HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 570
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 745/08, Beschluss v. 30.04.2009, HRRS 2009 Nr. 570
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13. August 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht Augsburg hat den Angeklagten wegen Umsatzsteuerhinterziehung in neun Fällen und wegen versuchter Umsatzsteuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedürfen lediglich die Verfahrensrügen, mit denen der Beschwerdeführer die Verletzung von § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 StPO und von § 252 StPO geltend macht.
1. Zum Verfahrensablauf trägt die Revision folgendes vor:
Das Ermittlungsverfahren habe sich zunächst gegen den Angeklagten und die damaligen Mitbeschuldigten Z. und B., den Neffen Z. s, gerichtet. Gegen diese drei Personen habe die Staatsanwaltschaft am 2. Mai 2006 Anklage zum Landgericht Augsburg erhoben, das mit Beschluss vom 31. Juli 2006 das Hauptverfahren eröffnet habe. Bereits am ersten Hauptverhandlungstag sei das Verfahren gegen den Angeklagten abgetrennt und ausgesetzt worden, nachdem Z. und B. - im Gegensatz zum nicht geständigen Angeklagten - eine geständige Einlassung angekündigt hätten. Nach Teileinstellung des Verfahrens durch Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO seien mit Urteil vom 23. Oktober 2006 Z. wegen Umsatzsteuerhinterziehung in drei Fällen (betreffend die Umsatzsteuerjahreserklärungen 2000 bis 2002) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und B. wegen Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung (betreffend die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Juni bis November 2003) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Beide Verurteilungen seien rechtskräftig; B. habe auf Rechtsmittel verzichtet, die von Z. eingelegte Revision sei am 12. September 2007 vom Bundesgerichtshof verworfen worden. In der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten seien dann Z. und B. am 11. August 2008 als Zeugen vernommen worden, dabei auch zu Tatvorwürfen, die in ihren eigenen Verfahren von der Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO erfasst worden seien. Eine Belehrung von Z. und B. über ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 StPO sei dabei nicht erfolgt.
In derselben Hauptverhandlung habe das Landgericht auch den Zeugen K., einen Sohn Z. s, vernommen. Auch er sei nicht über ein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden. Zwar habe er umfassend von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht. Das Landgericht habe jedoch seine Angaben aus einer Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren durch Vernehmung der Vernehmungsbeamten der Steuerfahndung in die Hauptverhandlung eingeführt und zur Verurteilung des Angeklagten herangezogen.
2. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass die Angaben der Zeugen Z. und B. im Verfahren gegen den Angeklagten nicht verwertbar seien, weil ihnen ein Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden habe, über das sie entgegen § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht belehrt worden seien. Zwar sei der Angeklagte mit diesen Personen nicht verwandt; den Zeugen habe jedoch untereinander wegen ihres Verwandtschaftsverhältnisses ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zugestanden. Im Hinblick auf die frühere prozessuale Gemeinsamkeit habe dieses Zeugnisverweigerungsrecht trotz Verfahrensabtrennung auch im Verfahren gegen den Angeklagten bestanden.
Dieses Recht sei auch nicht hinsichtlich solcher Tatvorwürfe erloschen, hinsichtlich deren die Strafverfahren gegen Z. und B. zuvor gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden seien. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Wiederaufnahme entfalte diese Einstellung - anders als eine rechtskräftige Verurteilung oder ein rechtskräftiger Freispruch - nur eine beschränkte Sperrwirkung und führe deshalb nicht zu einem Erlöschen des Zeugnisverweigerungsrechts.
Der Verwertung der Angaben der Vernehmungsbeamten der Steuerfahndung als Zeugen in der Hauptverhandlung stehe gemäß § 252 StPO ebenfalls ein Beweisverwertungsverbot entgegen, soweit durch deren Vernehmung die Angaben des Zeugen K. in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien, die er als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren gemacht habe. Der Verwertung stehe entgegen, dass der Zeuge K. damals nicht über sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO belehrt worden sei. Die Verurteilung des Angeklagten beruhe auf diesen Verfahrensverstößen, denn die Strafkammer habe ihre Überzeugung von der Schuld des Angeklagten auch auf diese Zeugenaussagen gestützt.
3. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg; sie sind jedenfalls unbegründet.
Das Landgericht hat bei den Zeugen Z. und B. nicht gegen die Belehrungspflicht aus § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO verstoßen und war auch nicht nach § 252 StPO gehindert, die von dem Zeugen K. im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben durch Vernehmung der damaligen Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung einzuführen. Zwar waren die Zeugen Z., B. und K. jeweils Angehörige eines früheren Mitbeschuldigten im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Das sich aus dieser Vorschrift ergebende Zeugnisverweigerungsrecht war zum Zeitpunkt der jeweiligen Vernehmung der Zeugen jedoch bereits erloschen, weil die Strafverfahren gegen die Zeugen Z. und B. bereits beendet waren, zum Teil durch rechtskräftige Verurteilung, im Übrigen durch gerichtliche Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO.
a) Allerdings ist ein Zeuge nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich aller Beschuldigter zur Verweigerung des Zeugnisses gemäß § 52 Abs. 1 StPO berechtigt und hierüber auch zu belehren, wenn sich ein einheitliches Verfahren gegen mehrere Beschuldigte richtet und der Zeuge jedenfalls zu einem von ihnen in einem von § 52 Abs. 1 StPO erfassten Angehörigenverhältnis steht, sofern der Sachverhalt, zu dem er aussagen soll, auch seinen Angehörigen betrifft (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 12 m.w.N.). Nach überkommener Rechtsprechung erlischt dieses Zeugnisverweigerungsrecht selbst dann nicht, wenn der Angehörige des Zeugen später aus dem Verfahren gegen den Angeklagten ausscheidet (vgl. nur BGHSt 34, 138, 139).
b) Ob hieran festzuhalten ist oder ob das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen nur solange Bestand haben kann, wie das Verfahren auch gegen einen seiner Angehörigen geführt wird, und daher auch nur insoweit als Rechtsreflex nicht-angehörige Beschuldigte begünstigt (vgl. dazu BGHSt 38, 96, 99), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn nach der Rechtsprechung besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht in dem Verfahren gegen den nichtangehörigen Beschuldigten jedenfalls dann nicht mehr, wenn das zwischen den Angehörigen eines früheren Mitbeschuldigten und dem jetzigen Beschuldigten geknüpfte Band so schwach geworden ist, dass es den empfindlichen Eingriff, den die Zeugnisverweigerung für den noch vor Gericht stehenden Beschuldigten bedeutet, nicht mehr rechtfertigt (vgl. BGHSt 38, 96, 101; BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 9). Als Fallgruppen sind in der Rechtsprechung anerkannt die Fälle des endgültigen Abschlusses des Verfahrens gegen den Mitbeschuldigten durch dessen rechtskräftige Verurteilung (vgl. BGHSt 38, 96, 101), seinen rechtskräftigen Freispruch (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 9) oder seinen Tod (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 7).
c) Ob Entsprechendes auch dann gilt, wenn der Mitbeschuldigte nach vorläufiger Einstellung gemäß § 153a StPO die ihm gesetzten Auflagen und Weisungen erfüllt (§ 153a Abs. 1 Satz 4 StPO) und nach Sachlage ausgeschlossen werden kann, dass die Tat noch als Verbrechen verfolgt werden kann, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 12). Dies bedarf auch hier keiner Entscheidung.
d) Jedenfalls bedürfen aber die bislang anerkannten Fallgruppen eines Erlöschens des Zeugnisverweigerungsrechts bei Beendigung des Strafverfahrens der Erweiterung um den Fall einer Verfahrenseinstellung gemäß § 154 StPO bei rechtskräftiger Verurteilung des Mitbeschuldigten. Im Hinblick auf die sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Wiederaufnahme des Verfahrens nach einer solchen Verfahrenseinstellung erlischt das Zeugnisverweigerungsrecht, das der Angehörige eines Mitbeschuldigten im Verfahren gegen den Beschuldigten hat, wenn das gegen den Mitbeschuldigten geführte Verfahren rechtskräftig abgeschlossen wird, auch bezüglich solcher Tatvorwürfe, hinsichtlich deren das Verfahren gemäß § 154 StPO eingestellt worden ist. Ob es sich bei der Teileinstellung des Verfahrens um eine solche nach § 154 Abs. 2 StPO durch das Gericht handelt, oder ob die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO die Verfahrenseinstellung vorgenommen hat, ist insoweit ohne Bedeutung.
Begründet wird das Fortbestehen des Zeugnisverweigerungsrechts für den Zeugen nach Ausscheiden seines Angehörigen aus dem Verfahren vor allem damit, dass das familiäre Verhältnis zwischen Zeugen und Angehörigen geschützt, d.h. der Familienfrieden gewahrt werden soll (vgl. BGHSt 38, 96, 99). Dieser Ansatz begegnet indes bereits vor dem Hintergrund, dass sich das Verfahren nicht mehr gegen den Angehörigen richtet, unter dem Gesichtspunkt effektiver Strafverfolgung (vgl. BVerfG, Beschl. vom 18. März 2009 - 2 BvR 2025/07) erheblichen rechtlichen Bedenken; zudem handelt es sich für den nicht-angehörigen Beschuldigten um einen von außen kommenden, fremden und zufälligen Eingriff in sein Verfahren (vgl. BGHSt aaO). Ein fortbestehendes Zeugnisverweigerungsrecht wäre daher allenfalls in solchen Fällen anzuerkennen, in denen noch ernsthaft mit einer weiteren Verfolgung des Angehörigen wegen der zunächst gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe zu rechnen ist. Ist aber das Verfahren gegen den Angehörigen des Zeugen, der zunächst Mitbeschuldigter war, durch Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO im Hinblick auf seine rechtskräftige Verurteilung wegen anderer Taten beendet, kommt grundsätzlich eine weitere Verfolgung dieser Tatvorwürfe nicht mehr in Betracht. Es ist daher regelmäßig auch nicht mehr zu besorgen, dass der Zeuge durch seine Aussage im Verfahren gegen andere Beschuldigte den Familienfrieden erheblich gefährden und in eine seelische Zwangslage geraten könnte.
Der von § 52 Abs. 1 StPO bezweckte Schutz der familiären Interessen des Zeugen hat deshalb in solchen Fällen hinter dem Erfordernis einer wirksamen Strafverfolgung bezüglich eines Beschuldigten zurückzutreten, der nicht aufgrund persönlicher Umstände, sondern lediglich aufgrund einer - zufälligen - früheren prozessualen Gemeinsamkeit mit dem früheren Mitbeschuldigten und dem Zeugen verbunden ist.
aa) Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO durch die Staatsanwaltschaft oder durch das Gericht führt - anders als eine Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO - regelmäßig zu einer endgültigen Beendigung der strafrechtlichen Verfolgung des Beschuldigten, wenn die Verfahrenseinstellung im Hinblick auf eine anderweitige bereits erfolgte oder im Zeitpunkt der Einstellung erst zu erwartende Verurteilung vorgenommen worden ist, die dann in Rechtskraft erwachsen ist.
Der gerichtliche Einstellungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO beendet nicht nur die gerichtliche Anhängigkeit des von ihm betroffenen Teils der Anklage und schafft insoweit ein Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Beschl. vom 16. Dezember 2008 - 4 StR 559/08), sondern er erlangt - unter bestimmten Voraussetzungen - auch Rechtskraft (vgl. BGHSt 30, 197, 198). Die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines durch Gerichtsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrens ist bereits aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) erheblich eingeschränkt (vgl. § 154 Abs. 3 und 4 StPO). Je umfangreicher die Möglichkeiten für eine Ermittlung des Schuldvorwurfs und je ausgeprägter die Sicherungen für eine sachgerechte Entscheidung waren, umso mehr Vertrauen darf der Angeklagte in den Bestand und die Endgültigkeit der getroffenen behördlichen Entscheidung setzen. Ein erneutes Aufgreifen des gerichtlich eingestellten Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft kommt daher nur bei einem deutlich erhöhten Schuldgehalt in Betracht, wenn sich die Tat nachträglich als Verbrechen darstellt. Solches ist bei Steuerstraftaten mangels Verbrechenstatbestandes freilich von vornherein ausgeschlossen. Der gerichtliche Einstellungsbeschluss führt deshalb zu einem beschränkten Strafklageverbrauch (vgl. BGHSt 48, 331 zum Strafklageverbrauch bei einer Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO).
Demgegenüber bewirkt die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO keinen Strafklageverbrauch und steht einer Fortsetzung des Strafverfahrens grundsätzlich nicht entgegen. Vielmehr kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren jederzeit wieder aufnehmen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 20 m.w.N.). Gleichwohl schafft aber auch die staatsanwaltschaftliche Verfahrenseinstellung für den Beschuldigten regelmäßig eine Vertrauensgrundlage. Nach der Einstellung kann der Beschuldigte darauf vertrauen, dass der von der Einstellung erfasste Tatvorwurf in einem anderen Verfahren nicht ohne ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis und ohne prozessordnungsgemäße Feststellung des betreffenden Tatgeschehens zu seinem Nachteil berücksichtigt wird (vgl. BGHR StPO § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 4 m.w.N.; Beulke in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 153 Rdn. 87). Darüber hinaus haben der Beschuldigte und die Allgemeinheit ein schutzwürdiges Interesse an dem Bestand und der Verlässlichkeit der von der Staatsanwaltschaft getroffenen Entscheidung. Der Verfahrensabschluss befreit den Beschuldigten nicht nur von einer erheblichen Belastung, die das Strafverfahren mit sich bringt (vgl. Schroeder NStZ 1996, 319, 320), sondern er dient auch der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Um diesen Interessen umfassend gerecht zu werden, erfordert auch eine Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach dem Opportunitätsprinzip eine gewisse Beständigkeit (vgl. Beulke aaO Rdn. 56). Eine Wiederaufnahme eines durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens darf daher nicht willkürlich, sondern nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes erfolgen (vgl. BGHSt 37, 10, 13), um das Vertrauen des Beschuldigten und der Allgemeinheit in den Bestand des Verfahrensabschlusses nicht zu gefährden.
bb) Selbst in den Fällen, in denen nach einer Verfahrenseinstellung gemäß § 154 StPO die Fortführung der Strafverfolgung gegen den Angehörigen grundsätzlich möglich ist, bedarf es in einem Verfahren gegen einen nichtangehörigen Beschuldigten zum Schutz des Familienfriedens zwischen Zeugen und seinem Angehörigen eines Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht. Vielmehr kann der Zeuge auch ohne ein derartiges umfassendes Aussageverweigerungsrecht die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (§ 55 Abs. 1 StPO). Damit ist der Familienfrieden zwischen dem Zeugen und seinem Angehörigen ausreichend geschützt; der Beschuldigte, der nicht Angehöriger des Zeugen ist, hat insoweit keine schützenswerte Rechtsposition.
cc) Angesichts der sehr eingeschränkten Möglichkeiten einer Wiederaufnahme eines gemäß § 154 StPO im Hinblick auf eine rechtskräftige Verurteilung eingestellten Verfahrens und des Umstandes, dass der Zeuge in einem Verfahren aussagen soll, aus dem sein Angehöriger bereits ausgeschieden ist, ist somit dem Erfordernis der effektiven Strafverfolgung der Vorrang vor dem Schutz des Familienfriedens zwischen dem Zeugen und seinem Angehörigen durch Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts zu geben. Dieser Schutz ist durch das Aussageverweigerungsrecht des § 55 Abs. 1 StPO hinreichend gewährleistet.
d) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Zeugen Z. und B. nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung auch hinsichtlich der durch Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrensteile nicht mehr berechtigt waren, im Verfahren gegen den Angeklagten das Zeugnis gemäß § 52 Abs. 1 StPO zu verweigern. Eine Wiederaufnahme der durch § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrensteile kam wegen des beschränkten Strafklageverbrauchs schon deshalb nicht in Betracht, weil die Möglichkeit, dass sich die ihnen zur Last liegenden Steuerstraftaten als Verbrechen darstellen könnten, von vornherein ausgeschlossen war. Der von der Revision vermissten Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO bedurfte es daher nicht.
Aus denselben Gründen stand auch dem Zeugen K. in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten kein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu. Die Einführung der Aussage des Zeugen K. aus seiner Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren durch Vernehmung seiner damaligen Vernehmungsbeamten war daher zulässig und verstieß nicht gegen die Vorschrift des § 252 StPO.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 570
Bearbeiter: Karsten Gaede