HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2009
10. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1068. BGH 1 StR 478/09 – Beschluss vom 7. Oktober 2009 (LG München II)

Vorenthaltung von Arbeitsentgelt (Hinterziehung von Sozialabgaben; Arbeitgeber; Feststellung eines Arbeitsverhältnisses: Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbständigen); Abgrenzung von Verbotsirrtum und Tatbestandsirrtum (Statusverfahren; Vermeidbarkeit; Subsumtionsirrtum).

§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV; § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV; § 41a EStG; § 266a StGB; § 370 AO; § 16 Abs. 1 StGB; § 17 StGB

1. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH NJW 2009, 528, 530; BGH NStZ 2001, 599, 600).

2. Weiß der Angeklagte um sämtliche Umstände, die seine Stellung als Arbeitgeber begründeten, hat er auch den für die Unrechtsbegründung wesentlichen Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals „Arbeitgeber“ i.S.v. § 266a StGB und § 41a EStG und – daraus folgend – die damit einhergehenden, ihn treffenden Pflichten erfasst. Ein Irrtum über die Einstufung als Arbeitgeber ist in diesem nur ein den Vorsatz nicht berührender Subsumtionsirrtum (Verbotsirrtum).


Entscheidung

1075. BGH 2 StR 300/09 – Urteil vom 30. September 2009 (LG Koblenz)

Untreue (existenzgefährdender Eingriff: Angriff auf das Stammkapital; Liquidation; rechtsfehlerhafte Verneinung des Vorsatzes: voluntatives Vorsatzelement).

§ 266 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO

1. Die in BGHSt 49, 147, 160 f. aufgestellten Grundsätze gelten in der Liquidation fort.

2. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente erörterungslos hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2002, 656, 657; NStZ-RR 2004, 238, 239). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung unzu-

reichende 1; BGH NStZ 2002, 48; NStZ-RR 2004, 238, 239). Zur Anwendung auf den Vorsatz bei der Untreue.


Entscheidung

1063. BGH 1 StR 320/09 – Beschluss vom 7. Oktober 2009 (LG Duisburg)

Vorenthaltung von Arbeitsentgelt (Hinterziehung von Sozialabgaben; unterlassene vollständige Meldungen; Schwarzlohnzahlungen).

§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV; § 28f Abs. 3 SGB IV; § 28a SGB IV; § 41a EStG; § 266a StGB; § 370 AO

Auch in Fällen teilweiser Schwarzlohnzahlungen findet die Fiktion des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Anwendung. Die Vorschrift ist nicht nur dann anzuwenden, wenn sämtliche Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt werden.


Entscheidung

1094. BGH 1 StR 501/09 – Beschluss vom 29. Oktober 2009 (LG Münster)

Vorenthalten von Arbeitsentgelt und Lohnsteuerhinterziehung durch Beschäftigung von „Schwarzarbeiterkolonnen“ (Handeln aus grobem Eigennutz; Rechtsgut des Aufkommens der Sozialversicherungen).

§ 266a StGB; § 370 AO

Geschütztes Rechtsgut der Absätze 1 und 2 des § 266a StGB ist in erster Linie das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherungen (vgl. BGH, Beschl. vom 21. September 2005 – 5 StR 263/05). Kollusives Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu Lasten der Solidargemeinschaft – und mittelbar zum Nachteil abgaben- und steuerehrlicher Unternehmer – entlastet deshalb nicht, sondern ergibt ein Tatbild, das durch ein gesteigertes Ausmaß an krimineller Energie geprägt ist.


Entscheidung

1035. BGH 3 StR 280/09 – Beschluss vom 24. September 2009 (LG Bückeburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (nicht geringe Menge; Teilmengen mit unterschiedlichen Bestimmungen; Auslandstaten; Abgabe; Einfuhr; Bewertungseinheit und Schranke des schwereren Delikts); Täterschaft; Beihilfe; Konkurrenzen.

§ 29 BtMG; § 29a BtMG; § 25 StGB; § 27 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

1. Wird eine nicht geringe Menge eines Betäubungsmittels erworben, die sodann – wie von vornherein beabsichtigt – aufgeteilt und unterschiedlichen Verwendungen zugeführt wird, so richtet sich die rechtliche Bewertung dieses Vorgangs nach der unterschiedlichen Zweckbestimmung der jeweiligen Teilmenge.

2. Der Vertrieb von Betäubungsmitteln im Sinne des § 6 Nr. 5 StGB umfasst den Erwerb von Rauschgift im Ausland nur dann, wenn sich dieser als unselbständiger Teilakt eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, also eines eigennützigen Tätigwerdens darstellt.

3. Die Abgabe der Betäubungsmittel gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG wird – anders als der Erwerb – nicht von dem Verbrechenstatbestand der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG verdrängt.

4. Die Annahme einer Bewertungseinheit scheidet aus, wenn das ursprünglich verwirklichte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angesichts der niedrigeren Mindeststrafdrohung des § 29 a Abs. 1 BtMG als das weniger schwere Delikt erscheint und deshalb zwischen beiden Tateinheit anzunehmen ist (BGHSt 40, 73, 75). Dies gilt wegen ihrer Akzessorietät zur Haupttat auch für die durch eine Handlung begangene Beihilfe zu diesen beiden tateinheitlich verwirkten Delikten.