HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2009
10. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

570. BGH 1 StR 745/08 – Beschluss vom 30. April 2009 (LG Augsburg)

BGHSt; Erlöschen des Zeugnisverweigerungsrechts des Angehörigen eines Beschuldigten im Verfahren gegen einen Mitbeschuldigten bei Abschluss des Verfahrens gegen den Beschuldigten auch bezüglich eingestellter Tatvorwürfe; Schutz des Familienfriedens und Abwägung mit dem Gebot effektiver Rechtspflege (Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege; Vertrauensschutz); Auskunftsverweigerungsrecht.

§ 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 StPO; § 154 Abs. 1 und 2 StPO; § 252 StPO; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 GG; Art. 6 EMRK; § 55 StPO

1. Das Zeugnisverweigerungsrecht, das der Angehörige eines Beschuldigten im Verfahren gegen einen Mitbeschuldigten hat, erlischt, wenn das gegen den angehörigen Beschuldigten geführte Verfahren rechtskräftig abgeschlossen wird, auch bezüglich solcher Tatvorwürfe, hinsichtlich deren das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (im Anschluss an BGHSt 38, 96 sowie BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 7 und 9). (BGHSt)

2. Ein Zeuge ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich aller Beschuldigter zur Verweigerung des Zeugnisses gemäß § 52 Abs. 1 StPO berechtigt und hierüber auch zu belehren, wenn sich ein einheitliches Verfahren gegen mehrere Beschuldigte richtet und der Zeuge jedenfalls zu einem von ihnen in einem von § 52 Abs. 1 StPO erfassten Angehörigenverhältnis steht, sofern der Sachverhalt, zu dem er aussagen soll, auch seinen Angehörigen betrifft (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 12 m.w.N.). Nach überkommener Rechtsprechung erlischt dieses Zeugnisverweigerungsrecht selbst dann nicht, wenn der Angehö-

rige des Zeugen später aus dem Verfahren gegen den Angeklagten ausscheidet (vgl. nur BGHSt 34, 138, 139). Ob hieran festzuhalten ist oder ob das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen nur solange Bestand haben kann, wie das Verfahren auch gegen einen seiner Angehörigen geführt wird, und daher auch nur insoweit als Rechtsreflex nicht-angehörige Beschuldigte begünstigt (vgl. dazu BGHSt 38, 96, 99), braucht der Senat nicht zu entscheiden. (Bearbeiter)

3. Nach der Rechtsprechung besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht in dem Verfahren gegen den nichtangehörigen Beschuldigten jedenfalls dann nicht mehr, wenn das zwischen den Angehörigen eines früheren Mitbeschuldigten und dem jetzigen Beschuldigten geknüpfte Band so schwach geworden ist, dass es den empfindlichen Eingriff, den die Zeugnisverweigerung für den noch vor Gericht stehenden Beschuldigten bedeutet, nicht mehr rechtfertigt (vgl. BGHSt 38, 96, 101; BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 9). Als Fallgruppen sind in der Rechtsprechung anerkannt die Fälle des endgültigen Abschlusses des Verfahrens gegen den Mitbeschuldigten durch dessen rechtskräftige Verurteilung (vgl. BGHSt 38, 96, 101), seinen rechtskräftigen Freispruch (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 9) oder seinen Tod (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 7). (Bearbeiter)

4. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines durch Gerichtsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrens ist bereits aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) erheblich eingeschränkt (vgl. § 154 Abs. 3 und 4 StPO). Je umfangreicher die Möglichkeiten für eine Ermittlung des Schuldvorwurfs und je ausgeprägter die Sicherungen für eine sachgerechte Entscheidung waren, umso mehr Vertrauen darf der Angeklagte in den Bestand und die Endgültigkeit der getroffenen behördlichen Entscheidung setzen. Ein erneutes Aufgreifen des gerichtlich eingestellten Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft kommt daher nur bei einem deutlich erhöhten Schuldgehalt in Betracht, wenn sich die Tat nachträglich als Verbrechen darstellt. (Bearbeiter)

5. Auch die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO schafft für den Beschuldigten regelmäßig eine Vertrauensgrundlage. Nach der Einstellung kann der Beschuldigte darauf vertrauen, dass der von der Einstellung erfasste Tatvorwurf in einem anderen Verfahren nicht ohne ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis und ohne prozessordnungsgemäße Feststellung des betreffenden Tatgeschehens zu seinem Nachteil berücksichtigt wird (vgl. BGHR StPO § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 4 m.w.N.). Darüber hinaus haben der Beschuldigte und die Allgemeinheit ein schutzwürdiges Interesse an dem Bestand und der Verlässlichkeit der von der Staatsanwaltschaft getroffenen Entscheidung. Die Wiederaufnahme eines durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens darf nicht willkürlich, sondern nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes erfolgen (vgl. BGHSt 37, 10, 13), um das Vertrauen des Beschuldigten und der Allgemeinheit in den Bestand des Verfahrensabschlusses nicht zu gefährden. (Bearbeiter)


Entscheidung

568. BGH 1 StR 597/08 - Urteil vom 26. Mai 2009 (LG Landshut)

BGHSt; Revisibilität der Beweiswürdigung bei einer Vergewaltigung (Beweiswert einer mitochondrialen DNA-Analyse, ggf. in Kombination mit dem Ergebnis der Analyse von Kern-DNA; Produktregel).

§ 261 StPO; § 177 Abs. 2 StGB

1. Zum Beweiswert einer mitochondrialen DNA-Analyse, ggf. in Kombination mit dem Ergebnis der Analyse von Kern-DNA. (BGHSt)

2. Für ein belastendes Indiz ist es nicht erforderlich, dass es schon für sich allein dem Richter die volle Gewissheit verschafft, weil für die gerichtliche Überzeugung bei mehreren auf die entscheidungserhebliche Tatsache hindeutenden Indizien die Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände maßgebend ist (vgl. BGH NJW 2008, 2792, 2794). Für diese können auch Umstände, die nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine entscheidungserhebliche Tatsache begründen, herangezogen werden (vgl. BGH JR 1975, 34). (Bearbeiter)

3. Zwar bedarf es bei ständig wiederkehrenden Sachverständigenfragen, die wegen ihrer Häufigkeit in der gerichtlichen Praxis allen Beteiligten geläufig sind, regelmäßig keiner näheren Erörterung, sofern – wie beispielsweise bei der Daktyloskopie, der Blutalkoholanalyse oder bei der Bestimmung von Blutgruppen – standardisierte Untersuchungsmethoden verwendet werden. Um eine solche handelt es sich aber bei der mitochondrialen DNA-Analyse bislang nicht, so dass die Anknüpfungstatsachen nachvollziehbar mitzuteilen sind (vgl. BGH NStZ 2000, 106, 107 m.w.N.). (Bearbeiter)


Entscheidung

593. BGH 2 ARs 98/09 (2 AR 70/09) – Beschluss vom 6. Mai 2009 (AG Göttingen; AG Bremen)

BGHSt; Zuständigkeit für die Bewährungsüberwachung bei Einbeziehung einer durch Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckten Geldstrafe in eine zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe (Ende der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer).

§ 462a Abs. 1 und 2 StPO; § 453 StPO; § 454 StPO; § 454a StPO; § 462 StPO; § 14 StPO

1. Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer endet, wenn eine Geldstrafe, die im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wird, vom erkennenden Gericht in eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen und der Verurteilte mit Urteilsverkündung aus der Strafhaft entlassen wird. (BGHSt)

2. Zuständig für die nach §§ 453, 454, 454 a und 462 StPO zu treffenden Entscheidungen ist dann das Gericht des ersten Rechtszuges. (BGHSt)

3. Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer endet, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe - durch Verbüßung, Erlass, Vollstreckungsverjährung - endgültig erledigt ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

633. BGH 5 StR 126/09 - Beschluss vom 26. Mai 2009 (LG Potsdam)

Recht auf effektive Verteidigung und Verletzung des Fragerechts (Zurückweisung einer Frage als nicht zum „Beweisthema“ gehörend; sachfremde Frage; indizielle Bedeutung für die Glaubwürdigkeit des Zeugen; Konfrontationsrecht).

§ 241 Abs. 2 StPO; § 338 Nr. 8 StPO; Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK

1. Allein der Umstand, dass dem Zeugen die Beantwortung einer Frage peinlich sein mag, rechtfertigt nicht die Zurückweisung einer Frage gemäß § 241 Abs. 2 StPO. Einzelfall einer unberechtigten Zurückweisung einer Frage der Verteidigung beim Vorwurf des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen, die für die Überprüfung der Zuverlässigkeit der Angaben eines Belastungszeugen indiziell bedeutsam und damit nicht sachfremd im Sinne des § 241 Abs. 2 StPO ist.

2. Der Beschluss, mit dem die Zurückweisung einer Frage durch die Vorsitzende bestätigt wird, ist zu begründen (vgl. BGHSt 2, 284, 286 ff.; BGH NStZ-RR 2001, 138).

3. Bei der Prüfung, ob den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bei einer Verfahrensrüge entsprochen wurde, kann das Revisionsgericht auch die Urteilsgründe ergänzend berücksichtigen (vgl. BGHSt 36, 384, 385; 45, 203, 204 f.; BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – 1 StR 296/07).


Entscheidung

564. BGH 1 StR 209/09 - Beschluss vom 13. Mai 2009 (LG München)

Vergewaltigung (Fragerecht; Konfrontationsrecht; Berücksichtigung von Opferinteressen).

Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK; § 240 StPO; § 177 Abs. 2 StGB

Das Tatgericht ist verpflichtet, bei seiner Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme Opferschutzinteressen zu berücksichtigen (BGH NStZ 2005, 579, 580). Insbesondere Beweiserhebungen zum Privat- und Intimleben eines Zeugen sind nur nach sorgfältiger Prüfung ihrer Unerlässlichkeit statthaft. Denn auch im Rahmen seiner vorrangigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung hat das Gericht auf die Achtung der menschlichen Würde eines Zeugen, wie sie sich letztlich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, Bedacht zu nehmen (BGH NJW 2005, 1519, 1520 m.w.N., namentlich unter Bezugnahme auf den Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001). Hierauf hat auch die Staatsanwaltschaft – auch in der Hauptverhandlung – hinzuwirken.


Entscheidung

646. BGH 5 StR 191/09 - Beschluss vom 28. Mai 2009 (LG Hamburg)

Beweisantrag (Individualisierung eines Beweismittels); Nichtbescheidung eines Beweisantrages (Widerspruchsobliegenheit; Präklusion; Verwirkung).

Art. 6 EMRK; § 244 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Es ist grundsätzlich nicht ausreichend, in einem Beweisantrag – neben einer Beweisbehauptung – den Zeugen, dessen Anhörung begehrt wird, lediglich mit Vor- und Nachnamen zu bezeichnen. Vielmehr bedarf es regelmäßig der Angabe der genauen ladungsfähigen Anschrift des Zeugen, denn alle Fakten zur Individualisierung eines Beweismittels sind grundsätzlich in dem in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag zu bezeichnen.

2. Dies mag im Einzelfall entbehrlich sein, wenn die Individualisierungsfakten dem Tatgericht eindeutig bekannt sind, beispielsweise wenn der benannte Zeuge mit ladungsfähiger Anschrift in der Anklageschrift bezeichnet ist, wenn das Gericht ihn in dem Verfahren zuvor bereits geladen hat oder wenn es sich um eine Person handelt, die sich - prozessbekannt - unter der Adresse eines Prozessbeteiligten oder eines bereits vernommenen bzw. geladenen Zeugen aufhält. Dass es sich so verhalten habe, ist gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bei einer Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts gegenüber dem Revisionsgericht vollständig vorzutragen, um zu belegen, dass ein formgerechter Beweisantrag gestellt worden war.

3. Der Senat hält – nicht tragend – für nicht fernliegend, dass eine auf eine Verletzung des § 244 Abs. 6 StPO gestützte Verfahrensrüge wegen Nichtbescheidung eines Beweisantrags jedenfalls bei einer Vielzahl gestellter Beweisanträgen dann versagt, wenn die Verteidigung in der Hauptverhandlung der Feststellung des Strafkammervorsitzenden nicht entgegentritt, es seien sämtliche Beweisanträge „beschieden bzw. anderweitig erledigt worden“.


