HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 524
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 189/23, Urteil v. 23.01.2024, HRRS 2024 Nr. 524
1. Auf die Revisionen der Nebenklägerinnen und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 11. Oktober 2022, soweit es den Angeklagten betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser Angeklagte des erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge in Tateinheit mit räuberischer Erpressung schuldig ist, und
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen der Nebenklägerinnen und des Angeklagten werden verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Tübingen zurückverwiesen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einer ersten Hauptverhandlung wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Urteil des Senats vom 20. April 2021 (1 StR 286/20) hat es den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt.
Mit ihren hiergegen gerichteten, jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen - und in einem Fall zudem des formellen - Rechts gestützten Revisionen erstreben die Nebenklägerinnen übereinstimmend die erneute Aufhebung des Urteils mit dem fortbestehenden Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts. Auch der Angeklagte beanstandet die Verurteilung mit der Rüge der Verletzung des formellen und materiellen Rechts. Die Revisionen der Nebenklägerinnen wie auch diejenige des Angeklagten haben den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg und sind im Übrigen unbegründet.
1. Das Schwurgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagten kamen im Rahmen eines im Vorfeld des 2. November 2018 gemeinsam gefassten Tatplans überein, den wohlhabenden und alleinstehenden O., der ein Bekannter des Mitangeklagten A. war, in seinem Anwesen zu überfallen, um dessen dort vermutete Wertgegenstände an sich zu bringen. Die Angeklagten nahmen an, der Geschädigte bevorrate dort eine erhebliche Menge an Bargeld und Gold. Dabei gingen sie aufgrund der ihnen bekannten schweren Lungenerkrankung des Geschädigten davon aus, dass dieser bei der Tat versterben könnte. Selbst den Eintritt des Todes allein aufgrund eines durch den Überfall hervorgerufenen Schreckens oder Schocks hielten die Angeklagten, wenngleich unerwünscht, für möglich.
Der Tatplan der Angeklagten sah vor, dass der Angeklagte Ba. die Wohnung des O. über die - wie A. wusste - stets geöffnete Terrassentür betreten und O. durch eine Drohung oder notfalls auch gewaltsam zur Herausgabe seiner Wertgegenstände zwingen sollte. Dabei waren sich die Angeklagten einig, dass erforderlichenfalls auch erhebliche körperliche Gewalt gegen den Geschädigten zum Einsatz kommen sollte. Sie hofften, dass sich das hieraus resultierende und von beiden Angeklagten als erheblich eingeschätzte - und in Kauf genommene - Todesrisiko nicht verwirklichen würde. Der Überfall sollte von dem Angeklagten Ba. allein ausgeführt werden; denn A. betrachtete die aufgrund seiner Bekanntschaft mit O. bestehende Entdeckungsgefahr als zu hoch. Sein Beitrag sollte darin liegen, als Fahrer für den von ihm über die Örtlichkeiten informierten Ba. zu fungieren.
Dem Tatplan entsprechend betrat der Angeklagte Ba. am 2. November 2018 gegen 18.50 Uhr durch die unverschlossene Terrassentür die Wohnung des O. Dort hielt er sich zunächst im unbeleuchteten Wohnzimmer verborgen und wartete auf O., um diesen zu überfallen. Durch ein beim Öffnen der Terrassentür erzeugtes Geräusch aufmerksam geworden, betrat der Geschädigte nur kurze Zeit später das Wohnzimmer, wo er den Angeklagten erblickte. Ba. gab dem Geschädigten zu verstehen, dass er leise sein und sein Geld herausgeben solle. Als der Geschädigte daraufhin zu flüchten versuchte, packte Ba. ihn von hinten, hielt ihm den Mund zu und wiederholte seine Forderung. Im Bemühen, sich zu befreien, biss der schreiende Geschädigte dem Angeklagten Ba. in die Hand. Der sich entwickelnde kurze Kampf endete damit, dass Ba. den unter akuter Atemnot leidenden Geschädigten zu Boden brachte und überwältigte. Blutend und krankheitsbedingt völlig entkräftet gab O. seinen Widerstand auf und erklärte sich bereit, sein Geld herauszugeben. Der Angeklagte Ba., der nunmehr davon ausging, dass sich die Tat plangemäß umsetzen lasse, verbrachte den Geschädigten daraufhin ins Schlafzimmer und holte ihm ein Glas Wasser.
Um 18.58 Uhr rief der Angeklagte Ba. den A. aus vom Landgericht nicht näher aufklärbaren Gründen auf dessen Mobiltelefon an. Obschon gleichfalls nicht zweifelsfrei feststellbar war, ob es tatsächlich zu einem Gespräch zwischen den Angeklagten kam, nahm A. den Anruf jedenfalls zum Anlass, sich augenblicklich auf den Weg zu O. zu machen. Ein weiterer Anruf des Angeklagten Ba. um 19.00 Uhr erreichte A., der bereits am Tatort angekommen war, nicht mehr.
A. betrat das Haus durch die Terrassentür, während sich Ba. und O. noch im Schlafzimmer befanden. Da beide das auch diesmal durch das Öffnen der Terrassentür erzeugte Geräusch vernommen hatten, begab sich Ba. in die Küche und informierte A. darüber, dass der Geschädigte im Schlafzimmer sitze und die Herausgabe seines Geldes angekündigt habe. A. solle ungesehen in der Küche bleiben und warten.
Auf die nach Rückkehr ins Schlafzimmer gestellte Forderung des Ba. nach Geld und Gold händigte der Geschädigte diesem im Arbeitstrakt des Anwesens Bargeld im Wert von etwa 3.000 € aus. Obwohl dies dem Angeklagten Ba. nicht reichte, begleitete er den - noch immer völlig erschöpften - Geschädigten danach zunächst zurück in das Schlafzimmer. Zur Übergabe weiterer Barmittel begaben sich der Geschädigte und Ba. nach einer kurzen Pause zurück zum Wohnbereich des Hauses. Dort kam plötzlich A. aus der Küche, der sich zwischenzeitlich entschlossen hatte, O. zu töten. Möglicherweise hatte A. zuvor die an Ba. gerichtete Frage des Geschädigten gehört, ob dieser „den Om. “, also ihn, kenne, weil er beide am Vorabend zusammen gesehen hatte. Jedenfalls aber war A. der Meinung, von dem Geschädigten gesehen und erkannt worden zu sein. Mit der Tötung des Geschädigten wollte er verhindern, dass dieser ihn mit der Folge eines Ermittlungs- und Strafverfahrens gegen ihn anzeigen werde.
Der Angeklagte A. trat von hinten an den im Flur befindlichen Geschädigten heran, packte ihn, hielt ihm den Mund zu, brachte ihn rücklings zu Boden und würgte ihn unter erheblichem Krafteinsatz mindestens zwei Minuten lang, wodurch beide Kehlkopfhörner des Geschädigten brachen und dieser infolge des verursachten Sauerstoffmangels verstarb.
Der Angeklagte Ba., der zunächst mit einem Angriff auf das Leben des O. nicht gerechnet hatte, erkannte spätestens nach einer Minute, dass A. diesen bis zum Tode weiter würgen werde. Er blieb untätig und sah dem Geschehen aus nächster Nähe zu, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, den unbewaffneten und ihm körperlich nicht überlegenen A. von der weiteren Tatausführung abzuhalten. Aufgrund des gemeinsamen Tatplans, nach dem (auch) Ba. trotz des ihm bewussten erheblichen Risikos eines tödlichen Ausgangs zu Raubzwecken zur Anwendung körperlicher Gewalt gegen den Geschädigten bereit war, war A. davon ausgegangen, Ba. werde nicht eingreifen. Dieses Vorstellungsbild des A. war wiederum dem Angeklagten Ba. bewusst.
2. Das Landgericht hat den Mitangeklagten A. - zwischenzeitlich rechtskräftig - wegen Mordes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung mit Todesfolge schuldig gesprochen, sich aber keine Überzeugung von einer Verantwortlichkeit des Angeklagten Ba. für den Tod des O. zu bilden vermocht. Es ist insoweit davon ausgegangen, dass eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen ausscheide, weil es an der dafür von § 13 StGB vorausgesetzten Garantenstellung fehle. Zwar sei der Angeklagte Ba. auch selber zur Anwendung erheblicher Gewalt bereit gewesen und habe erkannt, dass A. seine Untätigkeit während der Tötungshandlung zum Inhalt seiner Tatvorstellung gemacht hatte. Ebenso sei ihm bewusst gewesen, dass das für A. handlungsleitende Entdeckungsrisiko gleichermaßen für seine Person bestand und nur durch den Tod des Geschädigten abzuwenden war. Eine Garantenstellung aus Ingerenz scheitere aber daran, dass A. den Geschädigten in unbedingtem Bestreben um Tatverdeckung in jedem Fall getötet hätte.
