HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 1075
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 300/09, Urteil v. 30.09.2009, HRRS 2009 Nr. 1075
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 25. Februar 2009 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen vorsätzlicher Verletzung der Insolvenzantragspflicht zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 150 € verurteilt und ausgesprochen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer 30 Tagessätze der verhängten Geldstrafe als vollstreckt gelten.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich nach dem Inhalt der Revisionsbegründung ausschließlich gegen den Teilfreispruch wendet, rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.
Dem Teilfreispruch liegt eine Anklage wegen Untreue zugrunde.
1. Dem Angeklagten war insoweit vorgeworfen worden:
J. Sch. war in der Zeit vom 03.08.1999 bis 12.10.2001 Geschäftsführer der Firma P. GmbH mit Sitz in D. (im Folgenden: P. D.). Die in das Handelsregister beim Amtsgericht Neuwied unter HRB eingetragene Gesellschaft war am 19.11.1984 als 'D. S. GmbH' gegründet worden. Seit dem 03.08.1999 war Mehrheitsgesellschafterin des Unternehmens die Firma P. GmbH mit Sitz in St. (im Folgenden: P. St.). Deren Gesellschafter war der gesondert verfolgte Kaufmann W. Gegenstand des Unternehmens war der Handel und Vertrieb von Autozubehörprodukten, insbesondere der Handel mit Fanartikeln der Formel 1-Rennfahrer M. und R. Sc. Am 07.10.2001 erwarb der Angeklagte über eine Vorratsgesellschaft, die C. Vermögensverwaltungs GmbH mit Sitz in Si., deren Alleingesellschafter er war, sämtliche Geschäftsanteile der Firma P. D. im Nennwert von 500.000,-- DM zum Kaufpreis von 5,-- DM. Am 12.10.2001 beschloss er die Liquidation der Gesellschaft und bestellte sich selbst zum Liquidator, nachdem er den Angeschuldigten J. Sch. als Geschäftsführer abberufen hatte. Zwischen P. D. und der Muttergesellschaft in St. bestanden enge Geschäftsbeziehungen. P. St. war eine der Hauptlieferanten von P. D. . Die Verbindlichkeiten aus den Lieferungen bauten sich seit dem 01.04.2001 kontinuierlich auf und betrugen am 12.10.2001 rund drei Mio. DM.
Da die Forderungen in der Krise kreditiert worden waren, hatten sie eigenkapitalersetzenden Charakter. Es bestand damit ein Rückzahlungsverbot. Darüber hinaus hatte die W bank die Stundung der Forderungen zur Bedingung für den Fortbestand der Geschäftsverbindung erklärt. Am 04.10.2001 fassten J. Sch. und der Angeklagte gemeinschaftlich mit dem gesondert verfolgten Kaufmann W. in Kenntnis des Rückzahlungsverbotes der kreditierten Kaufpreisforderungen und in dem Bewusstsein, die Liquidität der Firma P. D. zu gefährden, folgende Vereinbarung:
(1) Sämtliche Gesellschaftsanteile an P. D. werden an die C. Vermögensverwaltungs GmbH zu einem symbolischen Kaufpreis von 5,-- DM veräußert.
(2) Die offenen, bislang gestundeten Forderungen von P. St. gegen P. D. werden durch Warenlieferungen ausgeglichen.
(3) P. D. wird in 'A. M. F. Vertriebs GmbH' umbenannt.
Der Gesellschafterwechsel wurde am 07.10.2001 notariell beurkundet. J. Sch. wurde am 12.10.2001 als Geschäftsführer abberufen, blieb indes Geschäftsführer der Firma P. St. Die vereinbarte Warenlieferung erfolgte am 18.10.2001. Der Kaufpreis in Höhe von 2.328.350,29 DM (= 1.190.466,60 EUR) wurde absprachegemäß verrechnet. Die gelieferten Waren waren der W bank sicherungsübereignet. Eine Veräußerung durfte nur im Rahmen ordnungsgemäßen Geschäftsverkehrs erfolgen. Die Angeschuldigten waren sich bewusst, dass die Warenlieferung nur dazu diente, eine Aufrechnungslage zu schaffen, um wertlos gewordene Forderungen der Muttergesellschaft zu realisieren. Infolge der Verrechnungsabrede wurde der P. D. keine Liquidität zugeführt, sondern die letzten werthaltigen und kurzfristig verfügbaren Vermögenswerte entzogen. Nachdem die W bank Kenntnis von der Veräußerung der sicherungsübereigneten Ware erlangt hatte, kündigte sie am 24.10.2001 die Geschäftsverbindung, was unmittelbar zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führte.
2. Das Landgericht hat hierzu im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: 10 Am 05.10.2001 erwarb der Angeklagte, der ab Ende der 90er Jahre als Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer für W. tätig war, auf dessen Veranlassung alle Geschäftsanteile der P. D. über eine Vorratsgesellschaft, deren Anteile ihm gehörten. Der Nennwert der Geschäftsanteile betrug insgesamt 500.000 DM, der Kaufpreis 5 DM. Im Zeitpunkt des Erwerbs der Gesellschaft bestanden Verbindlichkeiten gegenüber der P. St., die zuvor 70 % der Geschäftsanteile gehalten hatte. P. D. verfügte nicht über die nötigen liquiden Mittel, um die Forderungen der Muttergesellschaft zu erfüllen. Zudem hatte das St. Mutterunternehmen auf Verlangen der W bank die Forderungen gegen ihre Tochtergesellschaft gestundet. Dies hatte zur Folge, dass die Forderungen auf mehr als 2 Mio. DM angewachsen waren. Darüber hinaus bestand bereits im März 2001 eine Überschuldung der Gesellschaft in Höhe von rund 3.600.000 Euro. Nach Erwerb der Gesellschaft berief der Angeklagte den Geschäftsführer ab, beschloss die Liquidation und bestellte sich selbst zum Liquidator. Anschließend sprach er allen 98 Arbeitnehmern die Kündigung aus und stellte sie überwiegend mit sofortiger Wirkung von ihrer Arbeitsleistung frei. Wie von vornherein mit W. abgesprochen, veräußerte er sodann Ware zum Kaufpreis von 2.328.350,29 DM (= 1.190.466,60 Euro) an P. St., deren Geschäftsanteile W. gehörten. Die Kaufpreisforderung wurde aufgrund einer Absprache W. mit dem Angeklagten, die beide vor der Veräußerung der Geschäftsanteile getroffen hatten, mit den offenen Gegenforderungen verrechnet. Auf diese Weise sollte die alte Gesellschafterin vollständig befriedigt werden. Da das Warenlager an die W bank e.G. sicherungsübereignet war und nach deren allgemeinen Geschäftsbedingungen nur im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsverkehrs hätte veräußert werden dürfen, kündigte die Bank die Geschäftsverbindung zur P. D. und stellte ihre Forderungen in Höhe von 6,6 Mio. DM fällig, nachdem W. es abgelehnt hatte, andere Sicherheiten zu stellen. Infolge der Kündigung der Geschäftskonten trat unmittelbar die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ein. In Kenntnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit beantragte der Angeklagte erst am 27.12.2001 bei dem zuständigen Amtsgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Am 01.03.2002 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Nicht festgestellt werden konnte, "dass dem Angeklagten die Fehlerhaftigkeit der Bilanz und die Überschuldung der P. D. bekannt war" (UA S. 6).
Das Landgericht hat den Angeklagten danach vom Vorwurf der Untreue gegenüber P. D. aus tatsächlichen - subjektiven - Gründen freigesprochen. Er habe die aus seiner Sicht begründete Erwartung gehabt, die Liquidation nach Begleichen aller Forderungen mit einem Überschuss abschließen zu können, und deshalb weder mit der Schädigung fremden Vermögens gerechnet noch eine solche billigend in Kauf genommen.
Das angefochtene Urteil war auf die Sachrüge hin aufzuheben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
1. Den Urteilsgründen lässt sich rechtsfehlerhaft schon nicht hinreichend entnehmen, unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten das Landgericht den Tatbestand der Untreue geprüft hat. Dem Senat ist deshalb die Nachprüfung verwehrt, ob die Feststellungen im Einzelnen rechtsfehlerfrei getroffen wurden oder ob der Tatrichter an seine Überzeugungsbildung zu hohe Anforderungen gestellt hat. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. Juli 2009 zutreffend ausgeführt hat, kommt die Begehung einer Untreue gegenüber der P. D. sowohl durch einen Angriff auf das Stammkapital als auch durch eine Existenzgefährdung, insbesondere eine Liquiditätsgefährdung in Betracht (vgl. hierzu im Einzelnen Senatsbeschluss vom 31. Juli 2009 - 2 StR 95/09 - zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
Die in BGHSt 49, 147, 160 f. aufgestellten Grundsätze gelten in der Liquidation fort. Weiter war auch bei entsprechenden Feststellungen zur Sicherungstreuhand eine Untreue gegenüber der W bank zu prüfen (vgl. u. a. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 14 und 27). Der Tatrichter hat sich hierzu in den Urteilsgründen nicht verhalten, da er dies ersichtlich für entbehrlich hielt, weil er meinte, einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten nicht feststellen zu können.
2. Die Beweiswürdigung bezüglich des Vorsatzes des Angeklagten hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Sie weist mehrere Rechtsfehler auf. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist jedoch rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder nahe liegende Schlussfolgerungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147; 2004, 238 jeweils m.w.N.).
Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2002, 656, 657; NStZ-RR 2004, 238, 239). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung unzureichende 1; BGH NStZ 2002, 48; NStZ-RR 2004, 238, 239). Diesen Anforderungen genügt - worauf die Staatsanwaltschaft und der Generalbundesanwalt zutreffend hinweisen - das angefochtene Urteil nicht.
Dies gilt bereits für die Feststellung des Landgerichts, dem Angeklagten sei die Überschuldung der Gesellschaft nicht bekannt gewesen. Die Strafkammer hat sich nicht näher damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte sämtliche Geschäftsanteile der P. D. im Nennwert von insgesamt 500.000 DM zum Preis von nur 5 DM erworben hat, was nahe legt, dass er wusste, dass das Eigenkapital aufgebraucht und die Geschäftsanteile wertlos waren. Das Landgericht hat weiter nicht erörtert, weshalb gerade der Angeklagte bei Testieren der Bilanz zum 31.03.2001 nicht erkannt haben sollte und hat, dass das Stammkapital bereits zum 31.03.2000 verbraucht war und dass in Wirklichkeit eine Unterdeckung von ca. 3.600.000 € vorlag. Der P. D. fehlten liquide Mittel; Kaufpreisforderungen der P. St. gegen die P. D. mussten gestundet werden. Es war naheliegend, dass dem Angeklagten diese Umstände bekannt waren, da er als Wirtschaftsprüfer die Bilanz testiert hatte und wenig später die Geschäftsanteile für nur 5 DM gekauft und zugleich die Liquidation betrieben hat. Ob der Sachverständige F. -B. Anhaltspunkte für die Kenntnis des Angeklagten von der Überschuldung gefunden hat, ist nicht ausschlaggebend.
Entscheidend ist, dass die Überschuldung zu erkennen war und nach der Vorbildung und der Tätigkeit des Angeklagten sich diesem aufdrängen musste. Schon diese Einzelindizien hätten einer Würdigung durch den Tatrichter bedurft; die weiter gebotene Gesamtwürdigung wurde rechtsfehlerhaft unterlassen.
Bei entsprechenden Feststellungen zur Kenntnis des Angeklagten von der Überschuldung wäre auch die Verneinung des voluntiven Elements des Vorsatzes nicht ausschließbar anders ausgefallen. In diesem Zusammenhang war in die Gesamtbetrachtung einzustellen, dass - vor dem Hintergrund des hohen Forderungsbestandes der Muttergesellschaft - näher zu prüfen war, ob der Kauf der Gesellschaft und die sofortige Lieferung des Warenbestandes unter Verrechnung der kreditierten Forderungen von vornherein darauf angelegt waren, Gläubigerschutzbestimmungen zu umgehen. Die Kammer hält es demgemäß durchaus grundsätzlich für möglich, dass der Angeklagte handelte, um W. bei der Rückführung seiner Forderungen zu helfen (UA S. 12). Dass das Landgericht eine solche Tat dem Angeklagten nicht zutraut, genügt ohne tragfähige Erwägungen hierzu nicht, seinen Vorsatz zu verneinen.
3. Bei entsprechenden Feststellungen käme auch ein Insolvenzdelikt in Betracht. Weiter wird auch eine veruntreuende Unterschlagung zum Nachteil der W bank zu prüfen sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 1075
Bearbeiter: Karsten Gaede