Entscheidung

639. BGH 5 StR 65/09 - Urteil vom 8. April 2009 (LG Hamburg)

Beweiswürdigung (Rechtsfehler; Einlassung; Verteidigungsvorbringen; Äußerungen kurz nach der Tat; gleichzeitige Berufung auf Notwehr und Provokation); Mord (Heimtücke; Angriff von hinten).

§ 261 StPO; § 211 StGB; § 32 StGB

1. Ein Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung kann auch darin liegen, dass der Tatrichter einer Einlassung kritiklos gefolgt ist oder dass entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, mit anderen Beweismitteln in Bezug gesetzt worden sind, deren Beweiswert ihrerseits nach unzutreffenden Maßstäben oder lückenhafter oder wertungsfehlerhafter Würdigung bestimmt worden ist.

2. Äußerungen eines Täters unmittelbar nach der Tat mögen weniger von Verteidigungsinteressen geprägt gewesen sein. Deswegen wohnt ihnen eine höhere Wahrscheinlichkeit inne, mit der Wirklichkeit übereinzustimmen, als dies für eine viele Monate später erfolgte Einlassung in der Hauptverhandlung anzunehmen ist.

3. Auch wenn sich ein Angriff und eine Provokation durch dasselbe Opfer nicht zwingend gegenseitig ausschließen müssen, so werden doch die tatsächlichen

Grundlagen dieser Verteidigungsvarianten eher selten zusammentreffen. Zumindest ist nach Widerlegung einer Variante die Plausibilität der Einlassung insgesamt zu prüfen.


Entscheidung

638. BGH 5 StR 57/09 - Beschluss vom 26. Mai 2009 (LG Hamburg)

Blutalkoholkonzentration (ungenaue Trinkangaben; Schätzung; Widerlegung einer Einlassung); lückenhafte Beweiswürdigung; Urteilsgründe.

§ 261 StPO; § 20 StGB; § 21 StGB; § 267 Abs. 3 StPO

1. Von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration ist das Tatgericht nicht schon dann entbunden, wenn die Angaben des Angeklagten zum konsumierten Alkohol nicht exakt sind. Vielmehr ist diese Berechnung aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholgenusses ermöglichen.

2. Die Urteilsgründe müssen dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, welche Angaben des Angeklagten zum Alkoholkonsum dem Tatgericht glaubhaft erschienen oder jedenfalls nicht zu widerlegen waren und ob vor diesem Hintergrund rechtsfehlerfrei von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration abgesehen werden durfte.

3. Ob die Angaben des Angeklagten zu seinem Trinkverhalten glaubhaft sind, hat das Tatgericht – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – zu klären. Es muss die Einlassung eines Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine unmittelbaren Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen, sondern kann Trinkmengenangaben – auch durch sachverständige Hilfe – als unglaubhaft einzustufen, wenn es dafür durch die Beweisaufnahme gewonnene Gründe hat, welche seine Auffassung argumentativ tragen.


Entscheidung

607. BGH 4 StR 544/08 - Beschluss vom 28. April 2009 (LG Rostock)

Hinweispflicht zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (keine Entbehrlichkeit auf Grund des staatsanwaltlichen Schlussantrages und eines Gutachtenergebnisses) und Aufhebung einer verbundenen Anordnung der Sicherungsverwahrung.

§ 64 StGB; § 66 Abs. 3 StGB; § 265 Abs. 1 und 2 StPO

Der gebotene Hinweis auf die Möglichkeit einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird nicht ohne weiteres dadurch entbehrlich, dass der in der Hauptverhandlung gehörte Sachverständige einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB bejaht hat. Ebenso wenig kann die Pflicht des Gerichts zu einem rechtlichen Hinweis durch den Schlussantrag des Staatsanwalts oder durch die Erörterung der bloßen Möglichkeit einer Maßregelanordnung erfüllt werden (vgl. BGH StV 2008, 344 m.N.).


Entscheidung

586. BGH 2 StR 168/09 - Beschluss vom 27. Mai 2009 (LG Erfurt)

Adhäsionsverfahren; Herabsetzung eines Schmerzensgeldanspruches entsprechend des Klägerantrages (ne ultra petita).

§ 404 StPO; § 308 ZPO

Das Verbot des § 308 Abs. 1 ZPO, einer Partei zuzusprechen, was nicht beantragt ist, gilt auch im Adhäsionsverfahren, und ein Verstoß gegen dieses Verbot ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten (vgl. BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 2). Zugleich kann im Revisionsverfahren die Beschränkung des Urteilsausspruchs unter Beseitigung dessen, was nicht beantragt war, erfolgen (BGH aaO; BGHR StPO § 404 Abs. 1 Antragstellung 2).


Entscheidung

580. BGH 2 StR 123/09 - Beschluss vom 13. Mai 2009 (LG Trier)

Wirksamer Rechtsmittelverzicht nach qualifizierter Belehrung (Anforderung an die Protokollierung; Behauptung unzulässiger Willensbeeinflussung durch den Verteidiger; Recht auf konkreten und wirksamen Verteidigerbeistand).

Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK; § 273 StPO; § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO

Nachdem der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs durch Beschluss vom 3. März 2005 (BGHSt 50, 40) entschieden hat, dass das Gericht - das im Rahmen einer Urteilsabsprache auf einen Rechtsmittelverzicht nicht hinwirken darf - nach jedem Urteil, dem eine Verfahrensabsprache zugrunde liegt, den Rechtsmittelberechtigten neben der Rechtsmittelbelehrung nach § 35a Satz 1 StPO stets auch „qualifiziert“ darüber belehren muss, dass er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen, wird der Begriff „qualifizierte Rechtsmittelbelehrung“ in der juristischen Literatur und in Entscheidungen als Kurzbezeichnung für eine den Vorgaben des Großen Senats entsprechende zusätzliche Belehrung zur allgemeinen Rechtsmittelbelehrung verstanden und verwendet. Dementsprechend reicht es für eine wirksame Protokollierung, die zusätzliche Belehrung mit dem Zusatz „qualifiziert“ zu umschreiben, ohne ihren Inhalt im Einzelnen mitzuteilen. Der Inhalt der qualifizierten Belehrung muss ebenso wenig protokolliert werden wie der Inhalt der Rechtsmittelbelehrung als solcher. Desgleichen muss im Protokoll nicht festgehalten werden, dass die Rechtsmittelbelehrung dem Angeklagten übersetzt wurde.


Entscheidung

576. BGH 2 StR 85/09 - Urteil vom 20. Mai 2009 (LG Limburg)

Grenzen der Revisibilität der Beweiswürdigung bei der Verneinung eines Tötungsvorsatzes; Begriff der Tat im prozessualen Sinne (Gewalteinwirkung und anschließendes mögliches Tötungsdelikt durch Unterlassen; bloßes Indiz der materiellrechtlichen Tateinheit).

§ 261 StPO; § 13 StGB; § 15 StGB; § 212 StGB; § 264 StPO

Die einheitliche prozessuale Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO umfasst den gesamten von der Anklage und vom erkennbaren Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft erfassten Lebenssachverhalt, soweit er sich als einheitlicher Lebensvorgang darstellt (vgl. BGHSt 23, 141, 145;

32, 215, 216; 45, 211, 212; BGH NStZ 1983, 87; 1995, 351). Auch wenn ein auf einem neuen Tatentschluss sowie gegebenenfalls auf Verdeckungsabsicht beruhender (bedingter) Vorsatz, das Tatopfer sterben zu lassen, materiellrechtlich als selbständige Tat eines versuchten Totschlags oder Mordes zu werten wäre, kann dieser Vorgang mit einer früheren Gewalteinwirkung auf das Tatopfer in prozessualer Tateinheit stehen.


Entscheidung

572. BGH 2 StR 103/09 - Beschluss vom 27. Mai 2009

Beiordnung im Adhäsionsverfahren (fortwirkende Beistandsbestellung) und Prozesskostenhilfeantrag der Nebenklägerin im Adhäsionsverfahren (gesonderte Entscheidung).

§ 397a Abs. 1 Satz 1 StPO; § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO; § 199 Abs. 1 Satz 1 ZPO

Die Bestellung als Beistand umfasst nicht das Adhäsionsverfahren (vgl. BGH NJW 2001, 2486; StraFo 2008, 131).