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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
September 2010
11. Jahrgang
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Von AR Dr. Benno Zabel B.A., Leipzig
Fälle der Kindestötung, benannt auch als Infantizid, beschäftigen die Rechtsprechung seit je her.[1] Sie verweisen, trotz der schwindenden Bedeutung in Kriminalpolitik und Strafpraxis, auf die Vielschichtigkeit sozialer Komplikationen und rechtlicher Konfliktlösung, vor allem aber auf die gesetzes- und zurechnungssystematischen Probleme.[2] Das gilt umso mehr, als die Regelung des § 217 StGB durch das 6. StrRG ersatzlos gestrichen und damit auch die Rechtsanwendung vor neue Herausforderungen gestellt wurde.[3] Galt die Kindestötung seit ihrer Neufassung im Österreichischen und Preußischen StGB als Privilegierungstatbestand, im Sinne eines delictum sui generis, mit der Folge, dass das Strafmaß, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, tat- und schuldangemessen zu mildern war,[4] so ist sie jetzt als "normales" Tötungsdelikt einzustufen und den entsprechenden Tatbeständen zuzuordnen.[5] Folgerichtig entfällt damit auch
die vormals angenommene Sperrwirkung des Sonderdelikts gegenüber dem Mord- und Totschlagstatbestand.[6] Mit der Frage, wie sich die originäre Konfliktsituation und das typische Tatunrecht der Kindestötung in die aktuelle Gesetzes- und Sanktionslogik integrieren lassen, hatte sich jüngst der 4. Strafsenat zu beschäftigen.[7]
Nachfolgend soll das zum Anlass genommen werden, um die Problematik etwas genauer in den Blick zu nehmen. Dazu sind Ausgangssachverhalt und Argumentation des Tat- bzw. Revisionsgerichts kurz vorzustellen (II.). Im Anschluss daran soll die Argumentation der Gerichte, und hier insbesondere die Annahme des Mordtatbestands analysiert werden. Die damit verbundenen Einsichten werden weitere rechtspraktische und gesetzessystematische Probleme der Tötungstatbestände offenlegen (III.); sie werden aber auch die Frage nach einer alternativen, d.h. dynamisierten strafgesetzlichen Einordnung der Kindestötung in den Vordergrund rücken (VI.). Die Erörterungen enden mit einer Zusammenfassung der strafrechtlichen Konsequenzen (V.).
Mit seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2008 verwirft der 4. Strafsenat die Revision der Angeklagten und bestätigt damit das Urteil des LG Magdeburg, das die Angeklagte wegen versuchten Mordes schuldig gesprochen und eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren verhängt hatte.[8] Insbesondere, so der Senat, könne in der Annahme des mordqualifizierenden Merkmals der Tötung aus niedrigen Beweggründen keine Verletzung sachlichen Rechts gesehen werden.
Der zugrunde gelegte Sachverhalt geht davon aus, dass die 24jährige Angeklagte im Januar 2007 "aufgrund des intimen Kontakts zu der unbekannten Person namens ‚M' schwanger" wurde. Während der Schwangerschaft, die die Angeklagte zunächst nicht bemerkte und später wohl verdrängte, lernte sie C.O. kennen, mit dem sie inzwischen verlobt ist. Erst Anfang Oktober 2007, zwei Wochen vor der Entbindung, stelle die Angeklagte Kindsbewegungen in ihrem Körper fest und war sich nun auch subjektiv sicher, tatsächlich schwanger zu sein. Zugleich kam sie zur Überzeugung, dass sie das Kind nicht haben wollte. Auch deshalb verheimlichte die Angeklagte ihre Schwangerschaft sowohl vor ihren Eltern als auch vor C.O. Die Möglichkeiten der Adoption oder der Abgabe des Kindes in einer Babyklappe waren ihr zwar bekannt, die Angeklagte glaubte aber, die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht oder nicht angemessen bewältigen zu können. In der Nacht vom 17. auf den 18.Oktober 2007 gebar die Angeklagte innerhalb kürzester Zeit einen männlichen Säugling. Spätestens zu diesem Zeitpunkt entschloss sich sie sich, das Kind zu töten. Die Angeklagte fürchtete, ihr bisheriges Leben nicht fortsetzen zu können, schließlich fühlte sie sich als Mutter noch viel zu jung und wollte "noch etwas erleben", spürte aber auch die diffuse Angst, dass sie C.O., der bereits ein uneheliches Kind hatte, verlassen könnte. Vor allem letzteres wollte die Angeklagte verhindern. Trotz des erheblichen Blutverlustes reinigte sie zunächst das Bad, nahm das Kind und warf es dann in den hinter dem elterlichen Anwesen entlang führenden Mühlgraben. Das Kind war - wie das rechtsmedizinische Gutachten ergab - zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben, eine Tatsache, die der Angeklagten bis zum Schluss verborgen blieb. Der Leichnam wurde am folgenden Tag von dem in der Nachbarschaft wohnenden H.B. gefunden.
Die Verurteilung aus dem Mordtatbestand verdeutlicht die neue Dimension der nun geltenden Gesetzessystematik.[9] Das Tatgericht ist sich dessen durchaus bewusst. Neben der Feststellung der Versuchsstrafbarkeit - konkret: eines untauglichen Versuchs -, konzentriert sich die Würdigung vor allem auf die Begründung der Tatmotiv- und Mordqualifikation, darüber hinaus auf das Vorhandensein schuld- und strafmindernder Faktoren.[10] So betont die Schwurgerichtskammer, dass die bereits erwähnte Einlassung der Angeklagten, sie fühle sich noch zu jung für ein Kind und wolle noch etwas erleben, nicht nur das bestimmende Motiv der Tat kennzeichne, sondern auch die Eigensüchtigkeit des Handelns zur Geltung bringe. Denn tat- und entscheidungslenkend sei für sie gewesen, das bisherige Leben in gewohnter Form fortsetzen zu können, wobei das Kind einen Störfaktor dargestellt hätte,[11] zugleich wurden Alternativen, wie die Babyklappe oder Adoption, nicht oder nicht ernsthaft erwogen.[12] Zwar müsse, so die Kammer weiter, die diffus artikulierte Angst, ihr Freund würde sie bei der Geburt des Kindes verlassen, Beachtung finden, indes, das Eingeständnis der Angeklagten, dem Freund grundsätzlich
vertrauen zu können, mache deutlich, dass es sich hierbei nur um ein untergeordnetes Tatmotiv gehandelt habe.[13] Zu bedenken sei schließlich, dass die Angeklagte auch im Nachhinein nicht von ihren sie bei der Tat beherrschenden Beweggründen distanziert, sondern noch in der Hauptverhandlung "schnippisch und zumeist genervt" auf ihrem Standpunkt beharrt habe.[14] Im Wege einer Gesamtabwägung müsse daher, so das Fazit, "die rücksichtslose Unterordnung des Lebensrechts des Kindes unter die vorrangigen Interessen der Angeklagten[…]als auf sittlich tiefster Stufe stehendes Motiv" angesehen werden, weshalb sich das Landgericht zu Annahme eines Mordes "aus niedrigen Beweggründen gem. § 211 Abs. 2 4. Alt. StGB genötigt sah.[15]
Allerdings zieht die Kammer eine Reihe schuld- und strafmindernder Gesichtspunkte in Betracht; allen voran den durch die Versuchsstrafbarkeit, gem. §§ 22, 23 Abs. 1 und 2 StGB eröffneten Weg über § 49 Abs. 1 StGB. Der daran geknüpfte Strafrahmen von 3 bis zu 15 Jahren bildet schließlich die Grundlage der Strafzumessung: hier der Verhängung einer vierjährigen Freiheitsstrafe. Für die Kammer ist der vergleichsweise milde Strafausspruch insoweit tat- und schuldangemessen, als die Angeklagte bei der Tötung nicht mit Vorbedacht, sondern unter dem Eindruck der für sie, konkret zu diesem Zeitpunkt, nicht erwarteten Geburt gehandelt habe.[16] Darüber hinaus müsse der Angeklagten der durch die Geburt ausgelöste Stress zu Gute gehalten werden. Dieser begründe zwar, worauf das Landgericht im Anschluss an das Sachverständigengutachten verweist, kein Eingangsmerkmal des § 20 StGB, insbesondere sei die von der Angeklagten behauptete totale Amnesie während des Geburtsvorgang nicht glaubhaft vorgetragen, sondern deute eher auf eine Verdrängung der Tötung hin; gleichwohl, so die Überzeugung der Kammer, seien die besonderen Umstände der Tat, die physischen und psychischen Belastungen und die insofern aufbrechenden Konflikte strafmildernd zu berücksichtigen.[17] Der 4. Strafsenat, darauf ist schon hingewiesen worden, bestätigt in seiner Revisionsentscheidung den Strafausspruch der Schwurgerichtskammer. Zugleich unterstreicht er ausdrücklich die Mordqualität der Tat, indem er das Verhalten der Angeklagten als "besonders krasse Selbstsucht" einordnet und ihr, hinsichtlich der Tatausführung, eine "erschreckende Wegwerfmentalität" bescheinigt.[18]
Die sowohl von der Kammer als auch vom 4. Strafsenat ins Spiel gebrachte Begründung für die Annahme niedriger Beweggründe ist nicht neu. Ungeachtet des Streits um die Frage der Unrechts- oder Schuldrelevanz mordkonstitutiver Merkmale,[19] bestimmt die Rechtsprechung Beweggründe dann als niedrig, wenn sie als handlungsleitende Motive einer Tötung "nach allgemein sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslos triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind".[20] Diese Verwerflichkeitsbetrachtung des Bundesgerichtshofes betont vor allem die Höchststrafwürdigkeit der Tat, verdeutlicht allerdings auch die rechtlichen Definitions- und Bestimmtheitsprobleme eines solchen Tatbestands- und Zurechnungskonzepts.[21]
Der Gefahr einer gesinnungsethischen Entgrenzung der Motivgeneralklausel begegnet der BGH grundsätzlich durch ein dreistufiges Modell: Ausgangspunkt ist eine sorgfältige Motivforschung, mit dem Ziel, die Dominanz der niedrigen Beweggründe innerhalb eines Motivbündels herauszustellen;[22] häufig wird hierbei auf typisierende Fallgruppen, wie "speziellen Mordmerkmalen entsprechende Beweggründe", Formen der "Missachtung des personalen Eigenwerts des Opfers" oder einem "unerträglichen Missverhältnis zwischen dem Anlass der Tat und dem Erfolg" zurückgegriffen, um so, kasuistisch, eine tragfähige Argumentationsbasis zu ermöglichen.[23] Zugleich und mit Blick auf die innere Tatseite soll es notwendig sein, dass der Täter die tatsächlichen Umstände der Tat kennt (in das Bewusstsein aufgenommen hat), die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen.[24] Gemeint ist insofern ein Bedeutungswissen von der
Niedrigkeit seines Tuns, das sich wiederum in den "Handlungsantrieben" realisiert haben muss. Schließlich ist eine Gesamtbeurteilung der Tat vorzunehmen; einzustellen sind hier Tatgeschichte und Tatausführung, ebenso die konkreten "Lebensverhältnisse" des Täters; Gesichtspunkte, mittels derer das Verachtenswerte der Tötung auszuweisen ist.[25] Wie schwierig die Handhabung und vor allem die Restriktion dieses Mordmerkmals bleibt, zeigen nicht nur die Divergenzen zwischen Tat- und Revisionsgerichten, sondern auch die immer wiederkehrende Forderung des BGH, moralisierende und insofern rechtstaatlich bedenkliche Bewertungen der Taten zu vermeiden.[26]
Der tiefere Grund für diese Bemühungen liegt bekanntermaßen in der Verbindung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Mordes mit der zwingend angeordneten lebenslangen ("absoluten") Freiheitsstrafe.[27] Letztere macht es kaum möglich, den unterschiedlichen Unrechts- und Schuldgehalt der dem Tatbestand des § 211 StGB unterfallenden Tathandlungen, insbesondere der Tötungen aus niedrigen Beweggründen, angemessen Rechnung zu tragen.[28] Zwar hatte das BVerfG in seinem Urteil vom 21. Juni 1977 die lebenslange Freiheitsstrafe als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt, gleichzeitig aber eine gesetzliche Regelung der Voraussetzungen, "unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann", angemahnt.[29] Die im Anschluss daran ins Gesetz eingefügte Schuldschwereklausel des § 57 a StGB hat jedoch die bestehenden Probleme bei Verurteilungen wegen Mordes nur partiell entschärfen können. So kann nunmehr gem. § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB bereits durch das erkennende Gericht die besondere Bedeutung der jeweils verhandelten Mordtaten berücksichtigt werden;[30] freilich machen die so legalisierten "Feinjustierungen" auf Strafzumessungsebene nur allzu deutlich, dass die Festlegung der einheitlichen Rechtsfolge ("lebenslang") für alle den Tatbestand unterfallenden Tötungen, gravierende Einschnitte auf Seiten der Strafgerechtigkeit mit sich bringt (Neumann).[31]
Diese wenig flexible Struktur des gesetzlichen Entscheidungsprogramms hat zu einer Reihe merkmalsübergreifender Vermeidungsstrategien geführt.[32] Die Rechtsprechung behilft sich - seit BGHSt 30, 105 - mit der sogenannten "Rechtsfolgenlösung". Ursprünglich für Fälle heimtückischer Tötung entwickelt, steht sie heute für ein Argumentationsmuster, das, in unterschiedlicher Einkleidung, auf alle Tatbestandsalternativen ausgedehnt werden kann.[33] Entscheidend sei, mit Blick auf ein verhältnismäßiges Strafrecht, die fallbezogene Anerkennung außergewöhnlicher Umstände; weshalb nun generell von einer "Rechtsfortbildung auf Rechtsfolgenseite" gesprochen wird (Schneider).[34] Das betrifft in erster Linie vollendete Mordtaten. Denn gerade bei diesen Tatkonstellationen, so das ceterum censeo des BGH, lasse sich die schuldunangemessene Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe eben nur durch eine entsprechende Strafrahmenverschiebung verhindern[35] (eine wie auch immer verstandene Typenkorrektur komme dagegen, aufgrund der drohenden Einbußen an Rechtssicherheit, nicht in Betracht[36]). Anders liegt es bei der Beurteilung mordqualifizierter Versuchstaten. Die Rechtsprechung kann hier, wie im vorliegend verhandelten Fall, immer schon auf die gesetzlich vorgesehenen Milderungsvorschriften der §§ 22, 23 Abs. 1 und 2, 49 Abs. 1 StGB zurückgreifen, was für den Mord einen ermäßigten Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren eröffnet.[37] Indes, die starke Betonung der Rechtsfolgenseite führt nun ihrerseits zu Friktionen bei der Konfliktbewältigung, wie nicht zuletzt an der gegenwärtigen Judikatur zur Kindestötung ersichtlich wird.
Augenscheinlich ist vor allem die stereotype Anwendung der tatgerichtlich vorgetragenen und vom BGH übernommenen Merkmalsdefinition. Dessen Handhabung ist, wie gezeigt, alles andere als unproblematisch.[38] Gleichwohl hätte man erwarten können, dass sich der Senat mit der komplexen Motivlage der Angeklagten wirklich auseinandersetzt, verweist doch der BGH selbst darauf, dass in den Fällen der Kindestötung die Annahme von Mord nur ausnahmsweise in Betracht komme; insofern also
immer eine eingehende Prüfung erforderlich sei.[39] Stattdessen belässt es der Senat bei einer eher oberflächlichen, zum Teil auch einseitigen Beurteilung der Tat.
So werden die oben erwähnten Einlassungen der Angeklagten im Anschluss an die Ausführungen des Tatgerichts, als krasse Eigen bzw. Selbstsucht interpretiert, ohne die darin ebenso anklingende Hilf- bzw. Ratlosigkeit ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die nur als untergeordnetes Motiv eingestufte "diffuse Angst" hätte der Senat insofern auch als Angst vor einer ungesicherten, für sie unter Umständen sogar ausweglosen Lebenssituation einordnen können. Verständlich würde so aber auch, dass die im Wege einer "nachgeholten Rationalität" vorgetragenen Alternativen der Babyklappe bzw. Adoption für die Angeklagte gar nicht in den Blick kamen und insoweit auch keine waren. Ähnlichen Einwänden sieht sich auch die Begründung des Bewusstseinserfordernisses ausgesetzt. Der BGH erkennt zwar, dass es hierzu an tatrichterlichen Ausführungen mangelt, begnügt sich dann aber mit dem Hinweis, dass die Angeklagte laut Sachverständigengutachten uneingeschränkt schuldfähig war und diese sich auch im Nachhinein nicht von den tatbeherrschenden Motiven distanziert habe. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang nicht nur, dass der Senat der von einigen gehörten Zeugen, aber auch von der Generalbundesanwaltschaft vermerkten Naivität und Unreife der Angeklagten keinerlei Beachtung schenkt, sondern, im Gegenteil, das Nachtat- und Verteidigungsverhalten gerade als Bestätigung der niedrigen Gesinnung wertet. Das ist wenig überzeugend. Denn umgekehrt könnte man das "verstockte" Auftreten auch als Ausdruck einer noch unausgereiften, jedenfalls aber (noch) nicht gefestigten Persönlichkeit verstehen, die gerade in dieser Situation besonderen Bedrängnissen ausgesetzt ist.[40] Dann leuchtet es aber kaum ein, warum man diesen Aspekt unbedingt zu Lasten und im Sinne des in Rede stehenden Mordmerkmals interpretieren muss.[41] Abgesehen davon, dass der hier nahe gelegte Schluss von der nachträglich artikulierten Konfliktwahrnehmung auf die tatsächlich indizierte Motivationslage alles andere als unproblematisch ist.[42]
In dieses (einseitig gezeichnete) Bild passt schließlich auch die Beurteilung der von der Angeklagten geltend gemachten Amnesie. Das Tatgericht sieht darin eine Schutzbehauptung, die mit einer Verdrängung des konkreten Tatgeschehens einherginge. Der 4. Strafsenat hat dem nicht widersprochen. Nun kann man diese Position - wie durch die Kammer geschehen - mit der sachverständig festgestellten Schuldfähigkeit begründen; und in der Tat sind die Einlassungen der Angeklagten hier widersprüchlich. Möglich ist aber auch, dass es sich hier nicht allein um das "typische" Problem der Schuldfähigkeit, sondern darüber hinaus um das einer "abgewehrten Schwangerschaft" bzw. "abgewehrten Geburt" handelt (dazu dezidiert Lammel).[43] "Die aktive oder passive Kindestötung", so bereits Gerchow, "ist deshalb in der Regel die Folge einer seit Monaten bestehenden reaktiv fixierten Abwehrhaltung, die durch einen komplexen seelischen Notstand ausgelöst worden ist".[44] Die mordqualifizierende Gesamtwürdigung hätte sich also zumindest bemühen müssen, beide Aspekte, die grundsätzlich bestehende Einsichtsfähigkeit und das konfliktbezogene Orientierungs(un)vermögen der Täterin, in die Bewertung einzustellen. Ob das im Ergebnis die Annahme des Mordmerkmals ausgeschlossen hätte, kann hier nicht entschieden werden, sicher aber wäre eine weitere Differenzierung der Motivationslage, auch im Hinblick auf das für die niedrigen Beweggründe geforderte "krasse Missverhältnis" zwischen dem Anlass und den Folgen der Tat, aber auch zwischen "situationsspezifisch verständlichen" und "eigensüchtigen" Handlungsantrieben, möglich gewesen.
Übersieht man die tat- und revisionsrechtliche Würdigung des Sachverhalts, so drängt sich der Eindruck auf, dass die Bewertung von Konflikt und Tat immer schon mit Sicht auf die Rechtsfolge, d.h. auf den hier eröffneten gemilderten Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren und der vom Tatgericht verhängten vierjährigen Freiheitsstrafe, getroffen wurde.[45] Der Hintergrund einer solchen Verfahrensweise ist klar. Die Rechtsprechung kann die Minimalbedingungen des (versuchten) Mordes ergebnisgerecht funktionalisieren, damit einer "dynamisierten Strafzumessung" den Vorrang geben und schließlich die generalpräventiven Komponenten des Strafausspruches betonen.[46]
Wie wichtig, zugleich aber auch problematisch diese Strategie ist, zeigt der Kindestötungsfall, den der 4. Strafsenat noch vor dem eben besprochenen zu entscheiden
hatte.[47] Dort macht er expressis verbis deutlich, dass angesichts "einer sich in letzter Zeit ersichtlich häufenden Zahl einschlägiger Fälle[der Kindestötung - Anm. B.Z.]bei der Findung des (noch) schuldangemessenen Strafmaßes auch generalpräventive Gesichtspunkte Berücksichtigung finden[dürfen]".[48] Der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt dokumentiert eine Tat, die markante Ähnlichkeiten mit dem eben besprochenen aufweist.
Auch hier lebte die Angeklagte in zumindest temporär ungesicherten Lebensverhältnissen. Wechselnde Partnerschaften führten immer wieder zu Schwangerschaften. Nach der erneuten Trennung bemerkte die Angeklagte, dass sie schwanger war. Inzwischen hatte sie jedoch eine frühere Beziehung zu Enrico W. wieder aufgenommen, dem Mann, den sie "immer wollte".[49] Die Angeklagte verbarg nun erneut ihre Schwangerschaft erfolgreich und traf auch keinerlei Vorbereitungen für die bevorstehende Geburt. Auch ihre Mutter, ihre wichtigste Bezugsperson, war nicht eingeweiht, da sie Vorwürfe bezüglich ihrer Lebensführung fürchtete. Ebenso wenig wurden die (ehemaligen) Partner von der Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt.[50] Bei dem Kindsvater ging die Angeklagte davon aus, dass er das Kind sowieso ablehnen würde, gegenüber dem neuen Partner wollte sie ihre eigenen Interessen an der wieder aufgenommenen Beziehung schützen.[51] Die Angeklagte brachte schließlich im Bad problemfrei ein gesundes Mädchen zur Welt, das sie, ohne das Aufsuchen eines Krankenhauses oder die Babyklappe in Betracht zu ziehen, tötete, indem sie es mit Mund und Nase gegen den Oberkörper drückte. Das Kind erstickte. Nachdem sie sich vom Tod des Kindes überzeugt hatte, steckte sie die Kinderleiche in einen Plastiksack. Letzteren "entsorgte" sie später im nahe gelegenen See.[52]
Die Schwurgerichtskammer des LG Dessau-Roßlau hat die Angeklagte wegen Totschlags, gem. § 212 Abs. StGB schuldig befunden und gegen sie eine Freiheitsstrafe von 11 Jahren und 6 Monaten verhängt. Der BGH bestätigt die Annahme des vollendeten Totschlages, wendet sich jedoch gegen das im Strafausspruch vorgetragene Strafmaß.
Interessant ist zunächst die Auseinandersetzung mit den (tatbestandlichen) Voraussetzungen einer möglichen Mordstrafbarkeit. Tat- und Revisionsgericht bescheinigen der Angeklagten unisono eine durch die Konflikt- und Geburtssituation hervorgerufene "von Angst, Ratlosigkeit, Verzweiflung geprägte Verfassung", die bereits der Annahme von niedrigen Beweggründen entgegenstehen würde.[53] Eine andere Bewertung der Tat käme auch nicht dadurch in Frage, dass die Angeklagte die Schwangerschaft vor ihrer Umwelt verheimlichte und insbesondere ihre Interessen an der Beziehung mit Enrico W. wahren wollte. Vielmehr seien "die Verfolgung eigener Interessen und ein Missverhältnis zwischen Anlass und Tat der Regelfall der vorsätzlichen Tötung". Dass die Tat der Angeklagten demgegenüber von "besonders krasser Selbstsucht" geprägt war, die allein die Qualifizierung der Tat als mit lebenslanger Freiheitsstrafe statt als mit zeitiger Freiheitsstrafe bedrohter Totschlag rechtfertigen könne, sei nicht ersichtlich.[54]
Dieser Beurteilung kann man grundsätzlich beipflichten. Das Verhalten der Angeklagten, bei der eine verminderte Schuldfähigkeit nicht festgestellt werden konnte,[55] ist gerade nicht durch eine besondere Geringschätzung fremden Lebens gekennzeichnet; ihre Tatmotivation war offensichtlich durch die für sie ausweglose Situation forciert. Legt man allerdings diesen Maßstab an die Bewertung der erstgenannten Entscheidung des LG Magdeburg zugrunde, so ist nicht zu sehen, wie der BGH die obige Einstufung als (versuchter) Mord aus niedrigen Beweggründen aufrechterhalten könnte. Auch in diesem Fall war, wie gesehen, die Geburtssituation hoch emotionalisiert und aus Sicht der Angeklagten kaum noch beherrschbar. Vieles spricht, folgt man diesen Maßstäben, für eine durch Ratlosigkeit und Verzweiflung geprägte Handlung der Täterin.[56] Abzumildern wäre dann auch die Einschätzung, die Angeklagte habe das Kind nur als "Störfaktor" begriffen, weshalb sich die Tat insgesamt durch eine besonders krasse Selbstsucht auszeichne, denn auch hier müsste der Senat konzedieren, dass das Motivbündel, trotz der partiell egoistischen (Beziehungs-) Interessen, eher auf eine konfliktbeladene Kindestötung als auf einen Mord aus niedrigen Beweggründen hindeutet.[57] Möchte man dieser Einschätzung nicht folgen, so wäre jedenfalls darüber nachzudenken, ob nicht im Sinne einer einheitlichen Beurteilung auch in der letztgenannten Entscheidung die Annahme niedriger Beweggründe hätte erfolgen müssen.
Die Wertungsdifferenzen werden jedoch verständlich, wenn man die Rechtsfolgen in die Tatbeurteilung einbezieht. Die Annahme des Mordmerkmals hätte im letztgenannten Fall zur Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen vollendeten Mordes aus niedrigen Beweggründen geführt. Dessen (nachvollziehbare) Ablehnung eröffnet nicht nur den Strafrahmen des § 212 StGB, sondern gibt dem Senat außerdem die Möglichkeit, den daran geknüpften Strafausspruch der Schwurgerichtskammer zu kassieren. Die vorgetragene Begründung des BGH verdeutlicht nochmals den Standpunkt: "Der Strafausspruch ist aber aufzuheben, weil nach den Feststellungen, die das Landgericht zur Schwere der Tat und zum Grad der persönlichen Schuld der Angeklagten getroffen hat, bei Abwägung der strafmildernden und strafschärfenden Gesichtpunkte die verhängte Freiheitsstrafe unvertretbar hoch ist, das für vergleichbare Fälle übliche Maß erheblich überschreitet, damit den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich nicht mehr entspricht und deshalb rechtsfehlerhaft ist[…]Nach den Erkenntnissen des Senats halten sich die in einschlägigen Fällen gegen die Kindsmutter verhängten Strafen deutlich unterhalb der hier erkannten Freiheitsstrafe."
(sic!).[58] Es geht also um eine vereinheitlichende Tendenz auf Rechtsfolgenebene. Das kann man akzeptieren. Die aktuelle Spruchpraxis zeigt allerdings auch, dass die damit einhergehenden Probleme nach Abschaffung des § 217 a.F. StGB nicht weniger geworden sind.
Dies mit aller Schärfe hervorgehoben zu haben, ist unter anderem das Verdienst des LG Erfurt. In seinem Urteil vom 19. September 2001 setzt sich die Kammer nicht nur mit den Leitlinien der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung, sondern erstmals auch mit den, durch die Gesetzesänderung und die Gesetzesmaterialien grundsätzlich ermöglichten Bestrafungsalternativen auseinander.[59]
Zu beurteilen hatte das Landgericht einen Sachverhalt, der mehrere Kindestötungen über einen längeren Zeitraum (zwischen 1993 und 1999) umfasste. Danach hatte die Angeklagte wechselnde intime Beziehungen. Aus der ersten ging eine Tochter hervor. Im Anschluss vermochte sich die Angeklagte zunächst nicht für ein weiteres Kind zu entscheiden, was für die Angeklagte vor allem in ihren nur schlecht organisierten Lebensverhältnissen, aber auch in den problematischen partnerschaftlichen Beziehungen begründet lag. So erwartete die Angeklagte weder in ihrer Familie, noch von ihren Lebenspartnern Unterstützung. Dementsprechend verheimlichte die Angeklagte ihre Schwangerschaften und traf auch sonst keinerlei Vorbereitungen für die bevorstehenden Geburten. Die Konsequenz waren drei Kindestötungen, die durch Erwürgen, Ersticken und Ertränken der jeweils lebend geboren Kinder unternommen wurden.[60] Im Jahre 2000 wurde die Angeklagte in ihrer zweiten Beziehung erneut schwanger; diese Schwangerschaft verheimlichte die Angeklagte nicht und gebar im September des gleichen Jahres eine weitere Tochter. Die Angeklagte wurde im ersten Fall wegen Kindestötung gem. § 217 a.F. StGB sowie - für die weiteren Fälle - wegen Totschlags gem. 212 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Jahren und 6 Monaten verurteilt.[61]
Die Kammer stellt zunächst ohne weitere Erörterungen fest, dass in keiner der Fälle ein Mordmerkmal vorliege und insofern eine Bestrafung aus dem Mordtatbestand entfalle.[62] Das ist, mit Blick auf die mitgeteilten Umstände, nachvollziehbar.[63] Die anschließenden Überlegungen richten sich deshalb sofort auf die dem Strafmaß zugrunde liegenden Erwägungen. Für den 1. Fall kam nur der gemilderte Strafrahmen des § 217 a.F. StGB in Betracht. Dagegen war bei den Fällen 2 und 3 fraglich, ob und inwieweit nach Abschaffung des § 217 a.F. StGB bereits die besondere Konstellation der Kindestötung die Anwendung von § 213 StGB rechtfertigen kann.[64] Die Kammer nimmt das zum Anlass, auf die Hintergründe des Gesetzgebungsverfahrens und die sich daraus ergebenden Konsequenzen einzugehen. Zutreffend stellt die Kammer heraus, dass der Gesetzgeber mit der Abschaffung der Privilegierung die Erwartung verbunden hat, dass die Fälle der Kindestötungen regelmäßig durch Anwendung von § 213 StGB Berücksichtung finden können.[65] Verwiesen wird zusätzlich auf die Anhebung des Strafrahmens von § 213 StGB und die dementsprechende Begründung im Gesetzgebungsentwurf, wonach es "angesichts des weiten Anwendungsbereichs der ‚sonst minder schweren Fälle' in § 213 StGB, der durch die Aufhebung des § 217 StGB durch Artikel 1 Nr. 26 des Entwurfs noch ausgedehnt wird,[…]dringend geboten[ist], den Strafrahmen des § 213 StGB zu erhöhen, wie dies auch seit geraumer Zeit in Wissenschaft und Praxis gefordert wird".[66]
Dieses "Ausdehnungsargument" will das Landgericht jedoch nicht ohne weiteres durchschlagen lassen. Vielmehr sei es notwendig, den Regelungszweck des früheren § 217 StGB mit dem des nunmehr geltenden § 213 StGB zu harmonisieren.[67] Letzteres könne nur dadurch geschehen, dass, wie auch in sonstigen Fällen, "eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen[ist], die für die Bewertung der Tat und Täterin bedeutsam sein können".[68] Zur Begründung führt die Kammer aus, dass die Abschaffung von § 217 a.F. StGB - und nicht deren Übertragung auf die Tötung ehelicher Kinder - daraufhin deute, "dass der Gesetzgeber "die psychische Ausnahmesituation der Geburt als alleinigen Grund für eine Privilegierung beseitigen wollte".[69] Insofern würde es aber der gesetzgeberischen Intention widersprechen, wenn sämtliche Fälle, die vormals unter § 217 StGB fielen, kurzerhand unter § 213 StGB subsumiert würden. Denn dadurch würde erneut eine generelle Privilegierung geschaffen, die der Gesetzgeber doch gerade hat beseitigen wollen. Bestärkt sieht sich das Landgericht noch durch die im Wege des 6. Strafrechtsreformgesetzes modifizierte Strafrahmengestaltung. Drohte der Strafrahmen des früheren § 217 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von 3 bis 15 Jahren an, so umfasst jener beim § 213 n.F. StGB nur eine Freiheitsstrafe von 1 bis 10 Jahren.[70] Bestand ein wesentliches Ziel der Reform darin, "den Schutz der Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit zu erhöhen[…], dann kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es die Absicht gewesen wäre, gerade den neugeborenen Menschen dieses Schutzes zu berauben und die Strafe für Kindestötungen zu mildern".[71]
Dieses (hier) auf die Kindestötungen bezogene Dynamisierungsmodell bedeutet, jedenfalls bei der aktuellen Gesetzeslage, einen Gewinn an Straf- und Verfahrensgerech-
tigkeit;[72] mit ihm ist es möglich, eine Vielzahl von Kindestötungsfällen in ihrer strukturellen Besonderheit, unter Berücksichtigung der jeweiligen psychischen Situation der Mutter während und nach der Geburt, angemessen zu würdigen.[73] Freilich bezieht sich die Anwendung dieses Modells allein auf Kindestötungen, die dem Totschlagparagraphen, also § 212 StGB, unterfallen. Fälle des (Kinds-) Mordes werden von diesem Modell immer schon ausgeschlossen. Begründet wird diese Vorgehensweise entweder mit dem Hinweis, dass zwischen § 211 und § 213 StGB eine "tatbestandliche" Exklusivität bestünde: eine Tat könne nicht zugleich Ausdruck einer schlechthin unerträglichen und einer - i.S.d. § 213 StGB - menschlich verständlichen Handlungsmotivation sein;[74] oder aber mit einem gesetzestechnischen bzw. Wortlautargument, schließlich spreche § 213 StGB nur vom Totschläger, nicht vom Mörder, darüber hinaus werde schon aus der Überschrift (minder schwerer Fall des Totschlages) die Beschränkung auf § 212 StGB erkennbar.[75] Diese Argumente sind jedoch nur prima facie zwingend. Vielmehr lässt sich eine einzelfallbezogene Anwendung von § 213 StGB auch in Fällen des Kindsmordes rechtfertigen und damit eine weitere verfahrenspraktische Differenzierung des Modells erreichen.[76]
Ausgangspunkt einer solchen Position ist die in der Literatur einhellig vertretene Überzeugung, wonach das systematische Verhältnis von Totschlag, § 212 StGB, und Mord, § 211 StGB, als Verhältnis von Grunddelikt und Qualifikation zu verstehen ist. Danach muss jeder Mörder notwendig und zugleich als Totschläger angesehen werden.[77] Eröffnet wird so aber auch ein Zurechnungsprogramm, das sich grundsätzlich von der Mordqualifikation bis zum minder schweren Totschlag erstrecken kann.
Dieser Position entgegengesetzt war bislang der Standpunkt der Rechtsprechung, denn für die Spruchpraxis stand fest, dass das Verhältnis von Totschlag und Mord nur als eines auf tatbestandlicher Selbständigkeit beruhendes bestimmt werden kann. Mord und Totschlag haben dementsprechend einen eigenständigen tat- und unrechtsspezifischen Anwendungsbereich.[78] Das hat - bekanntermaßen - weitreichende Konsequenzen. So sieht der BGH, i.S.d. der bereits erwähnten Exklusivitätsthese, für die Anwendung von § 213 StGB keinen Raum. Für den Schuldspruch des Teilnehmers kommt es zudem nicht auf seinen Tatbeitrag, sondern darauf an, ob der Haupttäter Mordmerkmale verwirklicht oder eben nicht. Insbesondere bei den täterbezogenen Mordmerkmalen ist nach bisheriger Rechtsprechung ein Schuldspruch wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Mord auch dann geboten, wenn der Teilnehmer selbst kein derartiges Mordmerkmal verwirklicht, solange er hinsichtlich der Tötungsmotivation des anderen Teils vorsätzlich handelt. Dem Teilnehmer kommt in diesen Fällen lediglich die Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zugute.[79] Die damit einhergehenden Friktionen der Unrechts- und Schuldzurechnung sind allgemein bekannt.[80]
Letzteres hat der 5. Strafsenat jüngst zum Anlass genommen, um sich in einem obiter dictum der in der Literatur diesbezüglich geäußerten Kritik, zumindest teilweise, anzuschließen.[81] Für den vorliegenden Zusammenhang ist dabei ausschlaggebend, dass der erkennende Senat, wenn auch nur für die zu entscheidende Beteiligungskonstellation, betont, dass hier das Verhältnis von Totschlag und Mord "nach der üblichen Systematik demjenigen zwischen Grunddelikt und Qualifikation" entspricht.[82] Sollte der BGH diesen Standpunkt in Zukunft noch deutlicher konturieren, so wäre auch für die Spruchpraxis die Möglichkeit eröffnet, tatbestandliche Überschneidungen zwischen § 211 und § 213 StGB anzuerkennen und im Rahmen einer Gesamtabwägung, trotz vorliegen eines Mordmerkmals, die Annahme eines minder schweren Falles in Erwägung zu ziehen. Dem steht auch
nicht entgegen, dass § 213 StGB ausdrücklich nur vom "Totschlag" spricht; folgt man dem von der Literatur schon immer beschrittenen und nunmehr auch von der Rechtsprechung in Betracht gezogenen Weg, so verweist die durch § 212 StGB begründete Rede vom "Totschläger" zunächst auf einen gesetzessystematische Grund- und Relationsbegriff,[83] der, den Tatumständen entsprechend und bezogen auf das jeweilige Zurechnungsprogramm, weiter konkretisiert werden kann oder sogar muss.[84]
Schließen sich § 211 und § 213 StGB also nicht grundsätzlich aus, so ist zu fragen, wie sich das auf die Beurteilung von Kindesmordsfällen auswirken kann. Denkbar sind hier vor allem Fälle, bei denen die Täterin in oder unmittelbar nach der Geburt und aus den konkreten (psychischen) Umständen heraus etwa grausam, mit Verdeckungsabsicht oder - wie hier vom 4. Strafsenat angenommen - aus niedrigen Beweggründen handelt.[85] Einschlägig ist insofern § 213 2. Alt. StGB. Gegen die Anwendung des sonstigen minder schweren Falles spricht auch nicht dessen Ausgestaltung als Strafzumessungsregel.[86] Die Anwendung kann nicht von der Qualifizierung als Tatbestand oder Strafzumessungsregel abhängen; sie hat sich vielmehr anhand der jeweiligen Fallgruppe und, wie hier, unter Beachtung der ratio legis zu bestimmen. Aus der Öffnung des § 213 StGB für mordqualifizierte Tötungen folgt allerdings keine zwingende Anwendung der Milderungsalternative. Erforderlich ist immer, darauf ist an anderer Stelle hingewiesen worden, eine Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände.
Der vom 4. Strafsenat entschiedene Kindsmordfall[87] wäre danach zunächst auf seine tatbestandlichen Voraussetzungen hin zu untersuchen. Eine Fokussierung auf die Rechtsfolgen, als "typische" Rechtsfolgenlösung oder als besondere Milderungsgründe, sollte hier unterbleiben. Vielmehr ist das Tatunrecht als solches zu qualifizieren. Die vom Schwurgericht wie auch vom BGH angenommenen niedrigen Beweggründe sind, soweit man dem beipflichten möchte, als tatbestandliche Bestimmung schwersten Unrechts zu werten. Eine umfassende Beurteilung des komplexen Tatbildes hätte dann wiederum offenzulegen, ob, trotz der Annahme des Mordmerkmals, ein minder schwerer Fall vorliegt, der den Rückgriff auf § 213 2. Alt. StGB rechtfertigen könnte. Das würde im vorliegenden Fall bedeuten, dass die Interpretation des Täterverhaltens als selbst- bzw. eigensüchtig zu diskutieren wäre, zugleich aber das "Menschlich-Verständliche" des Handelns hervorgehoben werden kann. Das konkrete Strafmaß ließe sich dann, je nach Tatbeurteilung, auch dem Strafrahmen des § 213 StGB entnehmen.[88]
Damit ist freilich schon angedeutet, dass auch Fallgestaltungen denkbar sind, bei denen ein minder schwerer Fall (des Mordes) abzulehnen sein wird, und zwar auch dann, wenn ohne Verwirklichung des Mordmerkmals die Voraussetzungen eines minder schweren Falles, gem. § 213 2. Alt. StGB, vorliegen sollten.[89] - Schließlich sind die gesetzlich vertypten Strafmilderungsgesichtpunkte zu berücksichtigen. Auf die besonderen Milderungsgründe ist jedoch erst zurückzugreifen, wenn die allgemeinen entlastenden Umstände ausgeschöpft sind.[90] Sind diese einschlägig, und damit auch § 213 StGB, so können durch das Gericht weitere obligatorische oder fakultative Milderungsgründe innerhalb des Strafrahmens des § 213 StGB in Anschlag gebracht werden. § 50 StGB steht hier jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der besondere Strafmilderungsgrund für die Annahme eines minder schweren Falles nicht verbraucht wurde.[91]
Die Rechtsprechung steht nach Abschaffung des § 217 a.F. StGB, das hat die vorliegende Untersuchung zeigen können, vor erheblichen Normanwendungsproblemen. Zwar ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die Fälle der Kindestötung grundsätzlich bei § 213 n.F. StGB Berücksichtigung finden können; die Judikatur macht jedoch deutlich, dass diese Einschätzung nur partiell zuzutreffen scheint.[92]
Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung entsprechender Fälle verweisen vor allem darauf, dass mit der Abschaffung von § 217 a.F. StGB ein Konfliktfeld in den Vordergrund getreten ist, das durch die vormalige Diskussion um die Ehelichkeit resp. Unehelichkeit des Kindes regelmäßig verdeckt wurde: nämlich das der spezifisch ungesicherten Lebenssituation, verbunden mit einer insoweit
temporär oder partiell destabilisierten Persönlichkeit.[93] Hervorgerufen wird ein solches Konfliktfeld nicht nur durch die Schwangerschaft oder Geburt selbst, sondern auch durch die "vorlaufenden", häufig gesellschaftlich oder familiär vermittelten Milieu- und Sozialstrukturen.
Verschärft wird die Problematik vor allem durch die Annahme mordqualifizierender Merkmale, insbesondere der sonstigen niedrigen Beweggründe. Die Rechtsprechung begegnet ihr in der Regel durch eine rechtsfolgenorientierte Bewertung des Konflikts. Grund dafür ist u.a. eine problematische Interpretation der Tatbestandssystematik und die zwingend angeordnete lebenslange Freiheitsstrafe. Letztere würde, jedenfalls bei vollendeten (Kindsmord-)Taten, zu einem Verlust schuldangemessenen Strafens führen.[94]
Dagegen wurde vorliegend die Anwendung des § 213 StGB auch für den Kindesmord ins Spiel gebracht. Ausgangspunkt ist das Verhältnis von Mord und Totschlag als Qualifikations- bzw. Grunddelikt. Letzteres wird, spätestens seit der Entscheidung BGH JZ 2006, 629, auch von der Rechtsprechung nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Position macht es zumindest möglich, den Konflikt- und Zurechnungszusammenhang auch auf den minder schweren Fall des § 213 2. Alt. StGB auszudehnen. Dies konnte auch anhand des Ausgangssachverhalts gezeigt werden. Wie schließlich dargelegt, sind die vorgebrachten Gegenargumente, sowohl die gesetzessystematischen als auch die wortlautbezogenen, nicht zwingend.[95]
Auch wenn damit eine Basis strafgerechten Urteilens vorhanden ist, bleibt die Frage nach gesetzgeberischen Alternativen de lege ferenda: Sie wird vor allem in einer Gesamtreform der Tötungsdelikte zu suchen sein.[96] Denkbar wäre hier eine Neuordnung des Totschlages mit - im Verhältnis zu einem modifizierten Mordtatbestand - abgesenkten Strafrahmen,[97] wie auch die Verankerung der Kindestötung als Regelbeispiel eines minder schweren Falles des Totschlages.[98] Darüber hinaus ist allerdings nicht zu verkennen, dass eine Vielzahl dieser Fälle auf Konflikten beruht, die das Strafrecht nur begrenzt einhegen und insoweit auch nur in Teilen angemessen zu lösen im Stande ist.
[1] Der BGH hat erstmals in dem Urteil v. 19.Juni 1951, abgedruckt in BHGSt 1, 235, zu dieser Problematik Stellung genommen. Zur strafrechtlichen resp. dogmengeschichtlichen Entwicklung dieses Deliktstypus' siehe Bejarano Alomia, Kindstötung (2009); Blanke, Die Kindestötung in rechtlicher und kriminologischer Hinsicht (1968), S. 12 ff.; Michalik, Kindsmord (1997); Schrader, Vorehelich, außerehelich, unehelich (2006) und Schwarz, Die Kindestötung in ihrem Wandel vom qualifizierten zum privilegierten Delikt (1935). Auf Frage der Abgrenzung zwischen Mord, Totschlag und Kindestötung (§§ 211 bis 213, 217 a.F. StGB) geht Eser ein, in: Verhandlungen des 53. DJT, Bd. I, Teil D (1980). Eine Analyse der Rechtsprechung unternimmt Schmidt, Die Kindestötung (1991), S. 22 ff.; den Streit- und Diskussionsstand fassen Mitsch JuS 1996, 407 f. und Sieg ZStW 102 (1990), 292 ff. zusammen.
[2] Dazu etwa Bernsmann JZ 1983, 45 und Wahle FamRZ 1967, 542; aus medizinisch-psychiatrischer Perspektive vgl. die Überlegungen von Rasch, in: Bürger-Prinz (Hrsg.), Psychiatrie und Neurologie der Schwangerschaft (1968), S. 120 ff.; dezidiert kriminologisch Bauermeister, Die Tötung Neugeborener unter der Geburt (1994); siehe darüber hinaus die Analyse bei Lichte, Deutschlands tote Kinder (2007) und Wiese, Mütter, die Töten. Psychoanalytische Erkenntnis und forensische Wahrheit, 2. Aufl. (1996), S. 43 ff. und öfter.
[3] Vgl. Art. 1 Nr. 35 des 6. StrRG, BGBl. I 164/ 1998; zur Begründung siehe BTDrucks. 13/ 7164, S. 34. Den Aspekt der gerichtlichen Psychiatrie beleuchten unter anderem Häßler et al. (Hrsg.), Kindstod und Kindstötung (2008); zur Forensik im allgemeinen Forster, in: ders. (Hrsg.), Praxis der Rechtsmedizin (1986), S. 208 ff.
[4] So bereits BGHSt 1, 235, 237 f.; aufgearbeitet findet sich die Problematik bei Mitsch (Fn. 1), 407.
[5] Vgl. BGH v. 19. Juni 2008 - 4 StR 105/ 08 (LG Dessau-Roßlau), NStZ-RR 2008, 308 = HRRS 2008 Nr. 762 und vom 30. Oktober 2008 - 4 StR 352/ 08 (LG Magdeburg), NStZ 2009, 210 = HRRS 2008, 1108. Zur Debatte um Beibehaltung oder Abschaffung, Verfassungsmäßigkeit oder -widrigkeit des § 217 a.F. StGB Hussels NStZ 1994, 526; Maneros, MSchrKrim 1998, 173 ff.; Rump/Hammer NStZ 1994, 69 und Sieg (Fn. 1), 292, 308 ff.; zur aktuellen Diskussion nach Abschaffung des § 217 a.F. StGB Bejarano Alomia (Fn. 1); Dölling FPPK 2008, 32; Schmoller, in: Festschrift für Gössel (2002), S. 369 ff. und Weinschenk, § 217 StGB - Folgen des Wegfalls einer Norm (2004).
[6] Zur mehrheitlich befürworteten Sperrwirkung des § 217 a.F. StGB siehe LK-Jähnke, StGB, 10. Aufl. (1989), § 217 Rn. 2 und Tröndle, StGB, 48. Aufl. (1997), § 217 Rn. 1; kritisch demgegenüber Bernsmann (Fn. 2), 45, 48 ff.; differenzierend Wahle (Fn. 2), 542 ff.; Schröder ging sogar davon aus, dass beim Vorliegen eines Mordmerkmals gegenüber einer Kindstötung § 211 StGB durchgreifen müsse (so noch in der 17. Aufl. (1974), § 217 Fn. 2).
[7] Siehe das Urteil v. 30. Oktober 2008 - 4 StR 352/ 08 (vgl. Fn. 5) und die Anm. v. Bosch, JA 2009, 150; beachtlich, neben den beiden bereits genannten Entscheidungen, nun auch BGH NStZ 2009, 439 = HRRS 2009 Nr. 525 (3. Strafsenat) und BGH NStZ-RR 2009, 337 = HRRS 2009 Nr. 703 (5. Strafsenat).
[8] LG Magdeburg, Urteil vom 28.März 2008 - 21 Ks 22/07; vgl. dazu auch die ergangene Entscheidung des LG Dessau-Roßlau vom 6. November 2007 - Ks 11/07 (Fn. 5); hierzu später ausführlicher.
[9] Dazu Kudlich JuS 1998, 468, 471.
[10] Auf die im Urteil ebenfalls verhandelte Frage nach den konkreten Umständen der Beschuldigtenvernehmung und den damit einhergehenden gesetzlichen Regelungen der §§ 136, 136 a StPO wird vorliegend nicht näher eingegangen.
[11] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 16.
[12] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 11.
[13] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 16.
[14] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 15
[15] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 17.
[16] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 18.
[17] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 17 f. Strafmildernd wurde daneben die verfahrens-, insbesondere beweisrechtliche Kooperation der Angeklagten gewertet, insofern "diese zu einem frühren Zeitpunkt ein umfassendes Geständnis angelegt hat und sowohl der Umstand, dass das Kind aus der Sicht der Angeklagten noch lebte als auch das Motiv für die Tat letztlich nur aufgrund der Angaben der Angeklagten festgestellt werden konnte." Die Angeklagte habe mithin die Tat allein durch ihre Angaben aufgeklärt. Auch diesem Gesichtspunkt soll nachfolgend keine größere Beachtung geschenkt werden.
[18] Vgl. NStZ 2009, 210 = HRRS 2008, 1108 (siehe Fn. 5).
[19] Zu dieser Diskussion vgl. BGHSt 1, 368, 370; BGHSt 22, 375, 377; LK-Jähnke, StGB, 11. Aufl. (2005), § 211 Rn. 46 ff.; NK-Neumann, StGB, 3. Aufl. (2010), § vor § 211Rn. 140; SK-Horn, StGB, 6. Aufl. (2000), § 211 Rn. 3 sowie Gössel ZIS 2008, 153 ff.; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen (2007), S. 586 ff. und Paeffgen GA 1982, 255, 270 ff.
[20] Siehe BGHSt 3, 132 f.; seit dem ständige Rechtsprechung vgl. BGH NStZ 1994, 33; 42, 226, 228; BGH NStZ 1999, 129 und BGH StV 2001, 228, 229 = HRRS 2006 Nr. 219; BGH NJW 2002, 382, 383; BGH NJW 2004, 3051, 3054 = HRRS 2004 Nr. 727 und BGHSt 50, 1, 8 = HRRS 2005 Nr. 135; zustimmend etwa Fischer, StGB, 57. Aufl. (2010), § 211 Rn. 14; Lackner/ Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 211 Rn. 5 und Wessels/ Hettinger Strafrecht BT/ 1, 33. Aufl. (2009), Rn. 95.
[21] Zum ganzen Fahlbusch, Über die Unhaltbarkeit des Zustandes der Mordmerkmale (2008), S. 78 ff.; Heine, Tötung aus ‚niedrigen' Beweggründen (1988), S. 30 ff. und öfter; Kelker (Fn. 19), S. 606 ff. sowie Paeffgen (Fn. 19), 270.
[22] Heine (Fn. 20), S. 141 ff.
[23] Siehe Heine (Fn. 21), S. 167; Jakobs NJW 1969, 489 und LK-Jähnke (Fn. 19) Rn. 24 ff.
[24] Vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 6; BGH NStZ 2005, 331 = HRRS 2005 Nr. 896 sowie MK-Schneider, StGB (2003), § 211 Rn. 96 ff.
[25] So dezidiert BGH NStZ 1998, 352; BGH NStZ 2006, 284, 285 = HRRS 2006 Nr. 744; BGH NStZ-RR 2006, 140 = HRRS 2006 Nr. 221 und zuletzt BGH NStZ 2007, 331, 332 = HRRS 2007 Nr. 308; darüber hinaus Schönke/ Schröder-Eser, 27. Aufl. (2006), § 211 Rn. 18; kritisch dazu Kargl StraFo 2001, 367 (die Vagheit des Begriffs, so Kargls Argument, werde nur durch eine unkontrollierbare flexible Richtermoral ersetzt).
[26] So bereits Eser NStZ 1981, 383, 384 ff.; dort auch m.w.N. zur entsprechenden Judikatur.
[27] Küpper , in: Festschrift für Kriele (1997), S. 777 ff.
[28] Neumann , in: Festschrift für Eser (2005), S. 431 ff., dort auch mit Verweis auf BGHSt 40, 360.
[29] BVerfG E 45, 187.
[30] BVerfG E 86, 288.
[31] So bereits NK-Neumann (Fn. 19), Rn. 145.
[32] Siehe MK-Schneider (Fn. 24), Rn. 30 ff m.w.N. zum Streit- und Diskussionsstand.
[33] In diesen Sinne vor allem Jähnke, Festschrift für Spendel (1992), S. 537, 545 und Lackner NStZ 1981, 348;
[34] A.a.O., Rn. 40. Schneider rechtfertigt diese Entwicklung mit der Tatsache, dass der Bundesgerichtshof insoweit eine Differenzierung reaktiviert, wie sie seinerzeit der Vorschrift des § 211 Abs. 3 RStGB zugrunde lag. Danach konnte das Gericht in besonderen Ausnahmefällen statt der nicht angemessenen Todesstrafe lebenslanges Zuchthaus verhängen. Durch die Streichung dieser Bestimmung im Zusammenhang mit der Eliminierung der Todesstrafe, so Schneider, entfiel eine Milderungsmöglichkeit, ohne dass der Gesetzgeber dies zielgerichtet beabsichtigt hätte. Ebenda.
[35] So dezidiert BGHSt 30, 105, 118 ff.; zugleich versucht der BGH Ausuferungen dieser Praxis entschieden entgegenzutreten, letzteres gerade auch mit Hinweis auf die sonstigen gesetzlichen Strafmilderungsmöglichkeiten (u.a. auf § 35 Abs. 2 StGB); siehe zuletzt BGHSt 48, 255 bzw. BGH NStZ 2005, 154 = HRRS 2005 Nr. 42; dazu wiederum Schönke/ Schröder-Eser (Fn. 25), Rn. 57. Zur Kritik der "Rechtsfolgenlösung", insbesondere zu den damit einhergehenden Problemen siehe etwa Bruns JR 1981, 358, 360; Hirsch, in: Festschrift für Tröndle (1989), S. 25, 28; Köhler GA 1980, 121, 129 und Mitsch JuS 1986, 121, 122.
[36] Vgl. dazu bereits BGHSt 9, 385, 389; BGHSt 11, 139, 143 sowie BGHSt 30, 105, 115.
[37] Zur gesamten Problematik der Strafbemessung, auch und gerade beim Mord Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung (1983), S. 127 ff.
[38] Vgl. Punkt II/ III.1.
[39] BGH NStZ 2008, 308 (4 StR 105/ 08).
[40] Warum in diesem Zusammenhang - wie der Senat behauptet - weder die durch den Sachverständigen festgestellte "hohe Impulsivität" noch die "Neigung zum Blockieren" eine Bedeutung spielen soll, ist, aufgrund der mitgeteilten Argumente, nicht nachzuvollziehen.
[41] Die Missachtung des in der Praxis sehr hochgeschätzten Reueverhaltens durch das abwehrende Verhalten der Angeklagten mag den Eindruck der Uneinsichtigkeit noch verstärkt haben. Ob es in den Fällen der Kindestötung wirklich sinnvoll ist, den Äußerungen eine solch zentrale und im Verfahren kaum relativierte Bedeutung beizumessen, darf doch sehr bezweifelt werden. Letzteres erscheint umso problematischer, je deutlicher man sich die Widersprüchlichkeit und Hilflosigkeit der Äußerungen vor Augen führt.
[42] Angesprochen ist insofern auch die Tatsache, dass das "schnippische" und "genervte" Auftreten der Angeklagten, folgt man den mitgeteilten Umständen, zu nicht unwesentlichen Teilen der Verfahrens- und Konfrontationssituation selbst geschuldet war.
[43] Lammel FPPK 2008, 96 ff.; in ähnliche Richtung, verbunden mit der Frage nach der Schuldfähigkeit in diesen Konstellationen Marneros (Fn. 5), 173 ff.
[44] Gerchow , Die ärztlich-forensische Beurteilung von Kindesmörderinnen (1957), S. 114.
[45] Der vom BGH bestätigte Strafausspruch des Landgerichts, bewegt sich letztlich in dem von § 217 a.F. StGB ursprünglich vorgesehen Strafrahmen für "normale" (nicht milder zu bestrafende) Kindestötungen.
[46] Zum damit einhergehenden Problem der (unverhältnismäßigen) Schuldspruchbemakelung als "Mörder" Miehe JuS 1999, 1000, 1003; Günther NJW 1982, 353, 355 f.; Hirsch (Fn. 35), S. 25, 28 und Schönke/ Schröder-Eser (Fn. 25), Rn. 10b.
[47] Vgl. BGH NStZ 2008, 308 (4Str - 105/ 08, Urteil v. 19. Juni 2008), vgl. auch Fn. 5.
[48] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 9.
[49] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 4.
[50] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 4.
[51] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 5.
[52] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 5.
[53] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 7.
[54] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 7.
[55] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 8.
[56] So bereits die eigene Analyse unter Punkt III.2.
[57] Vgl. Punkt III.2. a.E.
[58] Vgl. die Urteilsbegründung, S. 9.
[59] Siehe NStZ 2002, 260 ff.; vgl. jetzt aber auch BGH NStZ 2009, 439 = HRRS 2009 Nr. 525.
[61]Zur detaillierten Begründung des Strafmaßes NStZ 2002, 260, 262.
[63] Nachvollziehbar jedenfalls dann, wenn man, wie die Kammer, das zum Schluss fast "routinierte Gebären - und Töten", aufgrund der Gesamtumstände der Tat nur im (Straf-) Rahmen des § 212 StGB verhandeln möchte.
[64] NStZ 2002, 261.
[65] Vgl. auch BT-Drs. 13/ 7164, S. 34.
[66] NStZ 2002, 261; mit Verweis auf die BT-Drs. 13/ 8587, S. 34 und den gleichlautenden Entwurf der CDU/ CSU/ FDP-Fraktionen).
[67] NStZ 2002, 261 f.
[68] NStZ 2002, 261.
[69] NStZ 2002, 261 f.
[70] NStZ 2002, 261.
[72] Auch das Schwurgericht Rosslau-Dessau hatte auf die Möglichkeit des minder schweren Falles hingewiesen (vgl. die Urteilbegründung, S. 8); aus den durch das Revisionsurteil mitgeteilten Umständen ist jedoch nicht ersichtlich, welche Gründe zu dessen Annahme herangezogen werden resp. zu seiner Ablehnung führen können - und im konkreten Fall geführt haben.
[73] Dazu NK-Neumann (Fn. 19), § 213 Rn. 23. Zur allgemeinen und nicht unerheblichen Bedeutung des § 213 StGB in der Rechtsprechung bei nicht mordqualifizierten Tötungsdelikten Eser, in: Festschrift für Middendorf (1986), S. 65.
[74] Siehe etwa Otto, Grundkurs Strafrecht BT, 8. Aufl. (2009), § 5 Rn. 15 und Riess NJW 1968, 628, 630; eher auf eine restriktive Interpretation des § 213 StGB abstellend Bernsmann (Fn. 2), 45, 49 ff. und Schneider NStZ 2001, 455 ff.; generell dazu Bornemann, Das Zusammentreffen vertatbestandlichter Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe (2002).
[75] Schönke/ Schröder-Eser (Fn. 25), § 211 Rn. 11 und § 213 Rn. 3 und LK-Jähnke (Fn. 19), § 213 Rn. 2.
[76] Zum ganzen Neumann (Fn. 28), 431, 434 ff. und Weinschenk (Fn. 5), S. 110 ff.
[77] Vgl. hier nur LK-Jähnke (Fn. 19), vor § 211 Rn. 39; Lackner/ Kühl (Fn. 20), vor § 211 Rn. 22 und MK-Schneider (Fn. 24), vor § 211 Rn. 135 ff.
[78] Seit BGHSt 1, 368, 370 f. bislang ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt wieder BGHSt 50, 1, 5 f. mit Bespr. Jäger JR 2005, 477 ff.; widersprüchlich jedoch das Urteil BGH NStZ 2006, 288 mit abl. Anm. Puppe. - Freilich hat der BGH nie behauptet, Küper hat darauf jüngst hingewiesen, dass aus der Eigenständigkeit eine tatbestandliche Ausschließlichkeit folgen müsse. Der BGH habe vielmehr schon früh erkennen lassen, so Küper, dass § 211 StGB alle Voraussetzungen eines Totschlages enthalte, und für die "Selbständigkeit" der Delikte auf die Parallele verwiesen, dass auch der Diebstahl in dem "eigenständigen Delikt" des Raubes begrifflich enthalten sei. "In der logischen Struktur eines Spezialitätsverhältnisses besteht danach kein Unterschied zur Implikationsbeziehung zwischen einem Qualifikations- und dessen jeweiligem Grundtatbestand." JZ 2006, 1157, 1158.
[79] Zur Beteiligungssystematik der Rechtsprechung vgl. die instruktive Analyse von Küper (Fn. 78), 1157, 1158 ff.; zu Verhältnis und Lesart von § 28 Abs. 1 und 2 StGB Ambos Jura 2004, 497 und MK-Schneider (Fn. 24), vor § 211 Rn. 135.
[80] Zur Kritik wie auch zum Streit- und Diskussionsstand siehe etwa NK-Neumann (Fn. 19), § 211 Rn. 116 ff.
[81] BGH JZ 2006, 629, 632 = HRRS 2006 Nr. 219 mit Bespr. Küper JZ 2006, 608, 611 ff. und Gössel (Fn. 19), 153 f.; vgl. im Übrigen auch die Entscheidung BGHSt 36, 231, 233 mit Anm. Beulke NStZ 1990, 287.
[82] BGH JZ 2006, 629, 632.
[83] Ein Grundbegriff ist er deshalb, weil die Rede von Tötung und Totschläger den typischen Zugriff auf das Leben bezeichnet und damit den argumentationslogischen Ausgangspunkt jeder Zurechnung begründet; darüber hinaus ist er auch ein Relationsbegriff, da er, jedenfalls nach dem vorliegend beschriebenen System, die Beziehung zu den verschiedenen Handlungs- und Motivationsalternativen herstellt.
[84] Dass das Wortlautargument nicht wirklich zwingend ist, zeigt auch ein Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte. So wurde § 213 StGB offensichtlich strukturell vernachlässigt, als der Mordtatbestand von der "aus Überlegung" begangenen Tötung, die noch keine Überschneidung mit dem Affekttotschlag aufwies, auf die heutige Fassung umgestellt und der minder schwere Fall des Mordes (§ 211 Abs. 3 RStGB) bei Abschaffung der Todesstrafe ersatzlos gestrichen wurde. Zum gesamten Problemfeld Neumann (Fn. 28), S. 435 f. und Heintschel-Heinegg-Eschelbach, StGB, (2010), § 213 Rn. 27.
[85] Zu entsprechenden Fallgestaltungen siehe Neumann (Fn. 28), S. 431, 438 und Struensee, in: Dencker et al. (Hrsg.), Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz 1998 (1998), S. 29.
[86] Dazu bereits Neumann (Fn. 19), S. 431, 436 ff., darüber hinaus Lackner/ Kühl (Fn. 20), § 213 Rn. 1 und MK-Schneider (Fn. 24), § 213 Rn. sowie BGH NStZ 2001, 477 und LG Erfurt NStZ 2002, 260.
[87] Vgl. die Darstellung und Analyse unter Punkt II. und III.
[88] Im Gegensatz zum BGH, der das Verhalten der Täterin als Ausdruck einer "erschreckenden Wegwerfmentalität" angesehen hat, neigt der Verf. eher dazu, schon das Mordmerkmal restriktiver zu fassen, jedenfalls aber § 213 2. Alt. StGB in Betracht zu ziehen. Vgl. dazu auch die vorangegangenen Erwägungen.
[89] Siehe auch BGH NStZ-RR 2004, 80, 81; dort aber nur auf 217 StGB bezogen.
[90] BGH StV 2008, 355 = HRRS 2008 Nr. 134.
[91] Vgl. dazu Heintschel-Heinegg-Eschelbach (Fn. 84), § 213 Rn. 24 f. und Neumann (Fn. 19), § 213 Rn. 24.
[92] Siehe Punkt III.4.
[93] Siehe Punkt III.1./ 2.
[94] Siehe Punkt III.1./ 2.
[95] Siehe Punkt IV.1./ 2.
[96] Siehe hierzu den Alternativ-Entwurf Leben (AE-Leben), Heine et al., GA 2008, 193 ff.
[97] In diesem Sinne der AE-Leben (Fn. 96), S. 203 ff.
[98] So Weinschenk (Fn. 5), S. 115.