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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni/Juli 2011
12. Jahrgang
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1. In Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) begangen worden waren, darf die Fortdauer der Maßregelvollstreckung über zehn Jahre hinaus auf der Grundlage der bis zu einer Neuregelung, längstens bis 31. Mai 2013 weiter anwendbaren Vorschrift des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB i.V.m. § 2 Abs. 6 StGB nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (ThUG) leidet; andernfalls ist die Maßregel – spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 – für erledigt zu erklären (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a.). (BGHSt)
2. Eine sofortige Entlassung von rückwirkend über zehn Jahre hinaus Untergebrachten ist nicht etwa wegen eines aus § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 5 und 7 MRK herzuleitenden gesetzlichen Ausschlusses der Rückwirkung geboten. Es bedarf vielmehr in jedem Fall neuer vollstreckungsgerichtlicher Überprüfung anhand des durch das Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Gefährlichkeitsmaßstabs, der mit dem durch den Senat entwickelten im Einklang steht; hinzu kommt das Erfordernis einer psychischen Störung, das sich an Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. e MRK orientiert. (Bearbeiter)
3. Eine Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB ist nur bei Erfüllung der einschränkenden Vorgaben für die Maßregelfortdauer möglich, in diesem Falle allerdings aus den im Anfragebeschluss des Senats (HRRS 2010 Nr. 1043) angeführten Gründen unter den dort genannten Voraussetzungen auch nicht schlechthin ausgeschlossen. (Bearbeiter)
1. Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. darf nur dann angeordnet werden, wenn die Anlasstat nach Rechtskraft der zweiten Vorverurteilung begangen worden ist. Vortaten und Vorverurteilungen müssen in der Reihenfolge „Tat – Urteil – Tat – Urteil“ begangen worden sein. Der Täter muss, um die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB a.F. zu erfüllen, die Warnfunktion eines jeweils rechtskräftigen Strafurteils zweimal missachtet haben.
2. Der § 66 StGB ist bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, nur nach Maßgabe der vom Bundesverfassungsgericht erlassenen Weitergeltungsanordnung anzuwenden. Die weitere Anwendung des § 66 StGB in der Übergangszeit erfordert eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist.
3. Die Weitergeltungsanordnung, die engere Voraussetzungen formuliert, hat das Bundesverfassungsgericht jedoch ausschließlich auf die im Tenor genannten Altfälle des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB sowie sämtliche Fälle der §§ 66b Abs. 2 StGB, 7 Abs. 2 JGG beschränkt. Die Anordnung primärer Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB ist einschränkungslos in Nummer III. 1. in Verbindung mit Nummer II. 1. b) des Tenors des BVerfG-Urteils geregelt. Einer Übertragung der engeren Anwendungsvoraussetzungen auf die rückwirkende Anordnung primärer Sicherungsverwahrung in der Übergangszeit stehen der eindeutige Wortlaut und die Systematik der Weitergeltungsanordnung sowie die hierauf bezogenen Begründungselemente unter C. III. 2. a) und b) der Gründe (Rn. 171-173) entgegen.
Dass die Bewährungsüberwachung vor der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/947/JI erschwert wäre, darf nach Auffassung des Senats kein Grund sein, einem EU-Bürger eine Aussetzung der Maßregel zu verweigern, sofern im Übrigen eine positive Prognose im Sinne des § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB besteht.
Auch wenn nicht unmittelbar durch die täuschungsbedingte Vermögensverfügung herbeigeführte weitere Vermögensschäden dem Angeklagten bei der Strafzumessung als verschuldete Tatauswirkungen angelastet werden können (§ 46 Abs. 2 StGB), setzt dies doch voraus, dass der Täter die Tatfolgen nach Art und Gewicht im Wesentlichen voraussehen konnte.
Dass der Angeklagte in seiner polizeilichen Vernehmung fälschlicherweise eine Bedrohungslage als Grund für seine Mitwirkung an der Tat behauptet hatte, steht der Anwendung des § 46b Abs. 1 StGB nicht entgegen.
1. Die Strafaussetzung zur Bewährung kann zur Verteidigung der Rechtsordnung nur versagt werden, wenn der Verzicht auf die Vollstreckung der Strafe im Hinblick auf schwer wiegende Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert werden könnte.
2. Die Gründe für die Versagung der Strafaussetzung zur Verteidigung der Rechtsordnung dürfen nicht dazu führen, dass bestimmte Deliktsgruppen generell von der Möglichkeit der Strafaussetzung ausgenommen werden (vgl. BGHSt 24, 40, 45). Dies gilt auch in Fällen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 38). Erforderlich ist stattdessen eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung, bei der Tat und Täter umfassend zu würdigen sind (vgl. BGHSt 24, 40, 46).
1. Der Umstand, dass der Angeklagte seine eigenen Tatbeiträge geleugnet hat, steht der Anwendung der Vorschrift des § 46b Abs. 1 StGB nicht entgegen, sondern ist im Rahmen der für die Ausübung des Ermessens nach § 46b Abs. 2 StGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigen.
2. Ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust durch Einziehung (hier: ein PKW) kann strafmildernd zu berücksichtigen sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 – Strafzumessung 1, 16 und 39). Einer ausdrücklichen Erörterung bedarf es aber dann nicht, wenn angesichts des Wertes die Einziehung die Bemessung der Strafe nicht wesentlich zu beeinflussen vermag (Senat, NStZ 1985, 362; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 39).
1. Positiv bewertete Aussichten ambulanter Maßnahmen können nicht dafür herangezogen werden, die Erfolgsaussichten einer (stationären) Unterbringung zu verneinen. Entsprechendes gilt für die Erwägung, eine Unterbringung entspreche nicht dem Wunsch des Angeklagten. Selbst das Fehlen von Therapiewilligkeit steht nämlich einer Anordnung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht entgegen. Sie kann lediglich ein gegen die Erfolgsaussicht sprechendes Indiz sein, das den Tatrichter zu der Prüfung
verpflichtet, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann.
2. Die Unterbringung nach § 64 StGB geht der dem Vollstreckungsverfahren gemäß § 35 BtMG vorbehaltenen Maßnahme vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist. Hieran hat sich durch die Neufassung des § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 grundsätzlich nichts geändert.
1. Die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB ist auch im Rahmen des § 224 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen die Annahme eines minder schweren Falles auch hier regelmäßig gebietet.
2. Sofern ein Erregungszustand des Täters über den in § 213 StGB umschriebenen hinausgeht und zu einer – von dieser Vorschrift nicht vorausgesetzten – erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, so kann ohne Verstoß gegen § 50 StGB eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen.
1. Entscheidend für Einordnung der Schuld eines Gehilfen ist das Gewicht seiner Beihilfehandlung, wenngleich die Schwere der Haupttat mit zu berücksichtigen ist.
2. Ist die Haupttat nicht als minder schwerer Fall einzustufen, folgt hieraus nicht ohne weiteres, dass dies auch für die Tat des Gehilfen gilt.
3. Nicht gegebene Strafmilderungsgründe dürfen nicht strafschärfend herangezogen werden. (BGHSt 34, 345, 350). Das Gleiche gilt für Wendungen, die befürchten lassen, Prozessverhalten des Angeklagten, mit dem dieser – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versuchte, könnte straferschwerend berücksichtigt worden sein.
1. Die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe darf sich nicht wesentlich an den (formellen) Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Nr. 2 BtMG ausrichten, um es einem Angeklagten zu ermöglichen, nach Ablauf einer überschaubaren Zeitspanne zur Behandlung seiner Betäubungsmittelabhängigkeit eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie anzutreten.
2. Anders kann es jedoch liegen, wenn es nicht darum geht, einen alsbaldigen Antritt einer Therapie zu eröffnen, sondern sich die Angeklagte vielmehr bereits auf Grund der einbezogenen Verurteilung unter den Voraussetzungen des § 35 BtMG bereits seit geraumer Zeit in entsprechender Behandlung befindet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Angeklagte hierauf sehr positiv eingelassen hat und die Therapie Dank ihrer engagierten Mitarbeit schon weitgehend Erfolg gezeigt hat.
Die Anordnung des Verfalls nach §§ 73, 73a StGB hat Vorrang gegenüber der Anordnung des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB.
Aus der Tat erlangt sind alle Vermögenswerte, die dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließen, insbesondere also die Beute; „für die Tat erlangt“ sind demgegenüber Vermögenswerte, die dem Täter als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, aber – wie etwa ein Lohn für die Tatbegehung – nicht auf der Tatbestandsverwirklichung selbst beruhen (vgl. BGHSt 50, 299, 309 f.; BGH NStZ-RR 2003, 10).
Ein Hang im Sinne des § 64 StGB liegt nur vor, wenn entweder eine chronische, auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben ist oder ohne körperliche Abhängigkeit eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Alkohol (oder andere berauschende Mittel) zu konsumieren, und zwar „im Übermaß“. Dies wäre zu bejahen, wenn der Angeklagte auf Grund einer psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erschiene.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt eine Ausnahme von der Regelwirkung in Betracht, wenn ein Regelbeispiel mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundegelegt werden. In extremen Ausnahmefällen kann sogar eine weiter gehende Milderung des Normalstrafrahmens (§ 177 Abs. 1 StGB) und die Bemessung der Strafe aus dem Rahmen für den minder schweren Fall (§ 177 Abs. 5 1. Halbs. StGB) in Betracht zu ziehen sein (st. Rspr.).