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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
September 2024
25. Jahrgang
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1. Indem die Blankettstrafvorschrift des § 18 Abs. 4 AWG im Zeitraum vom 20. Februar 2019 bis 17. Juli 2020 auf außer Kraft getretenes EU-Recht als blankettausfüllende Norm verwies, ging sie „ins Leere“ und vermochte sie in dieser Zeit keine Strafbarkeit zu begründen.
2. Zu einer rückwirkenden Derogation des lex-mitior-Grundsatzes ist es in Bezug auf die in Frage stehende temporäre Straf- und Ahndbarkeitslücke nicht gekommen. § 30 Abs. 1 AWG schließt zwar eine Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips des § 2 Abs. 3 StGB, § 4 Abs. 3 OWiG bei einer Aufhebung von EU-Recht, auf das eine Blankettstrafnorm des AWG verweist, aus. Dieser Regelung kommt jedoch keine Rückwirkung zu; sie erfasst nur Fälle der Aufhebung blankettausfüllenden EU-Rechts, zu denen es nach ihrem Inkrafttreten, also seit dem 9. Juni 2021, gekommen ist oder kommt.
3. Das bei der Einziehung geltende Abzugsverbot („Bruttopinzip“) des § 29a Abs. 3 Satz 2 OWiG gilt - ebenso wie das des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB - nur bei vorsätzlichem Handeln, also dem bewussten und willentlichen Einsatz der Mittel für die Begehung oder Vorbereitung der Tat, nicht aber bei fahrlässigen Rechtsverstößen; bei letzteren werden Aufwendungen nicht „für“ eine Tat getätigt.
Die Höhe der Steuerverkürzung (§ 370 Abs. 1 AO) ergibt sich aus dem Vergleich der tatsächlich geschuldeten mit der zu niedrig festgesetzten Steuer (Vergleich der Soll-Steuer mit der Ist-Steuer; st. Rspr.). Zur Bestimmung der Soll-Steuer muss ein maßgeblicher Veräußerungsgewinn rechtsfehlerfrei bestimmen werden.
1. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG normierten Einschränkungen der Strafbarkeit des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis stellen Freigrenzen dar. Dies hat zur Folge, dass bei Überschreiten derselben die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen, angebauten oder erworbenen Cannabis strafbewehrt ist und das Cannabis als Bezugsgegenstand auch vollständig der Einziehung unterliegt (§ 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB).
2. Der geänderten Bewertung des Umgangs mit Cannabis durch den Gesetzgeber ist jedoch auf der Strafzumessungsebene Rechnung zu tragen. Denn die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in einem bestimmten Maß zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreiten bestimmter Grenzen unter Strafe zu stellen, wirkt sich auf den Schuldumfang aus. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen sind daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen.
3. Gleiches gilt für die innerhalb der Strafzumessungsregelung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zu bestimmende „nicht geringe Menge“. Der 1. Strafsenat schließt sich insoweit den Erwägungen des 6. Strafsenats in seiner
Entscheidung vom 30. April 2024 (6 StR 536/23 Rn. 29 f.) an, wonach in Bezug auf die Besitztatbestände des § 34 KCanG die nicht unter Strafe gestellten Mengen von 60 bzw. 30 Gramm oder – im Zusammenhang mit Anbauvereinigungen – von 25 bzw. 50 Gramm im Monat bei der Berechnung der „nicht geringen Menge“ außer Betracht bleiben müssen. Diese Wertung ist auf den Erwerbstatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu übertragen.
1. Eine Strafmilderung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG iVm § 49 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a BtMG, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte. Die Aufklärungshilfe muss vor Eröffnung des Hauptverfahrens geleistet werden (§ 31 Satz 2 BtMG iVm § 46b Abs. 3 StGB) und zu einem Aufklärungserfolg geführt haben, zu dem der Täter wesentlich beigetragen hat. Dieser Aufklärungserfolg und die ihm zugrunde liegende richterliche Überzeugung müssen im Urteil konkret und nachprüfbar dargestellt werden. Dazu gehört es, dass die Angaben des Angeklagten, jedenfalls in ihrem tatsächlichen Kern, der Erkenntnisstand der Ermittlungsbehörden und etwaige durch die Angaben veranlasste Strafverfolgungsmaßnahmen dargelegt werden.
2. Die Annahme eines Aufklärungserfolgs durch Identifizierung setzt zwar weder den Erlass eines Haftbefehls gegen diese Person noch deren Verurteilung oder Festnahme voraus; erforderlich ist aber, dass der Täter die von ihm belastete Person so genau bezeichnet hat, dass diese identifiziert und zur Festnahme ausgeschrieben werden könnte. Angaben zur Identifizierung dürfen nicht nur eine Aufklärungsmöglichkeit eröffnen und einen Ansatz zur Aufnahme von Ermittlungen liefern, denn § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG belohnt nur die Aufdeckung selbst. Der vom Angeklagten benannte Hintermann muss deshalb schon anhand seiner Angaben identifizierbar sein.
