HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 668
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 100/11, Urteil v. 03.05.2011, HRRS 2011 Nr. 668
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. November 2010 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in 113 Fällen - unter Freispruch im Übrigen - zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 18. Februar 2010 sowie der mit Urteil des Amtsgerichts Hof vom 31. März 2010 verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten. Mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Gesamtstrafenbildung. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
Der Verurteilung wegen der Betrugstaten liegt Folgendes zugrunde:
In der Zeit vom 28. Januar 2008 bis zum 28. Juli 2008 erwarb die Angeklagte in 108 Fällen Bekleidungsstücke, Lebensmittel und Spirituosen unter unberechtigter Verwendung von EC-Karten anderer Personen im Lastschriftverfahren. Die Summe der 108 Einzelbeträge (von 17,27 € bis 390,02 €) ergibt einen Gesamtschaden in Höhe von 11.134,85 €. "Die erlangten Waren verkaufte sie überwiegend in Second-Hand-Geschäften, um an Geld zu gelangen, welches sie nahezu ausschließlich für die Beschaffung von Amphetamin verwendete." In fünf weiteren Fällen schloss die Angeklagte während der Monate März und April 2008 unter einer anderen Identität Mobilfunkverträge ab, um mit den dabei erlangten SIM-Karten ohne Bezahlung telefonieren zu können, bzw. um die Karten ihrem damaligen Lebensgefährten zu überlassen. Hieraus entstand ein weiterer Schaden in Höhe von 1.013,02 €.
Die Strafkammer hat festgestellt, dass die Angeklagte gewerbsmäßig handelte. Der Festsetzung der Einzelstrafen legte das Landgericht deshalb den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB zugrunde, sofern der jeweilige Schaden nicht unter 30,00 € lag. In diesen Fällen beließ es die Strafkammer beim Strafrahmen des § 263 Abs. 1 StGB. Sie hat dann bei einem Betrugsschaden unter 30,00 € jeweils einen Monat, bei einem Schaden von 30,00 bis 149,99 € sechs Monate und bei darüber liegenden Schadenshöhen sieben Monate Freiheitsstrafe verhängt.
Aus diesen Einzelstrafen bildete die Strafkammer dann - unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof und der Geldstrafe von 50 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg - eine Gesamtstrafe in Höhe von drei Jahren und zwei Monaten.
Die Gesamtstrafenbildung ist nach Auffassung der Beschwerdeführerin rechtsfehlerhaft. Zum einen sei die Strafe unvertretbar niedrig und habe sich von ihrer gesetzlichen Bestimmung, angemessener Schuldausgleich zu sein, vollständig gelöst. Zum anderen habe die Strafkammer in ihre Strafzumessungserwägungen in unzulässiger Weise Gesichtspunkte der Strafvollstreckung einbezogen im Hinblick auf die in § 35 BtMG eröffnete Möglichkeit von deren Zurückstellung.
Damit hat es folgende Bewandtnis:
Die Angeklagte konsumierte ab 2007 - mit zwei mehrmonatigen Unterbrechungen - Amphetamin bis zu ihrer Festnahme am 26. August 2009. An diesem Tag hatte sie ca. 20 Gramm Crystal-Speed (mit ca. 15 Gramm Metamphetaminbase) aus der Tschechischen Republik unerlaubt nach Deutschland eingeführt und war entdeckt worden. Wegen dieser Tat wurde sie am 31. März 2010 zu den einbezogenen zwei Jahren und fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Angeklagte befand sich seit dem 26. August 2009 in Untersuchungs- und Strafhaft bis die weitere Strafvollstreckung mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20. Juli 2010 zur therapeutischen Behandlung der Angeklagten gemäß § 35 BtMG zurückgestellt wurde. "Seit dem 22. Juli 2010 befindet sich die Angeklagte in stationärer Langzeittherapie in E. Sie nimmt dort am regulären Therapieprogramm, bestehend aus Psychotherapie (Einzel- und Gruppengespräche), Arbeitstherapie sowie Ergo- bzw. Freizeittherapie teil. Sie hat sich gut in die dortige Hausgemeinschaft integriert und an die Regelungen und die Disziplin in der Einrichtung angepasst. Von Beginn der Therapie an zeigt die Angeklagte eine nach Einschätzung der behandelnden Therapeutin Dipl.-Psychologin M. glaubhafte und stabile Veränderungs- und Abstinenzmotivation. Sie beweist eine überzeugende intrinsische (aus dem Inneren kommende) Motivation, ihr Leben zukünftig drogenfrei zu gestalten. Alle in der Einrichtung durchgeführten Alkohol- und Urinkontrollen verliefen negativ. Die Therapie verläuft nach Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen Dr. W. sehr erfolgversprechend."
Vor diesem Hintergrund hat die Strafkammer am Ende Ihrer Erwägungen zur Bildung der Gesamtstrafe ausgeführt:
"Schließlich war unter dem Gesichtspunkt der Wirkung der Strafe auf die Angeklagte zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass diese bei einer höheren als der ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe ihre Langzeittherapie zunächst für weiteren Strafvollzug hätte unterbrechen müssen. Denn insoweit wäre gemäß § 35 Abs. 6 Nr. 1 BtMG die Zurückstellung der Vollstreckung zu widerrufen, weil der noch nicht durch Untersuchungs- oder Strafhaft bzw. anrechenbare Therapie erledigte Strafrest bei einer höheren Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre übersteigen würde. Die Angeklagte hätte mithin einige Monate bis zum erneuten Erreichen eines Strafrestes von nicht mehr als zwei Jahren aus der Therapie in den Strafvollzug überführt werden müssen, was nach Darstellung des Sachverständigen Dr. W. den Therapieerfolg nachhaltig gefährden würde."
Die Gesamtstrafenbildung ist im Ergebnis frei von Rechtsfehlern. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumente sind allerdings durchaus beachtlich. Letztlich liegt die Gesamtstrafenbildung aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles aber gleichwohl noch im Rahmen des dem Tatrichter hierbei einzuräumenden Beurteilungsspielraums.
Die Einbeziehung der Auswirkungen der Strafhöhe auf die Therapie, in der sich die Angeklagte derzeit befindet, liegt hier noch im Rahmen der nach § 46 StGB zulässigen Strafzumessungserwägungen.
Die Beschwerdeführerin verweist zwar zu Recht darauf, dass sich die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe nicht wesentlich an den (formellen) Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Nr. 2 BtMG ausrichten darf, um es einem Angeklagten zu ermöglichen, nach Ablauf einer überschaubaren Zeitspanne zur Behandlung seiner Betäubungsmittelabhängigkeit eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie anzutreten (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2009 - 2 StR 37/09 - Rn. 3 f. mwN).
Im vorliegenden Fall stellt sich der Sachverhalt jedoch anders dar. Es ging und geht nicht darum, der Angeklagten die Möglichkeit zu einem alsbaldigen Antritt einer Therapie zu eröffnen. Vielmehr befindet sich die Angeklagte - aufgrund der einbezogenen Verurteilung unter den Voraussetzungen des § 35 BtMG - bereits seit geraumer Zeit in entsprechender Behandlung. Die Angeklagte hat sich hierauf sehr positiv eingelassen. Dank ihrer engagierten Mitarbeit hat die Therapie schon weitgehend Erfolg gezeigt.
Mit der Erwägung, diesen Erfolg der Therapie zu stabilisieren und nicht zu gefährden, hat das Landgericht auf die Wirkung der Strafe für das zukünftige Leben der Angeklagten abgestellt. Da hierbei von maßgeblicher Bedeutung ist, dass die unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 BtMG begonnene und weit fortgeschrittene Therapie nicht unterbrochen wird, durfte die Strafkammer bei der Festsetzung der Gesamtstrafe - unter Einbeziehung der Verurteilung, die bislang die Grundlage für den Vollstreckungsaufschub bot - auch die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 BtMG in den Blick nehmen, solange das Maß des Schuldangemessenen nicht unterschritten wird.
Die dazu von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, die von der Strafkammer gebildete Gesamtstrafe stelle keinen gerechten Schuldausgleich mehr dar, ist zwar nicht fern liegend. Der Senat vermag sie im vorliegenden Fall letztlich nicht zu teilen. Die Taten haben einen gemeinsamen Ursachenzusammenhang. Sie beruhen auf der - weitgehend überwundenen - Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten. Dies rechtfertigt hier einen engen Zusammenzug bei der Bildung der Gesamtstrafe, ein Vorgang, der sich mathematischer Betrachtung ohnehin entzieht. Schematismus ist hierbei ebenso nicht angebracht (BGH, Urteil vom 8. August 2001 - 1 StR 291/01). Der Tatrichter darf sich bei der Gesamtstrafenbildung nicht von der Summe der Einzelstrafen leiten lassen (BGH, Beschluss vom 25. August 2010 - 1 StR 410/10). Unter Berücksichtigung der weiteren Begründung der Strafkammer zur Festsetzung 16 der Gesamtstrafe, vermag der Senat auch insoweit keinen Rechtsfehler zu erkennen.
Die Rechtsfolge weicht hier noch nicht nach unten von dem ab, was als gerechter Schuldausgleich noch angesehen werden kann.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 668
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2012, 183; StV 2011, 533
Bearbeiter: Karsten Gaede