HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2009
10. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

1045. BGH 5 StR 296/09 – Urteil vom 27. Oktober 2009 (LG Berlin)

Nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung; Symptomtaten; Rückfallverjährung; Altfälle (aus rechtlichen Gründen unmögliche frühere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung).

§ 66 StGB; § 66b StGB

1. Zur Anwendbarkeit der Vorschrift des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB (im Anschluss an BGHSt 52, 205). (BGHR)

2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung war auch dann „im Zeitpunkt der Verurteilung aus rechtlichen Gründen nicht möglich“ im Sinne des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB, wenn eine entsprechende Rechtsgrundlage für die Anordnung der Sicherungsverwahrung insgesamt noch nicht geschaffen war. Denn die Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB bei der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung setzt nicht voraus, dass die betreffende Rechtsgrundlage der Anordnung der Sicherungsverwahrung schon erlassen war und lediglich aus besonderen rechtlichen Gründen – etwa aufgrund räumlicher und/oder zeitlicher Begrenzung der Norm – bei der Vorverurteilung nicht anzuwenden war. (Bearbeiter)


Entscheidung

1064. BGH 1 StR 343/09 – Urteil vom 27. Oktober 2009 (LG Freiburg)

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen; sexuelle Nötigung; rechtsfehlerhafte Annahme eines minder schweren Falles (Wertungsfehler bei der Strafzumessung; fehlerhafte Annahme einer an der unteren Grenze zur Erheblichkeitsschwelle liegenden Sexualhandlungen; rahmenbeschlusskonforme Auslegung).

§ 177 Abs. 5 StGB; § 176 Abs. 1, Abs. 3 n.F. StGB; § 46 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; § 2 Abs. 3 StGB; § 184f StGB

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Grund der Hauptverhandlung die wesentlichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320).

2. Dies gilt auch für den minder schweren Fall. Geht der Tatrichter aber dabei von tatbezogenen Gesichtspunkten aus, die auf unzutreffenden Maßstäben beruhen, liegt ein revisibler Rechtsfehler vor.

3. Das Streichen unbekleideter Schamlippen und beischlafähnliche Handlungen zwischen dem Angeklagten und der minderjährigen Geschädigten können nicht als „im unteren Bereich des denkbaren Spektrums sexualbezogener Handlungen“ liegend gewertet werden. Dies steht im Widerspruch zu Wertungen des Gesetzgebers, die im Übrigen mit das Gebiet der Europäischen Union betreffenden Tendenzen übereinstimmen (vgl. den Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates der Europäischen Union vom 22. Dezember 2003, ABl der Europäischen Union L 13/44 vom 20. Januar 2004).


Entscheidung

1074. BGH 2 StR 283/09 – Beschluss vom 7. Oktober 2009 (LG Erfurt)

Strafzumessung (unzulässige Strafschärfung bei bestreitendem jugendlichen Angeklagten).

Art. 6 EMRK; § 46 StGB

Auch dem jugendlichen Angeklagten steht das Recht zu, sich effektiv gegen den Schuldvorwurf zu verteidigen, ohne befürchten zu müssen, dass ihm daraus Nachteile erwachsen (BGH StraFo 2003, 206, 207; BGH, Urteil vom 4. Dezember 1997 – 5 StR 468/97). Bestreitet der Angeklagte die Tat, darf ihm keine fehlende Reue strafschärfend vorgeworfen werden.


Entscheidung

1056. BGH 5 StR 421/09 – Beschluss vom 9. November 2009 (LG Berlin)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang; Abhängigkeit; intensive Neigung); Revisionserstreckung auf Mitangeklagte (Unterbringungsentscheidung).

§ 64 StGB

1. Ein Abhängigkeitssyndrom ist nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB. Denn hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass diese den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss.

2. Hebt das Revisionsgericht auf die Revision ein Urteil insoweit auf, als eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist, so scheidet die Erstreckung der Aufhebung gemäß § 357 StPO auf einen Nichtrevidenten gleichwohl aus, da die Entscheidung nach § 64 StGB bei jedem Angeklagten auf individuellen Erwägungen beruht.


Entscheidung

1041. BGH 5 StR 242/09 – Beschluss vom 27. Oktober 2009 (LG Hamburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Beihilfe; Verfall).

§ 73 StGB; § 29a BtMG; § 27 StGB

Der kurzfristige Besitz eines Gehilfen, der das Entgelt aus einem Rauschgiftgeschäft unverzüglich an einen Verkäufer weiterleiten soll, reicht grundsätzlich nicht aus, um das Geld als an ihn zugeflossen anzusehen. Ein solcher Gehilfe erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB den Besitz nur „gelegentlich“ seiner Tat und übt ihn von Anfang an nur für den Verkäufer aus, an den er den Erlös absprachegemäß übergeben will.


Entscheidung

1078. BGH 2 StR 377/09 – Beschluss vom 21. Oktober 2009 (LG Köln)

Rechtsfehlerhafte Bildung der Gesamtstrafe nach Bruchteilen der Einzelstrafensumme.

§ 54 StGB

Die Gesamtstrafe ist gem. § 54 StGB durch Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) zu bilden und darf die Summe der einbezogenen Einzelstrafen nicht erreichen. Ihre Bildung ist ein eigenständiger Strafzumessungsakt, der sich – innerhalb des von § 54 StGB genannten Rahmens – nicht an der Summe der Einzelstrafen oder an rechnerischen Grundsätzen zu orientieren hat, sondern an gesamtstrafenspezifischen Kriterien (vgl. BGH NStZ 2003, 295).