HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2024
25. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Internet im Maßregelvollzug: Gesetzeslage und Rechtsprechung auf einen Blick

Von StA Dr. Lorenz Bode, LL.M., Magdeburg[*]

Maßregelvollzug ist nicht Strafvollzug. Dennoch gibt es Parallelen. So auch in puncto Internetzugang: Untergebrachte wie Strafgefangene brauchen ihn, denn es gilt die Informationsfreiheit. Während das Internet im Strafvollzug bereits seit Längerem ein Thema ist,[1] hört und liest man über das Internet im Maßregelvollzug kaum[2] etwas. Wie ist dort die Rechtslage? Was sagen Gesetzgeber und Rechtsprechung?[3]

1. Gesetzliche Regelungen zur Internetnutzung

Der Maßregelvollzug ist Ländersache, so gibt es bereits § 138 Absatz 1 StVollzG vor. Es geht hier um den Vollzug der Maßregeln nach §§ 63 und 64 StGB, mithin um den sogenannten therapeutischen Maßregelvollzug – die Unter-

bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt.

Alle 16 Bundesländer haben diesbezüglich eigene Landesgesetze erlassen.[4] Die gute Nachricht vorweg: Fast alle regeln den Internetzugang für Untergebrachte.[5] Zwar kommt das Wort "Internet" in keinem Gesetz vor. Aber unter deutungs- beziehungsweise zukunftsoffene Formulierungen kann man den Internetzugang subsumieren, zum Beispiel heißt es in § 35 Absatz 1 des Berliner PsychKG: "allgemein zugängliche Medien und Kommunikationsmittel zur Information und Kommunikation". Dabei ist § 35 PsychKG auch deshalb ein guter Anknüpfungspunkt, weil Berlin im bundesweiten Vergleich – neben Schleswig-Holstein[6] – eine der liberalsten und damit untergebrachtenfreundlichsten Internetregelungen bietet, nämlich einen echten Anspruch ("hat das Recht"). Eher unfreundlich und deutlich restriktiver erscheint dagegen die Regelung aus Baden-Württemberg. Dort heißt es in § 41 Absatz 3 PsychKHG: "Ihr ist der Besitz und Betrieb von Mobilfunkendgeräten und elektronischen Datenträgern auf dem Einrichtungsgelände untersagt. Begründete Ausnahmen können von der Einrichtung im Einzelfall zugelassen werden." [7] Danach ist lediglich in begründeten Ausnahmefällen ein Internetzugang möglich. Zugleich steht den Entscheidern ein weiter Ermessensspielraum ("können") offen. Alle anderen Bundesländer pendeln sich mit ihren Internetregelungen zwischen Berlin und Baden-Württemberg ein. Einzige Ausnahme ist das Saarland. Dort fehlt ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für den Internetzugang. Die §§ 15 und 16 MRVG betreffen lediglich Besuche und Telefongespräche sowie Hörfunk und Fernsehen, ohne dass sie eine Formulierung für neue Medien enthalten.

2. Das sagt die Rechtsprechung

Soweit ersichtlich, existiert bislang keine Entscheidung, die sich explizit mit einer Internetnutzung durch Maßregelpatienten befasst. In puncto Internetzugang stand bisher vor allem der Strafvollzug im Fokus der Rechtsprechung.[8] Die – gerade aus Gefangenensicht – wichtigsten Entscheidungen stammen vom EGMR. In mittlerweile drei Urteilen (Kalda vs. Estland 2016[9], Jankovskis vs. Litauen 2017[10] und Arslan u. Bingöl vs. Türkei 2019[11]) hat sich der Gerichtshof zu der Frage geäußert, ob und unter welchen Voraussetzungen gefangene Menschen das Internet nutzen dürfen. Ein Kernpunkt ist die Informationsfreiheit, die nicht nur grund-, sondern auch menschenrechtlich garantiert ist. Internetbegehren von Gefangenen, die dem Schutzbereich der Informationsfreiheit unterfallen, tragen ein besonderes Gewicht. Das müssen die Anstaltsleitungen bei ihrer Ermessensausübung beziehungsweise bei der Abwägung mit möglichen Sicherheitsgefahren berücksichtigen.[12]

Aufmerksamkeit verdient zudem eine Entscheidung des sächsischen VerfGH vom Juni 2019[13]. Es ging um die Verfassungsbeschwerde eines Sicherungsverwahrten, dem der Internetzugang zu Weiterbildungszwecken versagt worden war. Im Beschluss überträgt der VerfGH die vorerwähnte Rechtsprechung des EGMR ins deutsche Recht und macht deutlich, dass es ein "pauschales Internetverbot" im (sächsischen) Vollzug der Sicherungsverwahrung nicht geben darf.[14]

Die Erwägungen – sowohl des EGMR als auch des VerfGH – sind auf den Maßregelvollzug übertragbar.[15] Dies gilt im Falle der Entscheidung des sächsischen VerfGH umso mehr, als – hier wie dort – ein sogenanntes Sonderopfer[16] von den Betroffenen gefordert wird. Vor diesem Hintergrund kann und sollte mehr Großzügigkeit bei der Gestattung des Internetzugangs herrschen als im Strafvollzug.

Passend dazu hat das OLG Hamm 2022 in einer Entscheidung zur Frage der Speiseselbstversorgung im Maßregelvollzug[17] davon gesprochen, dass "der Einrichtung im Bereich des Maßregelvollzugs (nach § 63 StGB) ein engerer Ermessensspielraum als im Bereich des Sicherungsverwahrungsvollzuges und erst recht im Bereich des Strafvollzuges bei der Versagung der Selbstverpflegung zusteht, der unter besonderer Berücksichtigung des (erhöhten) sog. Sonderopfers sowie des Abstandsgebotes und des Angleichungsgrundsatzes auszuüben ist (…)".[18]

Teilweise ist also sogar von einem "erhöhten Sonderopfer" auszugehen, das Menschen im Maßregelvollzug erbringen. Besondere Großzügigkeit erscheint angebracht.

3. Fazit

Der Internetzugang im Maßregelvollzug ist zwar in fast allen Bundesländern gesetzlich bereits vorgesehen. Bei näherer Betrachtung der Vorschriften bestehen zum Teil aber große Unterschiede. Nicht hinnehmbar ist jedenfalls, dass das Saarland keine eigene Internetregelung besitzt, denn die Untergebrachten werden so in puncto Internetzugang vom Gesetzgeber quasi rechtlos gestellt.

Insbesondere die Rechtsprechung des EGMR kann auch im Maßregelvollzug als Schrittmacher für die

Digitalisierung dienen. Über Internetnutzungsbegehren wird hier ebenfalls unter besonderer Berücksichtigung der Informationsfreiheit zu entscheiden sein. Hinzu kommen die Sonderrolle der Maßregelpatienten und eine insofern angebrachte (besondere) Großzügigkeit.


[*]    Der Beitrag gibt allein die persönliche Auffassung des Autors wieder.

[1]    S. nur Knauer, Strafvollzug und Internet 2006.

[2]    Dazu bereits Bode, Internetzugang im Maßregelvollzug, JuWissBlog Nr. 34/2024 v. 3.6.2024, https://www.juwiss.de/34-2024/, zuletzt abgerufen am 14.6.2024; eine Ausnahme bildet indes der Kammeier/Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, 4. Aufl. 2018. Dort wird in Abschnitt G, Rn. 169, 206 und 219, auch die Internetnutzung thematisiert.

[3]    Zur Klärung der Fragen wird auch auf die Erkenntnisse der Bundespflegekonferenz 2024 in Bad Sassendorf zurückgegriffen, der Autor hat an dieser Konferenz als Referent teilgenommen.

[4]    Vgl. die Übersicht bei BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, 25. Ed. 1.2.2024, StVollzG § 138 Rn. 1.1. Es wird deutlich, dass die Länder "inzwischen entweder besondere Maßregelvollzugsgesetze oder spezielle Regelungen in den Unterbringungs- oder Psychisch-Kranken-Gesetzen erlassen" haben (BeckOK Strafvollzug Bund/Beck StVollzG § 138 Rn. 1).

[5]    Vgl. auch Lesting, in: Kammeier/Pollähne, Abschn. G Rn. 169.

[6]    Auch in Schleswig-Holstein existiert ein solcher "echter" Anspruch, und zwar in § 12 MVollzG.

[7]    Mit "Ihr" ist im Zitat die untergebrachte Person gemeint.

[8]    Vgl. auch Bode StRR 11/2020, 4.

[9]    Urt. v. 19.1.2016, Nr. 17429/10 = NJOZ 2018, 1598.

[10] Urt. v. 17.1.2017, Nr. 21575/08 = NJOZ 2018, 1158.

[11] Urt. v. 18.6.2019, Nr. 47121/06.

[12] Vgl. auch Bode StRR 11/2020, 4, 9 ff.

[13] Beschl. v. 27.6.2019, Vf. 64-IV-18 = NStZ 2020, 105 mAnm. Esser = NStZ-RR 2019, 292 mAnm. Bode.

[14] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/verfgh-sachsen-64iv-18-internet-verbot-haeftlinge-resozialisierung-emgr/, zuletzt abgerufen am 14.6.2024.

[15] Vgl. auch Bode, Internetzugang im Maßregelvollzug, JuWissBlog Nr. 34/2024 v. 3.6.2024, https://www.juwiss.de/34-2024/, zuletzt abgerufen am 14.6.2024.

[16] Grundlegend dazu BVerfG, NJW 2011, 1931; Pollähne, in: Kammeier/Pollähne, Abschn. B Rn. 34ff.

[17] Beschl. v. 8.8.2022 – 1 Vollz (Ws) 134/22 = BeckRS 2022, 56681.

[18] BeckRS 2022, 56681, Rn. 15.