HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2009
10. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

1076. BGH 2 StR 329/09 – Beschluss vom 30. September 2009 (LG Aachen)

Voraussetzungen für die Garantenstellung eines Wohnungsbesitzes (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungs-

mitteln); Beihilfe durch die Zurverfügungstellung einer Wohnung.

§ 29 BtMG; § 13 StGB; § 27 StGB

1. Teilen sich zwei Angeklagte seit mehreren Jahren eine Wohnung und nimmt einer der Angeklagten in diesem Zeitraum einen Betäubungsmittelhandel auf, kann eine Beihilfe durch aktives Tun nicht mit der pauschalen Wendung begründet werden, der Mitangeklagte habe die Wohnung für die Tatbegehung zur Verfügung gestellt, wenn der Angeklagte für die Tat allein sein eigenes Schlafzimmer nutzt. Allein die Kenntnis und Billigung der Lagerung und des Vertriebs der Betäubungsmittel in der Wohnung erfüllt für den Wohnungsinhaber die Voraussetzung strafbarer Beihilfe nicht (vgl. BGH NStZ 1999, 451; StV 2003, 280; 2007, 81).

2. Ebenso wenig begründet es die Strafbarkeit, wenn der Mitangeklagte gegen den Betäubungsmittelhandel nicht vorgegangen ist. Dies käme vielmehr nur in Betracht, wenn sie als Wohnungsinhaberin rechtlich verpflichtet gewesen wäre, gegen den betriebenen Betäubungsmittelhandel einzuschreiten (§ 13 Abs. 1 StGB). Eine solche Rechtspflicht des Wohnungsinhabers ist aber grundsätzlich nicht gegeben (vgl. BGH, jew. aaO).

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

1066. BGH 1 StR 426/09 – Beschluss vom 29. September 2009 (LG Ulm)

BGHSt; sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses (Begriff des Psychotherapeuten; Auslegung nach dem Bestimmtheitsgebot); Missbrauch einer Widerstandsunfähigen; Strafzumessung.

Art. 103 Abs. 2 GG; § 174c Abs. 2 StGB; § 179 StGB; § 1 Abs. 1 Satz 4 PsychThG; § 1 Abs. 3 PsychThG; § 46 StGB

1. Täter des § 174c Abs. 2 StGB kann nur sein, wer zum Führen der Bezeichnung „Psychotherapeut“ berechtigt ist und sich bei der Behandlung wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren bedient. (BGHSt)

2. Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) verlangt, dass ein Strafgesetz seinen Anwendungsbereich möglichst genau in einer für den Bürger vorhersehbaren Weise zu umschreiben hat, d.h. der Normadressat muss erkennen können, ob er sich mit seinem Verhalten strafbar macht. Dem Bestimmtheitsgebot ist daher auch bei der Auslegung eines Straftatbestandes zu entsprechen (BGHSt 50, 105, 114 f.). (Bearbeiter)


Entscheidung

1109. BGH 4 StR 373/09 – Beschluss vom 3. November 2009 (LG Frankfurt am Main)

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (anderer, ähnlich gefährlicher Eingriff; konkrete Gefahr: Begriff und Darlegung des Beinahe-Unfalls; Versuch in der Fallgruppe der „Pervertierung“).

§ 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB; § 240 StGB

1. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung für die Herbeiführung einer konkreten Gefahr über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (Senat, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB und Urteil vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB).

2. Zur Darlegung eines „Beinahe-Unfalles“ genügt es nicht schon, wenn sich zwei Fahrzeuge beim Gegenverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben.

3. Ein Indiz für die konkrete Gefahr iS des § 315b StGB ist, es wenn den beteiligten Verkehrsteilnehmern nur auf Grund überdurchschnittlich guter Reaktion sozusagen im allerletzten Moment gelingt, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen.

4. Zu den Darlegungsanforderungen an den Beinahe-Unfall.

5. Bei der Prüfung einer Versuchsstrafbarkeit nach § 315 b Abs. 2 StGB ist zu bedenken haben, dass für die subjektive Tatseite ein bloßer Gefährdungsvorsatz nicht genügt. Vielmehr muss der Täter in der Fallgruppe der Pervertierung des eigenen Fahrzeuges mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz handeln (Senat, BGHSt 48, 233, 237 f.).


Entscheidung

1110. BGH 4 StR 408/09 – Beschluss vom 20. Oktober 2009 (LG Kempten)

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff durch ein einen absichtlich herbeigeführten Unfall; Hindernisbereiten; konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert); teilweise Aufhebung der Feststellungen; Verschlechterungsverbot (keine Anwendung auf die Schuldspruchberichtigung).

§ 315b Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 3 StGB; § 353 Abs. 2 StPO; § 358 StPO

1. Bei der Prüfung, ob einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, sind stets zwei durch entsprechende Feststellungen gestützte Prüfungsschritte erforderlich: Zunächst ist zu klären, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelte. Handelte es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden (vgl. Beschluss des Senats vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07 m.w.N.).

2. Allein aus der Höhe der von der Angeklagten bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung für die Beschädigung des eigenen Fahrzeugs betrügerisch erlangten oder geforderten Beträge kann nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit der Schluss gezogen werden, dass den jeweils beteiligten Fahrzeugen der anderen Unfallbeteiligten ein bedeutender Sachschaden drohte.

3. Führt der Angeklagte einen Verkehrsunfall absichtlich herbei, liegt darin ein Hindernis bereiten oder ein anderer ebenso gefährlicher Eingriff im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB.

4. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) bezieht sich lediglich auf Art und Höhe der Rechtsfolgen, nicht aber auf eine Veränderung und Verschärfung des Schuldspruchs (st. Rspr.). Das Verschlechterungsverbot führt aber dazu, dass die Summe der Einzelstrafen, die nach einer Schuldspruchberichtung jeweils zu verhängen wären, die in dem betreffenden Fall bisher verhängte Einzelstrafe nicht überschreiten darf (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2001 – 3 StR 314/01; BGHR StPO § 331 Abs. 1 Einzelstrafe, fehlende 1).


Entscheidung

1087. BGH 4 StR 347/09 – Urteil vom 24. September 2009 (LG Dortmund)

Gefährliche Körperverletzung im Amt; Notwehr (Nothilfe; Fußtritte eines Polizeibeamten; Gebotenheit; Unverhältnismäßigkeit): Zuständigkeit des Revisionsgericht für die sofortige Beschwerde in Kostensachen.

§ 340 Abs. 1, Abs. 3 StGB; § 223 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB; § 32 StGB; § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Werkzeug „gefährlich“ im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. nur BGH NStZ 2007, 95). Die potentielle Gefährlichkeit eines Gegenstandes im Einzelfall reicht aus, ohne dass es darauf ankommt, ob dessen Einsatz gegen den Körper des Opfers tatsächlich erhebliche Verletzungen hervorgerufen hat (BGHSt 30, 375, 377).

2. Ob ein Schuh am Fuß des Täters in diesem Sinne als gefährliches Werkzeug anzusehen ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalles entscheiden (BGHSt 30, 375, 376; BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Werkzeug 3). Erforderlich ist dazu regelmäßig, dass es sich entweder um einen festen, schweren Schuh handelt oder dass mit einem 'normalen Straßenschuh' mit Wucht oder zumindest heftig dem Tatopfer in das Gesicht oder in andere besonders empfindliche Körperteile getreten wird (BGH, jew. aaO; vgl. auch BGH NStZ 1984, 328, 329; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06).

3. Schuhtritte verwirklichen jedenfalls dann das Merkmal der Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges, wenn mehrere, nicht bloß leichte, sondern heftige Tritte in die Bauchgegend des schwer alkoholisierten Geschädigten festgestellt sind.

4. Eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO besteht insoweit nur, wenn es zugleich über eine vom Beschwerdeführer eingelegte Revision zu entscheiden hat, weil nur in diesem Fall der erforderliche enge Zusammenhang zwischen beiden Rechtsmitteln besteht (Senat, Beschlüsse vom 25. November 2008 – 4 StR 414/08 und vom 21. März 2006 – 4 StR 110/05).


Entscheidung

1085. BGH 4 StR 307/09 – Beschluss vom 6. Oktober 2009 (LG Detmold)

Betrug (Täuschung: Abgrenzung von Tatsache und Werturteil); Rechtsfehlerhafte da widersprüchliche Gesamtstrafenbildung.

§ 263 StGB; § 54 StGB

Eine falsche wertende Äußerung über die Prosperität eines Unternehmens stellt eine Täuschung dar, wenn sie einen Tatsachenkern aufweist, der zum Beispiel bei der Vorspiegelung bereits eingegangener konkreter Aufträge vorliegt.