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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2016
17. Jahrgang
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1. Die Entscheidung eines Oberlandesgerichts, mit der die Nebenbeteiligung eines Verfallsinteressierten abgelehnt wird, ist nicht gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 5 StPO anfechtbar. (BGHR)
2. Die Ausnahmevorschrift des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats eng auszulegen. Der Gesetzgeber hat die Beschwerde nur gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte eröffnet, die besonders nachhaltig in die Rechtssphäre der Betroffenen eingreifen, zum Verfahrensabschluss führen oder sonst von besonderem Gewicht sind. Das ist bei der Entscheidung, durch welche die Nebenbeteiligung eines Verfallsinteressierten abgelehnt wird, nicht der Fall, zumal es dem Verfallsinteressierten, dessen Nebenbeteiligung abgelehnt wird, unbenommen bleibt, seine Rechte im Nachverfahren (§§ 442, 439 StPO) geltend zu machen. (Bearbeiter)
1. Eine Verständigung kann sich nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO nur auf „verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren“ beziehen. Daraus folgt, dass in eine Verständigung nicht Verfahren mit Bindungswirkung einbezogen werden können, die außerhalb der Kompetenz des Gerichts liegen (vgl. BVerfGE 133, 168, 214 Rn. 79: Verbot von „Gesamtlösungen“). Die Bindungswirkung der Verständigung kann nur soweit gehen, wie das Gericht das Verfahren mitbestimmt. Mitteilungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Verständigung, bei einem bestimmten Ergebnis andere Verfahren nach § 154 StPO zu behandeln, entfalten also keine Bindungswirkung und lösen auch kein schutzwürdiges Vertrauen aus.
2. Zusagen der Staatsanwaltschaft zu Einstellungen in anderen Verfahren nach § 154 StPO anlässlich einer Verständigung sind aber nicht verboten. Zulässig ist deshalb, dass die Staatsanwaltschaft anlässlich einer Verständigung nach § 257c StPO ankündigt, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die zu erwartende Verurteilung einzustellen oder auf eine Einstellung bereits anhängiger Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO hinzuwirken, solange nicht der Eindruck erweckt wird, dass es sich dabei um einen von der Bindungswirkung der Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) erfassten Bestandteil handelt.
3. Einem solchen Eindruck kann entgegengewirkt werden, indem der Vorsitzende den Angeklagten darüber belehrt, dass diese Ankündigung keine solche Bindungswirkung entfaltet.
1. Gespräche vor Beginn der Hauptverhandlung, die der Sondierung der Verständigungsbereitschaft i.S.d. § 257c StPO dienen, lösen die Mitteilungspflicht i.S.d. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO auch dann aus, wenn nur der Vorsitzende diese Gespräche führt.
2. Von verständigungsbezogenen Erörterungen ist auszugehen, sobald bei im Vorfeld der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen. Dies wiederum ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt.
3. Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitig-
keitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen. Gegenstand solcher unverbindlichen Erörterungen kann insbesondere der in einem Rechtsgespräch erteilte Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses sein.
4. Eine nicht in der Hauptverhandlung offen gelegte informelle Verständigung wird von der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO nicht erfasst. Da das Protokoll mithin insoweit keine formelle Beweiskraft im Sinne von § 274 Satz 1 StPO entfaltet, kann das Vorliegen einer informellen Verständigung auch ohne die Behauptung einer Protokollfälschung gerügt werden.
Der Vorsitzende hat Verlauf und Inhalt der nach § 243 Abs. 4 StPO mitzuteilenden Gespräche in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.
1. Prozessual handlungsfähig ist, wer aufgrund seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten in der Lage ist, seine Interessen verständig wahrzunehmen sowie Prozesshandlungen mit Verständnis und Vernunft auszuführen (siehe BGHSt 41, 16, 18). Ausschlaggebend ist bei Prozesshandlungen im Zusammenhang mit Rechtsmitteln die Fähigkeit, die verfahrensrechtliche Bedeutung einer Rechtsmittelrücknahme oder eines Rechtsmittelverzichts zu erkennen (vgl. BGH NStZ 2000, 386, 387). Diese Fähigkeit wird erst durch schwerwiegende psychische oder auch körperliche Erkrankungen oder Beeinträchtigungen aufgehoben (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 341). Ob die prozessuale Handlungsfähigkeit besteht bzw. bestand, hat das jeweils zuständige Gericht im Freibeweisverfahren aufzuklären (st. Rspr.). Das Revisionsgericht darf sich dafür auf den Akteninhalt beschränken.
2. Ein durch den Verteidiger hervorgerufener Irrtum würde nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zur Unwirksamkeit führen (BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 – 4 StR 135/03 bei Becker NStZ-RR 2004, 228).
Der Vortrag neuer Tatsachen führt mit Blick auf ein mögliches Vorgehen des Revisionsgerichts nach § 354 Abs. 1a StPO lediglich dazu, dass das Revisionsgericht solche neuen Umstände bei seiner Entscheidung, ob die in dem angefochtenen Urteil verhängte Strafe angemessen ist, zu berücksichtigen hat. Kategorisch ausgeschlossen ist eine eigene Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts angesichts neuer Strafzumessungstatsachen hingegen nicht.
Durch vorläufige gerichtliche Verfahrenseinstellung ausgeschiedene Taten dürfen selbst im Fall prozessordnungsgemäßer Feststellung auch bei der Beweiswürdigung nur dann zu Lasten des Angeklagten verwertet werden, wenn dieser zuvor auf die Möglichkeit einer solchen Verwertung hingewiesen worden ist. Die Verfahrenseinstellung begründet regelmäßig einen Vertrauenstatbestand, weshalb eine faire Verfahrensgestaltung sowie die Gewährleistung rechtlichen Gehörs es gebieten, einen Hinweis zu erteilen, wenn das Tatgericht den Verfahrensstoff doch zum Nachteil des Angeklagten zu berücksichtigen gedenkt.
Durch eine gegenüber einem Mitangeklagten begangenen Verletzung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ist der Angeklagte nicht in seinem Rechtskreis betroffen. Ein Verwertungsverbot erstreckt sich damit nicht auf seine Verurteilung.
1. § 100a StPO erfordert einen einfachen Tatverdacht, der allerdings auf bestimmten Tatsachen beruhen muss. Dabei sind mit Blick auf das Gewicht des in Rede ste-
henden Grundrechtseingriffs Verdachtsgründe notwendig, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Der Verdacht muss vielmehr durch schlüssiges Tatsachenmaterial bereits ein gewisses Maß an Konkretisierung und Verdichtung erreicht haben, so dass nach der Lebenserfahrung bzw. der kriminalistischen Erfahrung erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Katalogtat – hier: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung („militante gruppe“) – begangen hat (vgl. zum Ganzen bereits BGH HRRS 2010 Nr. 496).
2. Dass eine Person unter ein „Personenraster“ fällt, das für Mitglieder einer bestimmten (potenziell) terroristischen oder kriminellen Vereinigung erstellt wurde, hat regelmäßig jedenfalls dann keine tragfähige Aussagekraft für den Tatverdacht, wenn die aufgezeigten Kriterien zu einem Großteil allgemein gehalten und folglich auf eine nicht unerhebliche Zahl von Personen anwendbar sind.
Die auf die Besonderheiten der Tatsacheninstanz zugeschnittene Vorschrift des § 265 StPO gilt im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht und steht lediglich einer den Schuldspruch abändernden Entscheidung des Revisionsgerichts entgegen, wenn der Angeklagte im Hinblick auf die von der Auffassung des Tatgerichts im Ergebnis abweichende rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht noch keine Möglichkeit der Verteidigung hatte. Auch Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung. Der Verfahrensbeteiligte muss, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, alle vertretbaren Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen.
Die Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich unabhängig vom Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten, die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht kann deshalb nicht daran scheitern, dass der Beschwerdeführer die vermisste Aufklärung in der Hauptverhandlung nicht verlangt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 145); dies gilt insbesondere dann, wenn sich das Erfordernis weiterer Sachaufklärung schon aus Umständen ergibt, die vom Vorbringen der Verfahrensbeteiligten unabhängig ist.
Will das Gericht im Urteil von einer anderen Teilnahmeform ausgehen als die unverändert zugelassene Anklage, so muss es den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, seine Verteidigung darauf einzurichten; das gilt auch bei einer Verurteilung wegen Alleintäterschaft statt Mittäterschaft. Bei einem hiergegen verstoßenden Verfahren kommt es für die Beruhensfrage nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer anderen Verteidigung nahe liegt; es genügt vielmehr, dass sie nicht mit Sicherheit auszuschließen ist.
1. Prüfungsgegenstand im Haftprüfungsverfahren ist nur der nach § 122 Abs. 1 StPO vorgelegte Haftbefehl, wobei Voraussetzung der Haftprüfung ist, dass der Haftbefehl vollzogen wird. Hieran fehlt es, wenn Überhaft notiert ist.
2. Fehlt es an der ordnungsgemäßen Verkündung eines erweiterten Haftbefehls gemäß § 115 StPO, so darf er in einem Haftfortdauerbeschluss gemäß §§ 121, 122 StPO nicht berücksichtigt werden.
3. Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen sowie eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Wege einer auf den Einzelfall bezogenen Prüfung des Verfahrensablaufs festzustellen. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung.
Hält das Tatgericht die Aussage eines Belastungszeugen für glaubhaft, obwohl eine Vielzahl von Umständen vorliegt, die geeignet sein können, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen zu wecken, so genügt es regelmäßig nicht zu jedem dieser Gesichtspunkte einzeln darzulegen, aus welchen Gründen er die Überzeugung von der Richtigkeit der Aussagen nicht erschüttert. Vielmehr ist zusätzlich eine Gesamtwürdigung dahingehend erforderlich, ob die einzelnen Umstände zumindest in ihrer Summe durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen begründen.
Es ist für die Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme im Hinblick auf den psychischen Zustand ausreichend, dass der Erklärende sich bei Abgabe der Erklärung in einem Zustand geistiger Freiheit und Klarheit befindet, der ihn in die Lage versetzt, die Bedeutung der abgegebenen Erklärung zu erkennen, was sogar durch Geschäftsunfähigkeit oder Schuldfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen wird.
In Fallkonstellationen, in denen die Angaben der einzigen Belastungszeugin in der Hauptverhandlung in wesentlichen Teilen von ihren früheren Angaben abweichen, geboten, sind jedenfalls die entscheidenden Teile der Aussage in den Urteilsgründen wiederzugeben, weil dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH NStZ 2012, 110, 111). Gleiches gilt in Fallkonstellationen, in denen konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Falschbelastungsmotivs bestehen.
Eine Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die das Oberlandesgericht im Klageerzwingungsverfahren trifft, sieht das Gesetz nicht vor. Im Klageerzwingungsverfahren ist das Oberlandesgericht zwar als erstes Gericht mit der Sache befasst, jedoch nicht im Sinne des § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz StPO im ersten Rechtszug zuständig. Dies ist vielmehr, wenn das Oberlandesgericht die Klageerhebung anordnet, ein Amts- oder Landgericht.
Entscheidend für den Fristbeginn für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Wegfalls des Hindernisses durch den Angeklagten. Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (vgl. BGH NStZ 2013, 474).
Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) steht der Festsetzung einer höheren als der bisherigen Einzelstrafe nicht grundsätzlich entgegen, wenn eine vom ersten Tatgericht als selbständig erachtete Tat als solche entfallen und jetzt mit einer anderen Tat zur Tateinheit verbunden ist. Der Unrechtsgehalt dieser nun zur Tateinheit zusammen gefassten Tat ist damit erhöht. Das Verschlechterungsverbot, welches grundsätzlich auch für Einzelstrafen gilt, gebietet bei dieser Sachlage deshalb nur, dass die Summe der jeweils betroffenen bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der jeweils neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird. Überdies darf auch die neue Gesamtstrafe nicht höher als bisher ausfallen.
Ein Übernahmebeschluss muss schriftlich abgefasst werden. Hingegen ist die Unterzeichnung eines solchen Beschlusses durch den oder die erlassenden Richter keine Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 250, 251).