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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 528

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 75/24, Beschluss v. 03.04.2024, HRRS 2024 Nr. 528


BGH 1 StR 75/24 - Beschluss vom 3. April 2024 (LG Augsburg)

Raub (Zueignungsabsicht: Aneignungsabsicht im Zeitpunkt der Wegnahmehandlung, geplante Entsorgung der weggenommenen Sache); räuberische Erpressung (Bereicherungsabsicht: angestrebter Besitz als Vermögensvorteil, hier: Abpressen eines Handys als “Denkzettel”).

§ 249 Abs. 1 StGB; § 253 Abs. 1 StGB; § 255 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Zueignungsabsicht im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen Dritten erlangen und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines Dritten „einverleiben“ will. Der Täter muss mithin neben der dauernden Enteignung des Berechtigten, für die bedingter Vorsatz genügt, die Aneignung der Sache beabsichtigen. Hierfür ist nicht erforderlich, dass er diese auf Dauer behalten will.

2. Jedoch muss er die - wenn auch möglicherweise nur vorübergehende - Aneignung zum Wegnahmezeitpunkt mit unbedingtem Willen erstreben. Andernfalls handelt es sich lediglich um eine Sachentziehung, die - auch wenn der bisherige Eigentümer damit dauerhaft aus seiner Position verdrängt wird - keine Form der Aneignung ist. Deshalb ist eine Aneignungsabsicht zu verneinen, wenn der Täter die Sache - ohne sie behalten zu wollen - an sich bringt, um sie sogleich zu beschädigen oder wegzuwerfen oder gar zu zerstören.

3. Ist die Aneignung abgeschlossen, wirkt es sich auf die Zueignungsabsicht nicht mehr aus, wie der Täter sodann mit dem erlangten Gegenstand verfährt. Mithin kommt es auch in Fällen, in denen der Täter die Entsorgung der Sache erstrebt, darauf an, ob er diese zunächst körperlich oder wirtschaftlich seinem Vermögen einverleiben will, er also beabsichtigt, sie - möglicherweise auch nur vorübergehend - für sich zu haben oder wirtschaftlich zu nutzen.

4. Der Täter kann die Sache in sein Vermögen etwa dadurch körperlich einverleiben, dass er sie unter Ausschluss des wahren Berechtigten von der Ausübung der Sachherrschaft der eigenen eigentümerähnlichen Verfügungsgewalt unterwirft, sich also zum Zeitpunkt der Wegnahme offenhält, wie er im Anschluss mit der Sache verfahren will. Ob bei einer der geplanten Entsorgung vorausgehenden Nutzung der entwendeten Sache diese dem Vermögen des Täters zugeführt werden soll, ist letztendlich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Dabei ist jeweils insbesondere von Bedeutung, ob er in irgendeiner Weise im weitesten Sinne wirtschaftlich von dem Gebrauch profitieren und aus der Nutzung mittelbar oder unmittelbar einen irgendwie gearteten wirtschaftlichen oder jedenfalls materiellen Vorteil ziehen will.

5. Der bloße Besitz einer Sache ist aber nur dann ein Vermögensvorteil im Sinne des § 253 StGB, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt. Die erforderliche Bereicherungsabsicht fehlt auch dann, wenn es dem Täter beim Abpressen eines Mobiltelefons nur darum geht, dem Opfer einen Denkzettel zu verpassen oder es zu isolieren.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 5. Dezember 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen, haben Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten sich die Angeklagten mit dem Zeugen A. im Frühjahr 2023 zerstritten und gegenseitig über die Plattform T. beleidigt. Die Angeklagten entschlossen sich daher, dem A. „eine Abreibung zu verpassen“, ihn einzuschüchtern, zu erniedrigen und ihm dessen Mobiltelefone wegzunehmen, damit er sich „- zumindest für eine gewisse Zeit“- (UA S. 11) nicht mehr über T. äußern könne. Am 12. Juli 2023 gegen 1.15 Uhr drangen sie in A. s Zimmer ein. Der Angeklagte H. schlug A. mit der flachen Hand auf dessen Brust und drückte ihn auf das Sofabett; er versuchte, die Zunge des Geschädigten herauszuholen, und schlug ihm gegen den Mund. Der Angeklagte Hu. hielt dem A. einen Wurfdolch dicht vor die Schulter sowie das Gesicht und schlug ihn gegen die linke Gesichtshälfte sowie den Kiefer. Zudem drohte er dem Geschädigten, dessen Zunge herauszuschneiden und ihn „abzuschlachten“, weil er ihre Ehre verletzt habe. Mit der Gewalt und der Bedrohung wollten die Angeklagten sich vor allem an A. rächen und ihn erniedrigen, aber auch zugleich die Wegnahme der Mobiltelefone ermöglichen. Während der Angeklagte H. den Zeugen festhielt, fasste der Angeklagte Hu. in dessen Hosentasche und ergriff dessen Mobiltelefon; zudem nahm er von einem Beistelltisch ein weiteres Mobiltelefon an sich, das, was die Angeklagten nicht wussten, tatsächlich dem Zeugen Ha. gehörte. Dabei sagte der Angeklagte Hu., dass er die Handys an sich nehme, weil A. sie beleidigt und beschimpft habe. Mit den Mobiltelefonen, die sie „zumindest vorübergehend für sich […] behalten“ wollten (UA S. 12), rannten die beiden Angeklagten aus der Unterkunft, als A. weiterhin um Hilfe rief.

2. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Feststellung zum Tatbestandsmerkmal der Absicht, sich die weggenommenen fremden Sachen zuzueignen (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB), ist nicht in der Beweiswürdigung unterlegt; eine tragfähige Begründung für die erforderliche Aneignungsabsicht kann auch nicht dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden.

aa) Die Zueignungsabsicht setzt voraus, dass der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen Dritten erlangen und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines Dritten „einverleiben“ will. Der Täter muss mithin neben der dauernden Enteignung des Berechtigten, für die bedingter Vorsatz genügt, die Aneignung der Sache beabsichtigen. Hierfür ist nicht erforderlich, dass er diese auf Dauer behalten will. Jedoch muss er die - wenn auch möglicherweise nur vorübergehende - Aneignung zum Wegnahmezeitpunkt mit unbedingtem Willen erstreben. Andernfalls handelt es sich lediglich um eine Sachentziehung, die - auch wenn der bisherige Eigentümer damit dauerhaft aus seiner Position verdrängt wird - keine Form der Aneignung ist. Deshalb ist eine Aneignungsabsicht zu verneinen, wenn der Täter die Sache - ohne sie behalten zu wollen - an sich bringt, um sie sogleich zu beschädigen oder wegzuwerfen oder gar zu zerstören.

Ist die Aneignung abgeschlossen, wirkt es sich auf die Zueignungsabsicht nicht mehr aus, wie der Täter sodann mit dem erlangten Gegenstand verfährt. Mithin kommt es auch in Fällen, in denen der Täter die Entsorgung der Sache erstrebt, darauf an, ob er diese zunächst körperlich oder wirtschaftlich seinem Vermögen einverleiben will, er also beabsichtigt, sie - möglicherweise auch nur vorübergehend - für sich zu haben oder wirtschaftlich zu nutzen. Der Täter kann die Sache in sein Vermögen etwa dadurch körperlich einverleiben, dass er sie unter Ausschluss des wahren Berechtigten von der Ausübung der Sachherrschaft der eigenen eigentümerähnlichen Verfügungsgewalt unterwirft, sich also zum Zeitpunkt der Wegnahme offenhält, wie er im Anschluss mit der Sache verfahren will. Ob bei einer der geplanten Entsorgung vorausgehenden Nutzung der entwendeten Sache diese dem Vermögen des Täters zugeführt werden soll, ist letztendlich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Dabei ist jeweils insbesondere von Bedeutung, ob er in irgendeiner Weise im weitesten Sinne wirtschaftlich von dem Gebrauch profitieren und aus der Nutzung mittelbar oder unmittelbar einen irgendwie gearteten wirtschaftlichen oder jedenfalls materiellen Vorteil ziehen will (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 - 3 StR 536/18, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Zueignungsabsicht 15 Rn. 16 f. mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Wenn der Täter neben der Aneignung mit der Wegnahme ein weiteres Ziel erstrebt, steht dies der Annahme der Zueignungsabsicht nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 1992 - 1 StR 554/92 Rn. 6, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 5).

bb) Die Beweiswürdigung lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht dieses Maßstabs bewusst war. So heißt es, dass „nicht der Wert der Mobiltelefone im Vordergrund stand“ (UA S. 40; UA S. 46: „nicht primär“; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. März 2020 - 2 StR 504/19 Rn. 11 aE). Was die Angeklagten mit den Telefonen nach dem Verlassen des Tatorts machten, ist nicht aufgeklärt; so lässt etwa die Wiedergabe der Auswertung von Videos, in denen der Angeklagte Hu. sich der Tat rühmte, nicht erkennen, dass die Handys noch in seinem Besitz waren (UA S. 43). Der Beweiswürdigung ist nur zu entnehmen, dass die Angeklagten die Mobiltelefone nicht zurückgaben und diese nicht aufgefunden werden konnten, insbesondere nicht bei der Durchsuchung am 24. August 2023 (UA S. 45). Der fehlende Rückgabewille trägt nur die dauernde Enteignung, wobei „für eine gewisse Zeit“ den Zeitraum meint, innerhalb dessen sich A. ein neues Mobiltelefon beschaffen musste und er solange keinen Zugang zu T. hatte. Den Angeklagten ging es zum Zeitpunkt der Wegnahme vor allem darum, weitere Äußerungen A. s auf T. zu unterbinden und ihn zu erniedrigen. Damit liegt es aber gerade nicht auf der Hand, dass die Angeklagten den Bestand ihres Vermögens durch - wenn auch nur vorübergehende - Zuführung der Substanz oder des Sachwerts der Mobiltelefone mehren wollten. Ob sie die Telefone zweckentsprechend benutzen oder später wirtschaftlich verwerten wollten oder zumindest beabsichtigten, diese auf unbestimmte Zeit zur beliebigen Verwendung in Besitz zu halten, ist offengeblieben.

b) Der Schuldspruch kann auch nicht in eine besonders schwere räuberische Erpressung (§ 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) abgeändert werden.

aa) Bei fehlender Zueignungsabsicht kann die Strafvorschrift der räuberischen Erpressung angewendet werden. Dazu müssten die Angeklagten in der Absicht gehandelt haben, sich oder einen Dritten zu bereichern. Der bloße Besitz einer Sache ist aber nur dann ein Vermögensvorteil, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt (BGH, Beschluss vom 10. März 2020 - 2 StR 504/19, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 21 Rn. 8 f.; Urteil vom 17. Oktober 2019 - 3 StR 536/18 Rn. 19; jeweils mwN). Die erforderliche Bereicherungsabsicht fehlt auch dann, wenn es dem Täter beim Abpressen eines Mobiltelefons nur darum geht, dem Opfer einen Denkzettel zu verpassen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 4 StR 175/11, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 20 Rn. 4 mwN) oder es zu isolieren (BGH, Beschluss vom 10. März 2020 - 2 StR 504/19, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 21 Rn. 9).

bb) Hieran gemessen ist aus den genannten Gründen (Rn. 7) eine Bereicherungsabsicht der Angeklagten nicht tragfähig beweiswürdigend belegt.

c) Die Aufhebung umfasst wegen der Einheitlichkeit der Tat die gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB), auch wenn diese für sich genommen rechtsfehlerfrei festgestellt ist. Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite zu ermöglichen, hebt der Senat vorsorglich alle Feststellungen einschließlich derjenigen zum äußeren Tatgeschehen auf. Insbesondere wird aufzuklären sein, wie die Angeklagten mit den Telefonen verfahren sind und ob dies tragfähige Rückschlüsse auf ihren Willen zum Tatzeitpunkt zulässt.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 528

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede