HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2024
25. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

521. BGH 1 StR 106/24 – Beschluss vom 18. April 2024 (LG Ulm)

Besonders schwerer Fall des unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis (Grenzwert der nicht geringen Menge: Bestimmung; Begriff des Handeltreibens: Übertragung der bisherigen Grundsätze zu den §§ 29 ff. BtMG).

§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG; § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG; § 29 BtMG; § 29a BtMG; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Der Grenzwert der nicht geringen Menge für Tetrahydrocannabinol im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG beträgt 7,5 g.

2. Hinsichtlich der in § 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG beschriebenen Tathandlung des „Handeltreibens“ hat der Gesetzgeber sind die zu den in §§ 29 ff. BtMG unter Strafe 3 gestellten Handlungsformen entwickelten Grundsätze auf § 34 Abs. 1 KCanG zu übertragen. Auch die konkurrenzrechtliche Bewertung hat sich gegenüber der bisherigen Rechtslage nicht geändert.


Entscheidung

631. BGH 5 StR 228/23 – Beschluss vom 30. Januar 2024 (LG Berlin)

Relevanz des Vermögensschadens beim Subventionsbetrug (wirtschaftlicher Vermögensbegriff; Vermögen der öffentlichen Hand; Schadensberechnung; Saldierungsprinzip; Kompensation, zweckgemäße Verwendung; formale Anspruchsvoraussetzungen; täuschungsbedingte Auszahlung der Fördersumme).

§ 263 StGB; § 264 StGB

1. Bei § 264 StGB ist der Eintritt eines Schadens oder dessen Höhe für die Verwirklichung des Tatbestandes ohne Relevanz, kann jedoch auf der Ebene der Strafzumessung ggf. strafschärfend berücksichtigt werden.

2. Sofern bei Täuschungen im Rahmen von Subventionszahlungen eine Strafbarkeit nach § 263 StGB angenommen wurde, hat der Bundesgerichtshof zur Berechnung der Schadenshöhe im Rahmen des Abrufs bereits bewilligter Fördermittel gegen Rechnungsnachweis erkannt, dass es dabei nicht darauf ankomme, ob der eingereichte Beleg „formal“ korrekt, sondern ob die Leistung dem Subventionszweck entsprechend erbracht worden sei (vgl. zuletzt etwa BGH HRRS 2014 Nr. 512). Der Senat hat aus unterschiedlichen Gründen (hier letztlich nicht entscheidungserhebliche) Bedenken, dem zu folgen. Im Einzelnen:

a) Mit Blick auf § 263 StGB verkennt die bisherige Judikatur aus Sicht des Senats, dass die öffentliche Hand die Auszahlung von Fördermitteln zu Recht gerade auch deshalb von der Vorlage wahrheits- und ordnungsgemäßer Rechnungen abhängig macht, um Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Lohndumping, illegale Beschäftigung oder eine andere den öffentlichen Interessen zuwiderlaufende Mittelverwendung auszuschließen. Werden entgegen den Förderbedingungen Scheinrechnungen eingereicht und irrtümlich für ordnungsgemäß gehalten, zahlt der Subventionsgeber täuschungsbedingt eine Fördersumme aus, die er bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht ausgezahlt hätte. Dass diese täuschungsbedingte Vermögensminderung nicht in Höhe des Auszahlungsbetrages zu einem Schaden führen soll, weil zuvor Gelder gemäß dem Förderzweck investiert wurden, widerspricht der Betrugsdogmatik.

b) Für das Vermögen der öffentlichen Hand gilt hinsichtlich der Berechnung des Vermögensschadens nichts anderes als für die Vermögen anderer Vermögensinhaber. Die Besonderheit besteht bei der Gewährung von Subventionen lediglich darin, dass die „Gegenleistung“ des Empfängers in der Erbringung bestimmter Leistungen zur Erfüllung des Subventionszwecks besteht. Wie in anderen Konstellationen gilt aber auch hier: Erbringt der Zahlungsempfänger eine Leistung vorab und täuscht anschließend im Rahmen der Abrechnung über das Vorliegen tatsächlicher Anspruchsvoraussetzungen, ist der gesamte ausgezahlte Betrag als Betrugsschaden anzusehen, wenn unter diesen Bedingungen kein Rechtsanspruch auf die Zahlung besteht. Für die wirtschaftliche Bewertung eines Zahlungsvorganges sind die rechtlichen Rahmenbedingungen maßgeblich. Dies spiegelt wider, dass erst die Anerkennung einer Forderung durch die Rechtsordnung dieser in einem Rechtsstaat wirtschaftlichen Wert verleiht.

c) Der vor der Auszahlung geleistete Einsatz von Mitteln zur Erfüllung des Subventionszwecks hat bei der Schadensberechnung grundsätzlich außen vor zu bleiben. Liegen nach grundsätzlicher Bewilligung der Subvention die Voraussetzungen für eine Auszahlung der Fördersumme nicht vor, hat der Subventionsnehmer keinen Rechtsanspruch darauf. Leistet die öffentliche Hand gleichwohl, leistet sie ohne Rechtsgrund. Dieser Vermögensabfluss wird nicht kompensiert. Denn bei der insoweit im Zeitpunkt der Vermögensverfügung gebotenen Gesamtsaldierung sind keine vermögenswerten Vorteile der öffentlichen Hand ersichtlich, die ihr gleichzeitig mit der Auszahlung der Fördersumme für bereits geleistete Investitionen zufließen würden.

d) Ob der Subventionsempfänger zuvor Teile der zugesagten, aber noch nicht ausgezahlten Fördersumme im Sinne des Subventionszwecks verwendet hat oder nicht, kann schon in zeitlicher Hinsicht zu keiner schadensmindernden Kompensation führen. Dass der Subventionsempfänger in Ansatz gebrachte Leistungen auch ordnungsgemäß hätte abrechnen können, muss als bloß hypothetische Erwägung außen vor bleiben. Beim Subventionsbetrug durch

Täuschung über die Auszahlungsbedingungen einer zuvor zugesagten Förderung geht es demnach regelmäßig nicht um die Bestimmung des wirtschaftlichen Werts einer zuvor erbrachten „Gegenleistung“, sondern um die Frage, ob im Zeitpunkt der Auszahlung tatsächlich ein Anspruch darauf besteht.

e) Der Senat hält es ferner für bedenklich, die zur Schadensbestimmung im Rahmen von § 263 StGB entwickelte Rechtsprechung begründungslos auf § 264 StGB zu übertragen. Weshalb für ein bloßes Gefährdungsdelikt die gleichen Maßstäbe wie für ein Erfolgsdelikt gelten sollen, erschließt sich nicht ohne weiteres. Einen „Schaden“ der öffentlichen Hand setzt § 264 StGB nicht voraus, so dass auch Erwägungen zu einer etwaigen Schadenskompensation durch Erreichung des Förderzwecks nicht angebracht sind. Solche Elemente des § 263 StGB in die vom Gesetzgeber ganz anders konzipierte Vorschrift des § 264 StGB zu übernehmen, überzeugt nicht.


Entscheidung

584. BGH 3 StR 220/23 – Urteil vom 7. März 2024 (LG Düsseldorf)

Beschränkung der Revision (Einheitlichkeit der Sanktionsbestimmung im Jugendstrafrecht und Unzulässigkeit einer revisionsrechtlichen Beschränkung auf den Strafausspruch); Verhängung einer Jugendstrafe (Schwere der Schuld; Einbeziehung von Vorverurteilungen); Strafzumessung (Berücksichtigung der Wirkung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe); Erörterungsmangel hinsichtlich einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 5 Abs. 3 JGG; § 17 Abs. 2 JGG; § 31 Abs. 2 JGG; § 46 StGB; § 56 StGB; § 64 StGB

1. Nach § 5 Abs. 3 JGG besteht im Jugendstrafrecht grundsätzlich ein untrennbarer sachlicher Zusammenhang zwischen Strafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; eine Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch unter Ausschluss der Maßregeln ist insoweit grundsätzlich unzulässig.

2. Die Schwere der Schuld i.S. des § 17 Abs. 2 JGG ist immer dann zu erörtern und in einer umfassenden Abwägung nach jugendspezifischen Kriterien zu bestimmen, wenn nach dem maßgeblichen Anknüpfungspunkt der inneren Tatseite und dem hierfür relevanten äußeren Unrechtsgehalt der Tat(en) die Verhängung von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld in Betracht kommt, so unter anderem bei schweren Gewaltdelikten.

3. Das Tatgericht hat zunächst die schuldangemessene Strafe zu finden; erst wenn sich ergibt, dass die der Schuld entsprechende Strafe innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 oder 2 StGB liegt, ist Raum für die Prüfung, ob auch die sonstigen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gegeben sind.

4. Eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist über die aus § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO folgende Pflicht hinaus auch ohne entsprechenden Antrag im Urteil zu begründen, wenn sich die Anordnung nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängt.


Entscheidung

587. BGH 3 StR 385/23 – Urteil vom 22. Februar 2024 (LG Wuppertal)

Verhängung einer Jugendstrafe (Einbeziehung von Vorverurteilungen: Mitteilung des Vollstreckungsstandes in den Urteilsgründen); Anrechnung eines bereits vollstreckten „Warnschussarrests“ im Vollstreckungsverfahren.

§ 16a Abs. 1 JGG; § 31 Abs. 2 JGG

1. § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG sieht grundsätzlich eine Einbeziehung bereits rechtskräftiger Entscheidungen, solange sie noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt sind, in ein neues Urteil und die Verhängung einer einheitlichen Maßnahme für alle Taten vor. Dabei sind auch solche Entscheidungen ausdrücklich – unter Aufnahme in den Tenor – einzubeziehen, die ihrerseits bereits in ein weiteres einbeziehungsfähiges Urteil einbezogen wurden. Damit dem Revisionsgericht eine Prüfung möglich ist, ob eine Einbeziehung zu Recht erfolgt oder unterblieben ist, muss sich das Tatgericht im Urteil sowohl bei Einbeziehung wie Nichteinbeziehung einer früheren rechtskräftigen Entscheidung zu deren Erledigungsstand ausdrücklich verhalten.

2. Es bedarf keiner Entscheidung des Jugendgerichts über eine Anrechnung eines durch ein einbezogenes Urteil verhängten und vollstreckten „Warnschussarrests“ (§ 16a Abs. 1 JGG) gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 JGG. Denn ein Kopplungs-Jugendarrest nach § 16a Abs. 1 JGG ist gemäß § 31 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 26 Abs. 3 Satz 3 JGG von Gesetzes wegen im Vollstreckungsverfahren anzurechnen. Dabei handelt es sich um eine obligatorische Regelung, weshalb es insofern keines gerichtlichen Ausspruchs bedarf.


Entscheidung

633. BGH 5 StR 428/23 – Urteil vom 13. März 2024 (LG Hamburg)

Einheitliche Anwendung von Jugendstrafrecht bei gleichzeitiger Aburteilung von in unterschiedlichen Altersstufen begangenen Straftaten (Schwergewicht; Anlage der späteren in früheren Taten); Konkurrenzen bei Verurteilung wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.

§ 32 JGG; § 29 BtMG; § 27 StGB; § 52 StGB

1. Nach § 32 Satz 1 JGG gilt einheitlich das Jugendstrafrecht für mehrere gleichzeitig abgeurteilte Straftaten, auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, wenn das Schwergewicht bei den nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Taten liegt. Die Beurteilung des Schwergewichts hängt auch davon ab, ob sich die späteren Straftaten im Erwachsenenalter als in den früheren bereits angelegt darstellen. Bei dieser Prüfung gilt im Einzelnen Folgendes.

a) Die Zahl der Straftaten und deren äußere Schwere sind zwar Anzeichen dafür, dass bei dieser Gruppe von Taten das Schwergewicht liegt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, Jugendstrafrecht selbst dann anzuwenden, wenn zwar die Mehrzahl der Straftaten im Erwachsenenalter begangen wurde, die in diesem Alter begangenen Straftaten aber letztlich aus den früheren Taten entstanden sind und sich dort die Tatwurzeln finden.

b) Die Prüfung nach § 32 JGG erfasst lediglich die von der Staatsanwaltschaft angeklagten Taten, die nach Eröffnung des Hauptverfahrens der Kognitionspflicht des Tatgerichts unterliegen (§ 264 StPO) und Gegenstand gleichzeitiger Aburteilung sind. Andere als angeklagte und abgeurteilte Taten sind schon aus systematischen Gründen nicht geeignet, eine Grundlage für die nach § 32 Satz 1 JGG vorausgesetzte Schwergewichtsprüfung zu bilden.

c) Dass delinquentes Verhalten im Erwachsenenalter – wie nicht selten – seine Ursache (auch) in Umständen hat, die in die Jugend- und Heranwachsendenzeit fallen, reicht für die Anwendung von § 32 Satz 1 JGG nicht aus. Verglichen werden müssen vielmehr ausschließlich die zur Verurteilung anstehenden Taten untereinander, und zwar diejenigen im Jugend- oder Heranwachsendenalter mit denen im Erwachsenenalter. Dies allein ist Bezugspunkt für die Prüfung, wo (auch unter Berücksichtigung der „Wurzel“ späterer Taten) das Schwergewicht der Taten liegt, nicht ein allgemein deliktisches Verhalten in der Jugend- oder Heranwachsendenzeit, das möglicherweise die „Wurzel“ aller zur Aburteilung anstehenden Straftaten des Angeklagten ist.

2. Der Verkauf von Teilmengen aus einem Vorrat an Betäubungsmitteln stellt auf diesen Vorrat bezogen insgesamt nur eine Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dar. Fördern mehrere Beihilfehandlungen eine solche Haupttat, werden sie wegen der Akzessorietät der Beihilfe zu einer (Beihilfe-)Tat im Rechtssinne zusammengefasst.


Entscheidung

641. BGH 5 StR 581/23 – Beschluss vom 14. März 2024 (LG Berlin)

Bandenmäßige Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (mittäterschaftliche Beteiligung am Einfuhrvorgang).

§ 29 BtMG; § 30a BtMG; § 25 Abs. 2 StGB

1. Der Tatbestand der Einfuhr erfordert keinen eigenhändigen Transport des Betäubungsmittels über die Grenze. Als Mittäter einer Einfuhr im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB kommt ein Beteiligter auch in Betracht, wenn das Rauschgift von einer anderen Person in das Inland verbracht wird. Voraussetzung ist ein die Tatbegehung objektiv fördernder Beitrag, der sich als ein Teil der Tätigkeit aller darstellt und der die Handlungen der anderen als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheinen lässt.

2. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung zu beurteilen, bei welcher der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu von besonderer Bedeutung sind; im Ergebnis müssen die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt bei allen diesen Merkmalen ist der Einfuhrvorgang selbst.