Die jeweils zulässigen Revisionen der Nebenklägerinnen (§ 395 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Abs. 2 Nr. 1, § 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO) haben mit der Sachrüge teilweise Erfolg. Die übereinstimmende Beanstandung, das Landgericht habe zu Unrecht eine Verurteilung des Angeklagten auch in Bezug auf die eingetretene Todesfolge abgelehnt, trifft - die leichtfertige Begehungsweise betreffend - zu. Soweit die Revisionen darüber hinaus auf eine Verurteilung des Angeklagten Ba. wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, jedenfalls durch Unterlassen (§ 13 StGB) zielen, dringen sie allerdings nicht durch.
1. Der Angeklagte ist auf der Grundlage der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge in Tateinheit mit räuberischer Erpressung (§ 239a Abs. 1 und 3, §§ 253, 255, 52 StGB) zu verurteilen.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Schwurgericht angenommen, der Angeklagte Ba. habe sich des erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung schuldig gemacht. Indes schöpft die rechtliche Würdigung des Schwurgerichts zum Vorteil des Angeklagten Ba. die getroffenen Feststellungen nicht aus. Denn diese belegen, dass er durch das vorsätzliche Sich-Bemächtigen eine Gefahrenlage für O. Leben schuf, die sich durch die spätere Eskalation im Tod des Opfers verwirklichte, so dass ihm die Todesfolge zuzurechnen ist (§ 18 StGB).
aa) Eine Verurteilung wegen einer Straftat nach § 239a Abs. 1 und 3 StGB setzt vorsätzliches Handeln hinsichtlich der Entführung und/oder Bemächtigung des Opfers voraus. Ein Beteiligter haftet nur für Folgen derjenigen Handlungen des den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Täters, soweit er die Begehung des Grunddelikts im Sinne des § 239a Abs. 1 StGB in seine Vorstellung von der Tat einbezogen hatte; nur hinsichtlich der schweren Folge genügt Leichtfertigkeit (§ 18 StGB). Voraussetzung ist zudem, dass der Tod des Opfers durch die Tat nach Abs. 1 der Strafnorm verursacht worden ist. Hat bei einem erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge lediglich einer von mehreren Tatbeteiligten den qualifizierenden Erfolg verursacht, so sind die anderen Beteiligten gemäß § 239a Abs. 1 und 3 StGB mithin nur strafbar, wenn sich ihr zumindest bedingter Vorsatz auf die Entführung oder gewaltsame Herstellung der Bemächtigungslage zum Zwecke der Erpressung erstreckt, der qualifizierende Erfolg im Zusammenhang mit der Herstellung oder Aufrechterhaltung der Bemächtigungslage herbeigeführt worden ist und ihnen in Bezug auf die Todesfolge wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist.
bb) Nach diesen Maßstäben ist dem Angeklagten Ba. der Tod des O. als Folge des von ihm in Gang gesetzten Geschehens zuzurechnen. Im Einzelnen:
(1) Bereits das Verhalten des Angeklagten Ba. selbst erfüllt den Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB. Denn der Angeklagte bemächtigte sich seines Opfers, indem er O. in seinem Haus überwältigte und ihn durch die Aufrechterhaltung dieser Zwangslage über nicht unerhebliche Zeit - etwa 30 Minuten lang - in seine physische Gewalt brachte (vgl. zu den Anforderungen, insbesondere im Zweipersonenverhältnis, bereits die umfangr. Nachw. im vorangegangenen Senatsurteil vom 20. April 2021 - 1 StR 286/20 Rn. 24; zur einschränkenden Auslegung auch BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 2022 - 3 StR 501/21 Rn. 6 und vom 10. Mai 2023 - 4 StR 515/22 Rn. 5 f. m. Anm. Kudlich/Schütz NStZ 2023, 677). An der für die erhöhte Strafandrohung des § 239a Abs. 3 StGB erforderlichen Leichtfertigkeit bestehen keine Zweifel. Leichtfertig ist ein Verhalten, das bezogen auf den Todeseintritt einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit aufweist; leichtfertig handelt hiernach, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit außer Acht lässt. Das Gewicht der Fahrlässigkeit hängt dabei nicht nur vom Umfang der Tatsachenkenntnis, sondern auch vom Grad der Vermeidbarkeit ab, also inwieweit sich die Gefahr des Erfolgseintritts namentlich wegen der besonderen Gegebenheiten der Opfersituation aufdrängen musste (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 1999 - 3 StR 331/99, BGHR StGB § 251 Leichtfertigkeit 1; vom 9. November 1984 - 2 StR 257/84, BGHSt 33, 66, 67 und vom 3. Juni 2015 - 5 StR 628/14 Rn. 7; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 17. März 2020 - 3 StR 574/19 Rn. 9 und vom 20. Oktober 1992 - GSSt 1/92, BGHSt 39, 100, 104). Die Möglichkeit eines eskalierenden und tödlichen Verlaufs lag von Beginn an auf der Hand.
