HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2009
10. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Neues zur Unmittelbarkeit des Untreueschadens

Zugleich Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08 = HRRS 2009 Nr. 718

Von Rechtsanwalt Dr. Marcus Mosiek, Düsseldorf *

1. Einführung

Der 5. Strafsenat des BGH hat sich in seinem Urteil vom 17. Juli 2009 ("Berliner Stadtreinigungsbetriebe") erstmals zur strafrechtlichen Haftung des Compliance Officers geäußert und hierzu – in einem obiter dictum – festgestellt, dass diesen als Kehrseite seiner gegenüber dem Unternehmen übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden, die (Garanten-)Pflicht treffe, im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern. Angesichts ihrer großen Relevanz für die Rechtsstellung des Compliance Officers ist diese Komponente der Entscheidung innerhalb kürzester Zeit zum Gegenstand gleich mehrerer Besprechungen geworden.[1] Weitere Abhandlungen hierzu werden folgen.[2]

Die Entscheidung ist aber auch unter einem weiteren Gesichtspunkt, der bislang unberücksichtigt geblieben ist, von grundlegender Bedeutung: So ist durch den BGH ausdrücklich festgestellt worden, dass der Vermögensnachteil bei der Untreue "unmittelbar" sein, also ohne weitere Zwischenschritte aus der Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht durch den Täter folgen muss. Der Senat ist hiervon ausgehend zu dem Ergebnis gekommen, dass das Risiko der Inanspruchnahme auf Schadensersatz und Prozesskosten nach Begehung einer Straftat (in casu: eines Betruges) einen (Gefährdungs-)Schaden nicht begründen kann, weil eine solche Inanspruchnahme "mit der Aufdeckung der Tat einen Zwischenschritt voraus(setzt)", der zudem nicht Teil des "vom Täter verwirklichten Tatplans" sei. Nicht unmittelbare Schäden seien von § 266 StGB nicht erfasst.[3]

2. BGH versus OLG Hamm

Der 5. Strafsenat hat mit der Anerkennung des Unmittelbarkeitserfordernisses für die höchstrichterliche Rechtsprechung Neuland betreten. Dass der Vermögensnachteil bei der Untreue – parallel zum Betrug – unmittelbar aus der Pflichtverletzung resultieren muss, ist bislang durch den BGH noch nicht entschieden worden.[4] Soweit ersichtlich, hat die Thematik in der Rechtsprechung eine Befassung allein durch das OLG Hamm erfahren, das in einem – in der hier zu besprechenden Entscheidung unerwähnt gebliebenen – Beschluss aus dem Jahr 1981 die abweichende Auffassung vertrat, der Begriff der Unmittelbarkeit sei "dem Recht der Untreue fremd". Bei der Unmittelbarkeit handele es sich vielmehr um ein – so das OLG wörtlich – "außerhalb des Begriffes des Vermögensschadens liegendes spezifisches Erfordernis des Betrugstatbestandes, das den Zusammenhang zwischen der Vermögensverfügung und dem Vermögensschaden herstellt".[5] Da nach Auffassung des OLG Hamm letztlich jede durch eine pflichtwidrige Tathandlung verursachte Vermögenseinbuße einen Untreueschaden begründen können soll, hat es in seiner Entscheidung auch die durch pflichtwidriges Verhalten ausgelöste verwaltungsgerichtliche Festsetzung von Ordnungsgeldern zu Lasten des Geschäftsherrn als tatbestandsrelevante Vermögensminderung angesehen.

Dass die Ansicht des OLG Hamm kaum überzeugend ist, hat bereits Seier unter Hinweis auf die systematische Nähe des Untreuetatbestandes zum Betrugstatbestand, die neuerdings auch durch die gemeinsamen Regelbeispiele zum Ausdruck gebracht werde, zutreffend herausgearbeitet. Es komme hinzu, so Seier weiter, dass Vermögenszuflüsse als Kompensationsgrößen bei der Schadensbestimmung anerkanntermaßen nur dann Berück-

sichtigung finden, wenn sie unmittelbar auf das Täterhandeln zurückgehen. Was hierfür gilt, müsse folgerichtig Geltung auch für die Verlustseite beanspruchen.[6] Auch dieses Argument vermag zu überzeugen. Denn es ist in der Tat nicht zu begründen, warum nur unmittelbare Vorteile kompensationstauglich sein sollen, während mittelbare Wertminderungen zu Lasten des Beschuldigten berücksichtigt werden dürfen.[7] Hiervon scheint nunmehr auch der BGH auszugehen, wenn er zur Begründung des Erfordernisses der Unmittelbarkeit die Entscheidung BGH NStZ 1986, 455, 456 zitiert, die sich zur Kompensationstauglichkeit nur (unmittelbar) aus der pflichtwidrigen Handlung selbst ergebender Vermögensvorteile verhält.

3. Betroffene Bedeutungsebenen der Unmittelbarkeit

Hervorzuheben ist, dass die Ausführungen des BGH zum Nichtvorliegen eines unmittelbaren Schadens trotz Inanspruchnahmerisikos nach Begehung und Entdeckung einer Straftat der Sache nach verschiedene Bedeutungsebenen[8] der Unmittelbarkeit betreffen. Erfasst ist zum einen die Relevanz der Unmittelbarkeit für die Nachteilsseite der Saldierung. Da vorliegend im Rahmen der Saldierung zu bewerten war, ob und inwieweit der Gefahr einer Inanspruchnahme nach Entdeckung der Straftat Schadenspotential beizumessen ist, betrifft das Urteil darüber hinaus aber auch die Unmittelbarkeit als Konkretisierungskriterium für die schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung.

4. Folgen der Entscheidung

Folgt man der Auffassung des 5. Strafsenats, dürfte jedenfalls bei Sachverhalten, in denen es – wie in der hier zu besprechenden Entscheidung – um die Auslösung von Schadensersatzansprüchen geht, ebenso aber auch bei vergleichbaren Sachverhalten, die die erlangte Bereicherung übersteigende Sanktionen wie etwa Verfall (§§ 73 ff. StGB) oder Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG betreffen, ein (Gefährdungs-)Schaden mangels Unmittelbarkeit nicht (mehr) angenommen werden können.[9] Als nicht vom Tatplan erfasster "Zwischenschritt" soll vielmehr bereits die Aufdeckung[10] der Anknüpfungstat, die einer Entscheidung über die Inanspruchnahme oder Sanktionierung und deren Umsetzung denknotwendig vorauszugehen hat, einen unmittelbaren Schaden ausschließen.

5. Praktikabilität des BGH-Ansatzes

Die Lösung des BGH – Nichtvorliegen eines für den Untreuetatbestand erforderlichen unmittelbaren Schadens im Hinblick auf den notwendigen "Zwischenschritt" der Tataufdeckung – ist bestechend einfach und praktikabel. Schließt man sich ihr an, kann es insbesondere nicht (mehr) darauf ankommen, ob – worauf insbesondere Saliger[11] und wohl auch Dierlamm[12] im Rahmen der Diskussion um die Konkretisierung des Gefährdungsschadens abstellen – der Anspruchsteller oder die Sanktionsinstanz über die Geltendmachung von Ansprüchen oder die Verhängung von Sanktionen frei entscheiden kann (dann kein unmittelbarer Schaden) oder diesbezüglich in einer Weise gebunden ist, dass die Geltendmachung eines Anspruchs oder die Verhängung einer Sanktion gleichsam vorgezeichnet ("materiell self-executing"[13]) ist (dann unmittelbarer Schaden). Oder anders gewendet: Der in der Praxis zumeist weiter aufklärungsbedürftige Entscheidungsprozess über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen oder die Verhängung von Sanktionen wird, da er dem für sich genommen bereits unmittelbarkeitsausschließenden "Zwischenschritt" der Tataufdeckung erst nachfolgt, als möglicher Maßstab für die Bestimmung der Unmittelbarkeit des Untreuschadens entwertet.

6. Offene Fragen

Offen bleibt, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang der Senat die Unmittelbarkeit jenseits der entschiedenen Sachverhaltskonstellation als Konkretisierungskriterium für die schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung installieren und deren Relevanz für die Nachteilsseite der Saldierung anerkennen wollte. Die ebenso kurz wie allgemein gehaltenen Ausführungen des Gerichts lassen insoweit interpretatorischen Spielraum. Dass im Hinblick auf die Straflosigkeit des Versuchs bei der Untreue sowie die gesetzliche Ausgestaltung des § 266 StGB als Verletzungsdelikt (nicht als Gefährdungsdelikt) eine Begrenzung des Instituts der schadensgleichen Vermögensgefährdung unter Bestimmtheitsgesichtspunkten (Art. 103 Abs. 2 GG) zwingend erforderlich ist[14] und sich insoweit der Rückgriff auf das – im objektiven Tatbestand angesiedelte – Unmittelbarkeitsprinzip anbietet, ist in der Wissenschaft bereits ausführlich und überzeugend begründet

worden.[15] Die theoretischen Grundlagen für eine weitergehende Anerkennung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch den BGH sind also gelegt.

7. Fazit

Zusammenfassend: Die nicht nur für die Wissenschaft, sondern insbesondere auch für die Praxis bedeutsamen Ausführungen des 5. Strafsenats zur Unmittelbarkeit des Untreueschadens leisten einen wichtigen Beitrag zur dringend erforderlichen Restriktion der Untreue auf der Ebene des objektiven Tatbestandes.[16] Die Entscheidung wird die Diskussion nachhaltig beeinflussen, zumal sie in bemerkenswerter Weise von der ansonsten eher extensiven Rechtsprechung des BGH zum Untreueschaden durch Auslösen von Ersatzansprüchen und Sanktionen[17] abweicht. Hält der Senat an seiner Rechtsauffassung fest, könnte in Zukunft sogar ein Vorlageverfahren nach § 132 GVG unausweichlich werden. Mit großer Spannung bleibt abzuwarten, ob sich – bezogen auf das Unmittelbarkeitserfordernis – die Äußerung Fischers auf der Strafrechtslehrertagung 2007 bewahrheitet, dass sich beim BGH wohl die Ansicht durchsetze, dass der Untreuetatbestand restriktiv auszulegen und es Aufgabe der Rechtsprechung sei, die ausgeuferten Grenzen fallgruppenorientiert behutsam wieder enger zu bestimmen.[18]


* Der Autor ist Partner der Kanzlei Thomas Deckers Wehnert Elsner (tdwe) in Düsseldorf. Er widmet den Beitrag Herrn Dipl.-Volkswirt Prof. Wolfgang Schulhoff, Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf und MdB a.D., zum 70. Geburtstag. Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes dankt der Autor Herrn Rechtsanwalt Dr. Jan Schlösser, Berlin.

[1] Vgl. Grau/Blechschmidt DB 2009, 2145 f.; Wybitul BB 2009, 2263 f.; Grützner NJW-Editorial, Heft 43/2009; Stoffers NJW 2009, 3176 f.; Korts BankPraktiker 2009, 448.

[2] Vgl. Thomas CCZ 2009, 239 f. (im Erscheinen).

[3] Vgl. auch die vom Senat in Bezug genommene Kommentierung von Fischer (Mitglied des 2. Strafsenats des BGH), Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 56. Aufl. (2009), § 266 Rn. 55: "Nur mittelbar verursachte Vermögensnachteile sind von § 266 StGB nicht erfasst".

[4] Ebenso Seier in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. (2008), V 2 Rn. 203; Saliger in: Satzger/Schmitt/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2009), § 266 Rn. 62; Gerkau, Untreue und objektive Zurechung (2008), S. 229.

[5] Vgl. OLG Hamm NJW 1982, 192.

[6] Vgl. Seier a.a.O. (Fn. 4), V 2 Rn. 203 f.

[7] So Saliger a.a.O. (Fn. 4), § 266, unter Hinweis auf die "Strafgerechtigkeit" (Rn. 62) und das "Gebot der Symmetrie auf Vorteils- und Nachteilsseite" (Rn. 75).

[8] Vgl. hierzu ausführlich und grundlegend Saliger a.a.O. (Fn. 4), § 266 Rn. 84.

[9] Zum Stand der bisherigen Diskussion vgl. Saliger a.a.O. (Fn. 4), § 266 Rn. 75; Jäger in: Festschrift für Otto (2007), S. 593 ff.; Weber in: Festschrift für Seebode (2008), S. 437 ff.

[10] Pointiert auch Ransiek NJW 2008, 1727, 1729 zur Kanther-Entscheidung des BGH (HRRS 2007 Nr. 2): "Sämtliche Ansprüche auf Rückzahlung der Parteifinanzierung setzten voraus, dass alles ‚aufflog’, dass das geheime Parteivermögen aufgespürt und die Sache öffentlich wurde. Darüber, ob das in der Zukunft geschehen würde, ließ sich zum Tatzeitpunkt nur spekulieren, das war so ungewiss, dass vor Aufdeckung der ‚schwarzen Kasse’ die danach eventuell (in nicht bekannter Höhe) drohenden Rückforderungen noch nicht als bereits eingetretene Vermögensminderung angesehen werden können – es gab nur ein Risiko, aber noch keine Vermögenseinbuße.".

[11] Vgl. Saliger a.a.O. (Fn. 4), § 266 Rn. 71, 75.

[12] Vgl. Dierlamm in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 4 (2006), § 266 Rn. 198, 218.

[13] Begriffswahl nach Saliger a.a.O. (Fn. 4), § 266 Rn. 71, 75.

[14] Vgl. auch BVerfG NStZ 2009, 560 ff., 561 f. = wistra 2009, 385 ff., 388 = HRRS 2009 Nr. 558.

[15] Vgl. Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht (2005), S. 128 ff.; derselbe a.a.O. (Fn. 4), § 266 Rn. 66 ff. und 70 f.; Seier a.a.O. (Fn. 4), V 2 Rn. 203 ff.; Gerkau a.a.O. (Fn. 4), S. 213 ff.; Dierlamm a.a.O. (Fn. 12), § 266 Rn. 195 ff.; Matt NJW 2005, 389, 391; Haft NJW 1996, 238; siehe auch Thomas in: Volk (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen (2006), § 17 Rn. 126; Schlösser/Dörfler wistra 2007, 326 ff., 333; zum sogenannten "funktionalen Zusammenhang", der von dem vorliegend interessierenden "Unmittelbarkeitszusammenhang" streng abzugrenzen ist, den Untreuetatbestand aber ebenfalls einschränkt, vgl. Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. (2006), § 266 Rn. 23; Mosiek wistra 2003, 370 ff., 373 f.

[16] Zu Möglichkeiten einer restriktiven Auslegung vgl. Saliger HRRS 2006, 11 ff.

[17] Vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Saliger a.a.O. (Fn. 4), § 266 StGB Rn. 75.

[18] So die Wiedergabe der Äußerung des BGH-Richters Fischer durch Beckemper ZStW 119 (2007), 959 ff., 984.