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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
September 2024
25. Jahrgang
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1. Die Entscheidung eines Oberlandesgerichts, mit der eine Auslieferung nach Ungarn für zulässig erklärt wird, verletzt möglicherweise das Grundrecht des Verfolgten aus Art. 4 GRCh und ist daher einstweilen auszusetzen, wenn das Gericht hinsichtlich der konkret zu erwartenden Haftbedingungen im Zielstaat eine Garantieerklärung als ausreichend angesehen hat, in welcher lediglich auf die allgemeine Rechtslage und die für alle Gefangenen geltenden
Haftbedingungen in den Justizvollzugsanstalten Ungarns Bezug genommen und nicht ausdrücklich eine menschenrechtskonforme Unterbringung des Verfolgten völkerrechtlich verbindlich zugesichert worden ist.
2. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht erscheint auch dann möglich, wenn das Oberlandesgericht es mit Blick auf eine eventuelle Gefährdung des sich als non-binär identifizierenden Verfolgten in der Haft genügen lässt, dass seitens des Zielstaates unter Verweis auf Diskriminierungsverbote in der ungarischen Verfassung und im Ethikkodex für den ungarischen Strafvollzug allgemein erklärt worden ist, soweit eine Risikoanalyse eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen „ausgelieferten Status [des Gefangenen] in der Haftgemeinschaft“ ergebe, werde „verstärktes Gewicht auf die Verhinderung möglicher Gräueltaten“ gelegt.
3. Ein Antrag auf einstweilige Untersagung einer Überstellung im Auslieferungsverfahren kann im Einzelfall ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn der Verfolgte zum Zwecke der Durchlieferung bereits an ausländische Behörden übergeben worden ist. Wenngleich das Bundesverfassungsgericht eine Rückholung im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht bewirken kann, kann eine einstweilige Anordnung zur Eröffnung eines wirksamen verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes geboten sein.
4. Aus den Grundrechten ergeben sich Anforderungen an das Verfahren, die den Grundrechtsschutz gewährleisten sollen. So können die rechtzeitige Ankündigung einer Maßnahme oder eine gewisse Wartezeit bis zum Vollzug einer Maßnahme erforderlich sein, damit die Möglichkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht. Im Auslieferungsverfahren kann es geboten sein, dem Verfolgten die realistische Möglichkeit offen zu halten, eine erneute Zulässigkeitsentscheidung zu beantragen (§ 33 IRG), eine Verletzung rechtlichen Gehörs zu rügen (§ 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 33a StPO) oder verfassungsgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu prüfen und hiervon gegebenenfalls vor Beginn der Durchführung der Überstellung Gebrauch zu machen.
1. Die Verurteilung zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verletzt den Angeklagten möglicherweise in seinem Recht auf ein faires Verfahren, wenn das Urteil – unter Verstoß gegen die Bestimmungen zur notwendigen Verteidigung – trotz der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge ohne Mitwirkung eines Verteidigers in Berufungshauptverhandlung ergangen ist. Die Strafe ist daher einstweilen nicht zu vollstrecken.
2. Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Als unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet es dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können.
3. Trotz Verwerfung der Verfahrensrüge, mit der ein Grundrechtsverstoß bereits im fachgerichtlichen Verfahren hätte ausgeräumt werden können, als unzulässig steht der Subsidiaritätsgrundsatz der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, wenn das Revisionsgericht die Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO überspannt und Vortrag zu Tatsachen verlangt hat, die zur Bewertung des gerügten Verfahrensverstoßes nicht erheblich waren.
1. Die Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde erstrecken sich auch auf die Sachentscheidungsvoraussetzungen, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist. Daher ist auch die Wahrung der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG schlüssig darzulegen, falls sich diese nicht offensichtlich aus den beigefügten Unterlagen ergibt.
2. Zur Darlegung der fristgerechten Erhebung einer gegen eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme wie einer Durchsuchungsanordnung gerichteten Verfassungsbeschwerde muss mitgeteilt werden, wann die für die Fristberechnung maßgebliche letzte Instanzentscheidung sowohl dem Beschuldigten als auch der Verteidigung bekannt gemacht wurde; denn das einfache Prozessrecht sieht eine Bekanntgabe an beide vor, wobei die zeitlich frühere Bekanntgabe die Verfassungsbeschwerdefrist auslöst.
1. Eine Durchsuchungsanordnung wird ihrer Begrenzungsfunktion nicht gerecht, wenn sie hinsichtlich der dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten der Hehlerei über die Internet-Plattform „ebay“ die gesuchten Beweismittel nicht konkret benennt, sondern lediglich auf „entwendete Badarmaturen oder sonstige Baumarktartikel“ Bezug nimmt, und wenn sie auch keine konkreten Tathandlungen des Beschuldigten, einen Tatzeitraum oder etwaige Vortaten bezeichnet, anhand derer sich der Rahmen der Durchsuchung ersehen ließe.
2. Um den mit einer Durchsuchung verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte räumliche Privatsphäre des Einzelnen messbar und kontrollierbar zu gestalten, muss der Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf und die konkreten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen für die Durchsuchung abgesteckt wird. Das Gericht muss die aufzuklärende Straftat ebenso wie die Art und den vorgestellten Inhalt der gesuchten Beweismittel, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist.
3. Eine ungenügende Beschreibung des Tatvorwurfs kann durch eine Konkretisierung der gesuchten Beweismittel kompensiert werden – und umgekehrt. Eine hinreichende Umgrenzung der gesuchten Beweismittel kann sich dabei auch aus konkreten Angaben zu etwaigen Vortaten (einer Hehlerei oder Geldwäsche) oder aus einer ausführlichen Schilderung des vorgeworfenen Sachverhalts ergeben. Sind weder die Beweismittel noch der Tatvorwurf hinreichend bezeichnet, kann der äußere Rahmen der Durchsuchung im Einzelfall auch bei einer Gesamtschau des Inhalts des Durchsuchungsbeschlusses noch als hinreichend umgrenzt erscheinen.
4. Mängel bei der Beschreibung des Tatvorwurfs oder der Beweismittel sind im Beschwerdeverfahren nicht mehr heilbar. Andernfalls würde die Funktion des Richtervorbehalts unterlaufen, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten und eine Begrenzung der Maßnahme zu erreichen. Hingegen können Defizite in der Begründung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Beschwerdeverfahren nachgebessert werden.
5. Das Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer Durchsuchungsanordnung besteht angesichts des damit verbundenen tiefgreifenden Grundrechtseingriffs fort, wenn die Durchsuchung vollzogen und damit erledigt ist.
1. Eine Verfassungsbeschwerde genügt nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen, wenn die Beschwerdeführerin – eine Stiftung – nicht widerspruchsfrei darlegt, wer sie organschaftlich vertritt und wenn sie nichts dazu vorträgt, ob sie das von ihr geltend gemachte Eigentum an dem in einem Strafverfahren eingezogenen Grundstück im Nachverfahren nach § 433 StPO glaubhaft gemacht hat.
2. Der allgemeinen Begründungslast nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügt ein Beschwerdeführer nur, wenn er auch zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen seiner Verfassungsbeschwerde vorträgt, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist.