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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2024
25. Jahrgang
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1. Ein bedingter Vorsatz im Sinne der §§ 211, 212 StGB ist gegeben, wenn der Täter – im maßgeblichen Zeitpunkt, zu dem er nach seiner Vorstellung zu einer Erfolgsabwendung noch in der Lage ist – den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet (Willenselement). Dabei kann schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht angestrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigen. Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.
2. Ein bedingter Gefährdungsvorsatz i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB liegt vor, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet. Wie konkret die Vorstellung des Täters sein muss und in welchem Umfang das Tatgericht dazu Feststellungen treffen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
3. Dabei dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Die Vorstellung des Täters muss sich nicht auf alle Einzelheiten des weiteren Ablaufs beziehen. Vielmehr reicht es in den Fällen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Regel aus, dass sich der Täter aufgrund seiner Fahrweise und der gegebenen Verhältnisse eine kritische Verkehrssituation vorstellt, die in ihren wesentlichen gefahrbegründenden Umständen dem tatsächlich eingetretenen Beinaheunfall entspricht. Dabei können die Kenntnis des Täters von der Fahrtstrecke und den sich dabei ergebenden Gefahrenstellen, sein vorangegangenes Fahrverhalten, Erfahrungen des Täters aus dem bisherigen Fahrtverlauf, aber auch die Nähe des drohenden Unfalls Indizien für eine hinreichend konkrete Vorstellung des Täters von der drohenden Gefahr und deren Billigung sein.
4. Der Tötungs- und der Gefährdungsvorsatz haben unterschiedliche Bezugspunkte mit der Folge, dass das Vorliegen des auf eine konkrete Gefahr bezogenen Vorsatzes nicht prinzipiell mit der Verneinung eines Schädigungsvorsatzes unvereinbar ist. Namentlich bei risikoaffinen Tätern kommt in Betracht, dass der Eintritt einer kritischen Situation (Beinaheunfall) gebilligt wird, der Täter aber zugleich darauf vertraut, er werde aufgrund seines fahrerischen Könnens in der Lage sein, den Verletzungserfolg im letzten Moment abzuwenden.
1. Geschütztes Rechtsgut des § 239a StGB ist nicht nur die Willensfreiheit des Genötigten vor einer besonders schwerwiegenden und besonders verwerflichen Nötigung, sondern auch dessen körperliche Integrität. (BGHSt)
2. Der für § 239a Abs. 3 StGB erforderliche qualifikationsspezifische und aus der konkreten Schutzrichtung der Norm zu bestimmende Zusammenhang ist deshalb auch dann gegeben, wenn der Tod des Opfers als Folge der dem Opfer während der Bemächtigungslage widerfahrenen Behandlung eintritt, wobei die Eskalationsgefahr mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zunimmt. (BGHSt)
3. Der Umstand, dass der Angeklagte sein Aussageverhalten (mehrfach) taktisch ändert, steht der Anwendung der Vorschrift des § 46b Abs. 1 StGB nicht grundsätzlich entgegen, sondern ist im Rahmen der nach § 46b Abs. 2 StGB erforderlichen Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen (st. Rspr.). Innerhalb dieser vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensentscheidung, hinsichtlich derer das Tatgericht aufgrund einer umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände zu entscheiden hat, ob eine Strafrahmenverschiebung geboten ist (vgl. BGHSt 63, 210 Rn. 11), kann eine solche gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt eines wechselnden Aussageverhaltens und dessen negativen Auswirkungen auf den tatsächlichen Aufklärungseffekt abgelehnt werden. (Bearbeiter)
1. Nach der zu § 223a StGB aF ergangene Rechtsprechung standen chirurgische Instrumente (etwa ein Skalpell oder eine zahnärztliche Extraktionszange), die von einem approbierten Arzt bestimmungsgemäß bei einem Heileingriff eingesetzt wurden, unabhängig von ihrer konkreten Verwendungsweise weder einem Messer noch einem anderen gefährlichen Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift gleich. Ausgehend von dem Wortlaut der alten Gesetzesfassung, nach der ein Messer oder ein anderes gefährliches Werkzeug nur Beispielsfälle einer Waffe darstellten, wurden die Voraussetzungen dieser Tatvariante lediglich dann als erfüllt angesehen, wenn der Täter den Gegenstand bei einem Angriff oder Kampf zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken benutzte, was bei einem bestimmungsgemäßen Einsatz als Heilinstrument nicht der Fall war. Dies galt auch dann, wenn es an einer medizinischen Indikation für den Eingriff fehlte. Anders wurde der Gebrauch von ärztlichen Instrumenten allerdings dann bewertet, wenn der Eingriff durch einen vermeintlichen – tatsächlich also nicht geprüften bzw. approbierten – Heilkundigen durchgeführt wurde.
2. Diese zu § 223a StGB aF ergangene einschränkende Rechtsprechung, die bestimmungsgemäß verwendete ärztliche Instrumente – trotz einer in der konkreten Verwendungssituation gegebenen Eignung zur Herbeiführung erheblicher Verletzungsfolgen – aufgrund des fehlenden Angriffs- bzw. Verteidigungszwecks nicht als gefährliche Werkzeuge ansah, kann auf die seit dem 1. April 1998 geltende Gesetzesfassung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (BGBl. I S. 164) jedenfalls in Bezug auf medizinisch nicht indizierte Eingriffe nicht übertragen werden.
1. Die gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB und nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB setzen jeweils ein spezifisches Unmittelbarkeitserfordernis („mittels“) voraus. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss die körperliche Misshandlung also bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst und die Verletzung auf einen unmittelbaren Kontakt zwischen Fahrzeug und Körper zurückzuführen sein. Verletzungen, die erst durch ein anschließendes Sturzgeschehen oder eine Ausweichbewegung des Tatopfers verursacht worden sind, genügen insoweit nicht.
2. Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Art der Behandlung des jeweiligen Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet wäre, das Leben zu gefährden. Eine Lebensgefahr, die sich erst aus weiteren äußeren Umständen ergibt, reicht dafür nicht aus. Das „Zur-Seite-Stoßen“ durch ein anfahrendes Fahrzeug trägt diese Bewertung ohne nähere Feststellungen bereits in objektiver Hinsicht nicht ohne Weiteres.
1. Die allgemeine Funktionsträgerimmunität gilt bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht, und zwar unabhängig vom Status und Rang des Täters. Der Ausschluss dieser
funktionellen Immunität fremder Hoheitsträger bei Völkerstraftaten gehört zum zweifelsfreien Bestand des Völkergewohnheitsrechts.
2. Für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB bedarf es nicht zwingend der Ausübung eines angemaßten „Eigentumsrechts“ an dem Opfer über einen längeren Zeitraum; ein solcher ist lediglich ein Indiz für das Vorliegen einer Versklavung, ohne dass diese bei bloß kurzzeitigen Tatgeschehen ausgeschlossen wäre.
1. Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind.
2. Spielen bei der Tat mehrere Motive eine Rolle („Motivbündel“), muss das Tatgericht sämtliche wirkmächtigen Elemente einbeziehen und prüfen, ob der die Tat prägende Handlungsantrieb einen niedrigen Beweggrund darstellt. Lässt sich kein dominantes Motiv feststellen, ist ein Handeln aus niedrigen Beweggründen anzunehmen, wenn sämtliche denkbaren Motive auf sittlich tiefster Stufe stehen.
3. Das Motiv der Selbstjustiz kommt als niedriger Beweggrund in Betracht. Ein Handeln zur Bestrafung des Gegners, zur Machtdemonstration und Ausübung von Selbstjustiz sowie, um nicht als Verlierer einer Auseinandersetzung zu gelten, steht regelmäßig sittlich auf tiefster Stufe.
4. Für die sozialethische Bewertung von Handlungsantrieben, die aus einem als verletzend erlebten Opferverhalten resultieren, ist die Verantwortung des Täters hierfür (Vorverschulden) ein wesentlicher Punkt, der im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung nicht außen vor bleiben darf.
1. Die Qualifikation nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug verwendet. Das Tatbestandsmerkmal des Verwendens umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels. Das Verwenden bezieht sich auf den Einsatz des Nötigungsmittels zur Verwirklichung des Erpressungstatbestands. Es liegt danach vor, wenn der Täter eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Ausübung von Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gebraucht, um den Geschädigten zu einer Vermögensverfügung im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB zu nötigen.
2. Wird die Waffe oder das andere gefährliche Werkzeug erst nach Vollendung der Erpressung, aber vor deren Beendigung verwendet, ist es wenigstens erforderlich, dass das Tatwerkzeug als Mittel zur Sicherung der Tatbeute eingesetzt wird. Eine Verwendung mit dem Ziel, den Geschädigten von einer Anzeige bei der Polizei abzuhalten, reicht hierfür nicht ohne Weiteres ausreichend.
3. Für eine Erfolgsverhinderung im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB kann es bei der versuchten räuberischen Erpressung genügen, wenn alle Tatbeteiligten bei einem unbeendeten Versuch einvernehmlich und freiwillig davon absehen, ihr Nötigungsziel weiter mit den tatbestandlichen Nötigungsmitteln zu verfolgen. Für die Frage, ob ein unbeendeter Versuch vorliegt, kommt es auf die Sicht der Täter nach Ende der letzten Ausführungshandlung an.
Bei einem Motivbündel beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist. Kann das Gericht bei mehreren in Betracht kommenden tatbeherrschenden Motiven zu keiner eindeutigen Festlegung gelangen, weil es keinen von mehreren nach dem Beweisergebnis in Betracht kommenden Beweggründen ausschließen kann, so ist eine Verurteilung wegen Mordes möglich, wenn jeder dieser Beweggründe als niedrig anzusehen ist. Das Tatgericht darf sich deshalb nicht auf die bloße Darstellung möglicher Motive beschränken, sondern muss diese, auch unter Berücksichtigung des Vor- und Nachtatverhaltens des Täters, gemäß dem dargestellten Maßstab gewichten.
1. Die Zueignungsabsicht im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme
die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen Dritten erlangen und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines Dritten „einverleiben“ will. Der Täter muss mithin neben der dauernden Enteignung des Berechtigten, für die bedingter Vorsatz genügt, die Aneignung der Sache beabsichtigen. Hierfür ist nicht erforderlich, dass er diese auf Dauer behalten will.
2. Jedoch muss er die – wenn auch möglicherweise nur vorübergehende – Aneignung zum Wegnahmezeitpunkt mit unbedingtem Willen erstreben. Andernfalls handelt es sich lediglich um eine Sachentziehung, die – auch wenn der bisherige Eigentümer damit dauerhaft aus seiner Position verdrängt wird – keine Form der Aneignung ist. Deshalb ist eine Aneignungsabsicht zu verneinen, wenn der Täter die Sache – ohne sie behalten zu wollen – an sich bringt, um sie sogleich zu beschädigen oder wegzuwerfen oder gar zu zerstören.
3. Ist die Aneignung abgeschlossen, wirkt es sich auf die Zueignungsabsicht nicht mehr aus, wie der Täter sodann mit dem erlangten Gegenstand verfährt. Mithin kommt es auch in Fällen, in denen der Täter die Entsorgung der Sache erstrebt, darauf an, ob er diese zunächst körperlich oder wirtschaftlich seinem Vermögen einverleiben will, er also beabsichtigt, sie – möglicherweise auch nur vorübergehend – für sich zu haben oder wirtschaftlich zu nutzen.
4. Der Täter kann die Sache in sein Vermögen etwa dadurch körperlich einverleiben, dass er sie unter Ausschluss des wahren Berechtigten von der Ausübung der Sachherrschaft der eigenen eigentümerähnlichen Verfügungsgewalt unterwirft, sich also zum Zeitpunkt der Wegnahme offenhält, wie er im Anschluss mit der Sache verfahren will. Ob bei einer der geplanten Entsorgung vorausgehenden Nutzung der entwendeten Sache diese dem Vermögen des Täters zugeführt werden soll, ist letztendlich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Dabei ist jeweils insbesondere von Bedeutung, ob er in irgendeiner Weise im weitesten Sinne wirtschaftlich von dem Gebrauch profitieren und aus der Nutzung mittelbar oder unmittelbar einen irgendwie gearteten wirtschaftlichen oder jedenfalls materiellen Vorteil ziehen will.
5. Der bloße Besitz einer Sache ist aber nur dann ein Vermögensvorteil im Sinne des § 253 StGB, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt. Die erforderliche Bereicherungsabsicht fehlt auch dann, wenn es dem Täter beim Abpressen eines Mobiltelefons nur darum geht, dem Opfer einen Denkzettel zu verpassen oder es zu isolieren.
Für die Verwirklichung des Tatbestands des Raubes reicht das bloße Ausnutzen der vorangegangenen Nötigung nicht aus; es fehlt dann an der finalen Verknüpfung zwischen dem qualifizierten Nötigungsmittel und der Wegnahme. Erforderlich ist vielmehr eine Aktualisierung der Nötigungslage durch ein im Urteil gesondert festzustellendes Verhalten des Täters.
Der gesetzliche Tatbestand des § 132a StGB fasst grundsätzlich eine Mehrheit natürlicher Betätigungen, die auf demselben Entschluss beruhen, zu einer einheitlich bewerteten Straftat zusammen, wobei zeitliche Abstände zwischen den von einem Täter gewählten Gelegenheiten und/oder die Verschiedenheit der Sachlagen die Annahme einer Mehrheit von Taten begründen können.