HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 570
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 22/07, Urteil v. 30.05.2007, HRRS 2007 Nr. 570
1. Auf die Revisionen der Angeklagten T., J., N., S. und Z. wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 21. September 2006 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten T. betrifft.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hanau zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten T. wegen Beihilfe zum Bandendiebstahl zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten J. wegen Bandendiebstahls in 53 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren sechs Monaten, den Angeklagten N. wegen Bandendiebstahls in 53 Fällen und wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten S. wegen Bandendiebstahls in 46 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und den Angeklagten Z. wegen Bandendiebstahls in 36 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren sechs Monaten verurteilt und die Einziehung eines Elektromoduls zur Überwindung der Wegfahrsperre und eines Abziehers zur gewaltsamen Öffnung von Fahrzeugen angeordnet. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachrüge (siehe unter I.). Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision eine Verurteilung des Angeklagten T. wegen mittäterschaftlichen Bandendiebstahls (siehe unter II.). Alle Rechtsmittel haben Erfolg.
Die von allen Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO greift durch.
Die Beweisaufnahme wurde am 14. Verhandlungstag, dem 4. September 2006, geschlossen. Der Vorsitzende hat nach den Schlussvorträgen sowie dem jeweiligen letzten Wort der Angeklagten die Hauptverhandlung unterbrochen und Termin zur Fortsetzung auf den 21. September 2006 festgesetzt. An diesem Tag wurde dem Angeklagten J. Rechtsanwalt R. als Verteidiger beigeordnet, danach fand nur noch die Urteilsverkündung statt. In der Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegt kein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung (vgl. BGH StV 1982, 4, 5). Damit hat das Landgericht die sich aus § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO ergebende Frist nicht eingehalten, denn zwischen der Hauptverhandlung am 4. September 2006 und der Urteilsverkündung lagen siebzehn Tage.
Der Senat hält, wie der 4. Strafsenat (NStZ 2007, 235), die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Urteilsverkündung für zwingendes Recht und ihre Verletzung deshalb für revisibel. Dies folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift ("muss", "ist"). Der Charakter einer Ordnungsvorschrift ergibt sich entgegen der nicht tragend formulierten Auffassung des 5. Strafsenats (NStZ 2007, 163) auch nicht aus der Neuregelung über die Höchstgrenze der regelmäßigen Unterbrechungsfrist für die Hauptverhandlung in § 229 Abs. 1 StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2198). Dieses Gesetz hat die Fristenregelung in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO unberührt gelassen. In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber durch die Änderung des § 229 Abs. 1 StPO auch den § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO modifizieren wollte oder dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke vorläge.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann nur in Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß ausgeschlossen werden (BGH StV 1982, 4, 5 m. Anm. Peters; BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 1 und 2; BGH NStZ 2004, 52; vgl. auch schon RGSt 57, 422, 423). Daran hat sich durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz nichts geändert. Zwar mag die Verlängerung der Unterbrechungsfristen in § 229 Abs. 1 StPO in Einzelfällen dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten infolge Zeitablaufs die Beweisaufnahme nicht mehr in allen Einzelheiten vor Augen steht. Dennoch behält die besondere Urteilsverkündungsfrist ihren Sinn, denn sie stellt jedenfalls sicher, dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinnerung sind. Allein anhand der Urteilsgründe lässt sich regelmäßig nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Auch ein sorgfältig verfasstes Urteil, dass keine sachlichrechtlichen Fehler aufweist, bietet keine Gewähr dafür, dass bei der Urteilsberatung keine wesentlichen Aspekte übersehen wurden, welche gerade deshalb im Urteil nicht wiedergegeben worden sind. Besondere Umstände, die auch schon nach der bisherigen Rechtsprechung ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß ausschließen könnten, sind hier nicht ersichtlich. Vielmehr hat auch die Urteilsberatung ausweislich der dienstlichen Erklärungen der Berufsrichter erst am 20. September 2006, also ebenfalls nach Ablauf der Elftagefrist, stattgefunden.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil die Verurteilung des Angeklagten T. wegen Beihilfe zum Bandendiebstahl nicht frei von Rechtsfehlern ist.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Bandendiebstahl verurteilt, weil er - wie er selbst eingeräumt habe - am 26. September 2005 trotz Kenntnis der Tatsache, dass die zu transportierenden Teile von gestohlenen Fahrzeugen stammten, einen Transport für die Tätergruppe geleistet habe (UA S. 70). Von den weiteren Anklagevorwürfen hat es ihn freigesprochen, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen gewesen sei, dass der Angeklagte T. vor der Sicherstellung des von seinem Bruder gesteuerten Lkw (am 9. September 2005) Kenntnis von der Herkunft der Autoteile gehabt habe. Zwar sprächen die Tatsache, dass der Angeklagte den Zeugen G. als "Schrauber" an die Tätergruppe vermittelt habe, und die Vornahme von Geldüberweisungen an die Freundin des Angeklagten J. für eine engere Bindung auch des Angeklagten T. an die Tätergruppe um den Angeklagten J. und damit auch für eine frühere Kenntnis von der Herkunft der Autoteile. Die entgegenstehende Einlassung des Angeklagten sei jedoch nicht mit letzter Sicherheit zu widerlegen gewesen. Insbesondere spreche die Tatsache, dass der Angeklagte T. von der Tätergruppe sogar verprügelt worden sei, gegen dessen zunächst vermutete hochrangige Position im Bandengefüge.
2. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Eine Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden. Eine wenig überzeugende Einlassung des Angeklagten muss nicht schon deshalb geglaubt werden, weil sie nicht widerlegt werden kann.
Der Angeklagte T. hatte eingeräumt, dass er seit der Sicherstellung des Lkw am 9. September 2005 Kenntnis davon hatte, dass es sich bei der Fracht um gestohlene Autoteile handelte. Er habe danach noch einen Transport vorgenommen, weil von der Gruppierung entsprechender Druck auf ihn ausgeübt worden sei und er sogar in der Wohnung verprügelt worden sei (UA S. 65). Das Landgericht hat diese Einlassung als nicht widerlegbar angesehen, und daraus gefolgert, dass er nur durch diesen letzten Transport der Bande geholfen habe. Dabei hat das Landgericht zwar bedacht, dass die Vermittlung des Zeugen G. und die Geldüberweisungen für eine engere Einbindung des Angeklagten T. in die Bande sprechen könnten. Es hat aber nicht erörtert, dass allein der Umstand, dass der Angeklagte seinen Schwager G. "als Schrauber", also zum Zerlegen von Autos an die Tätergruppe in Deutschland vermittelt hat, dafür spricht, dass er bereits vor Sicherstellung des Lkw am 9. September 2005 von der Zerlegung von Autos in Deutschland durch die Bande wusste. Dafür, dass es sich um gestohlene Fahrzeuge handelte, sprach schon der Umstand, dass die Transporte nach Litauen mit falschen Frachtpapieren ausgestattet wurden, die einen Erwerb der Autoteile in Frankreich auswiesen. Es liegt nahe, dass der Angeklagte T. als Manager der Spedition, der den Vertrag mit der Tätergruppe abgeschlossen hatte, und der die Transporte von Deutschland nach Litauen organisierte und diese Transporte nach den Feststellungen auch teils selbst ausführte, vom Inhalt der Frachtpapiere Kenntnis hatte. Das Landgericht hätte sich mit diesem Umstand deshalb auseinandersetzen müssen. Weiter hat es erkennbar übersehen, dass nach der Sicherstellung des Lkw am 9. September 2005 und vor dem eigenen Transport durch den Angeklagten T. am 26. September 2005 dieser noch einen weiteren Transport gestohlener Autoteile von Deutschland nach Litauen für die Tätergruppierung organisiert hat, den der gesondert verurteilte L. durchführte (UA S. 14). Dieser Umstand könnte ebenfalls gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten sprechen, er habe sich wegen des auf ihn ausgeübten Drucks und wegen der Prügel zum Transport bereit gefunden, wofür es im Übrigen keinerlei bestätigende Anhaltspunkte gibt. Auch hiermit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen.
Es besteht Anlass zu dem ergänzenden Hinweis, dass die pauschale Feststellung, es ergebe sich eine Strafbarkeit wegen Bandendiebstahls des Angeklagten S. in 46 Fällen und des Angeklagten Z. in 36 Fällen, die Nachprüfung des Urteils für das Revisionsgericht erschwert, weil die Strafkammer selbst keine Zuordnung der Taten zu den einzelnen Tätern vornimmt. Dies gilt auch für die Strafzumessung anhand der Schadenshöhe ohne Zuordnung der einzelnen Fälle, die zudem fehlerhaft ist, weil in den Fällen, in denen die Schadenssumme genau 25.000 € beträgt (Fälle 12, 22, 30 und 34 der Anklage), die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, ob Freiheitsstrafen von zwei Jahren oder von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt worden sind. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass Tatbeteiligte, die nicht selbst Bandenmitglieder sind, nur wegen Beteiligung am Grunddelikt bestraft werden können, da die Bandenmitgliedschaft ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB ist (vgl. BGHSt 46, 120, 128; 47, 214, 216; BGH StV 2007, 241; Senatsbeschluss vom 8. März 2006 - 2 StR 609/05).
[Redaktioneller Hinweis: Vgl. auch von Freier HRRS 2007, 139 ff. und die Anmerkung von Wolf in Heft 7 HRRS 2007. Die Entscheidung wurde eingesandt von Herrn StA Jürgen Heinze, Hanau.]
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 570
Externe Fundstellen: NJW 2007, 3013; NStZ-RR 2007, 279; StV 2007, 458
Bearbeiter: Ulf Buermeyer