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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2016
17. Jahrgang
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Von Dr. Tamina Preuß, Würzburg
Nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB begeht der Täter eines Raubes einen schweren Raub, wenn er sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Dies trifft beispielsweise auf das Mitführen einer Pistolenattrappe[1] oder einer ungeladenen oder defekten Waffe,[2] die dem Opfer vorgehalten werden soll, zu. Der Kreis der Gegenstände, die den Grundtatbestand des Raubes qualifizieren, scheint nach dem Wortlaut dieser Strafnorm aber uferlos zu sein – umfasst wären etwa eine umgedrehte Tabakspfeife, mit der die Konturen eines Pistolenlaufs vorgetäuscht werden,[3] ein zusammengerolltes Taschentuch in der Jacke, das den Eindruck einer geladenen Schusswaffe erwecken soll,[4] sowie ein als Sprengsatz ausgegebener Maggiwürfel.[5] Dies wird angesichts des gegenüber dem Grundtatbestand nicht erheblich gesteigerten Unrechtsgehalts allgemein als verfehlt empfunden. Der BGH hat u.a. in seiner allseits bekannten "La-
bello"-Entscheidung des vierten Strafsenats[6] aus dem Jahre 1996 Gegenstände, die nach dem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken, aus dem Qualifikationstatbestand ausgenommen. Thomas Fischer verwendet für diese Gegenstände in seinem Kommentar treffend den Begriff "schein-untaugliche Sachen".[7] Die restriktive Auslegung des BGH wurde in der Literatur größtenteils als zwar kriminalpolitisch wünschenswert, aber strafrechtsdogmatisch misslungen bewertet.[8] Da Raubzüge mit derartigen offensichtlich ungefährlichen Gegenständen keine Seltenheit sind, beschäftigen sie die Gerichte bis in die Gegenwart häufig.[9] Hinzu kommt, dass die Diebstahlsqualifikation und die Qualifikation der sexuellen Nötigung in (§§ 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB) identisch formuliert sind und die Raubqualifikationen über den Rechtsfolgenverweis auch auf die räuberische Erpressung Anwendung finden. In der hier zu besprechenden Entscheidung hatte sich der BGH mit der Frage zu befassen, ob ein Koffertrolley, den der Angeklagte nach spontanem Entschluss am Tatort als "Kofferbombe" ausgab, den Qualifikationstatbestand erfüllt. Die Entscheidung veranlasst dazu, zu untersuchen, ob die restriktive Auslegung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB konsequent auf den zu beurteilenden Sachverhalt angewandt wird und einmal mehr zu hinterfragen, ob die Restriktionsbemühungen überhaupt sachgerecht sind. Hierzu wird zunächst auf die Grundlagen zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB eingegangen und ein kurzer Überblick über die Entwicklung von Rechtsprechung und Gesetzgebung gegeben, ehe die Entscheidung untersucht und kritisch Stellung bezogen wird.
§ 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB stellt nach der Konzeption des Gesetzgebers einen Auffangtatbestand[10] dar, der nach h.M. auch sog. Scheinwaffen umfasst.[11] Dies sind Gegenstände, die zwar objektiv ungefährlich sind, aber den Eindruck scharfer Waffen erwecken sollen,[12] wie z.B. Spielzeugpistolen und Schusswaffenattrappen. Die Einbeziehung von Scheinwaffen ergibt sich aus dem Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB, der – anders als Abs. 1 lit. a – gerade keine Gefährlichkeit voraussetzt, und der Gesetzesbegründung.[13] Der BGH führt zur Begründung ferner an, dass die fehlende objektive Gefährlichkeit durch das subjektive Element der Gebrauchsabsicht kompensiert werde[14] und dass der Täter einen gegenüber § 249 StGB gesteigerten verbrecherischen Willen zeige.[15] Im Vergleich zu einfachen Raubfällen sei ein besonders intensiver Einschüchterungseffekt gegeben, denn für das Opfer scheine die Gefahr wesentlich größer und unmittelbarer als bei Drohung mit der Anwendung bloßer Körperkräfte.[16] Für das Opfer sei es motivatorisch gleichgültig, ob es einem tatsächlich bewaffneten Angreifer gegenübersteht oder der Täter es dazu bringt, ihn für einen solchen zu halten. In beiden Fällen bestehe gleichermaßen erhöhte Schutzbedürftigkeit.[17]
Nach der Rechtsprechung sind sogar Scheinwaffen, die das Opfer als solche erkennt, umfasst, da eine Drohung nicht voraussetze, dass das Übel realisierbar ist, solange der Täter nur will, dass sie vom Opfer ernst genommen wird, und da die Gebrauchsabsicht nicht durch die zufällige und aus Täterperspektive höchst unerwünschte Kenntnis des Opfers entfalle.[18]
Nicht umfasst sind mangels Gegenständlichkeit verbale Äußerungen[19] und Körperteile, mit denen der Besitz einer Waffe vorgetäuscht wird.[20] Schwierigkeiten bereiten gewisse "Sonderfälle" von Scheinwaffen – es geht hierbei um Fälle, bei denen der Gegenstand einer echten Schusswaffe einerseits nicht ähnlich sieht, andererseits aber – anders als bei einem unter dem Mantel verborgenen Zeigefinger – ein typischerweise verborgener Gegenstand eingesetzt wird.[21]
Im Rahmen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB genügt bloßes Beisichführen, welches zu bejahen ist, wenn sich der Gegenstand zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung[22] im Zugriffsbereich des Täters befindet, wobei Ergreifen am Tatort genügt.[23] In der Praxis geht es gleichwohl regelmäßig um Konstellationen, in denen mit dem Gegenstand gedroht wurde.[24] Das Verwenden der Scheinwaffe ist in § 250 StGB nicht gesondert normiert, kann aber strafschärfend berücksichtigt werden, da es über das tatbestandlich vorausgesetzte Verhalten hinausgeht.[25] Subjektiv setzt die Qualifikation Verwendungsabsicht, d.h. den zielgerichteten Willen zur Überwindung von Widerstand gegen die Wegnahme,[26] voraus.[27] Es genügt, wenn der Täter den Gegenstand "im
Bedarfsfall" einsetzen will.[28] Wird der Gegenstand verwendet, besteht an der entsprechenden Absicht in aller Regel kein Zweifel.[29]
Bis zum sechsten Strafrechtsreformgesetz, das 1998 in Kraft trat, bezogen sich die Entscheidungen auf § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F.[30] § 250 Abs. 1 StGB a.F. unterschied, anders als die derzeitige Fassung, nur zwischen dem Beisichführen von Schusswaffen (Nr. 1) und sonstigen Waffen, Werkzeugen oder Mitteln, wobei im zweiten Fall Gebrauchsabsicht verlangt wurde (Nr. 2). Der Mindeststrafrahmen, der heute bei drei Jahren Freiheitsstrafe liegt, betrug damals fünf Jahre.
Ihren Anfang genommen hat die restriktive Auslegung mit der sog. "Plastikrohr"-Entscheidung,[31] der folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:
Der Angeklagte legte beim Überfall einer Sparkassenfiliale einen Zettel vor, auf dem stand: "Überfall, bin bewaffnet”. Dabei hielt er ein kurzes, gebogenes Plastikrohr von ca. 3 cm Durchmesser so unter seiner Jacke, dass diese sich ausbeulte und so der von ihm gewollte Eindruck entstand, es handle sich um eine Schusswaffe. Die Kassiererinnen nahmen die Drohung ernst und händigten ihm die geforderten Geldbeträge aus.
Der BGH hat den Qualifikationstatbestand verneint. Zwar unterfielen § 250 StGB in der damaligen Fassung auch Scheinwaffen, objektive Merkmale dürften aber bei der Auslegung nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Vorausgesetzt werde, dass sich der Gegenstand "seiner Art nach" dazu eignet, bei dem Opfer den Eindruck hervorzurufen, er könne zur Gewaltanwendung verwendet werden und deshalb für es gefährlich sein. Für die Eignung, diesen Eindruck herbeizuführen, werde in einer Mehrzahl der Fälle das äußere Erscheinungsbild, wie es mit den Augen wahrnehmbar ist, entscheidend sein. Es könne aber auch auf die Wahrnehmbarkeit durch andere Sinnesorgane abgestellt werden, etwa indem der Täter einen metallischen Gegenstand, der sich wie der Lauf einer Schusswaffe anfühlen soll, in das Genick des Opfers setzt. Der Gegenstand ist dieser Auffassung folgend "seiner Art nach" nicht dazu geeignet, wenn erst ein erklärender Hinweis des Täters die Vorstellung des Opfers auszulösen vermag, ein Gegenstand könne aufgrund seiner Verwendung zur Gewaltanwendung gefährlich sein. Vorliegend sei das "etwas Ausbeulen" in der Jacke für sich alleine nicht geeignet, als Bedrohung mit einer Waffe verstanden zu werden, erst in Verbindung mit dem Zettel. Hätte der Angeklagte sich darauf beschränkt, das Mitführen einer Waffe zu behaupten, wäre die Anwendung des § 250 StGB zweifelsfrei nicht in Betracht gekommen; dass er hier seine Behauptung durch die Wölbung unter der Jacke unterstrichen hat, vermag der Entscheidung zufolge den Bewertungsunterschied nicht zu begründen. Den Grund für das Erfordernis einschränkender Auslegung sieht der BGH in dem durch den hohen Mindeststrafrahmen zum Ausdruck kommenden gegenüber § 249 StGB erheblich erhöhten Unrechtsgehalt und darin, dass Gegenstände, die nicht schon durch ihre äußere Erscheinung den Eindruck einer echten Waffe hervorrufen, aber eine drohende Äußerung zu unterstreichen vermögen, in einer unübersehbaren, die Tatbestandskonturen auflösenden Vielfalt vorkommen.
Fortgesetzt und modifiziert wurde die restriktive Auslegung mit der "Labello"-Entscheidung[32] zu folgendem festgestellten Sachverhalt:
Die Angeklagte begab sich in der Absicht, einen Überfall zu verüben, in ein Geschäftslokal. Als ihr die dort tätige Verkäuferin den Rücken zuwandte, holte die Angeklagte aus ihrer Handtasche einen Lippenpflegestift ("Labello”), trat hinter die Verkäuferin und drückte ihr eine Ecke des Stiftes in den Rücken. Sie beabsichtigte, bei der Geschädigten die Vorstellung hervorzurufen, mit einer Waffe bedroht zu werden. Unter dem Eindruck des ihr weiterhin in den Rücken gehaltenen "Labellos", den die Geschädigte für die Spitze eines Messers oder eines ähnlich gefährlichen Gegenstandes hielt, händigte diese der Angeklagten auf deren Forderung hin Bargeld in Höhe von 280 DM aus.
Auch hier wurde die Qualifikation verneint. Der BGH führte aus, Gegenstände, die nach dem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken, seien nicht umfasst. Einen solchen Gegenstand könne der Täter schon "seiner Art nach" nur unter Täuschung über dessen wahre Eigenschaft bei der Tat einsetzen. Hierbei stehe die Täuschung so sehr im Vordergrund, dass die Qualifizierung als Werkzeug oder Mittel i.S.d. § 250 StGB verfehlt wäre. Während es im "Plastikrohrfall" noch auf die sinnliche Wahrnehmung – auch taktil und akustisch, nicht nur visuell – des Opfers ankam, stellt diese Entscheidung nur noch auf die Sicht eines objektiven Beobachters ab.[33]
Durch das sechste Strafrechtsreformgesetz erhielt § 250 Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB seine heutige Fassung.[34] Die restriktive Auslegung bei "offensichtlich ungefährlichen" Gegenständen wurde, wie in der Gesetzesbegründung vorgesehen,[35] beibehalten.
Die restriktive Auslegung hat zur Folge, dass, falls sich die Beschaffenheit des Gegenstandes nicht feststellen lässt, zu Gunsten des Angeklagten von einem offensichtlich objektiv ungefährlichen Gegenstand ausgegangen werden muss, wie der folgende – vereinfacht dargestellte – Sachverhalt zeigt:[36]
Der Angeklagte schlug in einer Spielhalle mit Internetcafé die Spielhallenaufsicht K zu Boden und zog K sein T-Shirt so vor das Gesicht, dass er nichts mehr sehen konnte. Er hielt K einen metallischen Gegenstand mit der Drohung an den Kopf, man werde "ihm das Licht ausknipsen". Anschließend entwendete der Angeklagte 900 Euro aus der Kasse des Internetcafés.
Der Qualifikationstatbestand wurde hinsichtlich des metallischen Gegenstands verneint.[37] Der BGH sprach sich dagegen aus, seine Rechtsprechung aufgrund von Abgrenzungsschwierigkeiten zu ändern, da die Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes aus Sicht eines objektiven Betrachters die Tatrichter nicht vor größere Schwierigkeiten stellen werde. Da es an Feststellungen zu dem Gegenstand fehlt, sei zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass es sich um einen Gegenstand handele, der bei objektiver Betrachtung nach seinem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich sei, etwa um ein dünnes Metallrohr.[38] Sofern in der "Plastikrohr"-Entscheidung davon ausgegangen werde, dass ein Metallrohr geeignet sei, den Qualifikationstatbestand zu erfüllen, komme dieser nicht tragenden Erwägung keine Bindungswirkung zu.
Angenommen wurde der Qualifikationstatbestand für die Kombination aus Sporttasche und Mobiltelefon:[39]
Der Angeklagte betrat eine Tankstelle, stellte eine verschlossene Sporttasche auf die Verkaufstheke, nahm demonstrativ das Mobiltelefon in die Hand und erklärte dem Verkäufer, in der Tasche befinde sich eine Bombe, die er zünden werde, wenn ihm nicht das Geld aus der Kasse ausgehändigt werde. Da der Verkäufer nicht wie gewünscht reagierte, sondern die Drohung nicht ernst nahm, brach der Angeklagte den Versuch ergebnislos ab. In einer anderen Tankstelle hatte der Angeklagte auf diese Weise Erfolg.
Der BGH argumentierte, es sei kein Sonderfall, bei dem die objektive Ungefährlichkeit schon nach dessen äußeren Erscheinungsbild offenkundig auf der Hand liege, gegeben. Vielmehr sei die Gefährlichkeit für einen objektiven Beobachter gerade überhaupt nicht einzuschätzen.[40]
Nach dem einer weiteren BGH-Entscheidung[41] zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt diente eine Wasserpistole als "Waffenersatz":
Der Angeklagte verbarg eine grellbunte Spielzeugpistole, die auch in ihrer Form einer echten Waffe nicht ähnelte, in seiner Jackentasche. Nach Betreten einer Sparkasse begab er sich zu dem Filialleiter und erklärte ihm, dass es sich um einen Banküberfall handele und er so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich haben wolle. Zugleich deutete er an, mit einer Schusswaffe bewaffnet zu sein, indem er seine Hand in die Jackentasche steckte und mit der darin befindlichen Wasserpistole eine zielende Bewegung machte. Der Filialleiter, der den verborgenen Gegenstand nicht sehen konnte, aber befürchtete, dass es sich um eine echte Waffe handelte, ging mit ihm zum Kassenraum. Dort befanden sich zwei weitere Bankangestellte, die in dem Angeklagten den Täter wiedererkannten, der sie bei einem Überfall im Vorjahr mit einer echt aussehenden Pistole bedroht hatte. Sie sahen, dass er mit einem verborgenen Gegenstand drohte, und gingen davon aus, dass er eine echte Schusswaffe mit sich führe. Daraufhin erhielt der Angeklagte Bargeld i.H.v. 2.490 Euro ausgehändigt.
Der BGH nahm hier die Wasserpistole aus dem Qualifikationstatbestand aus, da sie nach dem äußeren Erscheinungsbild deutlich als Spielzeug zu klassifizieren sei. Die weiteren Umstände – dass der Bedrohungseffekt nur aus der verdeckten Verwendung resultierte und dass die Geschädigten aus einem zuvor durch den Angeklagten mit einer vermeintlich echten Pistole durchgeführten Überfall schlussfolgerten, dass er erneut mit einer echten Waffe drohe – müssten außen vor bleiben, denn sie hätten für den objektiven Betrachter keine Bedeutung.[42]
Beim Einsatz eines Koffertrolleys als vermeintliche Kofferbombe ist der dritte Strafsenat des BGH nicht von einem offensichtlich ungefährlichen Gegenstand ausgegangen:[43]
Der Angeklagte begab sich unter Mitführung eines Koffertrolleys, der sein Reisegepäck enthielt, in die C-Bank, trat auf den Kassenschalter zu und forderte von den Bankangestellten durch Vorlage eines Zettels die Auszahlung von 2.000 bis 3.000 Euro. Da die Angestellten sich zunächst weigerten, sagte der Angeklagte "Keine Polizei, kein Alarm, ich habe eine Kofferbombe, zahlen Sie aus!", um damit die Herausgabe des geforderten Geldbetrages
zu erreichen. Die Anwendung dieser Drohung zur Durchsetzung seiner Forderung hatte er erst in diesem Moment spontan beschlossen. Der Zeuge I zahlte dem Angeklagten den gewünschten Geldbetrag aus, wobei er nicht davon überzeugt war, dass es sich bei dem Koffertrolley um eine Bombe handle. Er hatte aber die Sorge, dass der Angeklagte eine Spritze oder ein Messer bei sich habe und zur Durchsetzung seiner Forderung einsetzen könnte.
Zunächst sei ausreichend, dass der Täter die Gebrauchsabsicht erst während der Tat fasse. Die einschränkende Auslegung finde keine Anwendung, da nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht erkennbar war, ob der Koffer eine Bombe enthielt. Die Fehlvorstellung des Zeugen I stelle eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf, welche für die rechtliche Beurteilung ohne Bedeutung sei, dar.
Dieser Entscheidung wurde seitens der Literatur größtenteils mit Kritik begegnet. Angesichts der Wortlautgrenze (Art. 103 Abs. 2 GG) sei es bereits problematisch, die Qualifikation zu bejahen, wenn sich der Täter spontan dazu entschließt, einen mitgeführten Gegenstand einzusetzen, zumal der Täter den Gegenstand in diesem Falle nicht zum Einsatz mit sich führe, sondern ihn einsetze, weil er ihn mit sich führe.[44] Nach dem Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB ist der ursprüngliche Zweck der Mitnahme aber irrelevant. Verlangt wird nur, dass während der Tat zu irgendeinem Zeitpunkt des Beisichführens Gebrauchsabsicht besteht. Der Begriff des Beisichführens enthält keine Einschränkung im Sinne eines "von vornherein".[45] Hinzu kommt, dass die gesteigerte Gefährlichkeit bei spontan beschlossenem Einsatz ebenso besteht wie bei von Beginn an geplantem Einsatz.[46] Eine abweichende Beurteilung würde zu der sinnwidrigen Folge führen, dass derjenige, der den Gegenstand zufällig dabei hat und gebraucht, die Qualifikation nicht erfüllt, wohl aber derjenige, der den Gegenstand nur zu diesem Zweck dabei hat, ohne ihn zu benutzen.[47]
Weiter zeigt die Entscheidung aber, dass die Abgrenzung, danach ob die Bedrohungswirkung aus dem äußeren Erscheinungsbild des Gegenstands oder einer Täuschung resultiert, nicht durchführbar ist, denn bei allen Scheinwaffen ist die Ungefährlichkeit äußerlich gerade nicht erkennbar und entsteht die Bedrohungswirkung erst durch eine weitere Täuschungshandlung des Täters.[48]
Der Heranziehung der Rechtsfigur über die Abweichung vom Kausalverlauf – ein von der Rechtsprechung i.R.d. Vorsatzes herangezogenes Kriterium,[49] zumal der Kausalverlauf als ungeschriebenes objektives Tatbestandsmerkmal vom Vorsatz umfasst sein muss[50] – hätte es nicht bedurft, da ein vorgestellter Kausalverlauf, von dem abgewichen wird, nicht erkennbar ist. Christian Jäger stellt die Erwägung an, hierin ein neues, zusätzliches Abgrenzungskriterium zu sehen. Möglicherweise könne man zur teleologischen Reduktion verlangen, dass der Täter durch den Gegenstand beim Opfer gerade eine gesteigerte Drohwirkung erreichen will – die Rechtsfigur über unwesentliche Abweichungen vom Kausalverlauf könnte dann herangezogen werden, wenn mit der beabsichtigten Drohung artungleiche Drohwirkungen entstanden sind.[51] Hiermit wäre, da der Täter typischerweise durch den Gegenstand zumindest eine gering gesteigerte Drohwirkung erreichen will und im Übrigen vielfach eine nur unwesentliche Abweichung von seinem Vorstellungsbild anzunehmen wäre, keine nennenswerte Einschränkung verbunden. Ferner lässt sich bereits die Heranziehung der Rechtsfigur durch den BGH nicht damit vereinbaren, dass nach ständiger Rechtsprechung[52] in objektiver Hinsicht die Ernstnahme der Drohung durch das Opfer gerade nicht vorausgesetzt wird.
Den Einwänden gegenüber der aktuellen Entscheidung und der seit mehr als zwei Jahrzehnten geäußerten Kritik[53] an der restriktiven Auslegung ist beizupflichten. Die Annahme, dass die Gefährlichkeit des Koffertrolleys von außen betrachtet nicht einschätzbar ist, ist zwar korrekt – selbst ein Bombensachverständiger würde den Koffer nicht ohne nähere Prüfung öffnen – jedoch trifft dies bei Außensicht auf alle Scheinwaffen zu. Ohne Begründung geblieben ist, wieso der BGH nur auf das äußere Erscheinungsbild und damit nur auf die Sinneswahrnehmung durch die Augen abstellt. Soweit dies mit der überragenden Bedeutung des Gesichtssinnes für die Erfassung der Umwelt begründet wird,[54] kann dies nicht überzeugen.[55] Wenn die Tatumstände die sinnliche Erkennbarkeit des Gegenstands ausschließen, etwa bei völliger Dunkelheit, könnte danach kein offensichtlich ungefährlicher Gegenstand gegeben sein,[56] es sei denn, man würde hier auf den objektiven Beobachter abstellen, für den die schlechten Lichtverhältnisse ebenso wenig ein Hindernis sind, wie die den Gegenstand verbergende Jacke. Der Einschüchterungseffekt beim Opfer – nach der Rechtsprechung einer der Gründe für die Einbeziehung von Scheinwaffen – kann auch durch andere Sinneswahrnehmungen erreicht werden.[57] Weiter lässt sich das Erscheinungsbild des Gegenstands nie alleine nach dem äußeren Erscheinungsbild isoliert von der Situation beurteilen. Der soziale Kontext spielt immer eine gewichtige Rolle – man denke an die Spielzeugpistole in der Hand eines Kindes beim Spielen verglichen mit derselben Pistole in der Hand einer maskierten Person in der Schalterhalle
einer Bank.[58] Der BGH stellt auf einen objektiven Betrachter ab, der den Gegenstand im Gegensatz zum Opfer äußerlich optisch wahrnimmt; geht der Bedrohungseffekt allerdings von einem Behältnis an sich aus, wie einer Reisetasche, ist dieser Betrachter darauf beschränkt, das Behältnis von außen zu sehen. Es bleibt vollkommen offen, wieso der Betrachter in die Manteltasche, aber nicht in die Reisetasche schauen kann. Die Einschüchterungswirkung kann nicht davon abhängen, ob dem Opfer die Sache gefährlich vorkommt, weil es ihre Beschaffenheit aus der gegenwärtigen Perspektive nicht erkennen kann oder weil die Sache durch ein Behältnis verborgen ist.[59] Es ist das Wesen einer Scheinwaffe, nicht der Ausnahmefall, dass die Drohwirkung auf einer Täuschung basiert.[60] Auch der Stellenwert, den die Täuschung im Einzelfall neben der Bedrohung durch den Gegenstand an sich einnimmt,[61] ist ein zu vages Kriterium, als dass er zur Abgrenzung dienlich sein könnte.[62] Man könnte erwägen, statt auf die Sicht eines objektiven Betrachters, auf die Sicht eines besonnenen Durchschnittsmenschen in der Rolle des Opfers abzustellen. Auch dies führt aber nicht weiter, da in derartigen Extremsituationen wohl kaum ein "Durchschnittsmensch" die Echtheit der Waffe so ernsthaft in Frage stellen würde, dass dies für seine Einschüchterung und sein Handeln Konsequenzen hätte.