(2) Zudem liegt auch der für § 239a Abs. 3 StGB erforderliche qualifikationsspezifische und aus der konkreten Schutzrichtung der Norm zu bestimmende Zusammenhang vor. Die deutlich erhöhte Strafdrohung für den erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge gebietet eine einschränkende Auslegung des Tatbestands. Eine wenigstens leichtfertige Todesverursachung durch die Tat ist danach nur dann anzunehmen, wenn nicht nur der Ursachenzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie gegeben ist, sondern sich im Tod des Opfers tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergehen (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 1985 - 2 StR 378/85, BGHSt 33, 322 ff. [zum Tatbestand der Geiselnahme]; vom 15. Mai 1992 - 3 StR 535/91, BGHSt 38, 295, 298 [zu § 251 StGB] und vom 14. Januar 2016 - 4 StR 72/15 Rn. 24). Dieser qualifikationsspezifische Zusammenhang ist allerdings auch dann gegeben, wenn der Tod des Opfers als Folge der dem Opfer während der Bemächtigungslage widerfahrenen Behandlung eintritt (vgl. LK-Schluckebier, 13. Aufl., § 239a Rn. 39; MüKoStGB-Renzikowski, 4. Aufl. 2021, § 239a Rn. 66; Schönke/Schröder-Eisele, 30. Aufl. 2019, StGB § 239a Rn. 30). Geschütztes Rechtsgut des § 239a StGB ist nicht nur die Willensfreiheit des Genötigten vor einer besonders schwerwiegenden und besonders verwerflichen Nötigung, sondern auch die körperliche Integrität des Entführten (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 1961 - 1 StR 442/61; vom 12. März 1974 - 1 StR 580/73 und vom 21. November 1974 - 4 StR 502/74, BGHSt 26, 70, 73; Beschlüsse vom 14. Mai 1996 - 4 StR 174/96 und vom 2. Oktober 1996 - 3 StR 378/96 Rn. 4 [jew. zu § 239b StGB]; so auch Heger in: Lackner/Kühl/Heger-StGB, 30. Aufl., § 239a Rn. 1; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 239a Rn. 2; Renzikowski in: MüKo-StGB, 4. Aufl. 2021, § 239a Rn. 3; Schluckebier in: LK-StGB, 13. Aufl., § 239a Rn. 1; Eisele in: Schönke/Schröder-StGB, 30. Aufl., § 239a Rn. 2). Mit der Entführung und Bemächtigung schafft der Täter eine für die Integrität des Opfers besonders verwerfliche Gefahrenlage. Die Verletzung oder sogar Tötung der Geisel stellt sich als „ständig gegenwärtige, sofort vollziehbare Aktualität“ dar, wobei die Eskalationsgefahr mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zunimmt (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1985 - 2 StR 378/85; Beschlüsse vom 14. Mai 1996 - 4 StR 174/96 und vom 2. Oktober 1996 - 3 StR 378/96 Rn. 4 [jew. zu § 239b StGB]; so auch Renzikowski in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, § 239a Rn. 3 mN). Gerade diese tatbestandsspezifische erhebliche Gefährdung der höchstpersönlichen Rechtsgüter der Geisel sind dem Gesetzgeber Anlass für die hohe Strafdrohung in § 239a Abs. 3 StGB gewesen (vgl. BT-Drucks. 11/2834, S. 9 f.).
Dieses tatbestandstypische Risiko hat sich vorliegend im Tod des O. verwirklicht und in der durch den Angeklagten Ba. geschaffenen Bemächtigung seinen Ausgang genommen. Mit zunehmender Dauer der Bemächtigung stieg nicht nur die Gefahr, O. könne infolge seines schlechten Gesundheitszustandes zu körperlichem Schaden kommen. Die Eskalationsgefahr erhöhte sich vor allem durch das Eintreffen des A. im Haus des O. in ganz erheblicher Weise. Seine Präsenz am Tatort begründete für den Angeklagten Ba. erkennbar die Gefahr, A. könne entweder in Raubabsicht oder um unerkannt zu bleiben - körperverletzende - Gewalt gegen O. ausüben. Die allein bei A. vorliegende Motivation der Tatverdeckung steht der Annahme des qualifikationsspezifischen Zusammenhangs nicht entgegen. Sein Exzess lässt den Zurechnungszusammenhang für den Angeklagten Ba., dessen erpresserischer Menschenraub noch nicht beendet war, nicht entfallen. Insbesondere liegt auch nicht die Konstellation der Todesverursachung durch das Eingreifen Dritter, die unter Umständen der Erfolgszurechnung entgegenstehen kann (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 17. März 2020 - 3 StR 574/19 Rn. 8 f.; ausführl. LK-Schluckebier, 13. Aufl., § 239a Rn. 40 ff. mwN) vor; denn A. ist Täter, nicht Dritter. Mithin hat der Angeklagte Ba. den Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge erfüllt.
b) Der erpresserische Menschenraub mit Todesfolge steht zur räuberischen Erpressung in Tateinheit (§ 52 StGB). Der erpresserische Menschenraub unterscheidet sich von der (vollendeten) Erpressung schon dadurch, dass hier die Absicht der Erpressung für die Vollendung der Tat genügt; zudem engt § 239a StGB die in Betracht kommenden Nötigungsmittel gegenüber § 253 StGB ein (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 1992 - 1 StR 243/92 Rn. 8 mwN, BGHR StGB § 239a Abs. 1 Konkurrenzen 1). Es liegt deshalb schon vor dem Hintergrund des nicht deckungsgleichen Schutzzwecks Tateinheit vor, wenn - wie hier - beide Tatbestände erfüllt sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2019 - 1 StR 424/18 Rn. 12; Beschlüsse vom 13. Dezember 2022 - 6 StR 423/22 Rn. 3 und vom 18. Mai 2010 - 3 StR 115/10 Rn. 6; jeweils mwN). Der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) tritt als subsidiär zurück; der Unwertgehalt der bloßen Untätigkeit geht in dem erfolgsqualifizierten Delikt des § 239a Abs. 3 StGB auf.
c) Der Schuldspruch gegen den Angeklagten Ba. ist auf der hierfür ausreichenden Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen entsprechend § 354 Abs. 1 StGB abzuändern. § 265 StPO steht nicht entgegen; denn es ist nicht erkennbar, dass sich der Angeklagte gegen den weitergehenden Schuldspruch nach dem bereits im vorangegangenen Urteil des Senats vom 20. April 2021 ausdrücklichen Hinweis auf eine mögliche Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge und den umfangreichen Ausführungen dazu (1 StR 286/20 Rn. 23 f.) wirkungsvoller als erfolgt hätte verteidigen können.
d) Die Schuldspruchänderung zieht wegen der unterschiedlichen Strafrahmen die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Der Aufhebung tatsächlicher Feststellungen bedarf es bei dem gegebenen Subsumtionsfehler nicht (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 210/02 Rn. 16 [insoweit nicht in BGHSt 47, 383 abgedr.]). Neue, für die Strafbemessung relevante Feststellungen dürfen getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
2. Im Übrigen sind die Revisionen der Nebenklägerinnen unbegründet.
a) Die von der Nebenklägerin B. erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
b) Mit der Schuldsprucherweiterung auf § 239a Abs. 3 StGB ist der Sachverhalt rechtlich erschöpfend ausgewertet. Soweit die jeweilige Sachrüge der Nebenklägerinnen B. und Ri. darauf zielt, auf der Grundlage der als rechtsfehlerfrei anerkannten Urteilsfeststellungen eine Verurteilung des Angeklagten Ba. wegen Totschlags durch Unterlassen, im Falle der Nebenklägerin R. sogar wegen Mordes zu erreichen, dringt sie nicht durch. Eine Garantenstellung des Ba. unter dem Gesichtspunkt vorangegangenen Tuns (Ingerenz) liegt ebenso wenig vor wie eine Beteiligung an der Tat des A. durch psychische Beihilfe (durch Unterlassen). Denn nach den - auch diesbezüglich nicht beanstandeten - Feststellungen bestärkte der Angeklagte Ba. den Angeklagten A. nicht in seiner auf die Tötung des Geschädigten gerichteten Handlung (vgl. dazu BGH, Urteile vom 26. Februar 2009 - 5 StR 572/08, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 25 Rn. 13; vom 25. September 1991 - 3 StR 95/91, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7 und vom 2. August 2023 - 5 StR 80/23 Rn. 21 mwN). Die Voraussetzungen der räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 253, 255 StGB) sind gleichfalls nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. April 1993 - 3 StR 14/93 Rn. 7-10, BGHR StGB § 251 Todesfolge 2 und vom 16. September 2009 - 2 StR 259/09, BGHR StGB § 251 Todesfolge 5 Rn. 4; Urteile vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 301/07 Rn. 9 und vom 14. Januar 2016 - 4 StR 72/15 Rn. 15). Schließlich scheidet neben dem vollendeten Delikt des § 239a Abs. 1, 3 StGB auch eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 223, 227 StGB) aus (vgl. BGH, Urteile vom 23. August 2017 - 2 StR 150/16 Rn. 18 und vom 23. März 2000 - 4 StR 650/99, BGHSt 46, 24, 25 ff.).
Die Revision des Angeklagten Ba. führt zur Änderung des Schuldspruchs. Dieser ist entsprechend dem Erfolg der Revisionen der Nebenklägerinnen entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu verschärfen; jedoch hat die Revision des Angeklagten auch zu seinen Gunsten zum (konkurrenzrechtlichen) Entfallen der tatmehrheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung zur Folge (§ 323c StGB).
Der Wegfall der Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs. Es bedarf nicht der Entscheidung, ob das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung die Anwendung des § 46b StGB rechtsfehlerfrei abgelehnt hat. Nach den bindenden Feststellungen liegen die sachlichen Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB vor. Der Umstand, dass der Angeklagte Ba. seine eigenen Tatbeiträge möglicherweise nicht wahrheitsgemäß geschildert und sein Aussageverhalten (mehrfach) taktisch geändert hat, steht der Anwendung der Vorschrift des § 46b Abs. 1 StGB nicht grundsätzlich entgegen, sondern ist im Rahmen der nach § 46b Abs. 2 StGB erforderlichen Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 20. März 2014 - 3 StR 429/13 Rn. 16 mwN). Innerhalb dieser vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensentscheidung, hinsichtlich derer das Tatgericht aufgrund einer umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände zu entscheiden hat, ob eine Strafrahmenverschiebung geboten ist (BGH, Urteile vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 426/12 Rn. 3 f. und vom 25. September 2018 - 5 StR 251/18, BGHSt 63, 210 Rn. 11), kann eine solche gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt eines wechselnden Aussageverhaltens und dessen negativen Auswirkungen auf den tatsächlichen Aufklärungseffekt abgelehnt werden (BT-Drucks. 16/6268, S. 14; vgl. dazu BGH, Urteile vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 426/12 Rn. 3 und vom 29. September 2021 - 2 StR 313/20 Rn. 30; Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 141/11, BGHR StGB § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufdeckung 2).
Soweit die tatmehrheitlich abgeurteilte unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) im Schuldspruch entfällt, kommt ein Teilfreispruch nicht in Betracht, da sämtliche dem Angeklagten in der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage als tateinheitlich begangen zur Last gelegten Tatvorwürfe erwiesen sind und ein Angeklagter wegen desselben Tatgeschehens nicht zugleich verurteilt und freigesprochen werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Januar 2004 - 4 StR 415/03; vom 11. November 2015 - 5 StR 437/15 Rn. 2 und vom 12. Oktober 2017 - 4 StR 302/17 Rn. 3).
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 StPO an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 524
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede