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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 531

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 363/23, Urteil v. 24.01.2024, HRRS 2024 Nr. 531


BGH 1 StR 363/23 - Urteil vom 24. Januar 2024 (LG Konstanz)

Mord (Heimtücke: Voraussetzungen; niedrige Beweggründe: erforderliche Feststellungen bei Motivbündeln, Gesamtwürdigung auch des Vor- und Nachtatverhaltens).

§ 211 StGB; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Bei einem Motivbündel beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist. Kann das Gericht bei mehreren in Betracht kommenden tatbeherrschenden Motiven zu keiner eindeutigen Festlegung gelangen, weil es keinen von mehreren nach dem Beweisergebnis in Betracht kommenden Beweggründen ausschließen kann, so ist eine Verurteilung wegen Mordes möglich, wenn jeder dieser Beweggründe als niedrig anzusehen ist. Das Tatgericht darf sich deshalb nicht auf die bloße Darstellung möglicher Motive beschränken, sondern muss diese, auch unter Berücksichtigung des Vor- und Nachtatverhaltens des Täters, gemäß dem dargestellten Maßstab gewichten.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 12. Juni 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision, dass die Strafkammer das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint hat. Die Revision der Nebenklägerin richtet sich zudem gegen die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte mit der 24 Jahre alten P. seit Frühjahr 2021 eine Beziehung, ohne dass es zu gewaltsamen Übergriffen kam. Diese Beziehung beendete er mehrfach vorübergehend mit der Begründung, er liebe sie nicht mehr und habe Affären mit anderen Frauen. Nach Wiederaufnahme der Beziehung folgten regelmäßig Streitigkeiten, deren Auslöser Vorhaltungen seiner Lebensgefährtin waren. Diese waren auf ihre begründete Eifersucht, seinen Drogenkonsum, seine häufige - nicht arbeitsbedingte - Abwesenheit und die Vernachlässigung ihrer Belange gestützt.

Am 13. Januar 2023 kehrte der Angeklagte nach Erledigung seiner Arbeit als „Minijobber“ in die gemeinsame Wohnung zurück, beachtete seine Lebensgefährtin aber nicht. Es folgte ein Streit im Wohnzimmer, in welchem sie erneut seinen Drogenkonsum beanstandete sowie das Aufsuchen des Profils seiner „Ex-Freundin“ im Internet. Sie begannen sich gegenseitig zu schubsen und gingen schließlich zu Boden. Der Angeklagte ergriff ein unter dem Couchtisch liegendes Ladekabel, wickelte es seiner Lebensgefährtin zweimal um den Hals und zog mit beiden Händen längere Zeit fest zu. Ihren Tod nahm er zumindest billigend in Kauf. Dieser trat in enger zeitlicher Folge zum Strangulieren ein. Anschließend warf er den leblosen Körper vom Balkon in das darunterliegende, schwer zugängliche und dicht bewachsene Gelände. Dann nahm er die SIM-Karte aus dem Mobiltelefon der Getöteten und versteckte das Telefon im Schlafzimmer. Ihren Geldbeutel verbarg er im Wohnzimmer. Ihre Smart Watch zerstörte er. Ihre kleine Katze tötete er mit mehreren Tritten und legte sie zusammen mit der zerstörten Uhr in einen Müllsack auf den Balkon. Bekannten erzählte er, seine Lebensgefährtin sei nach einem Streit weggegangen und habe den gemeinsamen Sohn zurückgelassen. Das sei eine „richtig verantwortungslose Aktion“. Der aus Anlass einer Vermisstenmeldung eintreffenden Polizeistreife erklärte er, er habe seiner Lebensgefährtin gesagt, dass er sich trennen wolle, weil er sie nicht mehr liebe; dann habe sie mit ihrem Mobiltelefon nebst Ladekabel und ihrem Geldbeutel die Wohnung verlassen. Bereits am 14. Januar 2023 schrieb der Angeklagte auf der Suche nach neuen sexuellen Kontakten verschiedene Frauen an. Am 17. Januar 2023 traf er sich mit einer dieser Frauen und stellte seine Lebensgefährtin als unverantwortlich dar, weil sie ihn und ihre Kinder im Stich gelassen habe. In einer Sprachnachricht an eine weitere Bekannte äußerte er, sie könne „höchstens nur irgendwo tot jetzt liegen“ und ihn „jucke“ das „eigentlich jetzt nicht mehr“. Als ihm eine Freundin der Getöteten mitteilte, die Polizei werde die Suche nach seiner Lebensgefährtin fortsetzen, äußerte er, dass sie „ja mal im Tierheim gucken könnten, vielleicht sei sie dort abgegeben worden“.

2. Das Landgericht hat die Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe und der Heimtücke verneint und den Angeklagten wegen Totschlags verurteilt.

Niedrige Beweggründe hat die Strafkammer mit der Begründung abgelehnt, sie könne nicht ausschließen, dass die Tat „auf einer Überforderung in der Situation, einer Zermürbung aufgrund der immer wiederkehrenden Streitereien“ beruht habe. Eine heimtückische Tötung hat sie verneint, weil der Angeklagte frühestens mit Beginn der Strangulation mit dem Ladekabel einen Tötungsvorsatz gefasst habe und „mangels konkreter Feststellungen zum vorangegangenen Geschehen“ offengeblieben sei, ob sie zu diesem Zeitpunkt (noch) arglos war oder ihre Arglosigkeit, „etwa nach einem möglichen kräftigen Schlag ins Gesicht“, verloren und sie noch eine Abwehr- oder Fluchtmöglichkeit gehabt habe.

II.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben Erfolg. Die Begründung, mit der das Landgericht die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe verneint hat, hält jeweils rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat in seine rechtliche Würdigung der Voraussetzungen einer heimtückischen Tötung auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen rechtsfehlerhaft spekulative Erwägungen eingestellt.

a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 - 1 StR 86/13 Rn. 24). Der Angriff beginnt allerdings nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung, sondern umfasst auch die unmittelbar davor liegende Phase (BGH, Urteil vom 24. Mai 2023 - 2 StR 320/22 Rn. 12 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 - 1 StR 86/13 Rn. 24). Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen oder zu fliehen (BGH, Urteil vom 24. Mai 2023 - 2 StR 320/22 Rn. 11 mwN). Ein Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig gegenübertritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 24. Mai 2023 - 2 StR 320/22 Rn. 12 und vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 273/11 Rn. 23; jeweils mwN).

b) Dem werden die Erwägungen im angefochtenen Urteil nicht gerecht. Nach der Beweiswürdigung des Landgerichts spricht nichts für einen erheblichen Übergriff durch den Angeklagten, der seiner Partnerin ihre Arglosigkeit vor dem Sturz hätte nehmen können. Dennoch hat das Landgericht im Widerspruch hierzu ein - die Arglosigkeit beseitigendes - Würgen bzw. einen Faustschlag in seine Würdigung eingestellt (UA S. 31 f.). Es ist aber weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für die das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2017 - 2 StR 146/17 Rn. 6).

aa) Der Angeklagte hat erstmals in der Hauptverhandlung behauptet, seine Lebensgefährtin vor der Strangulation mit dem Ladekabel noch im Stehen mit beiden Händen gewürgt zu haben; dagegen habe sie sich gewehrt, aber dann das Bewusstsein verloren und sei zu Boden gegangen. Dem ist das Landgericht mit Blick auf das Ergebnis der Obduktion und des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens wegen der fehlenden Würgemale für einen solchen Würgegriff für sich genommen rechtsfehlerfrei nicht gefolgt.

bb) Einen Faustschlag gegen die Schläfe, durch den der Angeklagte seine Lebensgefährtin vor der Strangulation zu Boden gebracht haben könnte, hat die Strafkammer mit Blick auf das Spurenbild als unwahrscheinlich angesehen. Zwar wies die Leiche ein deutliches Hämatom an der linken Schläfe auf. Infolge der stark blutenden Verletzung hätte jedoch auf dem Fußboden des Wohnzimmers Blut festgestellt werden müssen, was nicht der Fall war. Der Angeklagte selbst hatte einen solchen Schlag in Abrede gestellt.

c) Unabhängig davon hat das Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung die Kürze der Zeitspanne zwischen dem Beginn der Auseinandersetzung und dem Strangulieren nicht bedacht. Die der Lebenspartnerin verbliebene Zeit könnte wegen des schnellen Umschlagens des zunächst mit Körperverletzungsvorsatz geführten Angriffs in einen solchen mit Tötungsvorsatz so kurz gewesen sein, dass sie sich nicht mehr effektiv zur Wehr setzen konnte (zu dieser Konstellation vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2023 - 6 StR 132/23 Rn. 4 mwN).

2. Die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint hat, hält wegen Erörterungsdefiziten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Ausführungen des Landgerichts zur Motivation des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat sind lückenhaft. Denn das Landgericht hätte zur Bestimmung der Tatmotivation alle Umstände des Tatgeschehens einschließlich vorangegangener und nachfolgender Geschehnisse in seine Würdigung einstellen müssen (vgl. auch zur Berücksichtigung des Vortatgeschehens BGH, Urteile vom 14. Juni 2023 - 1 StR 399/22 Rn. 15 f. mwN und vom 25. Januar 2023 - 1 StR 284/22 Rn. 13).

a) Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2023 - 1 StR 284/22 Rn. 11 mwN).

Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, insbesondere, weil sie jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren. Bei einem Motivbündel beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist. Kann das Gericht bei mehreren in Betracht kommenden tatbeherrschenden Motiven zu keiner eindeutigen Festlegung gelangen, weil es keinen von mehreren nach dem Beweisergebnis in Betracht kommenden Beweggründen ausschließen kann, so ist eine Verurteilung wegen Mordes möglich, wenn jeder dieser Beweggründe als niedrig anzusehen ist (BGH, Urteil vom 25. Januar 2023 - 1 StR 284/22 Rn. 11 mwN).

b) Diesem Maßstab wird die Strafkammer nicht gerecht.

aa) Für die Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte habe möglicherweise Panik bekommen bzw. nicht mehr weitergewusst, fehlen bereits tatsächliche Anhaltspunkte, auf die dies gestützt werden könnte. Nach der Einlassung des Angeklagten bei Eröffnung des Haftbefehls und der in der Hauptverhandlung bezieht sich die möglicherweise entstandene Panik nicht auf seinen psychischen Zustand vor der Erdrosselung seiner Lebensgefährtin, sondern auf den danach. Erst nach deren Tötung bestand objektiv und auch aus seiner Sicht wegen der drohenden Konsequenzen ein Anlass zur Panik. Bei dem Streit vor der Tötungshandlung handelte es sich lediglich um einen in der Beziehung üblichen Streit mit den üblichen Vorwürfen und nicht um eine außergewöhnliche, den Angeklagten überfordernde Situation. Weshalb der Angeklagte dennoch nicht weitergewusst haben will und in Panik geraten sein soll, ist deshalb nicht nachvollziehbar.

bb) Das Urteil beschränkt sich auf die bloße Darstellung möglicher Motive, ohne diese gemäß dem zuvor dargestellten Maßstab zu gewichten. Lässt sich jedoch ein Hauptmotiv feststellen, beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv verwerflich ist; fehlt ein die Tat beherrschendes Motiv, muss jeder in Betracht kommende Beweggrund seinerseits als niedrig anzusehen sein. Die entsprechende Wertung des Landgerichts hierzu fehlt.

cc) Um zu solchen Feststellungen zu gelangen, hätte die Strafkammer zahlreiche Umstände aus dem Vor- und Nachtatverhalten des Angeklagten in ihre Wertung einstellen müssen. Das Geschehen vor der Tat war geprägt durch das zu Problemen in der Beziehung führende Verhalten des Angeklagten. Der Streit am Tattag mit den üblichen Vorwürfen war ebenfalls durch sein Verhalten bedingt. Auch aus seinem Nachtatverhalten hätten Schlüsse auf die Motive des Angeklagten bei der kurz zuvor begangenen Tat gezogen werden können.

3. Der Senat hat auch die Feststellungen aufgehoben, weil ergänzende Feststellungen sowohl zum äußeren Tatgeschehen als auch zur subjektiven Tatseite denkbar sind, und der neue Tatrichter deshalb Gelegenheit erhalten muss, das Geschehen umfassend neu zu beurteilen.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 531

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede