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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 918

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 105/24, Beschluss v. 12.06.2024, HRRS 2024 Nr. 918


BGH 1 StR 105/24 - Beschluss vom 12. Juni 2024 (LG Baden-Baden)

Erwerb, Besitz und Anbau von Cannabis (Bedeutung der gesetzlichen Freigrenzen für Strafzumessung, Berechnung der nicht-geringen Menge und Einziehung; Schuldspruchänderung wegen Einführung des KCanG).

§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2, 12, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, § 46 StGB; § 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB; § 354 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG normierten Einschränkungen der Strafbarkeit des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis stellen Freigrenzen dar. Dies hat zur Folge, dass bei Überschreiten derselben die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen, angebauten oder erworbenen Cannabis strafbewehrt ist und das Cannabis als Bezugsgegenstand auch vollständig der Einziehung unterliegt (§ 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB).

2. Der geänderten Bewertung des Umgangs mit Cannabis durch den Gesetzgeber ist jedoch auf der Strafzumessungsebene Rechnung zu tragen. Denn die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in einem bestimmten Maß zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreiten bestimmter Grenzen unter Strafe zu stellen, wirkt sich auf den Schuldumfang aus. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen sind daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen.

3. Gleiches gilt für die innerhalb der Strafzumessungsregelung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zu bestimmende „nicht geringe Menge“. Der 1. Strafsenat schließt sich insoweit den Erwägungen des 6. Strafsenats in seiner Entscheidung vom 30. April 2024 (6 StR 536/23 Rn. 29 f.) an, wonach in Bezug auf die Besitztatbestände des § 34 KCanG die nicht unter Strafe gestellten Mengen von 60 bzw. 30 Gramm oder - im Zusammenhang mit Anbauvereinigungen - von 25 bzw. 50 Gramm im Monat bei der Berechnung der „nicht geringen Menge“ außer Betracht bleiben müssen. Diese Wertung ist auf den Erwerbstatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu übertragen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 6. Dezember 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „zweier tateinheitlich zusammentreffender Fälle des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in weiterer Tateinheit mit zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen weiterer zweier tateinheitlich zusammentreffender Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen weiterer zweier tatmehrheitlich zusammentreffender Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und mit Besitz eines verbotenen Gegenstandes“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Es hat dem Angeklagten ferner für die Dauer eines Monats verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Neben der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 18.466 Euro hat die Strafkammer die Einziehung eines in der Entscheidungsformel näher bezeichneten Mobiltelefons, des verfahrensgegenständlichen Springmessers und Schlagrings sowie des sichergestellten Cannabis angeordnet. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel ist begründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Frühjahr oder Sommer 2022, sich zur Finanzierung seines eigenen Cannabiskonsums durch den Gewinn bringenden Verkauf von Cannabis eine „auf Dauer angelegte, erhebliche“ Einnahmequelle zu verschaffen. Dabei arbeitete er mit einem nicht identifizierbaren Freund dergestalt zusammen, dass er diesem jeweils die Hälfte des erworbenen Marihuanas übergab, welches der Freund - wie der Angeklagte wusste - zur Hälfte seinerseits Gewinn bringend weiterveräußerte, zur anderen Hälfte selbst konsumierte. Den ihm verbleibenden Teil des Marihuanas und das nur für seine Zwecke erworbene Haschisch veräußerte der Angeklagte zum überwiegenden Teil; den Rest konsumierte er selbst.

1. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt Anfang August 2022, spätestens jedoch am 6. August 2022 erwarb der Angeklagte ein Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 Prozent und 200 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 30 Prozent. Von der ihm verbleibenden Menge an Marihuana (500 Gramm) und dem Haschisch konsumierte der Angeklagte jeweils 75 Gramm selbst; den Rest veräußerte er für insgesamt 3.850 Euro (Fall II.1. der Urteilsgründe).

2. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt kurz vor dem 10. September 2022 kaufte der Angeklagte ein Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 Prozent und 100 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 30 Prozent. Von der ihm verbleibenden Menge an Marihuana (500 Gramm) und dem Haschisch konsumierte der Angeklagte jeweils 75 Gramm selbst; den Rest veräußerte er für insgesamt 3.150 Euro (Fall II.2. der Urteilsgründe).

3. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt Anfang/Mitte Oktober 2022 erwarb der Angeklagte ein Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 Prozent und 100 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 30 Prozent. Von der ihm verbleibenden Menge an Marihuana (500 Gramm) und dem Haschisch konsumierte der Angeklagte jeweils 75 Gramm selbst.

Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 22. und 30. Oktober 2022 erwarb der Angeklagte ein weiteres Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 Prozent und weitere 100 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 30 Prozent. Von der ihm verbleibenden Menge an Marihuana (500 Gramm) und dem Haschisch konsumierte der Angeklagte jeweils 75 Gramm selbst.

Das aus beiden Ankäufen nicht zum Eigenkonsum bestimmte Marihuana (insgesamt 850 Gramm) sowie 50 Gramm Haschisch verkaufte und übergab der Angeklagte zusammen mit weiteren 300 Gramm Marihuana, die aus eigener Ernte stammten, am 30. Oktober 2022 an einen unbekannten Abnehmer, ohne den versprochenen Kaufpreis zu erhalten (Fall II.3. der Urteilsgründe).

4. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt am oder vor dem 28. November 2022 erwarb der Angeklagte ein Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt 4 5 6 7 8 von mindestens 10 Prozent und weitere 100 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 44,06 Prozent. Von der ihm verbleibenden Menge an Marihuana (500 Gramm) konsumierte der Angeklagte 38 Gramm, von dem Haschisch 37 Gramm selbst; den Rest veräußerte er mit Ausnahme von ebenfalls zum Verkauf vorgesehenen 46,83 Gramm Haschisch, die bei der Durchsuchung am 17. Januar 2023 sichergestellt werden konnten und in deren unmittelbarer Nähe der Angeklagte zur Verteidigung seines Cannabisvorrates ein Springmesser verwahrte. Er erzielte hierdurch Einnahmen in Höhe von insgesamt 3.346 Euro.

Am 9. Dezember 2022 erwarb der Angeklagte ein weiteres Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 9 Prozent. Von der ihm verbleibenden Menge (500 Gramm) konsumierte der Angeklagte 75 Gramm selbst; den Rest veräußerte er für insgesamt 2.975 Euro.

Am 4. Januar 2023 erwarb der Angeklagte zwei weitere Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 9,43 Prozent. Von der ihm verbleibenden Menge (1.000 Gramm) konsumierte der Angeklagte 150 Gramm selbst; den Rest veräußerte er mit Ausnahme von jedenfalls teilweise für den Weiterverkauf bestimmten 115 Gramm, welche anlässlich der Durchsuchung am 17. Januar 2023 in unmittelbarer Nähe zu dem vorgenannten Springmesser sichergestellt werden konnten. Er erzielte hierdurch Einnahmen in Höhe von insgesamt 5.145 Euro.

Am Abend des 16. Januar 2023 kaufte der Angeklagte insgesamt 286,3 Gramm Haschisch, von denen 150 Gramm zum Eigenkonsum und 136 Gramm zum Gewinn bringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Das Haschisch hatte einen Wirkstoffgehalt zwischen 31,68 und 44,84 Prozent und eine Wirkstoffmenge von insgesamt 115,329 Gramm THC. Er transportierte die von dem unbekannten Veräußerer übernommenen Betäubungsmittel mit seinem Pkw auf öffentlichen Straßen, obwohl er wusste, dass er dabei unter dem Einfluss von Cannabis stand. Eine am 17. Januar 2023 um 00.01 Uhr entnommene Blutprobe ergab den Nachweis einer THC-Konzentration von 35,9 ng/ml Serum (Fall II.4. der Urteilsgründe).

5. Am 16. Januar 2023 betrieb der Angeklagte an seiner Wohnanschrift eine Marihuana-Indoorplantage, in der er vier Marihuanapflanzen hochzog, die eine Höhe von ca. 25 Zentimeter erreicht hatten, jedoch noch nicht blühten. Er verwahrte dort ferner drei zum Anbau bestimmte Cannabissamen und einen Schlagring. Das selbst angebaute Cannabis war zum Eigenkonsum bestimmt (Fall II.5. der Urteilsgründe).

II.

Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung.

1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 109), was der Senat nach § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO zu berücksichtigen hat. Nach der Neuregelung unterfällt der Umgang des Angeklagten mit Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern allein dem - grundsätzlich milderen - Konsumcannabisgesetz (s. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 3 ff.).

a) Einer Schuldspruchanpassung durch den Senat (§ 354 Abs. 1 StPO analog) steht § 265 Abs. 1 StPO entgegen. Der Angeklagte hätte sich möglicherweise gegen den aufgrund der bisherigen Feststellungen nach dem Konsumcannabisgesetz zu fassenden Schuldspruch wirksamer als bislang geschehen verteidigen können. Denn anstelle des unter dem Regelungsregime des Betäubungsmittelgesetzes hinsichtlich des zum Eigenkonsum erworbenen Cannabis angeklagten und ausgeurteilten Tatbestandes des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kommt nach neuer Rechtslage der Tatbestand des Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG) in Betracht, mithin eine andere Handlungsform, die überdies gegenüber dem Besitz von Cannabis eine niedrigere Freigrenze vorsieht und sich damit als für den Angeklagten ungünstiger erweist.

aa) Zwar entsprechen die unter Strafe gestellten Handlungsformen des Konsumcannabisgesetzes weitgehend denen des Betäubungsmittelgesetzes (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130). Auch ist hinsichtlich der konkurrenzrechtlichen Bewertung grundsätzlich auf die bisherige Rechtslage abzustellen (BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 5), weshalb in der Regel einer Schuldspruchanpassung durch das Revisionsgericht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegenstehen wird. Eine abweichende Bewertung kann indes in den Fällen veranlasst sein, in denen sich der Umgang mit Cannabis auf eine nicht geringe Menge bezieht. Denn das Betäubungsmittelgesetz unterstellt in dem Qualifikationstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nur die Handlungsformen des Handeltreibens, Herstellens, Abgebens und Besitzens einem höheren Strafrahmen. Dies hat u.a. zur Folge, dass die lediglich nach dem Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 BtMG strafbaren Handlungsformen des Erwerbens und Sich-Verschaffens hinter dem spezielleren Tatbestand des Besitzes in nicht geringer Menge zurücktreten (vgl. Maier in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 215). Demgegenüber sieht das Konsumcannabisgesetz für den - nicht qualifizierten (§ 34 Abs. 4 KCanG) - Umgang mit Cannabis in nicht geringer Menge keinen Qualifikationstatbestand, sondern ein alle in § 34 Abs. 1 KCanG unter Strafe gestellte Handlungsformen erfassendes Regelbeispiel vor.

Dies führt in den Fällen, in denen das Tatgericht unter dem Regelungsregime des Betäubungsmittelgesetzes zwar einen Erwerb von Cannabis in nicht geringer Menge zum Eigenkonsum festgestellt, jedoch gemessen an vorstehend dargestellten Maßstäben den Besitztatbestand nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ausgeurteilt hat, dazu, dass nach dem Konsumcannabisgesetz anstelle des Besitzes eine andere Handlungsform - hier der Erwerb von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG) - in Betracht kommt.

bb) So liegt der Fall hier. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte in den Fällen II.1. bis II.4. der Urteilsgründe Marihuana in nicht geringer Menge (auch) zum Eigenkonsum. Gemessen an vorstehenden Maßstäben ist daher nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte in Kenntnis der abweichenden rechtlichen Bewertung wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen und eine einheitliche rechtliche Bewertung zu ermöglichen, hebt der Senat das Urteil auch im Fall II.5. der Urteilsgründe auf.

