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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2011
12. Jahrgang
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Christian Schröder: Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl., 518 Seiten, Carl Heymanns Verlag, 98,00 €, Köln 2010.
Wie bedeutsam der Zustand des Kapitalmarktes nicht "nur" für Renten und Lebensversicherungen, sondern auch für Staaten und ganze Kontinente sein kann, erleben wir in diesen Tagen. Nahezu tägliche Hiobsbotschaften verdeutlichen uns die fragile Natur internationaler Geldkreisläufe. Die Europäische Kommission sinnt konkreter als bisher darüber nach, den Schutz des Kapitalmarktes durch eine Verordnung und durch Gebote zum Einsatz von Strafen auch gegenüber Unternehmen zu verstärken. Ob jene Bestrebungen tatsächlich erfolgversprechende Lösungen gegen zukünftiges Fehlverhalten am Kapitalmarkt bieten und nicht nur symbolische Akte gemeinsamer Hilflosigkeit darstellen, vermögen wir - am Vorabend der kommenden Regelungen - noch nicht belastbar zu beurteilen. Die Frage, ob das bereits jetzt weithin europäisierte Kapitalmarktstrafrecht de lege lata in der Lage ist, vergangene Fehlentwicklungen am Kapitalmarkt auch als Ausprägungen individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu analysieren, müssen wir bereits heute beantworten. Hierzu leistet das zu besprechende Handbuch Kapitalmarktstrafrecht von Christian Schröder einen großen Beitrag. Das wissenschaftlich anspruchsvolle Praxishandbuch liegt nun in einer zweiten Auflage vor, die bereits die Finanzkrise der Jahre 2007/2008 verarbeiten konnte.
Wie bisher finden sich im Handbuch Schröders in erster Linie die im Vergleich zu den §§ 263, 266 StGB seltener durchdrungenen, spezifischen Delikte des Kapitalmarktstrafrechts erläutert (Kapitalanlagebetrug gemäß § 264a StGB, Insiderstraftaten, Börsen- und Marktpreismanipulation, Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften, Verstöße gegen das KWG). Ergänzend führt Schröder in das Verfahrensrecht des WpHG ein. Die damit bestrittenen ersten sechs Kapitel sind bereits besprochen und als Standardlektüre anerkannt. Sie stehen hier deshalb nicht im Vordergrund. Schröder bringt uns in ihnen die Besonderheiten der mittlerweile für die Praxis bedeutsamen Normen eingängig näher. Der oft verschachtelt und über Verweisungen geregelte komplexe Norminhalt wird sinnvoll abgestuft erläutert. Grundfragen des Kapitalmarktstrafrechts wie diejenige nach dem Einwirkungserfolg des § 38 II Nr. 1 WpHG werden umsichtig, umfassend und nah am Kapitalmarktrecht erörtert (S. 221 ff.). Grundsatzentscheidungen wie die des BGH zum Scalping werden eingehend analysiert und kritisiert (S. 158 ff., 229 ff., 224 ff.). Schröder steht bei alledem auf dem Standpunkt, dass die Straftaten des WpHG in erster Linie den Schutz des Kapitalmarktes bezwecken, jedoch auch auf einen überindividuell ansetzenden Schutz des Anlegervermögens zurückbezogen sind (siehe S. 45 f., 149 f., 272 f. mit Überschneidungen). Selbstverständlich sind zwischenzeitliche Diskussionen etwa zur Behandlung von Leerverkäufen eingearbeitet (S. 197 f., 316 f.). Zu § 20a VI WpHG hat Schröder sein Plädoyer für eine Abstandnahme von näheren Regeln für den Journalismus vertieft.
Von besonderem Interesse ist, was Schröder in zwei gänzlich neuen Kapiteln des insgesamt um über 100 Seiten angewachsenen Werks thematisiert. Das neue siebte Kapitel zur "Compliance in börsennotierten Unternehmen" (S. 379-401) bereichert die allgegenwärtige Compliance-Debatte mit einer gezielten Erläuterung, wie Unternehmen, die am Kapitalmarkt agieren, die Wahrung der dort geltenden spezifischen, sanktionsbewehrten Rechtsregeln absichern sollten. Schröder adressiert besonders die Schwierigkeiten, die sich aus den oft farblosen und kaum mit einer allgemein erkennbaren Appellwirkung ausgestatteten Regeln des Kapitalmarkts ergeben. Er tritt zustimmungswürdig für eine "faire Compliance" ein, die auch den Mitarbeitern des Unternehmens gerecht wird, indem sie diese insbesondere vor verkappten Risiken insbesondere des Kapitalmarkt(-straf-)rechts warnt. Die vom BGH (HRRS 2009 Nr. 718) obiter befür-
wortete Garantenstellung des Compliance Officers lehnt Schröder weitgehend ab (S. 381).
Vor allem in dem neu verfassten achten Kapitel "Die Finanzkrise und das Strafrecht" (S. 403-443) arbeitet Schröder schließlich strafrechtliche Kernfragen der Finanzkrise der Jahre 2007/2008 auf, die er als Vertrauenskrise bestimmt. Hierzu stellt er zunächst gründlich und verständlich die komplexen Geschäftszusammenhänge der Verbriefungen dar, welche die Krise ausgelöst hatten. Diese Darstellung ist sehr wertvoll, dürfte sie doch vielen Strafrechtlern erstmals ein detaillierteres, aus strafrechtlicher Perspektive gezeichnetes Bild des Grundsachverhalts vermitteln. Jenen Grundsachverhalt unterzieht Schröder einer rechtlichen Verarbeitung unter dem Gesichtspunkt der Untreue. Damit gibt er die ursprüngliche Konzeption, die §§ 263, 266 StGB nicht in das Zentrum des Buchs zu rücken, mit guten Gründen teilweise auf. Sein besonderes Augenmerk gilt der vielerorts akzeptierten und durch Bankgarantien geadelten exzessiven Fristentransformation, die er als Hauptvorwurf an die Akteure formuliert, soweit ihre Geschäfte nicht hinreichend durch Eigenkapital unterlegt waren. Inhaltlich stützt er sich auf die - durchaus umstrittene - Forderung nach einer "gravierenden Pflichtverletzung", die er in der Eingehung oder Fortführung konkreter existenzgefährdender Risiken erblickt. Er betont, dass das bloße Vertrauen auf die Einschätzungen von Rating-Agenturen angesichts der erkannten oder offensichtlichen Komplexität der Geschäfte spätestens Anfang 2007 bei einem großen Engagement pflichtwidrig war. Darauf, ob und wie zu diesem Zeitpunkt bereits übernommene Risiken tatsächlich noch abgebaut werden konnten, geht Schröder allerdings nicht näher ein. Bei der Nachteilsberechnung prüft Schröder einen möglichen Gefährdungsschaden. Er schließt sich dem nicht selten bestrittenen Ansatz Nacks an, nach dem ein Vermögensnachteil vergleichsweise früh im Anschluss an bilanzielle Prüfungen anzunehmen ist (siehe Nack StraFo 2008, 277 ff., zur jüngeren Diskussion anhand des Betruges vgl. näher AnwK/Gaede § 263 Rn 109, 116 ff.).
Bei der Thematisierung der Finanzkrise wird die schon im übrigen Buch zu beobachtende, wohltuend ausgewogene Grundlinie in Schröders Arbeiten deutlich. So legt er zum Beispiel im Rahmen einer prinzipiellen Bestätigung der §§ 49, 26 BörsG wert darauf, dem Leser auch die prinzipielle Seriosität der Terminbörsen zu vermitteln, um einer vorschnellen Fehleinschätzung vorzubeugen (S. 297 ff.). Etwa zur Untreuestrafbarkeit der mit ABS-Anleihen agierenden Bankmanager tritt Schröder (implizit) Vorstellungen entgegen, nach denen sich der komplexe, eigene Gesetze schaffende Markt ("das haben doch damals alle gemacht") einer sanktionierenden rechtlichen Bewertung entziehe. Der Kapitalmarkt wird nicht als großes Glücksspiel verklärt, in dem sich negative Entwicklungen stets nur als Unglücke darstellen können, während sich belast- und vorhersehbare rechtliche Maßstäbe gar nicht aufstellen lassen. Ebenso wenig zeigt sich Schröder aber bereit, "den Bankern" in der Rückschau allzu pauschal und allzu früh einen Untreuevorsatz zu unterstellen. Man darf zwar hinterfragen, ob das plötzliche und auch von Schröder beim Nachteil nicht mehr zugerechnete (S. 441 f.) zeitweise Austrocknen des Marktes für Commercial Papers nicht doch im Ergebnis zu einem weitreichenden (subjektiven) Zurechnungsausschluss führen muss. Die Arbeit mahnt aber nicht nur als Ausflucht, sondern zu Recht, sowohl zum objektiven, als auch zum subjektiven Tatbestand der Untreue tatsächlich auf den Einzelfall des konkreten Geschäfts einschließlich seiner zeitlichen Ausgangslage zu blicken. Nur so ersetzt das globale Urteil über "die Krise" oder über "die Banker" weder die objektive Bewertung des konkreten Verhaltens, noch die Feststellung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Allerdings mag man sich - auch wenn die Rechtspolitik in einem Praxishandbuch nicht unbedingt zuhause sein muss - angesichts der Wissenschaftlichkeit des impulsgebenden Werks fragen, ob sich Schröder in ihm in Zukunft nicht auch zur rechtspolitischen Diskussion äußern sollte. Die Frage, ob wir neben der vermögensschützenden Untreue nicht auch einen anders konzipierten, systemrelevante Marktakteure ("too big to fail") erfassenden Schutz des Kapitalmarkts benötigen, dürfte auch im Zuge der aktuellen Finanzkrise erneuten Auftrieb und langfristig praktische Bedeutung erlangen.
Der damit bestehende fachliche Nutzen des weiterführenden Werks wird auch in der zweiten Auflage zu einem angemessenen Preis angeboten. Angemessen auch deshalb, weil das Buch zusätzlich einen gut ausgewählten Textanhang mit den einschlägigen europäischen Rechtsvorschriften (etwa die Insider- und Marktmanipulationsrichtlinie) und den deutschen Rechtsverordnungen (etwa die MaKonV und die WpAIV) umfasst. Das Layout des von Heymanns gestalteten Handbuchs ist großzügig und sehr übersichtlich. Man hält deshalb nach Form und Inhalt ein Buch in seinen Händen, das Autor und Verlag sehr gut gelungen sind. Wer Erkenntnisse zu den aktuellen strafrechtlichen Schranken des Kapitalmarkts sucht, dürfte das Buch deshalb wie der Rezensent mit Freude und Gewinn lesen.
Prof. Dr. Karsten Gaede, Bucerius Law School, Hamburg