hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 972

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 187/24, Beschluss v. 17.06.2024, HRRS 2024 Nr. 972


BGH 4 StR 187/24 - Beschluss vom 17. Juni 2024 (LG Detmold)

Verbotener Anbau von Cannabispflanzen (Anbau: gärtnerische oder landwirtschaftliche Bemühungen, Wachstum der Pflanzen; Herstellen: Ernte; Konkurrenzen: verbotener Besitz von Cannabis, Anbau).

§ 34 KCanG; § 52 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die in § 34 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 KCanG beschriebene Tathandlung des „Anbaus“ ist grundsätzlich wie im Rahmen des BtMG auszulegen. Demnach umfasst der Anbau von Cannabispflanzen in Form der Aufzucht sämtliche gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Bemühungen, um ein Wachstum der Pflanzen zu erreichen. Hierzu zählen etwa das Bewässern, Düngen und Belichten.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 9. Februar 2024, soweit es ihn betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des verbotenen Anbaus von Cannabispflanzen schuldig ist;

b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Herstellens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte gemeinsam mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten K. auf einer „Marihuana-Indoor-Plantage“, die unbekannte Täter eingerichtet hatten, spätestens ab Mitte Juli bis zum 31. August 2023 die Aufzucht der Marihuanapflanzen sowie deren tägliche Pflege (Bewässerung, Sicherstellung ordnungsgemäßer Beleuchtung und Belüftung) durch. Beide nutzten hierfür über mehrere Wochen die in den Urteilsgründen näher beschriebenen technischen Anlagen der Plantage. Dabei waren ihnen die für deren Betrieb vorgenommenen baulichen Veränderungen an dem Gebäude bekannt, in dem sie für den Tatzeitraum zudem ihren Aufenthalt begründet hatten. Zu einer Ernte des Cannabis kam es bis zum Zugriff der Ermittlungsbehörden nicht.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuld- und zur Aufhebung des Strafausspruchs.

a) Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben. Dies gilt bereits deshalb, weil am 1. April 2024 das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) in Kraft getreten ist (BGBl. I Nr. 109), das der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO zu berücksichtigen hat; nach der Neuregelung unterfällt der Umgang mit Cannabis nicht mehr dem BtMG, sondern allein dem - milderen - KCanG (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2024 - 5 StR 481/23 Rn. 6 mwN; Beschluss vom 16. Mai 2024 - 6 StR 116/24 Rn. 2; Beschluss vom 6. Mai 2024 - 5 StR 1/24 Rn. 4).

b) Das vom Landgericht festgestellte Tatgeschehen ist als verbotener Anbau von Cannabispflanzen (§ 34 Abs. 1 Nr. 2b) KCanG) zu bewerten.

aa) Die Tathandlungen des § 34 Abs. 1 KCanG hat der Gesetzgeber an die Begrifflichkeiten des BtMG angelehnt. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 KCanG beschriebene Tathandlung des „Anbaus“ ist daher grundsätzlich wie im Rahmen des BtMG auszulegen (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 94). Demnach umfasst der Anbau von Cannabispflanzen in Form der Aufzucht sämtliche gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Bemühungen, um ein Wachstum der Pflanzen zu erreichen (vgl. zum BtMG BGH, Urteil vom 6. September 2023 - 6 StR 107/23 Rn. 8 mwN; OLG München, Beschluss vom 23. April 2009 - 4 St RR 27/09 Rn. 38; OLG Dresden, NStZ-RR 1999, 372, 373; Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 54). Hierzu zählen etwa das Bewässern, Düngen und Belichten. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte mithin durch die längere eigenhändige Bewirtschaftung der Plantage - insbesondere durch die regelmäßige Bewässerung der Marihuanapflanzen sowie die Sicherstellung ihrer Beleuchtung und Belüftung - die Begehungsvariante des Anbaus als (Mit-)Täter erfüllt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 6. September 2023 - 6 StR 107/23 Rn. 8; Beschluss vom 1. Juni 2022 - 3 StR 118/22 Rn. 7 f.; jew. zum BtMG).

Hingegen liegt kein Herstellen von Cannabis vor. Denn erst bei der dem Anbau folgenden Ernte könnte es sich um die Gewinnung des Cannabis im Sinne eines Herstellens handeln (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 BtMG; ferner BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 268/14 Rn. 12 f.; Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 2 Rn. 55 f. mwN; s. zum KCanG aber auch Sobota, NJW 2024, 1217 Rn. 9 ff.).

bb) Der zugleich von dem Angeklagten täterschaftlich verwirklichte Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen nach § 34 Abs. 1 Nr. 1c) KCanG tritt auf Konkurrenzebene zurück. Der Senat folgt daher dem Antrag des Generalbundesanwalts nicht, den Schuldspruch (allein) auf diesen Gesetzesverstoß umzustellen.

Im Rahmen von § 34 KCanG hat sich auch die konkurrenzrechtliche Bewertung gegenüber den bisherigen Grundsätzen nicht geändert (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 5). Hiervon ausgehend ist der verbotene Besitz von Cannabis ein Auffangtatbestand, der nur zum Tragen kommt, wenn sich der Umgang mit der Cannabismenge in Form umfassenderer Tatmodalitäten nicht nachweisen lässt (vgl. für den Besitz von Betäubungsmitteln etwa BGH, Urteil vom 24. November 2022 - 4 StR 175/22 Rn. 14; Beschluss vom 20. September 2022 - 3 StR 210/22 Rn. 2; Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 95/22 Rn. 6).

Auch im vorliegenden Fall ist der Besitz von Cannabis subsidiär. Zwar wird im Rahmen des BtMG der Tatbestand des Anbaus durch den infolge der Sachherrschaft über die Pflanzen zugleich gegebenen Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verdrängt (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 268/14 Rn. 12; Beschluss vom 26. Januar 2011 - 5 StR 555/10 Rn. 12). Die Rechtfertigung hierfür liegt in diesem Fall aber darin, dass lediglich der mengenqualifizierte Besitz den Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG erfüllt, während der Anbau insoweit nur als Vergehen (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) ausgestaltet ist. Eine vergleichbare Konstellation besteht im Rahmen von § 34 KCanG nicht. Die Norm erfasst vielmehr in ihrem Grundtatbestand des Abs. 1 wie auch bei dem hier relevanten Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG (nicht geringe Menge) den verbotenen Anbau von Cannabispflanzen. Daher ist nach den oben genannten Grundsätzen für einen Schuldspruch (auch) wegen verbotenen Besitzes von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen kein Raum.

cc) Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO auf verbotenen Anbau von Cannabispflanzen umgestellt. Des Zusatzes „nicht zum Eigenkonsum“ bedurfte es im Tenor nicht. Ein privater Eigenanbau (vgl. dazu BT-Drucks. 20/8704, S. 101) kann nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, § 9 KCanG erlaubt sein. Insoweit ist daher die Überschreitung der zulässigen Anzahl angebauter Cannabispflanzen, die die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 Nr. 2a) KCanG begründet, in den Tenor aufzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2024 - 4 StR 50/24). Erfolgt dies nicht, wird bereits dadurch hinreichend deutlich, dass der Anbau nicht dem Eigenkonsum diente. Dass sich die Tat auf Cannabis in nicht geringer Menge bezog (vgl. zum Grenzwert von 7,5 g THC näher BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 11 ff.; Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 7 ff.), stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), das im Schuldspruch keinen Ausdruck findet. Der Schuldspruchänderung steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

c) Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben, weil der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG gegenüber § 29a Abs. 1 BtMG milder ist. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es insoweit nicht (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).

3. Eine Erstreckung der Urteilsaufhebung auf den nicht revidierenden Mitangeklagten gemäß § 357 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht. Denn die Aufhebung beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung bei Erlass des Urteils, sondern auf einer nachträglichen Rechtsänderung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 - 5 StR 535/02 Rn. 3 mwN; Urteil vom 27. Oktober 1964 - 1 StR 358/64, BGHSt 20, 77). Diese hatte der Senat als das mildere Gesetz der Überprüfung des Schuldspruchs zugrunde zu legen. Die zugehörigen Feststellungen hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffen.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 972

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede