigen Verlesung jener Urkunden, war der Inhalt einer möglichen früheren Vernehmung ohne Belang.
3. Die Rüge ist auch begründet, denn die Verlesung des anwaltlichen Schriftsatzes und der "Zeugenerklärung" begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Hinsichtlich des anwaltlichen Schriftsatzes vom 7. September 2004 kann dahinstehen, ob sich ein Verlesungs- und Verwertungsverbot schon aus § 252 StPO ergeben könnte, weil sich die Anwälte der Sache nach auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO berufen haben (vgl. dazu BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 13; BGH bei Kusch NStZ 1998, 25, 26). Bei einem anwaltlichen Schriftsatz, in dem Angaben des Mandanten wiedergegeben werden, handelt es sich zwar zunächst um eine Erklärung des Rechtsanwalts selbst (vgl. BGHR StPO § 250 Satz 2 Schriftliche Erklärung 2). Der Zeuge T. hat sich aber den Inhalt dieses Schriftsatzes in seiner Zeugenerklärung ausdrücklich zu eigen gemacht. Damit ist der Inhalt des Schriftsatzes jedenfalls auch wie eine eigene Erklärung des T. zu werten.
b) Das Landgericht hat die Verlesung der Urkunden zu Unrecht auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützt. Hierdurch hat es den in § 250 StPO niedergelegten Grundsatz der Unmittelbarkeit verletzt. Der Vernehmung einer Auskunftsperson über deren Wahrnehmungen kommt gegenüber der Verlesung eines Protokolls über eine frühere Vernehmung oder von Erklärungen der Auskunftsperson Vorrang zu, wenn hierdurch der Beweis entscheidungserheblicher Tatsachen geführt werden soll. Von dieser Regel, die zu den tragenden Grundsätzen des geltenden Strafprozessrechts gehört, sind Ausnahmen nur unter bestimmten, in den §§ 251 ff. StPO im Einzelnen aufgeführten Voraussetzungen möglich; grundsätzlich kann nur in diesen enumerativ aufgezählten Fällen die unmittelbare Aussage einer Vernehmungsperson durch die Verlesung von Niederschriften über frühere Vernehmungen oder von der Beweisperson herrührender schriftlicher Erklärungen ersetzt werden. Ein solcher Ausnahmefall lag hier nicht vor. Der Umstand, dass der Zeuge T. sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen hatte, führte nicht dazu, dass er im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO in absehbarer Zeit nicht vernommen werden konnte.
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist über die Möglichkeit einer Verlesung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO (bzw. § 251 Abs. 2 Satz 2 StPO a.F.) bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden bisher nicht ausdrücklich entschieden worden. Vielmehr lagen den in diesem Zusammenhang entschiedenen Fällen jeweils Konstellationen zugrunde, in denen ein Zeuge in der Hauptverhandlung erschienen war und sich - jedenfalls nach Vernehmung zur Person - dann ganz oder teilweise auf ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berief, oder in denen eine Zeugenvernehmung aus anderen Gründen, z. B. wegen eintretender Vernehmungsunfähigkeit, unmöglich wurde. Als unzulässig erachtet hat der Bundesgerichtshof in diesen Konstellationen sowohl die Verlesung schriftlicher Erklärungen des sich auf § 55 StPO berufenden Zeugen (BGH NStZ 1988, 36: nur ergänzende Verlesung neben der Zeugenvernehmung zulässig; vgl. auch BGHSt 20, 160, 161 f.; ebenso Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 251 Rdn. 11; Diemer in KK 5. Aufl. § 251 Rdn. 26) als auch die Verlesung nichtrichterlicher Protokolle über seine Vernehmung (BGH NStZ 1982, 342 - sogar dann, wenn alle Verfahrensbeteiligten in die Verlesung eingewilligt haben -; BGH NJW 1984, 136; BGH NStZ 1993, 350; BGH NStZ 1996, 96; BGH, Urteil vom 28. Oktober 1975 - 5 StR 407/75; BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1978 - 5 StR 767/78; BGH, Beschluss vom 26. Juli 1983 - 5 StR 310/83; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. Juni 1976 - 5 StR 209/76).
Soweit das Landgericht sich auf die Entscheidung des Senats in NStZ 2002, 217 berufen hat, ergibt sich aus diesem Beschluss nicht, dass bei Auskunftsverweigerung eines Zeugen eine Urkundenverlesung nach § 251 Abs. 2 Satz 2 a.F. (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO heutiger Fassung) zulässig sei. Erwägungen des Senats zur Erweiterung des Urkundenbeweises spielten in jener Entscheidung keine tragende Rolle, weil in dem seinerzeit zu Grunde liegenden Fall die Verfahrensbeteiligten einer Protokollverlesung zugestimmt hatten.
In eng umgrenzten Ausnahmefällen hat die Rechtsprechung Erweiterungen des § 251 StPO zugelassen: So kann dann, wenn der Gesundheitszustand eines Zeugen zwar sein Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht schlechthin unmöglich macht, aber zu einer erheblichen Verschlechterung seines Zustandes führen kann, ein Protokoll über eine frühere richterliche Vernehmung verlesen werden (BGHSt 9, 297, 300). Ähnliches ist für den Fall angenommen worden, dass einem Zeugen im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage eine rechtsstaatswidrige Verfolgung (BGHSt 17, 337, 349 f.) oder dass dem Zeugen oder seiner Familie bei wahrheitsgemäßer Aussage Gefahr für Leib oder Leben droht (BGH NStZ 1993, 350 für Protokolle nichtrichterlicher Vernehmungen). Diesen Ausnahmen ist gemeinsam, dass das Vernehmungshindernis sich jeweils aus äußeren, nicht vom Zeugen beherrschbaren Umständen ergibt. Obwohl dies von der Rechtsprechung nicht als allgemeiner Grundsatz formuliert wurde, hat die Literatur § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO daher überwiegend dahin ausgelegt, dass die Vorschrift nur bei tatsächlichen, nicht aber bei rechtlichen Verhinderungsgründen eingreifen könne (vgl. etwa Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 251 Rdn. 10 m.w.N.).
Anerkannt ist in der Rechtsprechung darüber hinaus, dass § 250 Satz 2 StPO dann nicht eingreift, wenn ein Zeuge in der Hauptverhandlung teilweise vernommen werden konnte. In diesem Fall kann die Vernehmung unter Umständen durch Verlesung einer vom Zeugen stammenden schriftlichen Erklärung ergänzt werden; eine Ersetzung im Sinne von § 250 Satz 2 StPO liegt dann nicht vor (BGHSt 20, 160, 161 ff.; BGH NStZ 1988, 36). Auch ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
bb) Gegen die Annahme, eine Verlesung früherer Protokolle und Erklärungen könne, wenn sich ein Zeuge auf ein Auskunftsverweigerungsrecht beruft, auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützt werden, spricht der Wortlaut dieser Vorschrift, die voraussetzt, dass der Zeuge "nicht vernommen werden kann". Diese Voraussetzung ist bei einer Auskunftsverweigerung gemäß § 55 StPO nicht gegeben. § 55 StPO berechtigt grundsätzlich nur zur Verweigerung der Auskunft auf einzelne Fragen (vgl. Senge in KK 5. Aufl. § 55 Rdn. 2 m.w.N.). Selbst wenn - wie hier - die gesamte in Betracht kommende Aussage des Zeugen so eng mit einem möglicherweise strafbaren Verhalten zusammenhängt und deswegen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht besteht (vgl. BGHSt 10, 104, 105), ist aber eine Vernehmung möglich. Der Zeuge muss Angaben zur Person machen; ggf. muss er gemäß § 56 StPO das Bestehen des Auskunftsverweigerungsrechts glaubhaft machen (vgl. BGH NStZ 1982, 342). In vielen Fällen ergibt sich der Umfang eines möglichen Auskunftsverweigerungsrechts auch erst während einer Vernehmung. Dass ein Zeuge, der sich schon im Vorfeld seiner geplanten Vernehmung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht beruft und mitteilt, er werde keinerlei Angaben zur Sache machen, zur Hauptverhandlung gar nicht mehr geladen wird, stellt sich daher als eine aus praktischen Gründen verfahrensvereinfachende Ausnahme dar; aus ihr ergibt sich nicht, dass der Zeuge überhaupt nicht vernommen werden könnte.
cc) Auch die Gesetzgebungsgeschichte spricht dagegen, § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO anzuwenden, wenn sich ein Zeuge auf § 55 StPO beruft.
In der Strafprozessordnung von 1877 war die heute in § 251 StPO enthaltene Materie noch in § 250 geregelt. Nach dessen Absatz 1 konnte ein Protokoll über eine frühere (richterliche) Vernehmung verlesen werden, wenn der Zeuge verstorben, in Geisteskrankheit verfallen oder sein Aufenthalt nicht zu ermitteln war. Nach Absatz 2 konnten Protokolle über kommissarische (richterliche) Vernehmungen unter bestimmten Voraussetzungen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Der Gesetzgeber der StPO hat damals Ausnahmen vom Unmittelbarkeitsgrundsatz bewusst nur in eng umgrenzten Fällen zugelassen (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf in: Hahn, Die gesammelten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen Band 3, 2. Aufl. S. 193 ff.; vgl. ferner Langkeit/Cramer StV 1996, 230, 233). In der Kommission des Reichstages wurde ein Antrag zur Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten auch auf die Fälle, in denen ein Zeuge oder Sachverständiger "in der Hauptverhandlung seine Aussage" verweigert, ausdrücklich abgelehnt (vgl. Protokolle der Kommission in: Hahn aaO S. 856 ff.).
Erst durch Art. 4 der 3. Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29. Mai 1943 (RGBl. I S. 342) erfuhren die Verlesungsmöglichkeiten des § 251 StPO umfangreiche Erweiterungen. So wurde die dem heutigen § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO entsprechende Regelung in § 251 Abs. 2 StPO a.F. eingeführt. Durch die Neuregelung sollte der Abzug von im Wehrdienst bzw. in der Kriegsproduktion benötigten Personen zum Zwecke einer Zeugenvernehmung eingeschränkt werden; auch hier ging es somit lediglich um tatsächliche Hinderungsgründe (vgl. auch Dölling NStZ 1988, 6, 9; Mitsch JZ 1992, 174, 180). Die weiteren Änderungen durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 (BGBl. S. 455) und durch das Strafverfahrensänderungsgesetz vom 27. Januar 1987 (BGBl. I S. 475) haben den Inhalt der Regelung im Wesentlichen unberührt gelassen. Durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) erhielt die Möglichkeit der Verlesung (auch) nichtrichterlicher Urkunden wegen Unmöglichkeit der Vernehmung eines Zeugen lediglich einen anderen Standort innerhalb der Norm; die neue Systematik der Regelung beruhte auf der Einfügung von § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Der Wortlaut von § 251 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. StPO a.F. ist mit dem von § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO n.F. identisch. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Verschiebung dieser Verlesungsmöglichkeit innerhalb der Vorschrift auch eine inhaltliche Erweiterung verbinden wollte, ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien nicht (vgl. BTDrucks. 15/1508 S. 25 f.).
dd) Zu beachten ist auch, dass das Gesetz richterlichen Vernehmungsprotokollen, deren Verlesbarkeit in § 251 Abs. 2 StPO geregelt ist, eine größere Vertrauenswürdigkeit als nichtrichterlichen Vernehmungsprotokollen zuerkennt (BTDrucks. 15/1508 S. 26). Es würde daher einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn die Verlesung nichtrichterlicher Protokolle und schriftlicher Erklärungen eines Zeugen unter geringeren Voraussetzungen möglich wäre als die Verlesung richterlicher Protokolle (vgl. Mitsch JZ 1992, 174, 179 f.). Dies könnte aber der Fall sein, wenn richterliche Protokolle nur bei einem Hindernis für das "Erscheinen" des Zeugen in der Hauptverhandlung verlesen werden dürften, sonstige Protokolle und schriftliche Erklärungen aber schon dann, wenn der Zeuge von einem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht.
c) Entgegen Meinungen in der Literatur (J. Meyer, Der Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung S. 124 f., 144 ff.; Mitsch JZ 1992, 174 ff.; vgl. auch Gollwitzer in LR 25. Aufl. § 250 Rdn. 20; K. Meyer JR 1987, 523, 524) sieht der Senat keinen Anlass, die Verlesungsmöglichkeit nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO auf Fallgestaltungen wie die vorliegende zu erweitern. Selbst wenn es in Einzelfällen, in denen eine Vernehmungsperson oder der Empfänger einer schriftlichen Erklärung als Zeuge nicht zur Verfügung stehen, zu einer Begrenzung der Beweismöglichkeiten und dadurch auch der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO kommen kann, ist dies die notwendige Konsequenz der Gesetzeslage.
Meist ist aber mit einem Beweisverlust nicht zu rechnen, weil eine dritte Person als Zeuge zur Verfügung steht, die zur Entstehung und zum Inhalt einer Urkunde vernommen werden kann. Im vorliegenden Fall hätte das Landgericht den Staatsanwalt, an den die Schreiben des Zeugen T. und seiner Rechtsanwälte gerichtet waren, unschwer als Zeugen vernehmen können, so dass es auch aus Gründen der Aufklärungspflicht und der Verfahrensökonomie an Gründen für die vom Tatrichter angestrebte Rechtsfortbildung fehlte. Entgegen der Ansicht der Revision bestand insoweit auch kein Verwertungsverbot.
d) Das Urteil beruht auch auf dem Rechtsfehler. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten (UA S. 41) sowie davon, dass der wirtschaftliche Hintergrund der Spenden allen Beteiligten bekannt war (UA S. 70), ausdrücklich auch auf den Inhalt der zu Unrecht verlesenen Urkunden gestützt. Zwar führen die Urteilsgründe aus, dass die Angaben des Zeugen R. bereits "aus sich heraus glaubhaft" seien (UA S. 31) und dass schon nach dem sonstigen Ergebnis der Beweisaufnahme "nur" die Annahme einer Unrechtsvereinbarung zwischen dem Angeklagten und T. "lebensnah" sei (UA S. 66). Damit in einem gewissen Widerspruch steht aber, dass die Urteilsgründe sich ausführlich gerade auch mit dem Inhalt der Erklärung vom 7. September 2004 befassen. Das Landgericht hat den Urkundeninhalt überdies an mehreren Stellen (UA S. 70, 72, 78) ausdrücklich zum Beweis von Feststellungen namentlich zum wirtschaftlichen Hintergrund der Tat verwertet, weil sich die Zeugen E. und R., soweit ihre Angaben im Urteil wiedergegeben sind, hierzu nicht verhielten. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler lässt sich daher, entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts, nicht ausschließen.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 583
Externe Fundstellen: BGHSt 51, 325; NJW 2007, 2195; NStZ 2007, 718; StV 2007, 564; StV 2008, 339
Bearbeiter: Ulf Buermeyer