2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird auf Folgendes hingewiesen:

a) Sollte das neue Tatgericht abermals Feststellungen dahin treffen, dass der Angeklagte seinem Freund die tatsächliche Herrschaft über zuvor erworbenes und in Empfang genommenes Cannabis zum Eigenkonsum überließ, kommt anstelle des Tatbestandes der Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge der Tatbestand der Abgabe von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 7 KCanG) in Betracht.

b) Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG normierten Einschränkungen der Strafbarkeit des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis stellen Freigrenzen dar. Dies hat zur Folge, dass bei Überschreiten derselben die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen, angebauten oder erworbenen Cannabis strafbewehrt ist und das Cannabis als Bezugsgegenstand auch vollständig der Einziehung unterliegt (§ 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB).

aa) Für dieses Verständnis ist zunächst der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG heranzuziehen. Denn die Formulierung „mehr als“ … „besitzt“, „anbaut“ oder „erwirbt“ bedeutet lediglich, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht kommt, wenn die jeweils genannte Menge überschritten ist. Dass die „erlaubten“ Mengen in jedem Fall aus der Strafbarkeit ausgenommen sein sollen, ergibt sich hieraus indes nicht. Aus der Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG folgt nichts Anderes. Nach § 2 KCanG ist der Umgang mit Cannabis grundsätzlich verboten.

bb) Auch die Systematik des Konsumcannabisgesetzes und der Wille des Gesetzgebers sprechen hierfür; insbesondere führt die Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Besitzmengen in §§ 3, 4 KCanG von dem in § 2 KCanG normierten Verbot des Umgangs mit Cannabis auszunehmen, zu keiner anderen Bewertung. Der Normgeber hat in §§ 3, 4 KCanG infolge einer „geänderten Risikobewertung“ von Cannabis für Erwachsene den Besitz bestimmter Mengen zum Eigenkonsum von dem grundsätzlichen Umgangsverbot des § 2 KCanG ausgenommen (BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Zwar teilt die Gesetzesbegründung nicht mit, von welchen Erwägungen sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Mengen konkret hat leiten lassen. Angesichts dessen, dass das Konsumcannabisgesetz nach seiner Präambel einen verbesserten Gesundheitsschutz und die Stärkung eines „verantwortungsvolle[n] Umgang[s] mit Cannabis“ (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) zum Ziel hat, ist jedoch davon auszugehen, dass sich die festgesetzten Mengen hieran orientieren und das äußerste Maß dessen darstellen, was mit Blick auf die - auch aus der Sicht des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks. 20/8704, S. 1) - grundsätzlich weiterhin gegebene Gefährlichkeit von Cannabis vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung noch verantwortet werden kann. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber den gleichzeitigen Besitz größerer als in §§ 3, 4 KCanG genannter Mengen als gefährlich angesehen und daher verboten hat (vgl. dazu BT-Drucks. 20/8704, S. 131: „erst bei Überschreiten … strafbar“). Da die Straftatbestände des § 34 KCanG der Durchsetzung der gesetzgeberischen Wertungen - mithin auch dem strikten Verbot, mehr als die in §§ 3, 4 KCanG genannten Mengen zu besitzen - dienen sollen, sind die Regelungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG als Freigrenzen zu verstehen.

c) Der geänderten Bewertung des Umgangs mit Cannabis durch den Gesetzgeber ist jedoch auf der Strafzumessungsebene Rechnung zu tragen. Denn die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in einem bestimmten Maß zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreiten bestimmter Grenzen unter Strafe zu stellen, wirkt sich auf den Schuldumfang aus (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2024 - 6 StR 536/23 Rn. 27). Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen sind daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG) bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Gleiches gilt für die innerhalb der Strafzumessungsregelung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zu bestimmende „nicht geringe Menge“. Der 1. Strafsenat schließt sich insoweit den Erwägungen des 6. Strafsenats in seiner Entscheidung vom 30. April 2024 (6 StR 536/23 Rn. 29 f.) an, wonach in Bezug auf die Besitztatbestände des § 34 KCanG die nicht unter Strafe gestellten Mengen von 60 bzw. 30 Gramm oder - im Zusammenhang mit Anbauvereinigungen - von 25 bzw. 50 Gramm im Monat bei der Berechnung der „nicht geringen Menge“ außer Betracht bleiben müssen. Diese Wertung ist auf den Erwerbstatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu übertragen.

d) Zur übersichtlichen Fassung der Urteilsformel kann es geboten sein, tateinheitliche Verstöße im Sinne des § 52 Abs. 1 Alternative 2 StGB nicht aufzunehmen.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 918

Bearbeiter: Christoph Henckel