HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 602
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 32/07, Beschluss v. 09.05.2007, HRRS 2007 Nr. 602
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 4. August 2006 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe, den Angeklagten Sc. wegen gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zum Mord zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Angeklagten sowie der frühere Mitangeklagte So. hatten am 1. Mai 2004 zunächst den Geschädigten W. in einer Wohnung misshandelt. Sodann verbrachten sie ihn mit einem vom früheren Mitangeklagten F. gesteuerten Pkw in ein Waldstück, um ihn zu töten; dort legten S. und So. ihrem Opfer - nach weiteren Misshandlungen, an denen auch Sc. mitwirkte - eine Jacke um den Hals und zogen jeder mit einer Hand bis zum Atemstillstand zu.
Die jeweils auf verschiedene Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten sind aus den vom Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften vom 7. und 8. Februar 2007 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat sieht hinsichtlich folgender Rügen Anlass zu ergänzenden Ausführungen:
Revision des Angeklagten S.:
1. Rüge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags wegen Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO):
Die Kammer hat den Beweisantrag des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. vom 24. Juli 2006, ein medizinisches Sachverständigengutachten dazu einzuholen, dass der Angeklagte S. nicht in der Lage war, mit seiner rechten Hand für die Tötungshandlung - das Strangulieren mittels Ziehens an der Jacke - erforderliche starke Handgreifkräfte aufzubringen, mit Beschluss vom 3. August 2006 abgelehnt, weil er zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt worden sei.
a) Die Revision trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
In dieser Sache fand eine erste Hauptverhandlung gegen die Angeklagten sowie die früheren Mitangeklagten So., der während dieser Hauptverhandlung verstarb, und F. an 15 Verhandlungstagen vom 18. Mai bis zum 10. November 2005 statt. Am 15. Verhandlungstag stellten sowohl der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. für den Angeklagten S. als auch der Verteidiger Schw. für den Angeklagten Sc. einen Beweisantrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit der beiden Angeklagten. Daraufhin wurde die erste Hauptverhandlung ausgesetzt. Als die Gutachten vorlagen, fand eine zweite Hauptverhandlung - nach Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten F. nur noch - gegen die Angeklagten wiederum an 15 Hauptverhandlungstagen vom 5. April bis zum 4. August 2006 statt, wobei der gegenständliche Beweisantrag am 13. Verhandlungstag gestellt wurde.
Bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren am 19. Mai 2004 hatte der Angeklagte S. unter anderem folgende Angaben gemacht:
"Ich habe ihn (den Geschädigten W.) auch zweimal geschlagen, aber nicht stark, weil meine rechte Hand gebrochen war. Ich bin am Daumengelenk operiert worden im Herbst 2003 und ich habe mir auch den Handgelenkknochen des Mittelfingers gebrochen, weshalb ich aber nicht beim Arzt war. Das war 1994. Ich hatte Angst, dass, wenn ich zu fest zuschlage, das wieder kaputt geht."
Auf den Widerspruch des Angeklagten S. hat die Kammer hinsichtlich dieser Aussage ein auf § 136 Abs. 1 StPO gestütztes Beweisverwertungsverbot angenommen, was sie den Verfahrensbeteiligten bereits während der Hauptverhandlung mitteilte.
Am 10. Verhandlungstag der zweiten Hauptverhandlung, dem 10. Juli 2006, ließ sich der Angeklagte S. über seinen Verteidiger zur Sache ein. Er bekundete unter anderem:
In der Wohnung "schlug (ich) ihm mit einem Tablett aus Leichtmetallblech von oben auf den Kopf. ... (In dem Waldstück) schlug (ich) zunächst nicht auf ihn ein, da ich bei Schlägen mit der blanken Hand bis heute erhebliche Schmerzen in der rechten Hand habe, die von einem Unfallereignis im November 2003 herrühren. Seit einer Operation im Klinikum Landshut am 10.11.2003 befinden sich noch Metallschienen in meiner rechten Hand. Aufgrund der Verletzungsfolgen ist der Gebrauch meiner rechten Hand seit November 2003 insoweit deutlich eingeschränkt, als ich mit ihr weder kraftvoll Zug noch Druck ausüben kann. ... Als Herr W. auf einmal aufstand und sich entfernen wollte, schlug ich ihm eine gefüllte Bierflasche auf den Kopf, die dabei zerbrach. Da Herr W. weiter weg wollte, habe ich eine weitere volle Bierflasche auf seinem Kopf zerschlagen."
Die Kammer hat in der zweiten Hauptverhandlung die Zeugen Dr. N., Hausarzt des Angeklagten, und Wi., Vorgesetzter des Angeklagten, im Hinblick auf Funktionsstörungen der rechten Hand vernommen. Ferner haben der psychiatrische und der rechtsmedizinische Sachverständige, Dr. O. und Prof. Dr. P., Angaben hierzu gemacht.
b) Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Auf die vom Generalbundesanwalt dargelegten etwaigen Mängel im Revisionsvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) kommt es daher nicht an.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Senat NJW 2001, 1956 m. zahlr. N.; ferner Sander NStZ 1998, 207) hat die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht nach § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO in objektiver Hinsicht zwei Voraussetzungen: Die verlangte Beweiserhebung kann nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen; darüber hinaus muss sie geeignet sein, den Abschluss des Verfahrens wesentlich hinauszuzögern. In subjektiver Hinsicht muss sich der Antragsteller der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst sein und mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezwecken.
Hat ein Verteidiger den Beweisantrag gestellt, so gilt: Es kommt darauf an, ob dieser in Verschleppungsabsicht handelt oder sich die Verschleppungsabsicht des Angeklagten zu eigen macht. Der Tatrichter kann seine Überzeugung auf der Grundlage aller dafür erheblichen Umstände gewinnen. Das Verbot der Beweisantizipation gilt dabei nicht. Die Überzeugungsbildung hat namentlich unter Beachtung des Verhaltens des Angeklagten und des Verteidigers in und außerhalb der Hauptverhandlung, aber auch schon im Ermittlungsverfahren zu erfolgen; der Tatrichter kann ferner den bisherigen Verfahrensverlauf berücksichtigen.
Der späte Zeitpunkt der Antragstellung für sich allein ist kein ausreichendes Anzeichen für ein Bewusstsein von der Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung. Die maßgeblichen Gründe für die Ablehnung muss der Tatrichter in dem Beschluss - regelmäßig nach Art eines Indizienbeweises - darlegen. Hat der Tatrichter sich eine entsprechende Überzeugung von der Prozessverschleppungsabsicht gebildet und diese unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände im Ablehnungsbeschluss dargelegt, prüft das Revisionsgericht nur, ob die Erwägungen in tatsächlicher Hinsicht tragfähig und rechtlich zutreffend sind. Auf die hypothetische Erwägung, ob das Revisionsgericht selbst den Beweisantrag abgelehnt hätte, kommt es nicht an.
Gemessen an diesen Anforderungen ist gegen den vom Beschwerdeführer beanstandeten Ablehnungsbeschluss revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
aa) Die Kammer hat tragfähig ihre Überzeugung dargelegt, dass die am 13. Hauptverhandlungstag der Neuverhandlung beantragte Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens nichts Sachdienliches erbracht hätte, vielmehr der Angeklagte S. im Gebrauch der rechten Hand nicht in der behaupteten Art und Weise eingeschränkt war. Rechtsfehlerfrei führt der Ablehnungsbeschluss folgende, die Überzeugungsbildung tragende Umstände an:
- Der rechtsmedizinische Sachverständige Prof. Dr. P. hat erläutert, dass eine Metallplatte in der Hand grundsätzlich keine Funktionsbeeinträchtigung mit sich bringe.
- Der psychiatrische Sachverständige Dr. O. hat ausgesagt, dass der Angeklagte bei der Exploration von der Fraktur mit anschließender Operation berichtet habe; darauf beruhende anhaltende Beschwerden habe er demgegenüber nicht er wähnt. Das Revisionsvorbringen, dass die Angaben des Sachverständigen "zur Aufklärung der Beweistatsache auch nicht das Mindeste beitragen" könnten, da es bei der Exploration "wohl insbesondere um die Klärung psychologischer und psychiatrischer ... und nicht ... orthopädischer Fragen" gegangen sei, trifft schon deshalb nicht zu, weil der Angeklagte im Übrigen von anderen - vergleichsweise geringfügigen - Beschwerden wie etwa gelegentlichem Sodbrennen oder Nasenbluten berichtete.
- Der Zeuge Dr. N., der Hausarzt des Angeklagten S., hatte diesen im Zusammenhang mit der Fraktur der rechten Hand allgemein-medizinisch betreut. Nach den Angaben des Zeugen hätten am 17. November 2003 Röntgenaufnahmen nach der Operation eine korrekte Stellung der Fraktur mit implantierter Metallplatte gezeigt. Der Angeklagte habe die Daumenrinne nach der Operation selbstständig entfernt. Er habe sich am 24. November 2003 letztmals zur Kontrolle in die Praxis des Zeugen begeben; anschließend sei keine weitere Behandlung erfolgt.
- Nach Angaben des Zeugen Wi., der mehr als ein halbes Jahr bis zum 30. April 2004 vorgesetzter Facharbeiter des Angeklagten beim Diakonischen Werk im Rahmen des Programms "Arbeit statt Sozialhilfe" war, verrichtete dieser zur Zufriedenheit leichte bis zu sehr schweren Arbeiten im Landschaftsbau wie auch Malerarbeiten. Nach seiner Krankschreibung bis zum 28. November 2003 sei er uneingeschränkt einsatzfähig gewesen. Der Einwand des Beschwerdeführers, dem Zeugen fehle es an medizinischen Fachkenntnissen und an - für die Kommunikation mit dem Angeklagten erforderlichen - russischen Sprachkenntnissen, greift nicht durch, da die Wahrnehmung, dass der Angeklagte tatsächlich derartige Arbeiten verrichtete, solche Kenntnisse nicht voraussetzt.
- Schließlich hat sich der Angeklagte selbst dahingehend eingelassen, er habe mit einem Leichtmetalltablett und mit vollen Bierflaschen auf den Kopf des Geschädigten geschlagen. Anders als die Revision meint, durfte die Kammer diese Einlassung als Indiz heranziehen, auch wenn der Angeklagte hierbei keine Angaben dazu machte, mit welcher Hand die Schläge erfolgten, zumal er selbst bei der Exploration für das psychiatrische Gutachten erklärte, er sei Rechtshänder.
bb) Die Kammer hat rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens den Abschluss des Verfahrens auch wesentlich hinausgezögert hätte.
Dem Kriterium, dass die zu erwartende Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein muss, hat die Rechtsprechung bisher keine hinreichend klaren Konturen gegeben. Die Formulierung, es müsse eine "Verzögerung des Verfahrensabschlusses auf unbestimmte Zeit bezweckt" sein (BGHSt 21, 118, 121; BGH VRS 38 [1970] 58 [jew. nichttragend]), verwendet der Bundesgerichtshof in neueren Entscheidungen nicht mehr. Eine relevante Verfahrensverzögerung ist in Fällen angenommen worden, in denen eine Aussetzung der Hauptverhandlung unvermeidbar geworden wäre oder ernsthaft zu befürchten war (vgl. BGH NStZ 1992, 551; GA 1968, 19). Umgekehrt hat der Bundesgerichtshof eine wesentliche Verzögerung verneint, wenn der beantragte Zeugenbeweis noch innerhalb der Frist nach § 229 Abs. 1 StPO (so NStZ 1982, 391 [zur Zehn-Tages-Frist]) oder im allein für die Schlussvorträge vorgesehenen Folgetermin, der eine Woche nach der Antragstellung stattfand (so StV 1986, 418, 420), hätte erhoben werden können. Gleiches gilt, wenn die Beweiserhebung "in kurzer Zeit" hätte erfolgen können, was "insbes. bei ortsansässigen Zeugen" zutreffe (BGH NJW 1958, 1789).
Die Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens hätte schon deswegen im vorliegenden Verfahren zu einer relevanten Verfahrensverzögerung geführt, weil zumindest eine - länger als drei Wochen dauernde - Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 StPO, wenn nicht gar die erneute Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich geworden wäre. So hatte der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. bereits am 18. Juli 2006 mitgeteilt, er befinde sich in der Zeit vom 7. bis zum 28. August 2006 in Urlaub. Hierzu führt der Ablehnungsbeschluss nachvollziehbar aus, dass bei einer Terminierung in Abwesenheit des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. "mit erheblichem Widerstand" seinerseits zu rechnen gewesen wäre. Unbeschadet dessen war der Beweisstoff zum Zeitpunkt der Antragstellung erschöpft; nach dem Verhandlungsplan der Kammer sollte an diesem Tag mit den Schlussvorträgen begonnen werden. Auf sog. "Schiebetermine" (vgl. dazu BGH NJW 1996, 3019 m. Anm. Wölfl NStZ 1999, 43; BGH NStZ-RR 1998, 335; StV 1998, 359; JR 2007, 38 m. Anm. Gössel) hat sich die Kammer zu Recht nicht eingelassen.
cc) Schließlich zeigt sich die Kammer in dem Ablehnungsbeschluss überzeugt, dass Verteidiger Rechtsanwalt Sch. mit dem Bewusstsein handelte, das beantragte Sachverständigengutachten werde eine dem Angeklagten S. günstige Wendung des Verfahrens nicht herbeiführen können, und dass der Antrag ausschließlich eine Verzögerung des Verfahrens bezweckte.
Entgegen der - nur - insoweit missverständlichen Formulierung in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts rechtfertigt der bloße Verdacht, der Beweisantrag sei in der Absicht der Prozessverschleppung gestellt worden, nicht die Ablehnung. Der Verdacht muss sich vielmehr zur subjektiven Gewissheit des Tatrichters verfestigt haben. Wie jede sog. "innere Tatsache" kann sich die Absicht der Prozessverschleppung entweder aus eigenen Äußerungen des Antragstellers oder durch Rückschlüsse aus sonstigen Indizien ergeben (vgl. hierzu BGH NJW 1991, 2094; NStZ 2003, 596; 2004, 35, 36). Nach aller forensischer Erfahrung wird ein Antragsteller nur selten klar zum Ausdruck bringen, dass sein Antrag nicht der Erforschung der Wahrheit dient. Ausgeschlossen ist dies aber nicht, wie das vorliegende Verfahren beispielhaft belegt. Hier hatte der Verteidiger Rechtsanwalt Schw. des Angeklagten Sc. der insoweit unwidersprochenen dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden zufolge diesem gegenüber fernmündlich geäußert, "er müsse jetzt Beweisanträge stellen, da er sich mit der Staatsanwaltschaft noch nicht ganz einig geworden sei". Damit brachte er klar zum Ausdruck, dass es ihm nicht um die Erforschung der Wahrheit ging, sondern darum, die übrigen Verfahrensbeteiligten dadurch zu einer verfahrensbeendenden Absprache zu veranlassen, dass er anderenfalls durch immer neue Beweisanträge den Abschluss des Verfahrens auf unabsehbare Zeit hinauszögern werde (vgl. Senat NStZ 2005, 45).
Derartige oder damit vergleichbare Äußerungen des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Beweisantrag ("Handgreifkräfte") liegen nicht vor. Die Kammer hat ihre Überzeugung von der Absicht der Prozessverschleppung hier - über die Nutzlosigkeit der verlangten Beweiserhebung hinaus - rechtsfehlerfrei mittels folgender Indizien begründet:
Den gegenständlichen Beweisantrag stellte der Verteidiger am 13. Hauptverhandlungstag der Neuverhandlung, für den, wie den Verfahrensbeteiligten bekannt war, die Beendigung der Beweisaufnahme und der Beginn der Schlussvorträge vorgesehen waren. Kurz zuvor hatte er mitgeteilt, in Kürze für drei Wochen urlaubsabwesend zu sein, damit in dieser Zeit keine Termine angesetzt würden. Während der ersten Hauptverhandlung sei eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand weder behauptet noch sonst ersichtlich gewesen.
Der Verteidiger hatte bereits am 15. Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung, an dem diese geschlossen werden sollte, beantragt, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten einzuholen, das die Beweisbehauptung aber nicht bestätigte.
Zwar ist der späte Zeitpunkt der Antragstellung - für sich allein - im Hinblick auf den Ablehnungsgrund der Prozessverschleppungsabsicht unschädlich. Wenn aber - wie hier - der Antrag erst nach einer umfangreichen Beweisaufnahme gestellt wird und die verlangte Beweiserhebung längere Zeit in Anspruch nehmen würde, andererseits der Beweisstoff für den Antragsteller erkennbar erschöpft ist und ein nachvollziehbarer Anlass für die späte Antragstellung weder dargetan noch sonst ersichtlich ist, kann alledem eine maßgebliche Indizwirkung zukommen.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers drängte die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zuvor nicht zur Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens, und zwar schon deshalb nicht, weil die Kammer das Beweisthema mit anderen Beweismitteln aufgeklärt hat. Unbeschadet dessen bestand aufgrund der polizeilichen Aussage des Angeklagten vom 19. Mai 2004, er habe zweimal "nicht stark" zugeschlagen, da er sich in den Jahren 1994 und 2003 Frakturen an der rechten Hand zugezogen und er deswegen befürchtet habe, dass "das", wenn er zu fest zuschlage, wieder "kaputt" gehe, kein Anlass, ein Gutachten dazu einzuholen, ob er mit seiner rechten Hand die für das Ziehen an der Jacke erforderlichen Handgreifkräfte aufbringen konnte. Denn der Angeklagte hatte überhaupt keine Funktionsbeeinträchtigung beim Zugreifen, vielmehr das Risiko eines erneuten Aufbrechens alter Verletzungen beim Zuschlagen geltend gemacht; dies hinderte ihn nach seiner Aussage nicht am weniger starken Zuschlagen.
Selbst wenn der Inhalt der Aussage die Einholung des Gutachtens nahe gelegt hätte, wäre zu berücksichtigen, dass die Kammer infolge des Widerspruchs des Angeklagten ein - für den Angeklagten disponibles - Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 StPO angenommen hat. Die Revision kann hier nicht innerhalb einer Rüge hinsichtlich ein und derselben Bekundung des Angeklagten (Zuschlagen mit rechts) erfolgreich geltend machen, einerseits sei seine Einlassung für die Beweisbehauptung unergiebig, weil er niemals verwertbare Angaben dazu gemacht habe, mit welcher Hand Schläge seinerseits erfolgt seien (vgl. oben I 1 b aa), andererseits hätte sich aufgrund der bekundeten Schläge mit der rechten Hand eine bestimmte Beweiserhebung aufgedrängt.
Die Kammer durfte daneben auch die späte Beweisantragstellung durch den Verteidiger Rechtsanwalt Sch. am letzten Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung berücksichtigen. Hierfür kommt es entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht darauf an, ob die erste Hauptverhandlung - zumindest auch - aufgrund dieses Beweisantrags oder - allein - aufgrund des zeitnah von Rechtsanwalt Schw. gestellten Beweisantrags ausgesetzt worden war (vgl. UA S. 105). Maßgeblich ist nur, dass dem Antragsteller bekannt gewesen war, dass die verlangte Beweiserhebung nach im Übrigen beendeter Beweisaufnahme gemäß § 229 Abs. 4 StPO voraussichtlich eine Aussetzung zur Folge haben würde. Auch die Aufklärungspflicht hatte hier nicht die frühere Einholung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens geboten.
Dass, wie der Beschwerdeführer meint, "beim Vorwurf vorsätzlicher Tötungsverbrechen obligatorisch schon vor Beginn der Hauptverhandlung die Einholung solcher forensisch-psychiatrischer Sachverständigengutachten (zu) veranlassen" wäre, trifft nicht zu.
c) Zu den beiden Voraussetzungen des Ablehnungsgrunds der Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO), dass - objektiv - der Beweisantrag geeignet sein muss, den Verfahrensabschluss "wesentlich" hinauszuzögern, und der Antragsteller - subjektiv - in Kenntnis der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung ausschließlich die Verfahrensverzögerung bezweckt, sieht der Senat Anlass zu folgenden Erwägungen:
aa) Der Senat hält es für angezeigt, das objektive Kriterium, dass die Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben.
Auch bei präsenten Beweismitteln erlaubt § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5 StPO mit der wortgleichen Formulierung die Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verschleppungsabsicht. Auf die Frage, wie schnell sich weitere Beweismittel beschaffen lassen, kann es hier naturgemäß nicht ankommen. Eine wesentliche Verfahrensverzögerung, die überhaupt nur in den Fällen der Benennung der Gerichtsmitglieder als Zeugen und der verlangten Einführung massenhaft präsenter Beweismittel in Betracht kommt, ist für § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5 StPO nicht erforderlich (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß 5. Aufl. S. 829 f.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 245 Rdn. 27: "Verschleppungsabsicht iwS"). Gleiches gilt für die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs wegen Verschleppungsabsicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO. Stichhaltige Argumente dafür, dass die gleichen Rechtsbegriffe - zumal in den systematisch zusammenhängenden Vorschriften der §§ 244, 245 StPO - unterschiedliche Bedeutungen haben, sind nicht ersichtlich (ebenso Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 469; Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 87, jew. m. w. N.).
Die Änderung der Rechtsprechung zum Kriterium der wesentlichen Verfahrensverzögerung ist auch vor dem Hintergrund der neueren strengen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Beschleunigungsgrundsatz geboten. Insbesondere in Haftsachen, die einen großen Teil der erstinstanzlichen Strafverfahren vor den Landgerichten ausmachen, zwingt der Beschleunigungsgrundsatz dazu, dass die Hauptverhandlung so bald und so schnell wie möglich durchgeführt wird (vgl. nur BVerfG NJW 2006, 672, 676; 2006, 1336, 1337 f.). Hat die Haft schon geraume Zeit angedauert, ist von Verfassungs wegen eine straffe Terminierung mit durchschnittlich jedenfalls deutlich mehr als einem Verhandlungstag pro Woche geboten (vgl. BVerfG NJW 2006, 668, 670; 2006, 672, 676; NStZ 2006, 460, 461; Beschluss vom 29. Dezember 2005 - 2 BvR 2057/05 - Rdn. 64). Wird die Hauptverhandlung nicht straff genug durchgeführt, kann eine der Justiz anzulastende und damit kompensationspflichtige Verfahrensverzögerung gegeben sein. Die Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt dabei eine nicht ausreichende Verfahrensförderung insbesondere auch mittels statistischer Errechnung der durchschnittlichen Anzahl der Verhandlungstage und der durchschnittlichen Verhandlungsdauer fest und scheint nicht nach Verfahrensgegenständen und Verhandlungsinhalten - ebenso wenig danach, ob Beweisanträge gebündelt oder gestaffelt gestellt werden, oder danach, in welchem Zeitraum sich beantragte weitere Beweismittel bei im Übrigen abgeschlossener Beweisaufnahme beschaffen lassen - zu differenzieren (vgl. Eschelbach in KMR 44. Lfg. § 229 Rdn. 5; Schmidt NStZ 2006, 313, 314 f.). Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gebotenen straffen Durchführung der Hauptverhandlung liegt es nahe, dass auch die Anordnung einer vergleichsweise kurzen Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz eine relevante Verfahrensverzögerung bedeuten kann, zumal durch weitere Beweiserhebungen dem Tatgericht Arbeitszeit für andere - ebenfalls in angemessener Zeit abzuschließende - Verfahren verloren geht.
Nach alledem kann jedenfalls für die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung nicht mehr der Maßstab des § 229 Abs. 1 StPO zugrunde gelegt werden. Soweit dieser Maßstab bisher herangezogen wurde (vgl. BGH NStZ 1982, 391; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 244 Rdn. 67 m. w. N.), kann daran nicht mehr festgehalten werden, nachdem das 1. JuMoG vom 24. August 2004 (BGBl I 2198) die regelmäßige Unterbrechungsfrist auf drei Wochen verlängert hat.
bb) Soweit der Tatrichter die Überzeugung von der inneren Tatsache, dass es dem Antragsteller auch subjektiv darum ging, den Prozess zu verschleppen, durch Rückschlüsse aus äußeren Tatsachen zu gewinnen hat, können sich signifikante Indizien etwa aus folgender Fallgestaltung ergeben:
Nach Abschluss der vom Gericht nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten gehaltenen Beweiserhebungen kann der Vorsitzende die übrigen Verfahrensbeteiligten unter Fristsetzung auffordern, etwaige Beweisanträge zu stellen. Dies gilt namentlich bei länger dauernden Verfahren im Sinne von § 229 Abs. 2 StPO, also solchen mit einer Hauptverhandlung, die mindestens zehn Verhandlungstage umfasst. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, dann hat der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert darzulegen. Besteht nach der Überzeugung des Gerichts kein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung, so kann es - falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gleichwohl zur Beweiserhebung drängt - grundsätzlich davon ausgehen, dass der Antrag nichts anderes als die Verzögerung des Verfahrens bezweckt. Denn es ist nicht erkennbar, warum ein Antragsteller, dem es möglich ist, innerhalb der gesetzten Frist Beweisanträge zu stellen, nicht bestrebt sein sollte, rechtzeitig seinem Anliegen dienliche Beweiserhebungen zu verlangen, will er nicht seinen Interessen zuwider handeln.
Dieser Auslegung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO steht § 246 Abs. 1 StPO nicht entgegen, weil die Ablehnung eines Beweisantrags weiterhin nicht allein an die verspätete Antragstellung geknüpft ist; sie erleichtert dem Tatrichter lediglich den Nachweis der Absicht der Prozessverschleppung. Auch an der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme und Verbescheidung von Beweisanträgen ändert sich nichts (vgl. insoweit bei "extrem gelagerten Fällen" des Rechtsmissbrauchs BGH NJW 2005, 2466).
2. Rüge der Mitwirkung der wegen Ablehnung eines Beweisantrags abgelehnten Kammermitglieder (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):
Der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. hat namens des Angeklagten S. sämtliche Mitglieder der Kammer mit Gesuch vom 3. August 2006 abgelehnt. Das Gesuch beanstandet im Wesentlichen die Ablehnung des Beweisantrags auf Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens wegen Prozessverschleppungsabsicht (siehe oben Ziff. 1); zudem habe "die Kammer vor Erlaß ihres Beschlusses keinerlei Versuch gemacht, Hrn. S. oder seine Verteidigung nochmals anzuhören und ihnen Gelegenheit zu geben, den Vorwurf der Verschleppungsabsicht zu entkräften". Die Vertreterkammer hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss noch vom selben Tag als unbegründet verworfen.
Hierzu bemerkt der Senat:
Das Verhalten der Kammermitglieder konnte die Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. Senat NJW 2006, 3290, 3295 m.w.N.; NStZ 2007, 161, 163) nicht begründen. Es mag dahinstehen, inwieweit prozessual fehlerhaftes Verhalten überhaupt Anlass zur Besorgnis der Befangenheit geben könnte (Senat NStZ 2007, 163, 164). Dem braucht der Senat hier nicht nachzugehen. Denn nicht nur die Ablehnung des Beweisantrags erfolgte rechtsfehlerfrei; es bedurfte hierzu auch nicht der vorherigen Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung. Durch die Verkündung des Ablehnungsbeschlusses vor der abschließenden Urteilsberatung wird dem Antragsteller rechtliches Gehör gewährt; hierdurch wird ihm Gelegenheit gegeben, den Vorwurf, er habe den Beweisantrag nur in Prozessverschleppungsabsicht gestellt, zu entkräften oder die ihm sonst infolge der Ablehnung des Beweisantrags notwendig erscheinenden Maßnahmen zu treffen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Prozessverschleppung 4; BGH NStZ 1998, 207, jew. m.w.N.).
Revision des Angeklagten Sc.:
1. Rüge der Mitwirkung des wegen eines Hinweises abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):
a) Der Rüge, an dem Urteil habe der Vorsitzende Richter M. mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch wegen eines von ihm erteilten Hinweises mit Unrecht verworfen worden sei, liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am siebten Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung, dem 27. Juli 2005, wurde die im Ermittlungsverfahren tätige Dolmetscherin und Übersetzerin T. als Zeugin vernommen. Sie sagte aus, dass sie keine Prüfung als Dolmetscherin oder Übersetzerin abgelegt habe und nicht allgemein vereidigt sei; sie komme allerdings aus Moskau und habe dort Germanistik studiert. Daraufhin widersprachen die Verteidiger der Angeklagten und des damaligen Mitangeklagten F. der Verwertung sämtlicher - noch in die Hauptverhandlung einzuführender und bereits eingeführter - Vernehmungen, an denen die Zeugin als Sprachmittlerin mitgewirkt habe. Der Vorsitzende erteilte unterdessen folgenden Hinweis:
"Der Vorsitzende wies darauf hin, dass die soeben vernommene Zeugin T. in der jetzigen Vernehmung die deutsche Sprache ohne jeden grammatikalischen Fehler beherrschte und ihre Muttersprache russisch ist, wie sie erklärte."
Die Verteidigung widersprach dieser Feststellung. Die Revision behauptet, der Vorsitzende habe, noch bevor die Widersprüche vollständig protokolliert gewesen seien, unter Anordnung einer Unterbrechung bis zum nächsten Tag den Sitzungssaal verlassen und sei später zur Rückkehr bewegt worden. Am folgenden Verhandlungstag, dem 28. Juli 2005, stellte der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. namens des Angeklagten S. ein Befangenheitsgesuch, dem sich sämtliche Verteidiger, auch Rechtsanwalt Schw. für den Angeklagten Sc., anschlossen. Mit Beschluss vom 1. August 2005 sind die Gesuche als unbegründet verworfen worden.
b) Der Beschwerdeführer meint, dass der Vorsitzende mit dem Hinweis "rechtliche Erwägungen im Bezug auf die Rolle von Frau T. vorgenommen" habe, "was die Besorgnis der Befangenheit begründe(...)". Der Vorsitzende habe den Eindruck vermitteln wollen, § 73 Abs. 2 StPO sei hier nicht anwendbar.
Zudem habe er die der Kammer obliegende Beweiswürdigung vorweggenommen; es handele sich um den "Versuch ..., eine (nicht zwingende) Feststellung, die seiner persönlichen Wertung entspricht, ... als unumstößlich ins Protokoll aufzunehmen"; diese "unzulässige Vorwegwürdigung" habe "die Folge, die weiteren Kammermitglieder zu präjudizieren".
c) Bei verständiger Würdigung war ein Misstrauen in die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Vorsitzenden nicht gerechtfertigt.
Die Revision verkennt bereits, dass das geltende Recht ein Beweisverwertungsverbot aufgrund der Heranziehung eines nicht öffentlich bestellten und allgemein beeidigten Dolmetschers oder Übersetzers nicht kennt. Bei einem Dolmetscher handelt es sich schon nicht um einen Sachverständigen (Senge in KK 5. Aufl. vor § 72 Rdn. 9), so dass § 73 Abs. 2 StPO insoweit nicht einschlägig ist; im Übrigen hat ein Verstoß gegen die Sollvorschrift des § 73 Abs. 2 StPO ohnehin kein Verwertungsverbot zur Folge. Auch aus den sonstigen im Ablehnungsgesuch zitierten Vorschriften (§ 185 Abs. 1 GVG; Bayerisches Dolmetschergesetz; Nr. 181 Abs. 1 RiStBV) ergibt sich ein solches Verwertungsverbot nicht.
Die Annahme der Besorgnis der Befangenheit in der Person des Vorsitzenden liegt aber insbesondere deswegen fern, weil der protokollierte Hinweis von seiner Befugnis zur Verhandlungsleitung nach § 238 Abs. 1 StPO gedeckt war. Ist nämlich über ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot, wie dies hier von der Verteidigung (zu Unrecht) geltend gemacht worden war, zu entscheiden, so kann der Vorsitzende darüber im Rahmen der Sachleitung befinden.
Die ein derartiges Verbot möglicherweise begründenden Umstände sind dabei gegebenenfalls freibeweislich zu ermitteln. Eine durch den Vorsitzenden aufgrund eigener Wertung angeordnete Beweisaufnahme können die Verfahrensbeteiligten beanstanden und somit einen Beschluss nach § 238 Abs. 2 StPO herbeiführen (vgl. BGHSt 51, 1, 4). Denn gerade im Fall eines Beurteilungsspielraums des Vorsitzenden oder eines gesetzlich eröffneten Ermessens obliegt es dem Verfahrensbeteiligten, der sich durch die Anordnung beschwert fühlt, die Verantwortung des Spruchkörpers zu aktivieren (BGH NJW 2007, 384, 387, zur Veröffentlichung in BGHSt 51, 144 bestimmt).
Gemessen daran ist das Verhalten des Vorsitzenden nicht zu beanstanden. Denn hiernach durfte er im Rahmen seiner Sachleitungsbefugnis die Richtigkeit der Übersetzung der im Ermittlungsverfahren tätigen Dolmetscherin und Übersetzerin wertend beurteilen.
2. Rüge der Mitwirkung des wegen der Terminierung abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):
Zum Befangenheitsgesuch vom 25. Januar 2006, das sich im Kern darauf stützt, der Vorsitzende Richter M. habe für die Neuverhandlung eine zu kurzfristige und straffe Terminierung beabsichtigt, um den vom Angeklagten Sc. akzeptierten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Schw. "auszuschalten", wird auf die Senatsentscheidungen vom 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06 (abgedr. in NStZ 2006, 513) und vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06 (abgedr. in NStZ 2007, 163) verwiesen.
Im Übrigen bemerkt der Senat:
Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass bei der Bestimmung der Termine - zumal bei einer ausgesetzten Hauptverhandlung - "der übliche Vorlauf von 2 - 3 Monaten" einzuhalten sei, gibt es nicht; nichtsdestotrotz hat der Vorsitzende ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA S. 105) später sogar einem entsprechenden Terminsverlegungsantrag des Verteidigers Rechtsanwalt Schw. Folge geleistet. Auch die fernmündliche Äußerung des Vorsitzenden jenem gegenüber, "es könne nicht sein, dass er am Schluss die Haftbefehle aufheben müsse, weil die Verteidiger keine Zeit hätten", kann hier - nicht einmal im Ansatz - die Besorgnis der Befangenheit begründen.
3. Rüge der überlangen Verfahrensdauer und rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK):
a) Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer ausdrücklich davon abgesehen, eine überlange Verfahrensdauer oder rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zugunsten des Angeklagten Sc. zu berücksichtigen, da Verhandlung und Entscheidung innerhalb angemessener Zeit erfolgt seien (UA 58 - 22 - S. 104 ff. d.A.). Das Urteil führt im Wesentlichen dazu aus, dass die Verfahrensdauer - die Anklageschrift datiert auf den 26. Oktober 2004 - ihre Ursache in Terminsabstimmungen mit den Verteidigern zunächst von vier, später von zwei Angeklagten hatte. Die Aussetzung der Hauptverhandlung sei aufgrund eines Beweisantrags des Verteidigers Rechtsanwalt Schw. auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens erforderlich geworden; mit dem Antrag sei vorgetragen worden, der Angeklagte Sc. habe bei zwei Motorradunfällen in den Jahren 1988 und 1989 massive Kopfverletzungen erlitten.
b) Die Sachrüge, mit der der Beschwerdeführer diese Erwägungen angreift, kann den Bestand des Urteils nicht gefährden.
Will der Beschwerdeführer die Verletzung des Beschleunigungsgebots geltend machen, erfordert dies grundsätzlich die Erhebung einer Verfahrensrüge (BGHSt 49, 342; BGH, Beschluss vom 14. Februar 2007 - 1 StR 618/06; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. September 2006 - 2 BvR 1377/06).
Ein Ausnahmefall, für den der Bundesgerichtshof angenommen hat, das Revisionsgericht habe wegen eines Erörterungsmangels auf die Sachrüge hin einzugreifen (vgl. BGHSt aaO; NStZ-RR 2007, 71; Beschluss vom 17. April 2007 - 5 StR 541/06), liegt hier nicht vor. Denn das Urteil legt nachvollziehbar dar, dass und weshalb die lange Verfahrensdauer nicht der Justiz anzulasten ist. Eine "minutiös genaue" Darstellung des Verhandlungsgangs ist dabei nicht erforderlich.
Von den Urteilsfeststellungen abweichender oder darüber hinausgehender Sachvortrag kann im Rahmen der Sachrüge keine Berücksichtigung finden. Die Auslegung oder Umdeutung der Beanstandung im Rahmen der Sachrüge als bzw. in eine zulässige Verfahrensrüge (vgl. Senat NJW 2007, 92, 95 f.) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Darlegungen erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) erfolgten.
Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, welche Spielräume zur Förderung des Verfahrens der Kammer verblieben, ob etwa der Vorsitzende bei der Terminierung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots in zu weit reichendem Umfang den Terminswünschen der Verteidiger nachkam und inwieweit dies hätte eine Strafmilderung zugunsten des Beschwerdeführers bewirken können.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 602
Externe Fundstellen: BGHSt 51, 333; NJW 2007, 2501; NStZ 2007, 659; NStZ 2008, 300; StV 2007, 454; StV 2008, 228
Bearbeiter: Karsten Gaede