HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2024
25. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

1068. BGH 5 StR 283/23 - Urteil vom 15. Februar 2024 (LG Lübeck)

Keine Gesetzeskonkurrenz zwischen Verbreiten eines Bildnisses und dessen Zugänglichmachen (Konsumtion; Idealkonkurrenz; Rechtsgut); Verletzung des Dienstgeheimnisses (Bekanntwerden als Amtsträger; Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen).

§ 33 Abs. 1 KunstUrhG; § 52 StGB; § 201a Abs. 1 Nr. 5 StGB; § 353b Abs. 1 StGB

1. Gesetzeskonkurrenz in Form von Konsumtion ist anzunehmen, wenn der Unrechtsgehalt der strafbaren Handlung durch einen der anwendbaren Straftatbestände bereits erschöpfend erfasst wird. Die Verletzung des durch den einen Straftatbestand geschützten Rechtsguts muss eine – wenn nicht notwendige, so doch regelmäßige – Erscheinungsform der Verwirklichung des anderen Tatbestandes sein. Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die Tatbestände des Verbreitens eines Bildnisses nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG einerseits und des Zugänglichmachens nach § 201a Abs. 1 Nr. 5 StGB andererseits nicht vor. Denn § 201a StGB schützt das Recht am eigenen Bild und den höchstpersönlichen Lebensbereich, während § 33 Abs. 1 KunstUrhG auch die vermögenswerten Interessen des Betroffenen an einer kommerziellen Verwertung des Bildnisses schützt.

2. Das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen i.S.v. § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB ist nicht nur dann erfüllt, wenn die Offenbarung des Geheimnisses selbst öffentliche Belange von einigem Gewicht gefährdet, sondern im Einzelfall auch dann, wenn das Bekanntwerden des Geheimnisbruchs das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der staatlichen Stelle erschüttern kann. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, ist anhand einer Gesamtabwägung im Einzelfall zu ermitteln, bei der Inhalt und Umfang der geheimhaltungsbedürftigen Daten, deren in Aussicht genommene Verwendung und die Person des Amtsträgers Berücksichtigung finden. Hinsichtlich der Person des Amtsträgers sind das ausgeübte Amt und die daran anknüpfende Erwartungshaltung der Öffentlichkeit ebenso in den Blick zu nehmen wie seine persönliche Stellung.

3. Das Tatbestandsmerkmal des Bekanntwerdens in § 353b Abs. 1 StGB setzt – im Unterschied zur Modalität des Anvertrauens – nicht voraus, dass dem Amtsträger das Geheimnis im Vertrauen auf seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit mitgeteilt wird. Ausreichend ist grundsätzlich vielmehr jede Art der Kenntniserlangung. Diese muss lediglich „als Amtsträger“ geschehen, mithin in einem inneren Zusammenhang zur dienstlichen Tätigkeit stehen. Das kann jedoch auch dann der Fall sein, wenn ihm ein Kollege – weil er Amtsträger ist – ein Geheimnis außerhalb der Dienstzeit mitteilt (hier: in einer privaten „WhatsApp-Gruppe“, in der mehrere Beamte Mitglied sind).


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

1094. BGH 6 StR 502/23 - Beschluss vom 14. Mai 2024 (LG Nürnberg-Fürth)

BGHSt; sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung (besonders schwerer Fall: Vergewaltigung; Qualifikation [Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs]: minder schwerer Fall; umfassende Sperrwirkung).

§ 177 Abs. 6 Satz 1 StGB; § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB; § 177 Abs. 9 Var. 3 StGB

Der Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB entfaltet umfassende Sperrwirkung gegenüber demjenigen des § 177 Abs. 9 Variante 3 StGB. (BGHSt)


Entscheidung

989. BGH 3 StR 112/23 - Urteil vom 16. Mai 2024 (LG Wuppertal)

BGHR; schwerer sexueller Missbrauch von Kindern; Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte; Inbegriffsrüge (Darstellung der Beweiswürdigung im Urteil; Erörterungsbedürftigkeit von eingeführten Beweismitteln); Beweiswürdigung des Tatgerichts (Verstoß gegen Denkgesetze).

§ 176c Abs. 2 StGB, § 184b Abs. 1 StGB; § 249 Abs. 2 StPO; § 261 StPO

1. Der Begriff des „Verbreitens“ in § 176c Abs. 2 StGB ist nicht im engen Sinne des Verbreitungsbegriffs des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB zu verstehen. Er erfasst vielmehr alle in § 184b Abs. 1 genannten Varianten der Hergabe oder Zugänglichmachung, darunter auch die Drittbesitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB.

2. Die bloße Absicht der Herstellung eines kinderpornographischen Inhalts (§ 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) genügt dagegen für eine Strafbarkeit nach § 176c Abs. 2 StGB nicht; vielmehr muss zu dieser die weitere Intention einer anschließenden Handlung im Sinne einer der in § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StGB aufgeführten Verbreitungsvarianten hinzutreten.

3. Mit einer Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden, dass eine verlesene beziehungsweise im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführte Urkunde nicht, unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei, wenn der Nachweis ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung geführt werden kann. (Bearbeiter)

4. Zwar verlangt § 261 StPO eine umfassende Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Das Tatgericht ist jedoch nicht gehalten, in den Urteilsgründen auf jedes Vorbringen einzugehen und jeden erhobenen Beweis zu behandeln. Bleibt ein Beweismittel unerwähnt, ist hieraus nicht zu schließen, dass es übersehen worden ist, denn die Darstellung der Beweiswürdigung im Urteil dient nicht dazu, für alle Sachverhaltsfeststellungen einen Beleg zu erbringen oder mitzuteilen, welche Beweise in der Hauptverhandlung erhoben worden sind.

5. Jedoch dürfen die Urteilsgründe Umstände, welche geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, nicht stillschweigend übergehen. Entscheidend ist, ob der betreffende Umstand nach der zum Zeitpunkt der Urteilsfindung gegebenen Beweislage erörterungsbedürftig gewesen ist, sich also nach dieser eine Behandlung in den Urteilsgründen aufgedrängt hat.


Entscheidung

960. BGH 4 StR 85/24 - Beschluss vom 7. Mai 2024 (LG Detmold)

Brandstiftung (Brandlegung: Zerstörungserfolg, subjektive Tatseite, Brandlegung an einem anderen Gegenstand, Schutzobjekt, Wortlaut, einschränkende Auslegung, Entstehungsgeschichte; subjektive Tatseite: Zerstörungserfolg nicht auf eine Brandlegung an dem Schutzobjekt selbst zurückzuführen, Eventualvorsatz, vorgestellter Kausalverlauf, unwesentliche Abweichung, schweigender Angeklagter, Gesamtschau).

§ 306 StGB; § 15 StGB; § 16 StGB

1. Dass die teilweise Zerstörung eines fremden Gebäudes auf einer Brandlegung beruhte, die nicht auf ein Inbrandsetzen des Gebäudes oder eines anderen Schutzobjekts im Sinne des § 306 Abs. 1 StGB abzielte, steht der Annahme eines auf eine Brandlegung zurückzuführenden Zerstörungserfolgs nicht entgegen.

2. Die subjektive Tatseite bedarf in Fällen, in denen der eingetretene Zerstörungserfolg nicht auf eine Brandlegung an dem Schutzobjekt selbst, sondern an einem anderen Gegenstand zurückzuführen ist, sorgfältiger Prüfung.


Entscheidung

1019. BGH AK 53-55/24 - Beschluss vom 26. Juni 2024

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; Haftgrund der Schwerkriminalität; besondere Schwierigkeit und besonderer Umfang der Ermittlungen); mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (Hamas).

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

Bei der HAMAS handelt es sich (hochwahrscheinlich) um eine terroristische Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.


Entscheidung

1076. BGH 5 StR 535/23 - Urteil vom 3. Juli 2024 (LG Berlin)

Schwerer Diebstahl mit Waffen (gefährliches Werkzeug; Einbruchswerkzeug; objektive Gefährlichkeit); Bandendiebstahl (Bandenabrede).

§ 244 StGB; § 244a StGB

1. Für die Einordnung als gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB reicht es aus, wenn ein Gegenstand seiner objektiven Beschaffenheit nach geeignet ist, einem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen, etwa bei einem Einsatz als Stichwerkzeug. Diese Voraussetzungen liegen nahe bei einem Vorschlaghammer, einem Bohrhammer oder einem Meißel bzw. Spitzmeißel. Dass diese Geräte als Einbruchswerkzeuge dienen sollen, steht der Einordnung als gefährliches Werkzeug nicht entgegen. Ebenso wenig ist ein zusätzliches subjektives Element, etwa eine Verwendungsabsicht oder einen Verwendungsvorbehalt des Täters, erforderlich.

2. Eine Bande im Sinne des § 244a Abs. 1 StGB setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen mit dem Willen voraus, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Diebstähle zu begehen. Nicht erforderlich ist die gegenseitige verbindliche Verpflichtung zur Begehung bestimmter Delikte; es genügt vielmehr auch die Übereinkunft, in Zukunft sich ergebende günstige Gelegenheiten zu gemeinsamer Tatbegehung zu nutzen. Das Vorliegen einer Bandenabrede kann zwar auch aus dem konkret feststellbaren, wiederholten deliktischen Zusammenwirken mehrerer Personen hergeleitet werden, es kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. Eine bandenmäßige Begehung kommt bereits ab der ersten von einer Tätergruppierung begangenen Tat in Betracht.


Entscheidung

988. BGH 3 StR 112/23 - Beschluss vom 16. Mai 2024 (LG Wuppertal)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Unzulässigkeit bei fristgemäßer Revisionsbegründung); Revisionsbegründung (Zulässigkeit der Verfahrensrüge: Angabe der Verfahrenstatsachen; Angabe der Inhalte des Ablehnungsgesuchs und des zurückweisenden Beschlusses; Berücksichtigungsfähigkeit von Schreiben und Gegenerklärungen während des Revisionsverfahrens); sexuellen Handlung an einem Kind (Körperkontakt; Unerheblichkeit der Wahrnehmung des Geschädigten).

§ 24 StPO; § 44 StPO; § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 345 Abs. 2 StPO; § 349 Abs. 2 StPO; § 176 Abs. 1 StGB

Für die Verwirklichung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB ist nicht erforderlich, dass der Täter sein Versprechen erfüllen will oder kann. Es genügte und genügt, wenn das Angebot als ernst gemeint erscheinen kann und der Täter dies in seinen - zumindest bedingten - Vorsatz aufgenommen hat.


Entscheidung

1077. BGH 5 StR 535/23 - Beschluss vom 2. Juli 2024 (LG Berlin)

Versuchsbeginn beim Diebstahl (unmittelbares Ansetzen; Sicherung des Gewahrsams; Schutzmechanismen; ungehinderter Zugriff; Zwischenschritte).

§ 22 StGB; § 242 StGB

Bei Diebstahlsdelikten ist für den Versuchsbeginn (§ 22 StGB) darauf abzustellen, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr eines ungehinderten Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut besteht. Hierfür ist entscheidend, ob der Gewahrsam durch Schutzmechanismen gesichert ist. Ist dies der Fall, reicht für den Versuchsbeginn der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus regelmäßig aus, wenn sich der Täter bei dessen Überwindung nach dem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt. Sollen mehrere gewahrsamssichernde Schutzmechanismen hintereinander überwunden werden, ist schon beim Angriff auf den ersten davon in der Regel von einem unmittelbaren Ansetzen zur Wegnahme auszugehen, wenn die

Überwindung aller Schutzmechanismen in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit paraten Mitteln erfolgen soll.


Entscheidung

1063. BGH 5 StR 247/24 - Beschluss vom 16. Juli 2024 (LG Hamburg)

Beendigungszeitpunkt beim Kfz-Diebstahl (ausreichende Sicherung der Beute; gefestigter Gewahrsam; keine sukzessive Mittäterschaft nach Beendigung).

§ 242 StGB; § 25 Abs. 2 StGB

1. Ein Diebstahl ist abgeschlossen und damit beendet, wenn der Täter den Gewahrsam an den entwendeten Gegenständen gefestigt und gesichert hat. Wann eine ausreichende Sicherung der Beute erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Bei Kraftfahrzeugen wird dies in der Regel nicht der Fall sein, solange der Täter sich noch im unmittelbaren Herrschaftsbereich des Bestohlenen befindet oder aus anderen Gründen einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist, die Beute durch Nacheile zu verlieren.

2. Nach der Beendigung der Tat kommt eine (sukzessive) Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) nicht mehr in Betracht. Beteiligungshandlungen Dritter können dann lediglich noch den Tatbestand der Hehlerei gemäß § 259 StGB oder der Begünstigung gemäß § 257 StGB erfüllen.


Entscheidung

974. BGH 4 StR 234/23 - Urteil vom 23. Mai 2024 (LG Münster bei dem Amtsgericht Bocholt)

Gefährliche Körperverletzung (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung: bedingter Vorsatz, allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers, potenzielle Gefährdung, Beweiswürdigung; Strafzumessung: fehlgeschlagener Versuch); Dauer der Jugendstrafe (Belange des gerechten Schuldausgleich; Strafzweck: Erziehungsgedanke, Schwere der Schuld); Adhäsionsverfahren (Schmerzensgeldentscheidung; Ersatzpflicht für noch entstehende materielle und immaterielle Schäden: Einheitlichkeit des Schmerzgeldes, Feststellungsausspruch).

§ 224 StGB; § 23 StGB; § 261 StPO; § 403 StPO; § 18 JGG

Für den Vorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist es neben dem zumindest bedingten Körperverletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Dabei muss der Täter die von ihm erkannten Umstände zwar nicht als lebensgefährdend bewerten, die Handlung muss aber nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt“ sein. Der Täter muss daher über eine Körperverletzung hinaus zumindest eine potentielle Gefährdung des Lebens des Opfers erkennen und billigen.