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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2009
10. Jahrgang
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1. Art. 103 Abs. 2 GG steht einer zu weiten Auslegung des Nachteilsbegriffs in § 266 Abs. 1 StGB entgegen. Die Abgrenzungen, welche die Rechtsprechung zur Bestimmung der schadensgleichen Vermögensgefährdung entwickelt hat, halten die Auslegung jedoch grundsätzlich noch im zulässigen Rahmen. Diese Abgrenzungen sind jedoch bei der Anwendung des § 266 StGB stets strikt zu beachten, um einer weiteren Aufweichung der Konturen des Nachteilsbegriffs entgegenzuwirken.
2. Da Art. 103 Abs. 2 GG sicherstellen soll, dass die abstrakt-generellen Voraussetzungen der Strafbarkeit durch den Gesetzgeber bestimmt werden, muss bei der Auslegung von § 266 Abs. 1 StGB beachtet werden, dass es sich nach der gesetzlichen Ausgestaltung des Untreuetatbestands um ein Verletzungsdelikt, nicht um ein Gefährdungsdelikt handelt, und der Tatbestand keine Versuchsstrafbarkeit enthält. Eine zu weite Einbeziehung von
Gefährdungslagen als Vermögensnachteil könnte zu einer Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Versuchsbereich führen, die der Gesetzgeber gerade nicht vorgesehen hat.
3. Bei der Untreue hängt die Strafbarkeit von der Annahme eines (vollendeten) Nachteils im Rahmen des § 266 Abs. 1 StGB ab. Da der Tatbestand der Untreue im Gegensatz zum Betrug nicht das einschränkende subjektive Tatbestandsmerkmal der Bereicherungsabsicht enthält, bewegt sich gerade bei der Anwendung des Nachteilsbegriffs auf Vermögensgefährdungen die Auslegung an den äußersten noch zulässigen Grenzen (vgl. BGHSt 51, 100, 121).
4. Der Vermögensnachteil ist durch einen Vergleich des Vermögens, das der Geschädigte vor der Untreuehandlung hatte, mit dem Vermögen, über das er infolge der Untreuehandlung verfügt, festzustellen. Zum Vermögen gehört dabei nach der hierfür maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise alles, was in Geldwert messbar ist. Bleibt danach der Vermögensstand nach der treuwidrigen Handlung hinter dem ursprünglichen Vermögensstand zurück, so liegt ein Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB vor. Nach allgemeiner Meinung entspricht der Begriff des Nachteils in § 266 StGB dem des Schadens in § 263 StGB (vgl. BGHSt 15, 342, 343).
5. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB auch dann vorliegen, wenn Vermögenswerte konkret gefährdet sind, so dass nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise bereits eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage eingetreten ist (vgl. BGHSt 44, 376, 384; 48, 354, 357; 51, 100, 113 f.; „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ oder „Gefährdungsschaden“). Zum Betrugstatbestand des § 263 StGB wurde zuerst nach der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ein Vermögensschaden nicht nur im tatsächlichen Verlust eines Vermögenswertes, sondern schon in der konkreten Gefährdung vermögenswerter Positionen gesehen (vgl. BVerfG NJW 1998, 2589, 2590; BGHSt 21, 112, 113; 23, 300, 303). Der Gefährdungsschaden wird dem endgültigen Schaden in § 266 Abs. 1 StGB wie in § 263 StGB grundsätzlich gleichgestellt (vgl. BGHSt 51, 100, 120).
6. Die Rechtsprechung hat entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben Kriterien zur Abgrenzung zwischen einer bloß abstrakten Gefährdungslage und einer konkreten, schadensgleichen Vermögensgefährdung entwickelt, um zu bestimmen, wann eine Gefahrensituation eine solche Intensität erreicht hat, dass sie einer endgültigen Vermögenseinbuße gleichgestellt werden kann. Die erforderliche „Konkretheit“ der Gefahr wird in mehrerer Hinsicht präzisiert. In zeitlicher Hinsicht muss mit dem alsbaldigen Eintritt eines entsprechenden endgültigen Schaden zu rechnen sein (vgl. BGHSt 40, 287, 296). Ein weiteres Kriterium setzt an der Vermeidemacht des potentiell Geschädigten an. Es muss eine vom Berechtigten nicht mehr zu kontrollierende und nur noch im Belieben des Täters stehende Möglichkeit des endgültigen Vermögensverlustes bestehen (vgl. BGHSt 51, 100, 113). Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung kann auch nur dann bejaht werden, wenn die sie begründenden Tatsachen feststehen, nicht aber schon dann, wenn sie nur wahrscheinlich oder gar möglicherweise vorliegen (vgl. BGH StV 1995, 24 zu § 263 StGB).
7. Der weitgesteckte Rahmen des äußeren Tatbestands des § 266 StGB soll nach der Rechtsprechung eine besonders sorgfältige Feststellung des inneren Tatbestands erforderlich machen (vgl. BGHSt 3, 23, 25; BGH wistra 2003, 463, 464). Das soll vor allem gelten, wenn lediglich bedingter Vorsatz in Betracht kommt oder der Täter nicht eigennützig gehandelt hat (vgl. BGH NJW 1975, 1234, 1236; BGH NJW 1983, 461; BGHSt 47, 295, 302; BGH wistra 2003, 463, 464).
8. Für die Prüfung einer Verletzung des Bestimmtheitsgrundes ist letztlich entscheidend, ob das Risiko strafgerichtlicher Verfolgung auf der Grundlage eines objektiven Maßstabs, nämlich aus Sicht des Bürgers nicht wirklich zweifelhaft sein konnte.
1. Tatobjekt des § 202c Abs. 1 Nr. 2 StGB kann nur ein Programm sein, dessen Zweck die Begehung einer Straftat nach § 202a StGB (Ausspähen von Daten) oder § 202b StGB (Abfangen von Daten) ist. Danach muss das Programm mit der Absicht entwickelt oder modifiziert worden sein, es zur Begehung der genannten Straftaten einzusetzen. Diese Absicht muss sich ferner objektiv manifestiert haben. Für die Bestimmung des Zwecks eines Computerprogramms allein auf dessen Eignung oder auch spezifische Eignung abzustellen, würde dem Wortlaut der Norm und dem Willen des Gesetzgebers widersprechen und stellte damit gleichzeitig einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG dar. Mithin werden auch so genannte dual use tools nicht vom objektiven Tatbestand des § 202c Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst.
2. § 202c Abs. 1 Nr. 2 StGB erfordert (Eventual-)Vorsatz zur Begehung von Computerstraftaten nach § 202a oder § 202b StGB. Daher dürfen zum Zweck der Sicherheitsüberprüfung von Computersystemen im Einverständnis mit dem jeweiligen Verfügungsberechtigten grundsätzlich auch Schadprogramme, deren objektiver Zweck in der Begehung von Computerstraftaten liegt, beschafft oder weitergegeben werden – und zwar auch dann, wenn aufgrund der Herkunft der Programme, etwa aus zweifelhaften Internetforen, der Verdacht nahe liegt, dass andere Nutzer der gleichen Quelle keine lauteren Absichten verfolgen.
3. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass der Beschwerde-
führer selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die angegriffenen Rechtsnormen in seinen Grundrechten betroffen ist (vgl. nur BVerfGE 1, 97, 101 ff.). Eine unmittelbar aus dem Gesetz folgende Beschwer hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem anerkannt, wenn das Gesetz den Betroffenen schon vor Erlass eines Vollzugsaktes zu entscheidenden Dispositionen veranlasst, die er nach dem späteren Gesetzesvollzug nicht mehr nachholen oder korrigieren könnte (vgl. BVerfGE 90, 128, 136; 97, 157, 164), und wenn er erst das Risiko eines Bußgeld- oder Strafverfahrens eingehen müsste, um Rechtsschutz vor den Fachgerichten erwirken zu können (vgl. BVerfGE 20, 283, 290; 46, 246, 256; 81, 70, 82 f.; 97, 157, 165).
4. Das Risiko einer Bestrafung besteht bereits dann, wenn ein grundrechtlich geschütztes Verhalten vom Wortlaut einer Strafnorm noch erfasst sein kann (vgl. BVerfGE 75, 329 341), also unter Zugrundelegung einer möglichen, nicht ganz fernliegenden Auslegung des Tatbestands unter diesen fällt. An einer unmittelbaren Beschwer durch eine Strafnorm fehlt es dagegen, wenn ein verfassungsrechtlich geschütztes Betätigungsfeld von der angegriffenen Norm nach deren Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik eindeutig nicht betroffen ist (BVerfGK 8, 75, 76); denn eine im Wege der Auslegung vorgenommene Anwendung von Strafbestimmungen über deren Wortlaut hinaus wäre wegen Art. 103 Abs. 2 GG verfassungswidrig und braucht deshalb nicht in die Zumutbarkeitserwägungen einbezogen zu werden (BVerfGE 97, 157, 168).
1. In der öffentlichen Auseinandersetzung, insbesondere im politischen Meinungskampf, muss auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte (vgl. BVerfGE 54, 129, 137 f.; 82, 272, 281 f.). Bei herabsetzenden Äußerungen allerdings, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung erweisen, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück (vgl. BVerfGE 82, 43, 51; 99, 185, 196).
2. Eine Meinungsäußerung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass die persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt. Die Beurteilung dieser Frage erfordert regelmäßig, den Anlass und den Kontext der Äußerung zu beachten (vgl. BVerfGE 93, 266, 303).
3. Eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs kann allenfalls ausnahmsweise dann die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung tragen, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann (vgl. BVerfG NJW 2009, 749, 750).
4. Der Begriff „durchgeknallt“ hat unabhängig von seiner Deutung ehrverletzenden Charakter.
5. Zur Notwendigkeit einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht im Falle der Bezeichnung eines Staatsanwalts als „durchgeknallt“ anlässlich einer Diskussionsrunde im Fernsehen zum Zwecke der Kritik am Umgang des Betreffenden mit den Persönlichkeitsrechten eines Beschuldigten.
1. Über die Anwendung von § 106 Abs. 1 JGG ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Strafmilderung nach § 106 JGG hat jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers Ausnahmecharakter. Bei der Entscheidung sollen die etwa noch vorhandene Entwicklungsfähigkeit des Angeklagten und seine mögliche (Wieder-) Eingliederung in die Gesellschaft gegen Sicherungs- und Vergeltungsbelange der Allgemeinheit abgewogen werden, ohne dass der Sühnegedanke gegenüber den Belangen der Wiedereingliederung überbewertet werden darf.
2. Zur verfassungsrechtlich unbedenklichen Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe gegen einen 20-Jährigen wegen Mordes im Fall einer abgeschlossenen Reifeentwicklung zum Zeitpunkt der Tat.
3. Es ist im Hinblick auf de Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn nach fachgerichtlicher Auffassung der Ausdruck spontanen Erstaunens des Richters über die Äußerung eines Zeugen (Lachen und wegwerfenden Handbewegung mit der Aussage „unglaublich“) nicht die Besorgnis der Befangenheit begründet, solange der Richter mit seiner Äußerung nicht bereits eine abschließende Wertung der Zeugenaussage vornimmt.
Es ist im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Wortkombination „die Fahnen hoch“ – welche bis auf die Verwendung des Plurals dem Titel und dem Textbeginn des Horst-Wessel-Liedes entspricht – als „zum Verwechseln ähnlich“ (§ 86a Abs. 2 Satz 2 StGB) zu Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation (§ 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB) angesehen wird und das Tragen eines T-Shirts mit diesen Worten in Frakturschrift im Vorfeld einer Versammlung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands als den Tatbestand des § 86a StGB erfüllend erachtet wird.
1. Nimmt der Staat für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch, stellt dies einen Eingriff in die freie wirtschaftliche Betätigung im Sinne einer Berufsausübungsregel dar (vgl. BVerfGE 114, 196, 244 ). Dabei erweist es sich als übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung, wenn den derart Belasteten eine angemessene Entschädigung für ihre berufliche Inanspruchnahme vorenthalten wird.
2. Es verletzt das Grundrecht auf Berufsfreiheit, wenn einem als Pflichtverteidiger beigeordneten Anwalt im Falle des Freispruchs seines Mandanten die Festsetzung und Auszahlung der Pflichtverteidigervergütung verweigert wird, weil der Anwalt zunächst die Festsetzung und Auszahlung von Wahlverteidigergebühren beantragt hatte, hierzu aber zuvor von der Staatskasse gegenüber dem Mandanten die Aufrechnung erklärt worden war.
1. Der Begriff der „schweren Nachteile“ i.S.d. § 32 BVerfGG setzt voraus, dass ohne Ergehen der einstweiligen Anordnung im Verfassungsbeschwerdeverfahren Folgen eintreten würden, die erstens für sich genommen hinreichend gewichtig sind und zweitens gegenüber den Nachteilen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, die noch mögliche Verfassungsbeschwerde aber keinen Erfolg hätte, überwiegen.
2. Zum Fehlen „schwerer Nachteile“ für den Beschwerdeführer („Kannibale von Rotenburg“) im Falle der Aufführung eines Horrorfilms über seine Tat und Person wegen der Umstände des Falles, ihrer Bekanntheit und der Bekanntheit des Bildes des Beschwerdeführers in der Öffentlichkeit.