Vollendetes Handeltreiben mit Cannabis ist jedenfalls auch dann gegeben, wenn der Verkäufer oder Vermittler das Stadium allgemeiner Anfragen und unverbindlicher Gespräche verlässt und einer Person, die nach seiner Vorstellung als Käufer oder Vermittler von Rauschgift in Betracht kommt, ein ernsthaftes und verbindliches Verkaufs- oder Lieferangebot macht; in einem solchen Fall ist das Handeltreiben auch dann vollendet, wenn die Verkaufsverhandlungen abgebrochen werden oder wenn sich der in Aussicht genommene Verhandlungspartner nicht interessiert zeigt.
Die in § 34 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 KCanG beschriebene Tathandlung des „Anbaus“ ist grundsätzlich wie im Rahmen des BtMG auszulegen. Demnach umfasst der Anbau von Cannabispflanzen in Form der Aufzucht sämtliche gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Bemühungen, um ein Wachstum der Pflanzen zu erreichen. Hierzu zählen etwa das Bewässern, Düngen und Belichten.
1. Auch beim Handeltreiben mit Cannabis liegt nur eine Tat (tatbestandliche Handlungseinheit) vor, wenn der Täter eine erworbene Drogenmenge zurückgibt und in eine andere Menge umtauscht, weil die zunächst gelieferte Qualität nicht den Erwartungen entspricht. Denn auch dann sind sämtliche Aktivitäten auf die Abwicklung eines einzigen Drogengeschäfts gerichtet, so dass eine Bewertungseinheit gegeben ist.
2. Die Grenze zur nicht geringen Menge ist auch unter dem Konsumcannabisgesetz bei einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC erreicht.
3. Das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar, der im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen ist.
4. Eine Einziehung des Wertes von Tatobjekten von Marihuana nach § 74c Abs. 1 StGB scheidet aus, da ein Angeklagter kein Eigentum an Marihuana erwerben kann (§ 74 Abs. 3 Satz 1 StGB, § 134 BGB) und zudem die Weitergabe von Drogen an den Abnehmer im Rahmen eines Handeltreibens mit diesen keine Vereitelung der gegenständlichen Einziehung darstellt.
5. Betäubungsmitteln und Cannabis kommen bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung ein wirtschaftlicher Wert ungeachtet dessen zu, dass der Umgang mit ihnen strafbar ist. Der Einziehung des Wertes von Betäubungsmitteln und Cannabis, die als Tatlohn für ein Handeltreiben nach § 73 Abs. 1 Alternative 2 StGB in Verbindung mit § 73c Satz 1 StGB in Betracht kommen, steht nicht entgegen, dass sich der Angeklagte in Bezug auf den nämlichen
Tatlohn strafbar gemacht hat und dieser insofern zugleich Tatobjekt (§ 74 Abs. 2 StGB) einer Erwerbstat war. Denn die Voraussetzungen einer Einziehung sind für jeden (gegebenenfalls tateinheitlich) verwirklichten Straftatbestand gesondert zu beurteilen.
1. Die Entscheidung, ob das Tatzeitrecht oder das neue Recht für die Angeklagte günstiger und damit gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung zu bringen ist, ist unter Umständen anhand eines konkreten Gesamtvergleichs im Einzelfall zu treffen.
2. Das Ergebnis eines Vergleichs des Tatzeitrechts mit der Rechtslage nach dem Konsumcannabisgesetz kann davon abhängen, ob die Taten nach neuem Recht als besonders schwerer Fall (§ 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG) beziehungsweise nach altem Recht als minder schwerer Fall (§ 30 Abs. 2 BtMG) zu werten sind. Bei dieser Beurteilung handelt es sich um einen Strafzumessungsakt, der allein dem Tatgericht obliegt.
Die Einfuhr von Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG, die dem gewinnbringenden Umsatz dient, geht als unselbständiger Teilakt im Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG auf. Etwas anderes gilt (anders als nach bisherigem Recht) nach Ansicht des Senats auch dann nicht, wenn sich die Einfuhrhandlungen zum Zwecke des Handeltreibens auf eine nicht geringe Menge beziehen. Denn das KCanG sieht im Gegensatz zum bisherigen Recht keinen höheren Strafrahmen für eine Einfuhr von Cannabis vor.
1. Der Strafrahmen nach § 34 Abs. 4 KCanG (bewaffnetes Handeltreiben mit Cannabis) ist nicht ohne weiteres günstiger als der des § 30a Abs. 3 BtMG (minder schwerer Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln). Zwar lässt § 34 Abs. 4 KCanG beim bewaffneten Handeltreiben mit Cannabis im Vergleich zu § 30a BtMG nur geringere Strafen zu, soweit die Regelungen für den Qualifikationstatbestand und die minder schweren Fälle direkt verglichen werden. Allerdings ist es eine vom Tatgericht zu entscheidende Wertungsfrage, ob ein minder schwerer Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis vorliegt.
2. Ein vom Tatgericht herangezogener, im Rahmen des § 30a BtMG berücksichtigungsfähiger Milderungsgrund, wonach es sich bei Cannabis um eine „weiche Droge“ handelt, kann für die Strafzumessung nach § 34 KCanG keine Bedeutung erfahren.