Auch die Annahme eines minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB, um einen Unrechtsgleichklang zwischen Grundtatbestand und Qualifikation zu vermeiden – so die Tendenz der Rechtsprechung vor Herabsetzung des Mindeststrafrahmens[63] –, ist keine gangbare Lösung, da Strafzumessungsregeln nicht dazu dienen, einen zu weit gefassten Tatbestand zu korrigieren und da eine Gesamtbetrachtung erforderlich ist, im Rahmen derer alleine die Ungefährlichkeit des eingesetzten Mittels nicht ausreicht,[64] um einen minder schweren Fall anzunehmen.[65]
Nach alledem ist eine sinnvolle einschränkende Auslegung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB nicht möglich, eine uneingeschränkte Anwendung aber ebenfalls aufgrund des Bestimmtheits- und Schuldgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 1 Abs. 1 GG) nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen. In der Konsequenz ist nur ein Tätigwerden des Gesetzgebers durch Streichung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB sachgerecht, wobei dieses Ergebnis nicht pauschal auf die gleichlautende Diebstahlsqualifikation zu übertragen ist, da der Grundtatbestand des Diebstahls, anders als der des Raubes, kein Drohungselement enthält.[66]
[1] BGH NJW 1998, 2914.
[2] BGH NJW 1998, 3130, 3131.
[3] LG Hamburg NJW 1948, 698; Küper JuS 1976, 645, 647.
[4] BGH NStZ 1992, 129.
[5] Hillenkamp JuS 1990 454, 457.
[6] BGH NJW 1996, 2663.
[7] Fischer , StGB, 63. Aufl. (2016), § 250 Rn. 10a.
[8] Statt vieler Graul JR 1992, 297, 298.
[9] Vgl. jüngst AG Kassel BeckRS 2016, 02483 zu einer leeren, so von innen gegen die Manteltasche gewölbten Bierflasche, dass die Wölbung wie der Lauf einer Faustfeuerwaffe wirkte.
[11] A.A. Eser JZ 1981, 761, 769; Klesczewski GA 2000, 255; Saal JA 1997, 859, 865.
[12] Sander , in: MüKo-StGB, 2. Aufl. (2012), § 250 Rn. 44.
[13] BT-Drs. 13/9064, S. 18; BGH NJW 1998, 3130, 3130.
[14] BGH NJW 1998, 3130, 3130.
[15] BGH NJW 1976, 248, 248.
[16] BGH NStZ 1981, 436.
[17] BGH NJW 1976, 248, 248.
[18] BGH NStZ 2011, 278 = HRRS 2010 Nr. 855; BGH NJW 1990, 2570. A.A. Hauf GA 1994, 319, 324 f., 328; Müther MDR 1993, 931, 933; Saal JA 1997, 859, 862.
[19] Grasnick JZ 1993, 268, 269; Mitsch JuS 1999, 640, 641.
[20] BGH StV 1985, 456; Geppert JURA 1999, 599, 604; ders. JURA 1992, 496, 499 ff.
[21] Geppert JURA 1992, 496, 500.
[22] A.A. nur bis zur Vollendung z.B. Habetha NJW 2010, 3133 m.w.N.
[23] BGH NStZ-RR 2013, 244, 244 = HRRS 2013 Nr. 550. Vgl. auch BGH NJW 1965, 1235, 1236; BGH NJW 1959, 2222 jeweils zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F.
[24] Vogel , in: LK-StGB, 12. Aufl. (2010), § 250 Rn. 14.
[25] BGH NJW 1998, 3130, 3131.
[26] Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 250 Rn. 17/18, 244 Rn. 18.
[27] Ausreichend sein soll der Wille zur Verwendung zur Sicherung der Flucht, BGH NJW 1968, 2344, 2345 zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. A.A. Eser/Bosch a.a.O. (Fn. 26 ), § 244 Rn. 20, da die Flucht nur der Verhinderung der Strafverfolgung, nicht der Durchführung des Diebstahls, diene.
[28] BGH NStZ 1999, 188; BGH NJW 1999, 69, 70. Nicht ausreichend ist aber, wenn der Täter über das "Ob" des Einsatzes erst später entscheiden will (bloße Tatgeneigtheit), Kudlich, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl. (2014), § 244 Rn. 27.
[29] Vgl. BGH NStZ-RR 2005, 373 = HRRS 2005 Nr. 755.
[30] BGBl. I 1975, S. 63.
[32] BGH NJW 1996, 2663.
[33] Lesch StV 1999, 93, 93 f.
[36] BGH NStZ 2007, 332 = HRRS 2007 Nr. 206.
[37] Dagegen wurde die Qualifikation für das daneben zur Fesselung verwendete Paketklebeband bejaht, kritisch hierzu Bosch JA 2007, 468, 470.
[38] Ebenso BGH NStZ 2009, 95 = HRRS 2008 Nr. 947 zu § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB; BGH NStZ-RR 2008, 311 = HRRS 2008 Nr. 781; OLG Köln BeckRS 2010, 26147.
[39] BGH NStZ 2011, 278 = HRRS 2010 Nr. 855.
[40] Kritisch Hecker JuS 2011, 757, 759; Pfuhl JZS 2010, 415, 417 f.
[41] BGH NStZ 2011, 703.
[42] Insofern zustimmend Jahn JuS 2012, 84, 85.
[43] BGH NStZ 2016, 215 = HRRS 2015, Nr. 1019.
[44] Jäger JA 2016, 71, 72.
[45] Hillenkamp JuS 1990, 454, 457.
[46] Schumann JR 2016, 339, 341.
[47] BGH NJW 1989, 2549, 2550 zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F.
[48] Jäger JA 2016, 71, 72.
[49] BGH NJW 2003, 150, 153; BGH NJW 1991, 3161, 3161; BGH NJW 1990, 2560, 2566.
[50] Rengier , Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2016), § 15 Rn. 11.
[51] Jäger JA 2016, 71, 72 f.
[52] BGH NStZ 2011, 278 = HRRS 2010 Nr. 855; BGH NJW 1990, 2570.
[53] Vgl. nur Geppert JURA 1999, 599, 604; Grasnick JZ 1993, 268, 269; Graul JR 1992, 297, 298; Kindhäuser, in: NK-StGB, 4. Aufl. (2013), § 244 Rn. 29; Küper, in: Festschrift für Hanack (1999), S. 584; Saal JA 1997, 859, 863.
[54] Kudlich JR 1998, 357, 359.
[55] Vgl. Eser/Bosch a.a.O. (Fn. 26 ), § 250 Rn. 15.
[56] Mitsch NStZ 1992, 434, 435.
[57] Eser/Bosch a.a.O. (Fn. 26 ), § 250 Rn. 15.
[58] Grasnick JZ 1993, 268, 269; Lesch StV JA 1999, 30, 36.
[59] Kindhäuser a.a.O. (Fn. 53 ), § 244 Rn. 29.
[60] Fischer a.a.O. (Fn. 7 ), § 250 Rn. 11c; Lesch StV 1999, 93, 94.
[61] So Kudlich JR 2007, 381, 382; ders. a.a.O. (Fn. 28 ), § 244 Rn. 25.
[62] Hohmann NStZ 1997, 184, 185.
[63] BT-Drs. 13/8587, S. 44; BGH NJW 1989, 2549 zu § 250 Abs. 2 StGB a.F.
[64] BGH NStZ-RR 2001, 215, 216.
[65] Vgl. Hillenkamp JuS 1990, 454, 458 zu § 250 Abs. 2 StGB a.F.
[66] Allerdings stellen sich hinsichtlich der Bestimmtheit der Qualifikation die gleichen Fragen wie bei § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB.