HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2009
10. Jahrgang
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Schrifttum

Bernd Josef Fehn (Hrsg.): Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, Nomos Verlag, 306 Seiten, 59,00 EUR, Baden Baden 2006.

Die Existenz ist unbestritten. Der Umfang ist empirisch und kriminologisch schwierig zu bestimmen, die Dunkelziffer ist quasi Teil ihres Namens und wird allgemein hoch eingeschätzt. In Zeiten der Rezession blüht sie nach allgemeinem Verständnis besonders auf. Sie zu bekämpfen ist seit geraumer Zeit ein nachhaltiges Ziel der Beschäftigungspolitik auf EU-Ebene. Die Bundesregierung hat sie 2004 legal definiert und zur „Intensivierung“ ihrer Bekämpfung eigens ein Gesetz erlassen. Die Rede ist von der Schwarzarbeit. Das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarz-

arbeitsbekämpfungsgesetz - SchwarzArbG) stärkt die Ermittlungsrechte der Zollverwaltung und sanktioniert in § 9 SchwarzArbG das Erschleichen von Sozialleistungen im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen spezialgesetzlich strafbewehrt, so dass ein „Sozialleistungsbetrug“ auch ohne den Nachweis der Bereicherungsabsicht mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden kann.

Die von Fehn herausgegebene und unter Mitwirkung von Berwanger, Lenz und Wamers erstellte Kommentierung zum Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz ist die einzige umfassende Erläuterung zu dem 2004 in Kraft getretenen und zuletzt mit Jahresbeginn 2009 geänderten Gesetz. Zielgruppe des 306 Seiten umfassenden Werks ist der Rechtsanwender. Den Autoren gelingt es dabei, den umfassenden Bedürfnissen der Praxis gerecht zu werden. Das Gesetz wendet sich nicht nur an die Zollverwaltung, Strafverfolgungsbehörden und die Justiz, sondern an zahlreiche weitere Behörden - so benennt § 2 Abs. 2 SchwarzArbG elf Behörden, welche die Zollverwaltung bei ihrer Tätigkeit unterstützen. Bei der Anwendung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes entstehen für die Praxis aus strafrechtlicher Sicht zum Teil schwierige Abgrenzungsfragen. Es sei nur auf die Problematik der Abgrenzung zwischen Prüfungstätigkeit und strafrechtlichen Ermittlungen hingewiesen. Zu Recht weist Berwanger in diesem Zusammenhang bei der Kommentierung von § 2 SchwarzArbG auf die Schattenseiten der ausgeprägten Prüfungskompetenz des Zolls nach § 2 SchwarzArbG hin und zögert auch mit einer Wertung nicht, indem er feststellt, dass der Gesetzgeber über das grundsätzlich anerkennenswerte Ziel der Schaffung von Strukturen einer effektiven Schwarzarbeitsbekämpfung hinaus geschossen sei (§ 2, Rn. 15). Der Gesetzgeber dürfe sich über undifferenzierte Vorschriften nicht die Möglichkeiten schaffen, einem pauschalen Generalverdacht gegenüber vielen Bürgern nachgehen zu können. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass insoweit Prüfungen nach dem SchwarzArbG die Dimension von (unzulässigen) strafrechtlichen Vorermittlungen erreichen können. Die Kommentierung beschränkt sich damit nicht auf eine Darstellung der gesetzlichen Regelungen, sondern zeigt den Rechtsanwendern auch die Schwachstellen des Gesetzes auf. Insoweit ist auch dem Gesetzgeber die Lektüre zu empfehlen.

Die „handwerkliche“ Seite des Werks reiht sich in der gewohnt hohe Qualität der Nomos-Handkommentare ein. Ein sehr ausführliches, 31 Seiten umfassendes Stichwortverzeichnis, gut strukturierte Randnummern und Hervorhebungen von Schlagwörtern im Primärtext ermöglichen den schnellen und zielgenauen Zugriff des Lesers. Das Werk ist daher insgesamt uneingeschränkt empfehlenswert, ihm ist eine Folgeauflage zu wünschen.

Dr. Gerwin Moldenhauer, Staatsanwalt, Hamburg/Karlsruhe

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Lars Ischebeck: Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen i.S.v. § 266a StGB während der materiellen Insolvenz der GmbH; 207 Seiten, Nomos Verlag (ISBN 978-3-8329-3991-5), 44,00 EUR, Baden-Baden 2009.

I. Die „schwer erträgliche Unsicherheit“ in der (Beratungs-)Praxis (vgl. Rönnau, wistra 2007, 81, 85), welche aus der gegensätzlichen Rechtsprechung des 5. Strafsenats und des 2. Zivilsenats des BGH zum Verhältnis des Beitragsabführungsgebots des § 266a Abs. 1 StGB zum Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 GmbHG resultierte, ist durch das „Einlenken“ des 2. Zivilsenats in seiner Entscheidung vom 14.05.2007 (II ZR 48/06) zumindest vorerst beseitigt. Allerdings zeigt beispielsweise die Rechtsprechung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, welches in seiner Entscheidung vom 26.09.2007 (4 U 70/07) – bei Fehlen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Normkonflikts – explizit hat offen stehen gelassen, ob der neuen Rechtsprechung des 2. Zivilsenats zu folgen ist, dass neben der massiven Kritik in der Literatur auch von der Rechtsprechung selbst weiterhin ein kritischer Umgang mit der Thematik erwartet (oder zumindest erhofft) werden kann.

II. In der Einleitung seines Werks zur Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Insolvenz der GmbH konstatiert Ischebeck, dass die Frage des Konkurrenzverhältnisses von § 266a Abs. 1 StGB zu § 64 Abs. 2 GmbHG „trotz der Dauer des Streits und der nunmehr geltenden Fiktion (scil.: des § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV) noch nicht zufriedenstellend beantwortet worden“ sei. Der Autor nennt drei Hauptkritikpunkte an den bisher vertretenen Lösungsansätzen, welche zugleich auch die Herangehensweise im Rahmen seiner eigenen Untersuchung vorgeben: Erstens die jeweils sehr einseitige Perspektive der Diskussionsteilnehmer, die entweder zu stark gesellschaftsrechtlich oder aber zu strafrechtlich geprägt sei, zweitens die nur sehr rudimentäre Befassung mit den Wurzeln des postulierten Widerspruchs zwischen § 266a Abs. 1 StGB und § 64 Abs. 2 GmbHG in einem atypischen Regelungssystem, in welchem der Geschäftsführer der GmbH ähnlich einem Treuhänder zur Wahrung der Interessen Dritter eingesetzt werde sowie schließlich das Fehlen einer auf fundierten verfassungsrechtlichen oder normtheoretischen Erwägungen basierenden Auseinandersetzung mit der Beziehung des Strafrechts zur übrigen Rechtsordnung insgesamt.

Im Ergebnis lehnt Ischebeck – soviel sei vorweggenommen – eine Strafbarkeit des Geschäftsführers nach § 266a Abs. 1 StGB während der materiellen Insolvenz der GmbH grundsätzlich ab, und stellt sich damit gegen die aktuelle (einheitliche) Rechtsprechung des 5. Strafsenats und des 2. Zivilsenats des BGH, welche nur während der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist des § 64 Abs. 1 GmbHG eine Aufhebung des Vorrangs der Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge annehmen.

III. Im ersten Teil des Werkes erfolgt eine knappe Darstellung der Problematik und der bisher vertretenen Lösungen (S. 23 – 53). Der Verfasser wirft zu Recht die Frage auf, warum sich der 2. Zivilsenat trotz grundsätzlich abweichender Rechtsauffassung im Mai 2007 der Rechtsprechung des 5. Strafsenats angeschlossen hat, ohne den grundgesetzlich eröffneten Weg der Vorlage der Rechtsfrage an die Vereinigten Großen Senate zu wählen

(S. 33). Dieser Frage komme gerade vor dem Hintergrund eine besondere Bedeutung zu, dass nach Auffassung des 9. Zivilsenats die strafbewehrte Beitragspflicht jedenfalls nicht per se den (insolvenzrechtlichen) Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger durchbrechen kann (S. 37). In einem Überblick werden sodann die in der Literatur erörterten Lösungswege dargestellt, die teils vom absoluten Vorrang der einer der beiden Normen ausgehen, zum Teil differenzierende Lösungen vorschlagen (S. 39 – 51).

IV. In Teil 2, dem Hauptstück des Werkes (S. 55 – 192), entwickelt Ischebeck seine Lösung des Konkurrenzverhältnisses der beiden Normen:

1. Besonderes Gewicht misst der Verfasser der Fragestellung zu, ob überhaupt ein Konflikt zwischen § 266a Abs. 1 StGB und § 64 Abs. 2 GmbHG besteht. Zutreffend weist er darauf hin, dass ein solcher nicht die Rechtsfolgen der beiden Normen betrifft, sondern vielmehr die vorgelagerten Verhaltensnormen. In diesem Zusammenhang seien insbesondere die Historie und der Regelungszweck der beiden Vorschriften näher zu betrachten. Die Frage der Derogation einer Norm im Konfliktfall setze zwingend die genaue Kenntnis des Inhalts und der Funktionsweise in ihrem jeweiligen Regelungssystem voraus. Es bedürfe „bildlich gesprochen […] erst der Kenntnis der Statik des gesamten Bauwerks, bevor entschieden werden kann, welche einzelnen Steine aus ihm entfernt werden können, ohne dass zugleich das gesamte Bauwerk einstürzt“ (S. 55). Nach einer Analyse zu Inhalt, Regelungszweck, Historie und systematischer Einbettung von § 266a Abs. 1 StGB und § 64 Abs. 2 GmbHG gelangt der Autor zu dem Schluss, dass § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge in der Insolvenz bei Ausblendung des strafrechtlichen Zahlungsgebots grds. nur dann zulasse, wenn ausnahmsweise der Zahlung des Bruttolohns unterm Strich keine masseschmälernde Wirkung zukomme, und die Gläubigerinteressen folglich nicht beeinträchtigt seien; dies sei eine Frage des Einzelfalls (eine nähere Erläuterung oder ein Beispielsfall finden sich in dem Werk bedauerlicherweise nicht). „In Anbetracht der Historie des § 266a StGB, seiner Funktion im Sozialversicherungssystem und der Friktion mit der übrigen Rechtsordnung (sei) fraglich, ob der Normbefehl […] bei materieller Insolvenz der GmbH überhaupt gilt“. Daher sei eine weitergehende Untersuchung der konkreten Reichweite von § 266a Abs. 1 StGB notwendig (S. 101).

2. Überzeugend lehnt Ischebeck sodann eine Auflösung des Konflikts allein durch die Fiktion des § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV ab, wonach abgeführte Arbeitnehmerbeiträge dem Vermögen der Arbeitnehmer zuzuordnen sind, und nicht dem Gesellschaftsvermögen. Die Norm dürfte zwar für die Frage der Insolvenzanfechtung von nicht unerheblicher Bedeutung sein, betrifft aber – auch wenn ihr möglicherweise eine Indizfunktion hinsichtlich der Position des Gesetzgebers insoweit zukommt – als Fiktion für den Fall der tatsächlich bereits erbrachten (!) Zahlung nicht unmittelbar die Verhaltensnormen § 266a Abs. 1 StGB und § 64 Abs. 2 GmbHG (S. 102 – 111).

3. Im Bemühen um eine Systematisierung stuft der Verfasser den Widerspruch zwischen § 266a Abs. 1 StGB und § 64 Abs. 2 GmbHG unter Heranziehung der Ansätze von Engisch und Canaris als sog. Normkonflikt ein (S. 112 ff): bei einer vollständigen Ausblendung des § 266a StGB verböte das Gesellschaftsrecht grundsätzlich eine Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen in der Insolvenz (abgesehen von der o.g. Ausnahme). Für diese normtheoretische Einordnung sei es unerheblich, ob sich am Ende der Untersuchung herausstelle, dass bloß ein scheinbarer Normkonflikt vorliegt, der sich durch eine Konfliktauflösungsregel vermeiden lässt.

4. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung – der Autor bevorzugt den Begriff der „Widerspruchsfreiheit“ – sucht er sodann nach einer Auflösung des festgestellten Normwiderspruchs. Aus seiner Sicht lässt sich weder aus der Verfassung ein Rangverhältnis zwischen Zivil- und Strafrecht ableiten (S. 120 ff), noch ist nach seiner Auffassung einer der in Konflikt stehenden Normen ein Vorrang als lex superior, posterior oder specialis einzuräumen (S. 124 ff). Einen Lösungsansatz sieht Ischebeck jedoch in der Auflösung des (vermeintlichen) Widerspruchs durch (norm)akzessorische Auslegung. Zunächst stellt er zutreffend fest, dass eine (allgemein anerkannte) generelle Akzessorietät des Strafrechts nicht besteht. Sodann präsentiert er einzelne Straftatbestände, deren Auslegung anerkanntermaßen nicht unwesentlich durch vorhandene außerstrafrechtliche Regelungssysteme geprägt sind (S. 130 ff), wobei insbesondere die Ausführungen zu der von Dierlamm postulierten Einschränkung der Strafbarkeit nach § 266 StGB im Falle einer unklaren Zivilrechtslage Zustimmung verdienen. Der Autor schließt sich in seinem Zwischenergebnis der Auffassung Lüderssens an, dass eine strafrechtliche Verhaltensnorm dann akzessorisch auszulegen sei, wenn sie kein genuines Verbot aufstelle, sondern einen Lebensbereich betreffe, der bereits differenziert geregelt sei (S. 142).

5. Anschließend untersucht Ischebeck den Bezugspunkt einer etwaigen Akzessorietät (S. 143 ff), den er sowohl im Sozialrecht als auch (mittelbar) im Gesellschaftsrecht sieht. Seiner Ansicht nach stellt eine daran ausgerichtete normakzessorische Auslegung die Verhältnismäßigkeit von § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 StGB sicher und dient der Vermeidung eines Systembruchs (S. 150 ff). Sodann widmet sich der Autor möglichen Einwänden gegen das gefundene Ergebnis (S. 157 – 178). Er setzt sich in diesem Rahmen mit den in Teil 1 vorgestellten Lösungsansätzen und Argumenten in Rechtsprechung und Literatur auseinander – bedauerlicherweise in relativ knappen Ausführungen –, und postuliert zum Abschluss einen uneingeschränkten Vorrang des § 64 Abs. 2 GmbHG (scil.: der nur dann nicht zum Tragen kommen soll, wenn die sozialversicherungspflichtige Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern für den Werterhalt der Masse insgesamt erforderlich ist, s. o.).

6. Die Untersuchung schließt mit einer Analyse der strafrechtlichen Konsequenzen dieses Ergebnisses. Ischebeck lehnt im Fall des Unterlassens der Insolvenzantragsstellung die Begründung einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB über die Rechtsfigur der omissio libera in ommittendo ab. Für den Fall verbleibender Zweifel am Vorliegen der Insolvenzreife verneint er unter Hinweis auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen

beider Normen die Möglichkeit einer Wahlfeststellung zwischen § 266a Abs. 1 StGB und § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbhG – der nach der Lösung des Autors den Tatbestand der Beitragsvorenthaltung „fast nahtlos ab(löst)“ (S.179 – 190).

V. Der Problematik der (vermeintlichen?) Pflichtenkollision des GmbH-Geschäftsführers in der Insolvenz ist bereits eine Dissertation von Schmitt aus dem Jahre 2001 gewidmet; angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung und der Gesetzgebung sowie des vollkommen unterschiedlichen Lösungsansatzes hat die vorliegenden Arbeit aber unzweifelhaft ihre Berechtigung. Ischebeck hat sich in seinem Werk einer wissenschaftlich interessanten und komplexen Thematik angenommen, der gerade angesichts der aktuellen Wirtschaftslage auch eine besonders große praktische Relevanz zukommt. In seiner Einleitung hat der Verfasser konstatiert, dass es abzuwarten bleibe, ob das „Einlenken“ des 2. Zivilsenats im Jahr 2007 die wissenschaftliche Diskussion beruhigt oder zusätzlich „Öl ins Feuer“ gegossen hat. Von der vorliegenden Dissertation darf in jedem Falle letzteres erwartet werden.

Rechtsanwalt Ulrich Leimenstoll, Köln

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Michael Pawlik: Der Terrorist und sein Recht. Zur rechtstheoretischen Einordnung des modernen Terrorismus. 51 Seiten, 26,00 €, C.H.Beck, München 2008.

I. Kapituliert das Strafrecht vor den Strategien des modernen Terrorismus oder findet es zu einem angemessen, jedenfalls aber effektiven Umgang mit Formen extremistischer Gewalt? Diese Fragestellung hat in der fachwissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das liegt zum einen an dem gewandelten Selbstverständnis postnationaler Gesellschaften und insbesondere an den damit einhergehenden ideologisch oder religiös überformten Konflikten, zum anderen aber auch an den zahlreichen Aktivitäten des deutschen Gesetzgebers, man denke nur an die aktuellen Fassungen der §§ 129a und b StGB, die bevorstehende Einfügung der §§ 89a ff. StGB oder die entsprechende Novellierung des BKA-Gesetzes (zu §§ 89a ff. vgl. die Beschlussempfehlung, BT-Drs. 16/13145; zur Novelle des BKA-Gesetzes vom 25.12.2008 siehe BGBl. I Nr. 66, S. 3083) Günther Jakobs hat aus dieser Entwicklung geschlussfolgert, dass man neben dem am Tat- und Schuldprinzip orientierten Bürgerstrafrecht auch ein so genanntes Feindstrafrecht anerkennen müsse. Nur letzteres werde der Tatsache gerecht, dass das Strafrecht immer öfter als Vorfeldkriminalisierungs- und Terrorbekämpfungsinstrument eingesetzt werde, dem gerade nicht das repressiv verstandene Verantwortungskonzept, sondern der polizeirechtlich begründete Gefährlichkeits- und folglich Präventionsgedanke zugrunde läge (ausdrücklich betont das Jakobs in: Eser, Strafrechtswissenschaft, 2000, S. 47 ff.). Vor allem wegen seiner Depersonalisierungstendenzen ist dieses Konzept in Wissenschaft und Praxis mehrheitlich auf Ablehnung gestoßen (zusammenfassend Zabel, Schuldtypisierung als Begriffsanalyse, 2007, S. 334 ff.). Michael Pawlik nimmt in seiner hier zu besprechenden Schrift auf die Frontstellungen dieser Diskussion Bezug, er versucht aber vor allem, die Rede vom „Terrorist als Feind“ in den Kontexten moderner Ordnungspolitik zu verorten, um daraus wiederum Konsequenzen für das (Straf-)Recht zu ziehen. Nachfolgend sollen die entscheidenden Argumentationslinien markiert (II.) und diese auf ihre Belastbarkeit hin überprüft werden (III.).

II. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet eine Analyse der überkommenen Kriegsrechtslogik und -semantik (S. 7 ff.). Pawlik macht zunächst deutlich, dass der so genannte „gehegte Krieg“ bis in das 20. Jahrhundert hinein als Paradigma militärischer Auseinandersetzungen gelten konnte. Gegenüber standen sich souveräne Staaten, die Kriege als „politische Kunstwerke“ begriffen (Münkler) und alles daran setzten, rationale Regeln und Konventionen der Kriegsführung zu entwickeln (Kaldor). Gerade das, so Pawlik, änderte sich aber mit der Entstehung moderner Partisanenverbände (S. 9). Denn der Partisanenkrieg sei vornehmlich eine „Kampfweise der Schwachen“ (S. 10), die Konfrontation verlaufe nicht mehr zwischen zwei mehr oder weniger gleich organisierten Gegnern; weshalb Partisanen auch das bestehende Kriegsrecht unterlaufen und das Potential der Unerkennbarkeit mobilisieren würden. Vor allem darin besteht für Pawlik die Verbindung zu den Strategien des modernen Terrorismus (S. 11 ff.). Auch der Terrorismus fliehe den offenen Kampf und sei in diesem Sinne subversiv. Allerdings wendet er den „tellurischen Charakter“ des Kampfes (Schmitt) in einen symbolischen; es geht um ein Zeichen der Angst und des Schreckens, um eine „Gewalt der Plötzlichkeit“. Der Terrorismus, so Pawlik, ist deshalb „in erster Linie eine Kommunikationsstrategie.“ Auf dieser Grundlage komme es nicht nur zu einer Entgrenzung der jeweiligen Motive und Ziele über die politische Dimension hinaus, sondern auch zu einer medial forcierten Abkopplung von originär nationalen Ordnungsstrukturen. Das Bedrohungs- und Zerstörungspotential terroristischer Gewalt werde so zu einem omnipräsenten Code. Pawlik sieht darin einen völlig neuen Typus der Kriegsführung. Nicht nur, dass eine Vielzahl von Terrorgruppierungen heute über ähnliche militärische Mittel wie konventionelle Armeen verfügen, entscheidend ist vor allem, dass sie „die das 20. Jahrhundert prägende Tendenz zur Totalisierung des Krieges bruchlos fort[schreiben]“. Damit aber komme es zu einer „Rebarbarisierung der Kampfweise“ (Münkler), der die herkömmlichen Kriegsführungs- und Abschreckungsregeln nichts entgegenzusetzen haben. Es ist dieser Befund, der auch Konsequenzen für die rechtliche Einordnung des modernen Terrorismus haben müsse. Pawlik hält die These des Soziologen Ulrich Beck aber auch Wolfgang Schäubles für zutreffend, wonach die übliche Trennung zwischen Kriegsrecht, Polizeirecht und Strafrecht nicht mehr aufrechtzuerhalten sei, vielmehr neue, eben passendere Begrifflichkeiten erforderlich wären. Denn wenn der Terrorismus ein funktionales Äquivalent zum traditionellen Staatenkrieg darstelle, so könne sich auch die Bekämpfung nur an Wertungen kriegsrechtlicher oder kriegsrechtsähnlicher Provenienz orientieren, was formalrechtlich bedeute, dass auf die Prinzipien der Symmetrie und Reziprozität verzichtet werden müsse. Folge-

richtig liegt „in der Verknüpfung einer asymmetrischen normativen Grundstruktur – Verteidigung des Rechts gegen das Unrecht – mit kriegsähnlichen Mitteln […] das spezifisch Neue des Rechtsregimes zur Bekämpfung des modernen Terrorismus.“ (S. 23). In Deutschland, so die Überzeugung Pawliks, wird dieser Paradigmenwechsel immer noch skandalisiert, jedoch nur, um die gleichen Strategien in die „gefälligeren äußeren Formen“ des Gefahrenabwehr- bzw. Strafrechts zu kleiden.

Welch „massive axiologische Verwerfungen“ ein solches Vorgehen im Bereich des Strafrechts nach sich zieht, versucht Pawlik im zweiten Teil der „rechtstheoretischen Einordnung“ zu zeigen (S. 25 ff.). Dabei liegt offen zu Tage, dass Konzepte der Spezial- bzw. Verbrechensbekämpfungsprävention, wie bei Liszt, auch im Strafrecht vertreten wurden. Im Kern, so Pawlik, geht es hier um Unschädlichmachung des Täters, eine Strategie, die dem Umgang mit dem militärischen Gegner gleicht und dort auch sein Recht habe. Im Kontext des modernen Strafrechts müsse dies aber zu Friktionen führen. Denn „konsequent durchgeführt, tendiert eine Spezialprävention á la Liszt zur Preisgabe sowohl des Schuld- als auch des Tatprinzips“. Deshalb würde eine Strafnorm, die vornehmlich auf die Gefährlichkeit des Täters abstellte, zwar die kriegsrechtlich opportunen Zielsetzungen realisieren, sich aber zu den Grundsätzen rechtsstaatlichen Strafens in Widerspruch setzen. „Genau dies geschieht“, so die These Pawliks, „in der Strafgesetzgebung zur Bekämpfung des Terrorismus“ (S. 26). Im Anschluss daran wird an Hand der §§ 129 ff. und des (geplanten) § 89a StGB der Sinngehalt der These verdeutlicht. Im Mittelpunkt stehen hier das Tat- und Schuldprinzip. Beide werden für Pawlik zunehmend marginalisiert: das Tatprinzip jedenfalls insoweit, als durch die eklatante Ausdehnung der Vorfeldkriminalisierung die Freiheit der Privatsphäre, insbesondere der je individuellen Lebensführung missachtet und eine differenzierte Bewertung entsprechender Verhaltensweisen kaum gewährleistet wird (S. 27 ff.). Das Schuldprinzip wird unterlaufen, indem die Sanktionsdrohung an ein mehr oder weniger diffuses Gefährdungsunrecht gekoppelt sei, ohne dass damit das in Rede stehende Tatunrecht angemessen abgebildet werde (S. 31). Ähnliche Schwierigkeiten konstatiert Pawlik für den prozessual zu verortenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Vor allem die gravierenden Zwangsbefugnisse und forcierten Beschränkungen, erwähnt werden u.a. die Telekommunikationsüberwachung, die Schleppnetzfahndung oder die Untersuchungshaft ohne Haftgrund, lassen vermuten, dass die Vorschriften „zu einer verfahrensrechtlichen Überbeanspruchung des dort sanktionierten Unrechts“ führen (S. 34). In der Konsequenz sieht Pawlik eine Strategie der „radikalen Spezialprävention“ am Werk; mit Jakobs ließe sich auch sagen, dass sich das Bürgerstrafrecht im Umgang mit dem Phänomen des Terrorismus in ein Feindstrafrecht gewandelt habe. (S. 36). – Allerdings will sich Pawlik der Rede vom Feindstrafrecht nur bedingt anschließen. Zwar stimmt er Jakobs in der Radikalisierung des liberalen Leistungsgedankens zu (S. 38 f.), widersprechen möchte er aber der damit verbundenen Konfundierung von Strafrecht und Kriegsrecht (S. 40). Vielmehr müssten die Voraussetzungen der Sanktionierung eindeutig und ausschließlich auf das „Kriegsparadigma“ bezogen werden. Die Begründungslogik eines solch neuartigen Präventionsrechts würde auch nicht zu einer Entpersonalisierung des Gegners führen, denn „der Gegner wird so genommen, wie er sich selbst präsentiert: als Person, die einer dauerhaft gefährlichen Organisation angehört“ (S 41). Dementsprechend könnten hier auch alle Maßnahmen zur Unschädlichmachung eingesetzt werden, soweit sie sich nicht als „schlechthin unverhältnismäßig“ darstellten. Dazu gehört für Pawlik – neben der Tötung des Gegners – beispielsweise die Möglichkeit der vorbeugenden Inhaftierung i.S. einer Sicherungshaft resp. vorweggenommenen Sicherungsverwahrung, wofür der Gesetzgeber dann auch auf die §§ 129 ff. und 89a ff. StGB zurückgreifen dürfe (S. 43). Gleiches soll für das Prozessrecht gelten: über das herkömmliche Kriegsrecht hinaus müsse der Staat Alternativen zu bestehenden Gefahrabwendungsmethoden bekommen, ohne zwingend an die Maßstäbe des § 136a StPO gebunden zu sein (S. 46 f.). Im Ergebnis sind „weit ins Gefahrenfeld ausgreifende Ermittlungsmaßnahmen […] unvermeidlich“, weshalb in diesen Konstellationen – jedenfalls partiell – „Gefahrenvorsorge an die Stelle der klassischen Gefahrenabwehr“ treten müsse (S. 48). Pawlik hält weder den Befund noch die vorgeschlagenen Strategien für schön, nur seien letztere „der einzige Weg hinaus aus der unfruchtbaren Konfrontation zwischen den Verfechtern eines wirklichkeitsenthobenen Rechtsstaatsideals […] und einer Haltung, die sich aus der „intellektuelle[n] Lust am antizipierten Ausnahmezustand“ (die Fabio) speist (S. 50).

III. Pawliks genealogische wie rechtstheoretische Einordnung des Terrorismus ist nicht nur eine lesenswerte Analyse der gegenwärtigen Problem- und Rechtslage, sie leistet vor allem eine überfällige Systematisierung der inzwischen vertretenen Argumente und damit einhergehender Überzeugungen. Zustimmung verdient deshalb die Klarstellung der ordnungspolitisch und gesetzlich begründeten (Wertungs-)Widersprüche. Auch die Kritik an dem jakobsschen Modell des Feindstrafrechts als „Konfundierung von Strafrecht und Kriegsrecht“ leuchtet durchaus ein. Der daraus gezogene Schluss auf ein „neuartiges Präventionsrecht mit kriegsrechtlichen Elementen“ ist insoweit nachvollziehbar. Gleichwohl hat der Rezensent Bedenken: Denn die Etablierung eines solchen Rechtsregimes, gerade jenseits garantiert rechtsstaatlicher Verfahrensformen, birgt eine Reihe von Unwägbarkeiten. Unklar ist bereits, mit welchen Rechtsbegriffen hier hantiert wird, mit anderen Worten, wie bürgerstrafrechtliche und kriegsrechtliche Strukturen aufeinander bezogen und wo vor allem die Grenzen zwischen den jeweiligen Ressorts zu ziehen sind. Die Rede davon, dass bei der Neutralisierung terroristischer Gefahren „nicht schlechthin unverhältnismäßig“ vorgegangen werden dürfe, mag als politische Aussage noch hinnehmbar sein, juristisch führt sie schon deshalb in Turbolenzen, weil nicht erkennbar ist, ob die Frage der (Un-)Verhältnismäßigkeit noch dem herkömmlichen Verfassungsrecht oder der Dogmatik des Kriegsrechts zugeschlagen oder ob sie einfach, wie bei bestimmten „Gefahrenabwendungsmethoden“, pragmatisch funktionalisiert wird. Gleiches gilt für die Anwendung einzelner, in der Tat problematischer Tatbestände. – Die „Bekämpfung“ des Terrorismus, das hat Pawlik eindrücklich gezeigt, konfrontiert die moderne Gesellschaft mit völlig neuartigen Herausforderungen, denen sich Politik, Wissenschaft und Rechtpraxis zu stellen haben; doch zugleich, man mag es nur widerwillig zugeben,

bleibt der Feind „unsre eigne Frage als Gestalt“ (Däubler). Wie weit aber, so der entscheidende Punkt, kann eine Zivilgesellschaft die Exklusion rechtsfeindlicher Orientierungen vorantreiben, ohne den freiheitsgewährleistenden Kern der je eigenen Ordnung preiszugeben; wann also führt der „effektive“ Umgang mit Formen extremistischer Gewalt seinerseits zur Kapitulation vor der Logik einer ins Extrem gesteigerten Gefahrenvorsorge?

Dr. Benno Zabel, Leipzig

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Klaus Ulsenheimer: Arztstrafrecht in der Praxis (Praxis der Strafverteidigung, Band 7); 4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, C.F.Müller, 724 Seiten, gebunden, € 72,-. ISBN 978-3-8114-3610-7, Heidelberg 2008.

Das Arztstrafrecht stellt an den Bearbeiter hohe Anforderungen: Es erfordert nicht nur eine Kenntnis des einschlägigen materiellen Strafrechts mit Bezug zum ärztlichen Wirken, sondern auch umfassende Kenntnis des Arzt- und Medizinrechts, des ärztlichen Standesrechts sowie nicht zuletzt einiger in Arztstrafsachen regelmäßig zu beachtender verfahrensrechtlicher Besonderheiten. Medizinstrafrechtliche Fragen sind jedenfalls für den ausschließlich juristisch ausgebildeten Strafverteidiger ohne medizinische Vorbildung oder einschlägige Fortbildung mitunter schwer zu beantworten: Die Arbeit des Mediziners ist dem Juristen nur wenig vertraut. Daher ist es für den Strafverteidiger hilfreich, auf ein seit Jahren bewährtes Nachschlagewerk zurückgreifen zu können. Der Münchner Rechtsanwalt und Hochschullehrer Prof. Dr. Dr. Klaus Ulsenheimer bietet nunmehr in der vierten, neu bearbeiteten und erweiterten Auflage seines Werkes „Arztstrafrecht in der Praxis“ eine umfassende Darstellung der besonderen materiellen und strafprozessualen Probleme des Arztstrafrechts. Darüber hinaus wertet er aber auch die zivilrechtliche Rechtsprechung und die allgemeine medizinrechtliche Literatur ohne spezifisch strafrechtlichen Bezug aus und liefert dadurch insbesondere im Hinblick auf den im Bereich des Arztstrafrechts wohl praxisrelevantesten Komplex der ärztlichen Kunstfehler eine differenzierte und wertvolle Hilfe für die alltägliche Arbeit.

Der Verf. hat die vierte Auflage stark überarbeitet und viele Themen neu aufgenommen und aktualisiert, wie beispielsweise die Darstellung der Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht des Arztes, die Ausführungen über Probleme der Arbeitsteilung, über Organisationsfehler und die Untreue durch Vertragsärzte. Auch das Spannungsverhältnis zwischen Kostendruck und medizinischem Standard wird ausführlich diskutiert. Von besonderer Bedeutung sind ferner die Ausführungen zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs sowie der Organtransplantation. Zudem informiert der Verf. umfangreich über den Bereich des kassenärztlichen und privatärztlichen Abrechnungsbetrugs sowie über die Vorschriften zur Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Hinzuweisen ist insbesondere auch auf die neue Darstellung der Probleme der Präimplantationsdiagnostik sowie der Sterbehilfe (Patiententestament). Zu Recht wird das stetige Anschwellen des Buchumfanges im Vorwort der Herausgeber Werner Beulke und Hans-Ludwig Schreiber mit der zunehmenden praktischen Bedeutung des Arztstrafrechts gerechtfertigt.

Im Gegensatz zu anderen Bänden der Reihe „Praxis des Strafverfahrens“ wird hier das materielle Recht durch den Verf. angesichts der Schwierigkeit der Materie und dem – abgesehen von dem sich mehr als Textsammlung darstellenden „Handbuch des Medizinstrafrechts“ von Roxin und Schroth – Fehlen ähnlich umfassender Darstellungen des Arztstrafrechts besonders umfangreich behandelt. Demnach nimmt also Teil I („Das materielle Arztstrafrecht“) etwa 550 Seiten von insgesamt ca. 700 Buchseiten ein. Zunächst erörtert Ulsenheimer in § 1 seines Werkes die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) und die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB). Der gegenüber der Vorauflage erheblich erweiterte Umfang dieses Kapitels von nunmehr annähernd 300 Seiten ist schon deshalb gerechtfertigt, weil diese Straftatbestände mit weitem Abstand an der Spitze der in Arztstrafverfahren zu untersuchenden Vorwürfe stehen. Dabei beschreibt der Verf. strukturiert und anschaulich die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Fahrlässigkeitstat und geht im Rahmen dieser Darstellung detailliert auf die typischen Fehlerquellen – untergliedert in Behandlungsfehler, Aufklärungsfehler und Organisationsfehler – ein. Dem Strafrechtler wird ein guter Einblick in das zivilrechtliche Arzthaftungsrecht geboten und die Anwendung der dort entwickelten Grundsätze auf das materielle Strafrecht werden erläutert. Die umfangreiche Wiedergabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung, aber auch unveröffentlichter Fälle aus der eigenen Praxis des Verf. bzw. seiner Kanzlei erleichtert das Verständnis. Ausführlich ist auch die Darstellung zur Frage der Kausalität zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg; zu Recht bemängelt der Verf. in diesem Zusammenhang, dass in der Justizpraxis vielfach „gegen die zwingenden rechtlichen Erfordernisse bei der Kausalitätsprüfung verstoßen“ wird (S. 267) und zeigt unter Bezugnahme auf die einschlägige BGH-Rechtsprechung auf, wie einer rechtsfehlerhaften Kausalitätsbegründung zu begegnen ist.

Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Bearbeitung der unterlassenen Hilfeleistung gem. § 323c StGB (§ 2). Zutreffend weist der Verf. auf die leider in der Praxis vermehrt festzustellende unzulässige „Umfunktionierung“ des § 323c StGB zu einem „Auffangtatbestand“ für (vermeintliches) ärztliches Fehlverhalten hin (S. 308 ff.). In der Praxis wird hier oftmals verkannt, dass eine Strafbarkeit nach § 323c StGB jedenfalls bedingten Vorsatz voraussetzt. Hervorzuheben sind auch die durch viele Beispiele aus der Rechtsprechung illustrierten Ausführungen zur Zumutbarkeit der Erfüllung der ärztlichen Hilfspflicht (S. 318 – 322).

Im Hinblick darauf, dass gerade die Straftatbestände, die sich speziell an den Arzt wenden, in der Praxis nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung haben, wird hierauf vom Verf. in der gebotenen Kürze eingegangen: Hierzu zählen die ärztliche Sterbehilfe auf Verlangen des Patienten gemäß § 216 StGB (§ 3), Verstöße gegen das Transplantationsgesetz (§ 4), der Schwangerschaftsabbruch

nach § 218 StGB (§ 5), Verstöße gegen das Kastrations- (§ 6) und das Gentechnik- und Embryonenschutzgesetz (§ 7), die Verletzung der Geheimhaltungspflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB (§ 8) sowie das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 StGB (§ 9). Diese Straftatbestände spielen zwar bekanntlich in der rechtspolitischen Diskussion oftmals eine bedeutende Rolle, sind aber jedenfalls im Hinblick auf die Strafverfolgungspraxis von untergeordneter Bedeutung. Ihnen kommt vielmehr – wie der Verf. in Zusammenhang mit der Darstellung zum illegalen Schwangerschaftsabbruch zutreffend anführt – eine „Appell- und Warnfunktion“ zu (S. 383).

Nur kursorisch streift der Verf. auch den Komplex der strafbaren Verschreibung, Verabreichung und Überlassung von Betäubungsmitteln (§ 10), die Strafbarkeit klinischer Arzneimittelprüfung (§ 11) sowie die strafbare Werbung und gewerbliche Betätigung des Arztes (§ 12).

Wesentlich ausführlicher kommentiert Ulsenheimer entsprechend der steigenden Bedeutung in der Praxis wiederum die Vorteilsannahme/Bestechlichkeit i. S. d. § 299 StGB und der §§ 331, 332 (§ 13) sowie den Abrechnungsbetrug gemäß § 263 StGB (§ 14). Gegenüber der Vorauflage wurde das Werk angesichts der Entscheidung des 4. Strafsenats vom 25.11.2003 (BGHSt 49, 17 = HRRS 2004 Nr. 43) schließlich um einen weiteren Abschnitt zur (Vertragsarzt-) Untreue erweitert (§ 15). Der Verf. lehnt in Übereinstimmung mit dem wohl überwiegenden Schrifttum die Konstruktion des Vertragsarztes als „Vertreter der Krankenkassen“ und damit die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht mit gewichtigen Argumenten ab (S. 577 f.).

Neben der Darstellung des umfangreichen materiell-rechtlichen Teils finden die wichtigsten strafprozessualen Besonderheiten des Arztstrafrechts in Teil II („Die Anwaltstätigkeit, insbesondere die Verteidigung in Arztstrafsachen“) ausführlich Berücksichtigung. Dabei beschreibt Ulsenheimer zunächst die unterschiedlichen Funktionen des Anwalts in Arztstrafsachen, nämlich als Verteidiger des beschuldigten Arztes, als Anwalt des Verletzten bzw. der Angehörigen eines Verstorbenen oder als Rechtsbeistand eines Zeugen (§ 1). Der Verf. zeigt hier insbesondere auf, welche Ratschläge an den Arzt sich in der anwaltlichen Praxis bewährt haben. Sodann stellt der Verf. in dem strafprozessualen Teil seines Werkes die Bearbeitung eines strafrechtlichen Mandats in den verschiedenen Verfahrensabschnitten dar (§ 2), wobei er sein Augenmerk nahezu ausschließlich auf die anwaltliche Tätigkeit als Verteidiger des Arztes richtet. Hier werden vor allem die Vor- und Nachteile einer schnellen Verfahrenslösung im Wege der Einstellung gemäß § 153a StPO bzw. des Strafbefehlsverfahrens erörtert. Zutreffend weist der Verf. angesichts der stigmatisierenden Wirkung einer öffentlichen Hauptverhandlung darauf hin, dass die Vermeidung einer Anklage grundsätzlich das Hauptziel der Verteidigung sein muss (S. 635 ff.). Die von ihm nicht verkannte Problematik besteht allerdings praktisch oft darin, dass eben gerade angesichts der außerstrafrechtlichen faktischen Folgen – die von der Strafjustiz nach Ulsenheimer durchaus instrumentalisiert werden (S. 640) – Ärzte zu Ein- und Zugeständnissen bereit sind, für die aus rein rechtlicher Sicht keine Notwendigkeit bestünde. Ferner behandelt der Verf. die Auseinandersetzung mit dem in Verfahren wegen ärztlicher Kunstfehler regelmäßig entscheidenden Sachverständigengutachten und die Problematik der Vorlage eines eigenen („Privat“-) Gutachtens (S. 629 – 634). Abschließend wird auf die Rechtsfolgen eines arztstrafrechtlichen Vergehens (§ 3) eingegangen. Hierbei erläutert der Verf. – naturgemäß nur kursorisch – zunächst das Strafmaß, geht dann auf die Verhängung eines Berufsverbots ein und beschreibt standesrechtliche Folgen. Von besonderer Bedeutung für das Arztstrafrecht sind schließlich die Erklärungen zum Widerruf bzw. Ruhen der Approbation und zum Entzug bzw. Ruhen der Kassenzulassung.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Ulsenheimers Darstellung über das „Arztstrafrecht in der Praxis“ das unumstrittene Standardwerk dieser Materie darstellt, an dem niemand vorbei kommt, der sich mit diesem Rechtsgebiet befasst.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Björn Gercke, Köln

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Alice Wippler: Die Operative Fallanalyse als Beweismittel im Strafprozess; S. XV, 344. LIT-Verlag, Münster 2008

Bei dem zu besprechenden Werk handelt es sich um eine von Hillenkamp betreute Heidelberger Dissertation. Das Buch umfasst - neben Inhalts- (S. V-XV) und Literaturverzeichnis (S. 324-344), einer Einleitung (S. 1-6) und einer Zusammenfassung nebst Ausblick (S. 312-316) sowie als Anhang dem verwandten Fragebogen (S. 317-319) und graphischen Darstellungen der Umfrageergebnisse (S. 320-323) - zwei Kapitel, und zwar „Operative Fallanalyse – Entwicklung, Forschung, Methoden und Standardisierung“ (S. 7-104) und “Die Bedeutung der operativen Fallanalyse im Strafprozess“ (S. 105-311), wobei nach Umfang und strafprozessualer Relevanz dieses Kapitels dessen Abschnitt C. dominiert, der sich mit „Nutzen und Grenzen“ (S. 142-289) befasst. Der Praxisrelevanz der Thematik entsprechend hat Verf. einzelne Antworten der von ihr schriftlich befragten strafgerichtlich Amtierenden (S. 4 f.; einer statistischen Auswertung stand u. a. die niedrige Rücklaufquote entgegen) an den jeweiligen Themenbereichen in die Abhandlung eingefügt; in gleicher Weise hat sie Darstellungen von ihr interviewter Beamter des BKA (Vorwort) wiedergegeben, deren Perspektive Verf. unbeschadet ihrer durchweg dokumentierten wissenschaftlichen Unabhängigkeit in ihren Würdigungen eher nicht zurückgestellt hat.

Bei der arbeitsökonomisch aufwändigen und hochpreisigen „operativen Fallanalyse“ (im Folgenden OFA) handelt es sich um ein Beispiel für Strategien polizeilicher Expansion, die nicht unzutreffend mit dem Bemühen um Intensivierung und Verbesserung von Aufklärungsmöglichkeiten begründet wird, zugleich aber zumindest auch dem Aquirieren zusätzlicher Beschäftigung und der Ausdehnung des Machtbereichs dient und damit zugleich

positive Funktionen von Kriminalität ausweist. Dem entspricht es, dass die Erstellung „häufig“ (Verf. S. 114) ohne Kenntnis der StA geschieht, ein procedere, das Verf. im Hinblick auf § 161 Abs. 1 S. 1 StPO bzw. Nr. 3 Abs. 1 S. 1 RiStBV beanstandet (S. 114 f.). Wesensgemäß hat die OFA die Funktion einer Orientierunghilfe im Ermittlungsverfahren, und zwar nur für solche vereinzelten Ausnahmefälle, in denen ein mit dem allgemeinen kriminaltechnischen Methodenarsenal nicht überwindbarer, zu Unsicherheit führender Informationsmangel vorliegt (Verf. S. 46 Fußn. 169: in Deutschland etwa 50-80 OFAen jährlich). Hierzu ist Voraussetzung, dass hinreichend Spuren vorhanden sind, die Geschehensmerkmale aufweisen. Somit wird die OFA vorzugsweise in (Ermittlungs-) Verfahren wegen (mutmaßlicher) Tötungs- oder sexualbezogener Gewaltdelikte, ggf. auch Erpressung und erpresserischen Menschenraubs, Brandstiftungen, Sprengstoffanschlägen oder terroristischen Anschläge durchgeführt. Traditionell stehen „Serientaten“ im Vordergrund, wobei inhaltlich weniger auf den modus operandi als vielmehr auf solche Verhaltensweisen (sogenannte individuelle „Handschrift“) abgestellt wird, die für die Durchführung der Tat nicht notwendig gewesen sind bzw. die (erwartungswidrig) fehlen (Verf. S. 47 ff., 61 ff., 72). Als Informationsquellen werden, obgleich ohne Möglichkeit kriminaltechnischer Feststellung und also systemfremd, ggf. auch Angaben etwa von Angehörigen des (mutmaßlich aufgrund deliktischer Einwirkung) verstorbenen Opfers z. B. zu dessen Person und Lebensgewohnheiten oder, bei dem Tatvorwurf der Vergewaltigung, solche des (mutmaßlichen) Opfers zur Person und dem Verhalten des (mutmaßlichen) Täters einbezogen (Verf. S. 70, 53, 180). Befasst sind vor allem Dienststellen beim BKA (gemäß § 2 Abs. 7 BKAG) und bei den LKÄmtern, und zwar auf Anfrage der ermittlungsführenden Polizeidienststelle. Schon wegen der Pluridisziplinarität (z. B. Rechtsmedizin, Physik, Biologie, Geographie, Kriminologie, Soziologie, Psychologie, ggf. auch Psychiatrie oder aber Linguistik) handelt es sich meist um Teamarbeit, woraus sich auch in diesem Bereich neben Vorzügen etwa bei der Hypothesenbildung (vgl. Verf. S. 79, 75 [„kommunikative Validierung“], 187 f.) und unbeschadet der Rolle eines Moderators (Verf. S. 80) gewisse ggfs. dysfunktionale Einschränkungen (etwa hinsichtlich konsensfähigem fachlichem Niveau oder [u. a. soziometrisch bedingter] Durchsetzungsfähigkeit bei Meinungsverschiedenheiten) ergeben, zumal eine einheitliche Wissenschaftssprache oder eine standardisierte Methodik nicht bestehen (Verf. S. 77). Neben dem primär deduktiven Vorgehen werden gewissermaßen induktiv statistische Daten der verschiedensten Sachgebiete verwandt (speziell etwa die beim BKA geführte Datenbank VICLAS [=Violent Crime Linkage Analysis System]), wobei sich (auch) hinsichtlich der OFA unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Dominanz dieses oder jenes Vorgehens ergeben können (Verf. S. 93 ff.). – Mit Verf. (S. 87, 183 f.) ist jedoch ein Monopol der Polizei im Bereich OFA, dem u. a. durch die (polizeiintern für verbindlich erklärte) Auflistung einschlägiger „Qualitätsstandards“ und die Einrichtung eines Ausbildungsgangs zum „polizeilichen Fallanalytiker“ Nachdruck verliehen wurde, zu beanstanden: Nicht jedem Ansatz, der demjenigen des BKA nicht entspricht, darf „seine Seriosität abgesprochen werden“ (Verf. S. 187).

Was die Frage nach der Verlässlichkeit der OFA angeht, so stellt Verf. zunächst klar, dass sie nicht auf einer Wissenschaft beruht, zumal keine Ausrichtung auf die „Erlangung universalgültiger Erkenntnisse“ besteht (S. 205). Unterhalb des methodischen Anspruchs einer Wissenschaft ist am ehesten die Tathergangsanalyse überprüfbar, die um eine Rekonstruktion des (mutmaßlichen) äußeren Tatablaufs bemüht ist. Denn sie beruht auf Spuren, d.h. auf objektiven Tatsachen. Indes handelt es sich bei deren Ergebnissen stets nur um Wahrscheinlichkeitsaussagen bzw. Hypothesen, und auch Irreführungen sind nicht auzuschließen (nicht verlässlich hingegen sind mitunter beigefügte Ausführungen zum Tatmotiv, da sie methodenimmanent ein vergleichsweise hohes Fehlerpotential aufweisen, Verf. S. 251).

Aufbauend auf der Tathergangsanalyse bzw. den darin zum Ausdruck kommenden Hypothesen umfasst die OFA zwei andere Kategorien von Aussagen, die beide im Allgemeinen nicht hinreichend verlässlich sind. Zum einen betrifft es die Vergleichende Beurteilung mehrerer Einzeltaten als Teil einer Serie. Die wahrscheinlichkeitstheoretische Fragwürdigkeit beruht vor allem darauf, dass die Beurteilung auch auf der Interpretation interner Vorgänge bzw. der Spekulation über solche beruht. Zudem stehen empirisch begründete Einwände gegenüber jeder Form von Perseveranz – also nicht nur des modus operandi, sondern auch der sogenannten „Handschrift“ - entgegen (Verf. S. 89, 252 f.). – Zum anderen handelt es sich um die Beurteilung der Persönlichkeit des (mutmaßlichen) Täters, das sogenannte Täterprofil. Die Einwände beziehen sich zunächst wiederum auf die Unkontrollierbarkeit des Vorgehens hinsichtlich interner Vorgänge. Insbesondere ist zwar unstreitig, dass eine ausreichende abgleichungsfähige Hinweisdichte vorliegen muss (Verf. S. 73, 254 ff.), jedoch fehlt es an stabilen Erkenntnissen dazu, welche Informationsdichte hierzu vorliegen muss (zur Fehleranfälligkeit i. S. v. Stereotypen etwa Dabney ua Criminal Justice&Behaviour 33 [2006] 646 ff.).

Die Einbeziehung der Ergebnisse einer OFA auch im gerichtlichen Verfahren geschieht ganz überwiegend nur mittelbar bzw. „auf Umwegen“, z. B. durch Erwähnung in der Anklageschrift. Soweit dabei die Unterlagen - etwa aufgrund von Geheimhaltungsbelangen hinsichtlich der Kriterien einer OFA - bei den polizeilichen Akten oder den Handakten der StA verbleiben, erkennt Verf. dies unter Hinweis auf § 168b Abs. 1, 163 Abs. 2 bzw. § 244 Abs. 2 StPO sowie den zur Wahrung rechtlichen Gehörs unabdingbaren Grundsatz der Aktenvollständigkeit als unzulässig, d. h. die Unterlagen müssen Eingang in die Ermittlungsakten finden (S. 117-120, auch gegen Versuche partiellen Heraushaltens unter Hinweis auf § 96 StPO). Eine unmittelbare Einführung in die Hauptverhandlung, wie sie von Verf. unter anschaulicher und umsichtig würdigender Anknüpfung an bestimmte Strafprozesse vor deutschen Gerichten (S. 121-136) vor allem thematisiert wird, findet nur vergleichsweise selten statt (nach Baurmann/Heese, in BKA, Die operative Fallanalyse in der Hauptverhandlung, 2006 S. 184 gar nur zwischen 5 und 10 Verfahren jährlich). Aufgrund der erörterten Einschränkungen hinsichtlich verlässlicher Aussagen ist die Würdigung von Verf. (S. 252-254), solches komme ohnehin nicht für eine vergleichende Fallanalyse in Be-

tracht, durchaus stichhaltig; das Gleiche gilt für die Übereinstimmung eines fallbezogen gewonnenen Profils mit dem Beschuldigten, der sie „keinerlei Beweiswert“ zuerkennt (S. 254 ff.). Anders verhält es sich allein bezüglich der Tathergangsanalyse (Verf. S. 250 f.), aber bei dieser bleibt das Gericht, sofern es mit Verf. nicht schon grundsätzlich eine völlige Ungeeignetheit als Beweismittel (§ 244 Abs. 3 S. 2 StPO) verneint (ausführlich S. 197 ff., 219 ff.), wegen des nur hypothetischen Charakters und der Suggestivwirkung fallanalytischer Tathergangsmodelle zu einer besonders umsichtigen Beweiswürdigung und einer vorsichtigen Beweisverwertung verpflichtet (BGH NStZ 2009, 284 f.; Verf. S. 277 ff).

Hinsichtlich der Verfahrensrolle des Fallanalysten in der Hauptverhandlung scheidet die Beurteilung als sachverständiger Zeuge schon gemäß der unstrittigen Voraussetzung aus, dass die Tatsachen ohne Auftrag des Gerichts, der StA oder der Polizei wahrgenommen worden sein müssen (s. verbaliter anders BGH NStZ-RR 2008, 148, 149). Verf. meint, bei dem Fallanalysten handle es sich um einen Sachverständigen, da er gemäß „kriminologischem und kriminalistischem Hintergrundwissen“ und „analytischen Fähigkeiten“ in der Lage sei, „die objektiven Befunde zu würdigen und aus ihnen aussagekräftige Schlussfolgerungen zu ziehen“ (S. 175, zum Unterschied gegenüber einem sachverständigen Zeugen Verf. S. 178, aber auch S. 171 f.), und diese Schlussfolgerungen seien, soweit sie dem Gericht nicht offen gestanden hätten, Befundtatsachen (Verf. S. 179). Folgerichtig erörtert sie in diesem Rahmen schon die Heranziehung (§§ 161 a Abs. 1 S. 2, 73 Abs. 1 S. 1 StPO) unter Erwähnung auch von Nr. 70 Abs. 1 RiStBV (Verf. S. 116 f.), die Frage der Akteneinsicht (§ 80 Abs. 2 StPO), die sie mit der Einschränkung einer Bereinigung um subjektive Daten bejaht (S. 290 ff, 295), sowie die Frage der Ablehnung wegen Befangenheit (§ 74 Abs. 1 StPO, S. 195 ff.), wozu sie im Falle der Mitwirkung ermittelnder Polizeibediensteter im OFA-Team und, unabhängig davon, bei Kompetenzüberschreitung eine Bejahung in Erwägung zieht. Ebenso erkennt sie, dass im Falle der Beauftragung einer Behörde (§ 83 Abs. 3 StPO) eine Verlesbarkeit (§ 256 Abs. 1 Nr. 1 a StPO) in Betracht kommen könnte, lehnt dies jedoch wegen des Einflusses von „Erfahrungshorizont“ und „Intuition“ auf die OFA eher ab (Verf. S. 193).

Ob für einen Fallanalysten die Rolle eines Sachverständigen in Betracht kommt (vgl. bej. etwa Bruns, in BKA aaO, 163; eher vern. etwa Ignor, in BKA aaO S. 93 ff) - es betrifft im Übrigen neben einer „Prestigefrage“ (Verf. S. 169) auch eine solche der Vergütung -, hängt davon ab, was die OFA primär anbietet: entweder die Erhebung von Befundtatsachen oder aber die Bewertung von (bereits anderweit ermittelten) Tatumständen und Schlussfolgerungen und damit Aufgaben richterlicher Beweiswürdigung (§ 261 StPO). Schon nach dem Selbstverständnis der OFA geht es – entgegen dem Beobachten, Diagnostizieren und Erklären bei empirischer oder gar naturwissenschaftlicher Gutachtenerstellung – auch bei der Tathergangsanalyse um ein Nachvollziehen und Deuten unter Einsatz nicht unerheblicher individuell-intuitiver Elemente (Verf. S. 204, 210, 232-237). Hierzu ist unbestritten, dass es an einer - allgemein anerkannten Methoden entsprechenden - Validierung fehlt, wozu Verf. klarsichtig ausführt, dass ein Geständnis oder gar eine Verurteilung von einer OFA beeinflusst sein mögen, wogegen unabhängige, d. h. „äußere“ Validitätskriterien „kaum einmal“ vorliegen (S. 224 f.). Auch die auf die „Spurenlage“ abhebende Annahme, „der Tatort spiegele das Verhalten des Täters wider“ (Verf. S. 232), enthebt nicht von der Notwendigkeit einer Validierung diesbezüglicher Ergebnisse der OFA (anders wohl Verf. S. 232), weil es darauf ankommt, die Unbekannte von Fehlinterpretationen auszuräumen. Demgemäß handelt es sich bei den Bewertungen und Schlussfolgerungen nicht um Untersuchungsbefunde und bei deren Erstellung insoweit nicht um eine Sachverständigentätigkeit (vgl. betr. Tatserie auch BGH NStZ-RR 2008, 148[149], wonach die „eher ermittlungstechnisch eingesetzte“ OFA also „nicht als Verwertung eines methodisch näher zu erläuternden Gutachtens zu verstehen“ sei; offen gelassen in BGH NStZ 2009, 284 f.; verbaliter anders BGH NJW 2007, 92, 95), ebenso wie Bekundungen nicht solche eines sachverständigen Zeugen sind (vgl. Nack GA 2009, 211; s. aber auch Boetticher, in BKA, aaO zu drei Entscheidungen des 1. Strafsenats des BGH aus dem Jahr 2006). Auch können die Bewertungen und Schlussfolgerungen einer OFA nicht Gegenstand eines Beweisantrags im Sinne von § 244 Abs. 3, 4 StPO sein (vgl. betr. Tathergangsanalyse schon BGH NStZ 2006, 712 f.), sie sind Beweisanregungen. Andererseits könnte eine Einordnung als Sachverständiger wegen der Vermittlung nicht allgemein gültiger, sondern nur statistischer Erfahrungssätze im Sinne eines zwar regelmäßigen, aber nicht zwingenden Ablaufs von Vorgängen (etwa sogenannte „typische“ Verhaltensweisen) erwogen werden (offen gelassen in BGH NStZ 2009, 284 f.), wobei es Aufgabe des Gerichts bliebe, selbst und unabhängig darüber zu entscheiden, ob die Schlussfolgerung aufgrund eines derartigen Erfahrungssatzes zu ziehen ist oder nicht (§ 261 StPO; BGH NStZ 2006, 712 f; BGH NStZ 2009, 284 f.). Indes ist zweifelhaft, unter welchen Voraussetzungen von Erfahrungssätzen ausgegangen werden könnte (skeptisch Nack GA 2009, 212).

Für die Tathergangsanalyse wie auch für etwaige Erfahrungssätze ergeben sich Einschränkungen der Geeignetheit nicht zuletzt daraus, dass die einordnende Beurteilung in Anlehnung an vorausgegangene strafrechtliche Würdigungen der Justiz oder der Polizei in jeweiligen Einzelfällen und zudem betreffend selektierten Materials geschieht. So sind z. B. im Grau- und besonders im Dunkelfeld verbliebene (mutmaßliche) Delikte nicht einbezogen, weshalb erhebliche Lücken und Verzerrungen des Informationsstandes nahe liegend sind. Im Übrigen sind die vorausgegangenen Würdigungen mit unbekannter Fehlerquote hinsichtlich partieller oder gänzlicher Fehlentscheidungen mit der Folge falschen Materials behaftet, wovon gerade auch zentrale Anwendungsfelder der OFA wie Tötungsdelikte gar in Zusammenhang mit sexualitätsbezogenen Umständen nicht ausgenommen sind. Dies gilt besonders dann, wenn die vorausgegangenen Bewertungen ihrerseits - konzeptionell stimmig zur OFA - gewissermaßen tatbild- und spurenfixiert gewesen sind (vgl. zur Veranschaulichung aus der Judikatur etwa BGH NStZ 2007, 522 mit Anm. Rezensent/Schmitz NStZ 2008, 94 oder Beschluss des BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, vom 4. 12. 2008 – 2 BvR 2333/08 – mit Bspr. Rezensent DRiZ 2009, Heft Juli).

Verf. hat mit ihrem Werk einen wesentlichen Beitrag zu den methodischen Grenzen einer OFA und insbesondere zu den Voraussetzungen einer Verwertbarkeit der OFA im Strafprozess geleistet. In nüchterner Abwägung hat sie Gefahren einer Überhöhung der methodischen Möglichkeiten erkannt und daraus bestimmte Konsequenzen für Fragen der Verwertbarkeit gezogen. Besonders verdienstvoll sind Hinweise auf trotz Nichtgeeignetheit vorkommende Grenzüberschreitungen mit Einfluss auf das Strafgericht (z. B. S. 254: „..sich das Gericht zur Überführung …auf den modus operandi stützte, der nach Einschätzung des Sachverständigen mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine Täteridentität sprach“; oder S. 260 betr. Aussagen zum Täterprofil, die mit der objektiven Wahrheitsfindung nicht vereinbar sind: „…dürfte der Täter als handlungsorientiert, sozial unauffällig, jedoch nicht sozial isoliert zu beschreiben sein“).

Prof. Dr. Ulrich Eisenberg, Berlin