HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 623
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 345/06, Beschluss v. 04.04.2007, HRRS 2007 Nr. 623
I. Auf die Revisionen der Angeklagten B., Sch., S. und St. wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14. Dezember 2005, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Auf die Revisionen der Angeklagten J., K., D., Z. und Ke. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den jeweiligen Beschwerdeführer betrifft, jeweils mit den Feststellungen aufgehoben
1. hinsichtlich des Angeklagten J.
a) in den Fällen 4, 6, 8d, 10, 11, 12b, 12e, 15, 17b, 19a, 20a, 22, 24, 26a, 26b, 28d, 28f, 28h und 29b der Urteilsgründe insgesamt,
b) in den Fällen 8a, 19b, 28b, 29a der Urteilsgründe im Strafausspruch,
2. hinsichtlich des Angeklagten K.
a) in den Fällen 28e, 28g, 28i der Urteilsgründe insgesamt,
b) im Fall 28c der Urteilsgründe im Strafausspruch,
3. hinsichtlich des Angeklagten D. in den Fällen 16, 39 der Urteilsgründe insgesamt,
4. hinsichtlich des Angeklagten Z. im Fall 39 der Urteilsgründe insgesamt,
5. hinsichtlich des Angeklagten Ke.
a) im Fall 32 der Urteilsgründe (= UA 72, Punkt 40 der Anklage) insgesamt,
b) in den Fällen 38, 43 der Urteilsgründe im Strafausspruch,
sowie jeweils im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
III. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten J., K., D., Z. und Ke. werden verworfen.
IV. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:
Den Angeklagten B. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren,
den Angeklagten Sch. wegen Vergewaltigung in neun Fällen unter Einbeziehung von Freiheitsstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren,
den Angeklagten St. wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren,
den Angeklagten J. wegen Vergewaltigung in elf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, sowie wegen sexueller Nötigung und wegen Vergewaltigung in elf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, jeweils unter Einbeziehung von Freiheitsstrafen aus Vorverurteilungen zu Gesamtfreiheitsstrafen von acht und von neun Jahren,
den Angeklagten K. wegen Vergewaltigung in vier Fällen unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren,
den Angeklagten S. wegen Vergewaltigung in vier Fällen unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten,
den Angeklagten D. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, Zuhälterei, Erpressung in drei Fällen, Raub, Unterschlagung, Anstiftung zu Urkundenfälschung und Betrug sowie fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren,
den Angeklagten Z. wegen Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und
den Angeklagten Ke. wegen Vergewaltigung in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, sowie wegen zwei weiteren Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten.
Hinsichtlich des Angeklagten D. hat es ferner eine Maßregel nach §§ 69, 69a StGB angeordnet.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Diese haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Auf die von den Angeklagten B., Sch., S. und St. erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an, da das Urteil hinsichtlich dieser Angeklagten bereits auf die Sachrüge aufzuheben ist. Die von den übrigen Angeklagten erhobenen Verfahrensbeschwerden greifen nicht durch (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedürfen nur folgende Rügen:
1. Die Revisionen der Angeklagten J. und K. machen erfolglos eine Verletzung des sich aus Art. 6 Abs. 3 d EMRK ergebenden Konfrontationsgebots geltend.
Der Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zu Grunde: Die Zeugin Ba., zu deren Nachteil die abgeurteilten Taten der Beschwerdeführer verübt worden sein sollen, konnte lediglich an drei der 53 Hauptverhandlungstage vernommen werden, wobei sie nur bis zu Fall 4 der Urteilsgründe befragt werden konnte. Eine weitere Vernehmung der Zeugin war nicht möglich, da diese infolge einer posttraumatischen Belastungsstörung mit der Gefahr einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vernehmungsunfähig geworden war. Daraufhin wurden gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO die Niederschriften über die polizeilichen Vernehmungen der Zeugin im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt. Im Rahmen dieser umfangreichen Vernehmungen, die sich über einen Zeitraum von drei Monaten erstreckten, hat die Zeugin den Sachverhalt im Sinne der getroffenen Feststellungen wiedergegeben. Allerdings konnte sie damals nur die Nachnamen der Angeklagten D. und Ke. angeben, von den übrigen Angeklagten waren ihr lediglich Vornamen oder Namenskürzel bekannt. Weder die Angeklagten noch deren Verteidiger hatten Gelegenheit, bei den polizeilichen Vernehmungen anwesend zu sein und die Zeugin zu befragen.
Die Revisionen vertreten zwar zutreffend die Ansicht, es sei nicht auf ein Verschulden der Justiz zurückzuführen, dass die Angeklagten und deren Verteidiger nicht die Möglichkeit hatten, die Zeugin zu befragen; ihre Auffassung, das Landgericht habe die Angeklagten nicht verurteilen dürfen, weil die verlesene Aussage der Hauptbelastungszeugin nicht durch hinreichend gewichtige anderweitige Beweismittel gestützt werde, teilt der Senat aber nicht. Dass eine Konfrontation der Angeklagten mit der Zeugin hinsichtlich der abgeurteilten Fälle nicht erfolgt ist, führt nicht ohne weiteres zur Annahme eines Konventionsverstoßes.
Ein solcher ist nicht gegeben, wenn die Verteidigungsrechte, deren Verletzung geltend gemacht wird, insgesamt angemessen gewahrt wurden, das Verfahren in seiner Gesamtheit fair war. Dies erfordert eine besonders sorgfältige und kritische tatrichterliche Beweiswürdigung. Auf die Angaben eines Zeugen, der vom Angeklagten nicht befragt werden konnte, kann eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden; die Zeugenaussage darf nicht das einzige Beweismittel sein, sondern muss durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage gestützt werden (BGH NStZ-RR 2005, 321 m.w.N.; NJW 2005, 1132; vgl. auch EGMR JR 2006, 289 m. Anm. Gaede).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil noch gerecht. Das Landgericht hat die sich aus Art. 6 Abs. 3 d EMRK ergebende Problematik erkannt, dieser durch eine eingehende Beweiswürdigung Rechnung getragen und hinreichend gewichtige andere Beweismittel gefunden, die die Richtigkeit der Aussage der Zeugin Ba. bestätigen. Zu diesen durfte das Landgericht neben seinem eigenen persönlichen Eindruck, den es von der Zeugin während deren Aussage in der Hauptverhandlung gewonnen hat, auch die Angaben der Vernehmungsbeamten über die psychische Verfassung der Zeugin bei ihren polizeilichen Aussagen zählen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 87); danach zeigte sie während der dreimonatigen Vernehmungen starke psychische Regungen und durchlebte den Sachverhalt offensichtlich wieder. Weiterhin war zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2005, 1132, 1133), dass die Einlassung des Angeklagten Ke. die Angaben der Zeugin in den verlesenen Protokollen maßgeblich bestätigte: Er gab an, die Zeugin habe in der Vorstellung gelebt, mangels gültigen Ausweises eingesperrt zu werden, wenn sie zur Polizei ginge, sie habe auch Angst vor dem Angeklagten D. und davor gehabt, wieder in die Gewalt der "russischen Mafia" zu geraten; ferner habe sie berichtet, sie habe mit mehreren Männern schlafen müssen. Der Angeklagte D. selbst bestätigte bei seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung, mit der Zeugin sexuell verkehrt zu haben, obgleich sie dies nicht wollte, auch habe er sie der Prostitution zugeführt und ihr - was der Zeuge H. in der Hauptverhandlung bestätigte - einen Armreif abgepresst. All dies steht in Einklang mit den Angaben der Zeugin bei ihren polizeilichen Vernehmungen. Die Ermittlungen haben auch die Angaben der Zeugin zum örtlichen und zeitlichen Geschehensablauf bestätigt. Angesichts dieser Umstände und im Hinblick auf die besondere Beweislage bei Sexualstraftaten (vgl. EGMR NJW 2003, 2297, 2298), die häufig dadurch gekennzeichnet ist, dass das durch das Geschehen traumatisierte Opfer alleiniges Beweismittel ist, wird die verlesene Aussage der Zeugin durch hinreichend gewichtige andere Beweismittel gestützt, auch wenn die Feststellungen zum Tatkerngeschehen, soweit es die Beschwerdeführer betrifft, auf den verlesenen Angaben der Zeugin beruhen.
2. Der Beschwerdeführer J. rügt, die Vernehmungsniederschriften der Aussagen der Zeugin Ba. hätten nicht nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden dürfen, weil die Zeugin - jedenfalls teilweise - in der Hauptverhandlung vernommen worden sei: Die Vorschrift erlaube nach ihrem Wortlaut lediglich eine "ersetzende", nicht aber eine "ergänzende" Verlesung der Niederschrift über die Vernehmung eines Zeugen.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, da sie dem Regelungszusammenhang der §§ 249 ff. StPO entgegensteht. Nach § 249 Satz 1 StPO werden Urkunden und andere als Beweismittel dienende Schriftstücke in der Hauptverhandlung verlesen. § 250 Satz 2 StPO macht im Interesse der Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) hiervon eine Ausnahme, indem er die Vernehmung der Beweisperson über die von ihr wahrgenommenen Tatsachen der Verlesung von Vernehmungsprotokollen oder schriftlichen Mitteilungen vorzieht.
Wo eine solche Vernehmung aber nicht möglich ist, schließt § 251 StPO die entstehende Aufklärungslücke, indem er die Ersetzung der Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung einer Niederschrift über seine Vernehmung oder einer von ihm stammenden schriftlichen Erklärung gestattet.
Aufklärungslücken können jedoch auch dann auftreten, wenn ein Zeuge zwar in der Hauptverhandlung erscheint, seine Angaben aber, sei es auf Grund eines nunmehr geltend gemachten Aussageverweigerungsrechts, sei es wegen plötzlichen Todes oder - wie hier - auf Grund eingetretener Vernehmungsunfähigkeit unvollständig sind. In diesen Fällen kann es die in § 244 Abs. 2 StPO normierte Pflicht zu umfassender Sachaufklärung ebenfalls erfordern, die fehlenden Teile einer Aussage in der Hauptverhandlung gemäß § 251 StPO zu "ersetzen". Eine "Sperrwirkung" könnte sich allenfalls aus einem - in der Strafprozessordnung allerdings keineswegs unter allen Umständen geforderten - Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundsbeweis ergeben. Dieser Gesichtspunkt scheidet bei schriftlichen Erklärungen der Beweisperson von vornherein aus. Da anders als bei Protokollen, über deren Entstehung und Inhalt regelmäßig die beteiligten Verhörspersonen als Zeugen vernommen werden können, bei schriftlichen Erklärungen in der Regel nur der Aussteller selbst die Art der Entstehung und den Inhalt der Erklärung aus eigenem Wissen wiedergeben kann, ist für schriftliche Erklärungen in der Rechtsprechung anerkannt, dass deren Inhalt auch dann durch Verlesung in die Verhandlung eingeführt werden kann, wenn die Beweisperson in der Hauptverhandlung ausgesagt hat (BGHSt 20, 160; BGH JZ 1987, 315).
Soweit der 5. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 1975 - 5 StR 407/75, auf die in späteren Entscheidungen Bezug genommen wird (Beschlüsse vom 5. Dezember 1978 - 5 StR 767/78 - und vom 26. Juli 1983 - 5 StR 310/83 - NStZ 1984, 211 [Pfeiffer/Miebach]), ohne nähere Begründung ausführt, die Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung eines Zeugen, der über einige am Rande liegenden Umstände in der Hauptverhandlung zur Sache ausgesagt, hinsichtlich wichtiger Fragen allerdings nach § 55 StPO die Auskunft verweigert habe, hätte nicht nach § 251 Abs. 2 StPO (a.F.) verlesen werden dürfen, umso weniger, als die Möglichkeit bestanden habe, den vernehmenden Polizeibeamten zu hören, geht er ersichtlich von einem Vorrang des Personalbeweises aus. Ob dies überhaupt eine tragfähige Begründung sein kann, muss der Senat nicht entscheiden (kritisch Diemer in KK 5. Aufl. § 251 Rdn. 10 a; K. Meyer JR 1987, 523, 524; D. Meyer MDR 1977, 543, 544; offen gelassen in BGH JZ 1987, 315), da sie jedenfalls in Ausnahmefällen unter Aufklärungsgesichtspunkten keine Gültigkeit beanspruchen kann. Dementsprechend hat der 2. Strafsenat die Verlesung der polizeilichen Aussage im Fall eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung Angaben zur Sache im Hinblick auf ein gegen ihn wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage eingeleitetes Ermittlungsverfahren verweigert hat, nach § 251 StPO a.F. für zulässig erachtet, wenn der Zeuge von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO umfassend Gebrauch macht, Gründe der Aufklärungspflicht der Verlesung nicht entgegenstehen, alle Verfahrensbeteiligten mit der Verlesung einverstanden sind und auf die Vernehmung der Verhörsperson verzichten. Wo es nur um den Aussageinhalt als solchen gehe, lasse sich dieser regelmäßig am zuverlässigsten durch das Protokoll feststellen. In diesem Fall könne es der auch § 250 Satz 2 StPO zu Grunde liegende Gedanke bestmöglicher Sachaufklärung gerade erfordern, von diesem Beweismittel Gebrauch zu machen (NStZ 2002, 217 ff.).
Letzteres trifft auf den vorliegenden Fall zu. Zu den Umständen des Zustandekommens der verlesenen Aussage hat das Landgericht die Vernehmungsbeamten in der Hauptverhandlung gehört. Es liegt jedoch auf der Hand, dass diese den Inhalt der längere Zeit zurückliegenden, mehrere hundert Seiten umfassenden Vernehmungsprotokolle im Einzelnen nicht mehr zuverlässig wiedergeben können. Deren Verlesung war daher zusätzlich zu der Vernehmung der Polizeibeamten nach § 251 Abs. 1 StPO nicht nur rechtlich zulässig, sondern unter Aufklärungsgesichtspunkten zwingend geboten.
1. Soweit das Landgericht die Angeklagten wegen Vergewaltigung beziehungsweise sexueller Nötigung verurteilt hat, unterliegt das Urteil - bis auf die zu II. 2. aufgeführten Fälle - auf die Sachrügen der Angeklagten der Aufhebung, da die bisher getroffenen Feststellungen in diesen Fällen die Annahme des Landgerichts, die Zeugin Ba. habe sich in einer schutzlosen Lage befunden, was die Angeklagten zur Tatbegehung ausgenutzt hätten, nicht tragen und auch keine der anderen Tatbestandsalternativen des § 177 Abs. 1 StGB belegen.
a) Nach den Feststellungen war die Zeugin Ba. im November 2001 mit einem Touristenvisum aus Usbekistan in die Bundesrepublik eingereist, um hier Geld zu verdienen. Sie war zur Ausübung der Prostitution auf freiwilliger Basis grundsätzlich bereit. Über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte sie nicht. Zunächst war sie an äußerst gewalttätige Karlsruher Zuhälter geraten. Im Juli 2002 entzog sie sich dieser Gruppe, nachdem sie einen schwerwiegenden Übergriff auf ihren damaligen Freund, der danach unter ungeklärten Umständen verstarb, hatte miterleben müssen, und kam statt dessen zu den Angeklagten. Das Landgericht stützt seine Annahme, die Angeklagten hätten bei ihren sexuellen Übergriffen auf die Zeugin jeweils deren schutzlose Lage ausgenutzt, auf folgende Feststellungen: "Sämtlichen Angeklagten war bekannt, dass sich Frau Ba. ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik bzw. in Frankreich aufhielt und dass sie davon ausging, sich nicht an die Polizei oder sonstige Behörden wenden zu können, da sie dann unweigerlich inhaftiert, gegebenenfalls bestraft und in ihr Heimatland abgeschoben werde. Dort erwartete sie ihrer Vorstellung nach - wie die Angeklagten wussten - eine weitere mehrjährige Inhaftierung.
Außer den Angeklagten verfügte Frau Ba. auch über keine persönlichen Verbindungen oder Kontakte, die ihr eine Erfolg versprechende Alternative geboten hätten, den Angeklagten dauerhaft zu entkommen. Die Angeklagten erkannten jeweils, dass Frau Ba. aufgrund dessen in Widerstandshandlungen keinen Sinn sah, weil sie sich ihnen schutzlos ausgeliefert fühlte. Sie nutzten dies aus, um sie zur Duldung der sexuellen Übergriffe zu veranlassen."
b) Diese Feststellungen begründen das Vorhandensein einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht.
aa) Mit dieser durch das 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I 1607) in den § 177 StGB eingefügten Tatbestandsvariante wollte der Gesetzgeber Strafbarkeitslücken schließen, die sich in der Praxis insbesondere bei den früher unter § 237 StGB a.F. fallenden Entführungsfällen gezeigt haben, in denen der Täter das Opfer an einen Ort verbringt, an dem es fremde Hilfe nicht erwarten kann, dem körperlich überlegenen Täter ausgeliefert ist und angesichts seiner hilflosen Lage eine Verteidigung für sinnlos hält (BTDrucks. 13/7324 S. 6).
Mit der neuen Tatbestandsvariante sollten Fälle erfasst werden, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses die Tat aber aus Angst vor Gefahren für Leib oder Leben über sich ergehen lässt, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint (vgl. BGHSt 50, 359, 365 m.w.N.; BGH NStZ 2003, 533, 534). Dabei reicht es aus, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maß vermindert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist; eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten bedarf es nicht (BGHSt 44, 228, 231, 232 m.w.N.).
Erforderlich ist stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Angst vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (vgl. BGH NStZ 2003, 533 f.: Angst des Opfers vor Zerstörung seiner Ehe durch den Täter). Eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Ausnutzens einer schutzlosen Lage dahin, dass es auch Fälle erfasst, in denen der Verzicht auf möglichen Widerstand allein darauf beruht, dass das Opfer Nachteile nichtkörperlicher Art befürchtet, würde der Vorschrift des § 177 StGB die innere Stimmigkeit nehmen, da auch die Nötigungsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben beschränkt ist. Für Willensbeugungen anderer Art kommt lediglich der Tatbestand der Nötigung, § 240 Abs. 1 und 4 StGB, in Betracht.
bb) Daran gemessen belegen die Feststellungen eine schutzlose Lage der Zeugin Ba. nicht, denn danach nutzten die Angeklagten in den fraglichen Fällen lediglich die auslandsspezifische Hilflosigkeit des Tatopfers und die Tatsache aus, dass sich die Zeugin aus Angst vor ausländer- und strafrechtlichen Konsequenzen ihres illegalen Aufenthalts nicht gegen die sexuellen Übergriffe der Angeklagten zu wehren wagte.
Zwar liegt es in einzelnen Fällen nahe, dass die Zeugin Ba. im Falle einer Weigerung mit Gewalttätigkeiten rechnen musste. So wurde sie beispielsweise in Fall 3 der Urteilsgründe auf ihre Ablehnung hin von dem Angeklagten Sch. gefragt, ob sie sich wichtig machen wolle, was die Zeugin als Drohung auffasste. Im selben Zusammenhang äußerte der Angeklagte S., sie solle froh sein, nicht in Karlsruhe zu sein, wo man sie schlage (UA 44). In Fall 4 machte der Angeklagten J. ihr "klar, dass er Widerspruch nicht duldete" (UA 46) und im Fall 5 wurde ihr von den Angeklagten J. und St. bedeutet, es gebe, wenn sie bei ihnen in der Gruppe sei, kein "ich will nicht" (UA 47). Das Landgericht hat aber hinsichtlich dieser und anderer Äußerungen nicht festgestellt und erörtert, dass die Zeugin Ba. im Falle einer Weigerung mit Tätlichkeiten rechnete und gerade deshalb der Vornahme sexueller Handlungen keinen Widerstand entgegensetzte. Soweit im Fall 28a der Urteilsgründe festgestellt ist, dass die Zeugin sich dem Verlangen des Angeklagten Sch. nach Durchführung des Oralverkehrs nicht zu widersetzen wagte, weil sie in vergleichbarer Situation von dem ebenfalls anwesenden Angeklagten J. geschlagen worden war (UA 66), ist jedenfalls der entsprechende Vorsatz des Angeklagten Sch. nicht belegt, da die Zeugin zwischenzeitlich in zahlreichen Fällen mit den Angeklagten sexuell verkehrt hatte, ohne nach den Feststellungen dazu gezwungen worden zu sein.
2. In folgenden Einzelfällen wird der Schuldspruch wegen Vergewaltigung beziehungsweise sexueller Nötigung von den Feststellungen getragen:
a) Im Fall 8a der Urteilsgründe ist festgestellt, dass der Angeklagte J. die Zeugin Ba. durch Androhung eines Schlags auf den Kopf und nachfolgenden Faustschlag auf den Rücken zum Oralverkehr zwang. Wegen der ihr widerfahrenen Misshandlung, wegen der Angst vor weiteren Schlägen und weil sie wegen der Anwesenheit fünf weiterer Männer, von denen ihr trotz ihrer Bitte keiner gegen die Übergriffe des J. geholfen hatte, sah die Zeugin keine Abwehrmöglichkeit. Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit zutreffend wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt, wobei der Angeklagte die Zeugin nicht nur unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage, sondern zugleich mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigte (§ 177 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 3 StGB).
b) Auch in den Fällen 19b, 28b und 29a der Urteilsgründe tragen die Feststellungen die Schuldsprüche wegen sexueller Nötigung beziehungsweise wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. In diesen Fällen zwang der Angeklagte J. die Zeugin Ba. unter Einsatz von Gewalt zur Durchführung einer sexuellen Handlung an seinem knapp einjährigen Sohn (Fall 19b) beziehungsweise zur Duldung des Analverkehrs (Fälle 28b und 29a). Deswegen ist zwar nicht der Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, wohl aber der des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Entgegen der Ansicht der Revision ist im Übrigen im Fall 19b die Erheblichkeitsgrenze des § 184 f StGB überschritten, auch wenn es lediglich zu einem Kuss des Genitals und nicht zu dem vom Angeklagten geforderten Oralverkehr mit dem Kleinkind kam.
c) Bezüglich des Angeklagten K. ist im Fall 28c der Urteilsgründe eine Ausnutzung der schutzlosen Lage belegt, weil er bei der Tat billigend in Kauf nahm, dass die Zeugin nur wegen der unmittelbar vorausgegangenen brutalen Behandlung durch den Angeklagten J. und in dem Bewusstsein, gegen drei Männer nichts ausrichten zu können, den Oralverkehr ausübte, und es sich tatsächlich auch so verhielt.
d) Hinsichtlich des Angeklagten Ke. tragen die zu den Fällen 38 und 43 getroffenen Feststellungen die Schuldsprüche, weil der Angeklagte die Zeugin jeweils mit Gewalt zu den sexuellen Handlungen nötigte und dadurch den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklichte.
e) Soweit der Senat in den vorstehend aufgeführten Fällen anders als das Landgericht die Tatbestände des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB als erfüllt ansieht, steht § 265 Abs. 1 StPO der Änderung der rechtlichen Bewertung nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich die Angeklagten gegen den so begründeten Vorwurf anders als geschehen hätten verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2005 - 3 StR 464/04 S. 8).
3. Der Senat hebt die Einzelstrafaussprüche wegen der zu 2a) bis d) genannten Taten auf, um dem neuen Tatrichter, auch im Hinblick auf den engen inneren Zusammenhang der Sexualstraftaten insgesamt, eine einheitliche Strafzumessung zu ermöglichen. Bei dieser wird auch der jeweilige Unrechtsgehalt der einzelnen Tat, wie er in der Art und Intensität des sexuellen Übergriffs zum Ausdruck kommt, zu berücksichtigen sein.
4. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen hat hinsichtlich der weiteren, den Angeklagten D., Z. und Ke. zur Last gelegten Taten keinen Rechtsfehler in den Schuld- und Strafaussprüchen ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 623
Externe Fundstellen: BGHSt 51, 280; NJW 2007, 2341; NStZ 2008, 50; StV 2007, 567; StV 2008, 339
Bearbeiter: Karsten Gaede