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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2011
12. Jahrgang
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1. Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“, wenn sie gleichwohl gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. angeordnet werden soll. Die Anordnung wird danach „in der Regel“ nur verhältnismäßig sein, wenn „eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist.
2. Die darin liegende Einschränkung im Vergleich zu den nach bisherigem Recht geltenden Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft die Straftatenkataloge und die konkrete Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle „erheblichen Straftaten“, durch welche die Opfer „seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ im Sinne der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.
3. Ob die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit dazu führt, hinsichtlich der Taten, deren künftige Begehung durch den Täter als möglich erscheint, bestimmte Deliktsgruppen oder Begehungsweisen ohne Hinzutreten besonderer Umstände generell als nicht ausreichend für die Anordnung der Maßregel anzusehen, kann im vorliegenden Fall offen bleiben.
1. Zwar scheidet ein Absehen vom Verfall durch Ermessensentscheidung nach der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB regelmäßig aus, wenn der Angeklagte über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem Betrag zurückbleibt, der dem Verfall unterliegt. Steht aber zweifelsfrei fest, dass der fragliche Vermögenswert ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben wurde, so ist eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB möglich.
2. Die Ermessensentscheidung des Tatrichters ist in Fällen des § 111i Abs. 2 StPO schon aus Gründen der Ressourcenschonung vom Revisionsgericht bis zur äußersten Grenze der Vertretbarkeit hinzunehmen.
3. Steuerliche Belastungen aufgrund tatsächlicher Abführung von Umsatzsteuer oder aufgrund umsatzsteuerlicher Haftungstatbestände müssen im Rahmen des Verfalls berücksichtigt werden. Für Anordnungen nach § 111i Abs. 2 StPO gilt dies ebenfalls.
4. Eine Erstreckung der revisionsgerichtlichen Korrektur auf einen Mitangeklagten (§ 357 StPO) muss unterbleiben, wenn ein – auch identischer – Rechtsfehler unterschiedliche Taten betrifft.
1. Muss das Vollstreckungsgericht gem. § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO ein Prognosegutachten einholen und hat es ein solches Gutachten im Rahmen einer früheren Aussetzungsentscheidung auch bereits eingeholt, so darf es die Aussetzung der Verbüßung des Strafrestes zur Bewährung nur dann ohne – erneute – Anhörung eines Sachverständigen ablehnen, wenn das damals erstattete Gutachten wegen der Kürze der seither verstrichenen Zeit noch eine verlässliche Entscheidungsgrundlage bietet und insbesondere keine neuen Umstände hervorgetreten sind, die grundsätzlich geeignet sein könnten, die Legalprognose für den Verurteilten positiv zu beeinflussen.
2. Zwar müssen die Anforderungen an eine positive Legalprognose im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB umso höher angesetzt werden, je gewichtiger die Rechtsgüter sind, die bei einem möglichen Rückfall des entlassenen Verurteilten verletzt oder gefährdet würden. Diese dürfen indes auch nicht so hoch geschraubt wer-
den, dass dem wegen eines Kapitalverbrechens oder eines Organisationsdelikts im Sinne der §§ 129a, 129b StGB Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf eine vorzeitige Haftentlassung bleibt.
Zu Lasten des Angeklagten darf nicht gewertet werden, er habe die Tatvollendung nicht freiwillig aufgegeben.
1. Das Tatgericht darf dem mit dem Vorwurf der Vergewaltigung konfrontierten Angeklagten nicht strafschärfend anlasten, er sei bestrebt gewesen, die Geschädigte durch Vorlage von von ihr gefertigter frivoler martialisch-lüsterner Zeichnungen sowie von entsprechenden Fotoaufnahmen in ihrem Ansehen und damit in ihrer Glaubwürdigkeit herabzuwürdigen. Die Glaubwürdigkeit einer Belastungszeugin in Frage zu stellen, auch anhand von Bildern bzw. Zeichnungen, die sie abbilden bzw. von ihr herrühren, kann beim Vorwurf der Vergewaltigung zum geschützten Recht auf Verteidigung gehören, auch wenn diese Unterlagen womöglich Rückschlüsse auf Neigungen oder Vorlieben im Sexualleben der Geschädigten zulassen.
2. Ein Tatgericht darf nicht ohne nähere Feststellungen bei der Vergewaltigung strafschärfend berücksichtigen, dass sich der Zeitraum, in dem die Taten begangen worden sind, als „Martyrium“ für das Tatopfer erwiesen habe.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Verhalten gegenüber Zeugen nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn es eindeutig die Grenzen angemessener Verteidigung überschreitet und Rückschlüsse auf eine rechtsfeindliche Einstellung des Angeklagten zulässt (vgl. nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4, 5, 8, 13).
2. Dies ist nicht der Fall, wenn der Angeklagte seine Täterschaft stets in Abrede gestellt hat und er im Wege „qualifizierter Verteidigung“ gegenüber den Verwandten des Opfers Trauer bekundet. Auch die Erörterung von Vorwürfen gegen die Geschädigte in einem Brief an deren Eltern stellt keinen Umstand dar, der das Verhalten des Angeklagten als eine besonders herabwürdigende Verleumdung des Tatopfers erscheinen lässt und deshalb strafschärfend berücksichtigt werden könnten (vgl. BGH NStZ 1995, 78; StV 1995, 633).
1. Der Versuch eines Angeklagten, das ihm vorgeworfene Verhalten sachlich anders darzustellen oder es wegen tatsächlicher Umstände in einem milderen Licht erscheinen zu lassen, stellt ein zulässiges Verteidigungsverhalten dar.
2. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf dem Angeklagten auch im Rahmen einer Entscheidung über eine Maßregelanordnung nicht angelastet werden, insbesondere nicht im Rahmen der Gefahrenprognose unter dem Aspekt der fehlenden Einsicht in das Unrecht der – bis zum Schuldspruch ja nur mutmaßlichen – Tat.
1. Die Nichtanordnung des Vorwegvollzugs entgegen § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB kann nicht damit begründet werden, dass es derzeit nicht sicher vorhersehbar, ob die zur Bewährung ausgesetzte Vollstreckung zweier früherer gegen den Angeklagten verhängter Freiheitsstrafen widerrufen werde und in welcher Reihenfolge die Vollstreckung der Freiheitsstrafen in diesem Fall erfolge. Für die Beurteilung des Vorliegens wichtiger, eine Abweichung rechtfertigender Gründe ist allein der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeblich.
2. Der Angeklagte ist schon durch die Nichtanwendung des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB beschwert, weil die von § 67 Abs. 1 StGB abweichende Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolgs dient und bei dessen Eintritt die Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte unter Anrechnung der Unterbringungsdauer schon zum Halbstrafenzeitpunkt entlassen wird.
Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer
5 m.w.N.; vgl. auch Senat, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11 – Rn. 7).
§ 46a Nr. 1 StGB setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muss (BGH NStZ 2002, 646). Dafür ist eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung Voraussetzung. Das Bemühen des Täters muss Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein, und das Opfer muss die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren. Regelmäßig sind tatrichterliche Feststellungen dazu erforderlich, wie sich das Opfer zu den Anstrengungen des Täters gestellt hat, wie sicher die Erfüllung einer etwaigen Schmerzensgeldzahlungsverpflichtung ist und welche Folgen diese Verpflichtung für den Täter haben wird (vgl. BGH aaO sowie NStZ 2002, 29).
Bei einem schwerwiegenden Sexualdelikt ist allein die Annahme eines Schmerzensgeldangebots regelmäßig noch kein ausreichendes Indiz dafür ist, das Opfer wolle sich damit auch auf den für einen Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB erforderlichen kommunikativen, auf umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der Tatfolgen angelegten Prozess mit dem Täter einlassen.
1. In den Urteilsgründen einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist als gewichtiger strafmildernder Umstand regelmäßig zu erörtern, wenn die gesamte für den Absatz bestimmte Betäubungsmittelmenge sichergestellt und aus dem Verkehr gezogen werden konnte.
2. Eine Einziehung gemäß § 74 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung Eigentümer der Sache ist.