HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2025
26. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

201. BGH 2 StR 401/24 – Beschluss vom 23. Oktober 2024 (LG Frankfurt am Main)

Minder schwerer Fall des Totschlags (Provokation: eigene Schuld des Täters); Strafzumessung (Folgen der Tat).

§ 46 StGB; § 212 StGB; § 213 StGB

1. Eigene Schuld des Täters schließt die Annahme einer strafmildernden Provokation im Sinne des § 213 Alt. 1. StGB nur aus, wenn sie sich gerade auf die ihm vom Opfer zugefügte tatauslösende Misshandlung oder schwere Beleidigung bezieht. Die Annahme eigener Schuld am Entstehen der tatauslösenden Lage setzt voraus, dass der Täter dem Opfer genügende Veranlassung zur Provokation gegeben hat. Dieses Vorverhalten muss dem Täter vorwerfbar und in qualitativer Hinsicht geeignet sein, die darauf fußende Provokation des Opfers als verständliche Reaktion erscheinen zu lassen. Zu prüfen ist daher, ob die dem Täter zugefügte Misshandlung ihrerseits Ausfluss einer angemessenen Reaktion des Opfers auf die ihm zuvor durch den Täter zuteil gewordene Behandlung war. Fehlt es an der Proportionalität zwischen vorausgegangenem Fehlverhalten des Täters und der nachfolgenden Opferreaktion, ist die Schuld des Totschlägers an der Provokation mangels genügender Veranlassung zu verneinen. Die Prüfung der Angemessenheit des Opferverhaltens ist auf der Grundlage einer Würdigung aller für das Vorgehen des Tatopfers maßgeblichen Umstände vorzunehmen.

2. Die Strafzumessung darf nicht auf Vermutungen über mögliche Folgen der Tat gestützt werden.


Entscheidung

128. BGH 3 StR 119/24 – Beschluss vom 21. August 2024 (LG Koblenz)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (Anwendbarkeit bei Freispruch; Gegenstandslosigkeitserklärung); Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 55 Abs. 2 Hs. 2 StGB; § 64 StGB; § 67a Abs. 1 StGB; § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO; § 463 StPO; § 462 StPO

1. In Fällen, in denen das Gericht den Angeklagten freispricht, scheidet eine unmittelbare Anwendung von § 55 Abs. 1 StGB und damit auch die Aufrechterhaltung von Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB gemäß § 55 Abs. 2 StGB sowie eine Erklärung über deren Gegenstandslosigkeit aus. Für eine analoge Anwendung von § 55 Abs. 2 Hs. 2 StGB in solchen Fällen besteht kein Raum.

2. Vielmehr kann die Strafvollstreckungskammer gemäß § 67a Abs. 1 StGB bei angeordneter Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus den Angeklagten nachträglich in den Vollzug der jeweils anderen Maßregel überweisen, wenn die Resozialisierung der untergebrachten Person dadurch besser erreicht werden kann.


Entscheidung

136. BGH 3 StR 373/21 – Beschluss vom 25. November 2024 (LG Hamburg)

Gewerbsmäßiger Verstoßes gegen ein Einfuhrverbot eines unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient (Auslegung des Begriffs „aus Birma/Myanmar ausgeführt“; konkurrenzrechtliche Bewertung von Einfuhrverstößen); Vorabentscheidungungsersuchen an den EuGH; zeitliche Gel-

tung von Strafgesetzen (Gesamtvergleich der Tatzeitstrafbarkeit mit der aktuellen Gesetzeslage; Zeitgesetz; Blankettgesetz); Verbotsirrtum; Revisionserstreckung auf Mitangeklagte; Notwendigkeit eines Teilfreispruchs bei realkonkurrierenden Tat trotz (fehlerhafter) Annahme einer einheitlichen Tat durch das Tatgericht; rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung; Einziehung (Abgrenzung von Taterträgen und Tatobjekte; Ermessensentscheidung bei Einziehung von Tatobjekten).

Art. 2 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 194/2008; § 34 Abs. 4 Nr. 2 AWG a.F.; § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG; Art. 267 Abs. 3 AEUV; § 2 StGB; § 17 StGB; § 73 StGB; § 74 StGB; § 357 Satz 1 StPO; § 198 GVG

Soweit sich im Rahmen von Einfuhrtaten die entsprechenden Waren rein begrifflich sowohl auch als durch das Tathandeln Erlangte – und damit als Tatertrag – als auch als notwendige Gegenstände der Taten – und damit als Tatobjekte – einordnen lassen, ist zu beachten, dass die Qualifikation als Tatobjekt Vorrang vor derjenigen als Tatertrag hat.


Entscheidung

161. BGH 5 StR 549/24 – Beschluss vom 3. Dezember 2024 (LG Flensburg)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (zu erwartender Therapieerfolg; fehlender Therapiewille).

§ 64 StGB

Eine Anordnung nach § 64 S. 2 StGB darf nur ergehen, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ein hinreichender Therapieerfolg zu erwarten ist. Im Rahmen der hierzu gebotenen Prognose ist im Fehlen eines Therapiewillens ein gewichtiges gegenläufiges Indiz zu sehen. Will das Tatgericht gleichwohl die Unterbringung anordnen, ist zur Entkräftung dieses Indizes im Urteil konkret darzulegen, welche Instrumente im Maßregelvollzug zur Verfügung stehen, mit denen diese Haltung überwunden werden kann


Entscheidung

178. BGH 6 StR 494/24 (alt: 6 StR 227/23) – Beschluss vom 17. Oktober 2024 (LG Lüneburg)

Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Aufhebung einer Maßregelanordnung bei zugleich aufrechterhaltenen zugehörigen Feststellungen durch das Revisionsgericht: innerprozessuale Bindungswirkung; Hang; Gefährlichkeitsprognose).

§ 66 Abs. 1 StGB

1. Die Aufhebung einer Maßregelanordnung bei zugleich aufrechterhaltenen zugehörigen Feststellungen hat zur Folge, dass für das neue Tatgericht eine innerprozessuale Bindungswirkung ausschließlich für Feststellungen eintritt, die sich auf den Maßregelausspruch beziehen.

2. Die Annahme eines Hangs zu erheblichen Straftaten und die daraus folgende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nehmen nicht an der innerprozessualen Bindungswirkung teil.


Entscheidung

224. BGH 4 StR 343/24 – Urteil vom 5. Dezember 2024 (LG Dortmund)

Einziehung (Verfügungsgewalt: Mittäterschaft, Absprache über Beuteteilung; Beweiswürdigung: Vereinbarung von Mittätern über die Tatbeute; Erlöschen von Verletztenansprüchen: Erfüllung); Rechtsmittelbeschränkung (Einziehungsanordnung).

§ 73 StGB; § 73c StGB; § 73e StGB; § 261 StPO

1. Ein Vermögenswert ist dann aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Die Annahme mittäterschaftlichen Handelns vermag die fehlende Darlegung der Erlangung tatsächlicher (Mit-)Verfügungsgewalt nicht zu ersetzen. Einem Tatbeteiligten kann die Gesamtheit des aus der Tat Erlangten mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung nur dann zugerechnet werden, wenn sich die Beteiligten einig sind, dass jedem die Mitverfügungsgewalt hierüber zukommen soll, und er diese auch tatsächlich hatte. Dabei genügt es, dass der Tatbeteiligte zumindest faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand erlangte. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen konnte.

2. Bei einem vor Ort anwesenden, Teile der Beute in den Händen haltenden Mittäter kann eine Mitverfügungsgewalt auch dann vorliegen, wenn sie sich in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegelt. Denn damit „verfügt“ der Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in Absprache mit diesen Teile des gemeinsam Erlangten sich selbst oder den anderen zuordnet. Anders liegt es nur, wenn sich ein nur kurzfristiges faktisches Innehaben der Beute, etwa bei deren Abtransport vom Tatort, als bloß transitorischer Besitz darstellt, weil der Beteiligte, der die Beute in den Händen hält, sie absprachegemäß einem anderen Tatbeteiligten weiterzuleiten hat, welcher im Verhältnis der Mittäter allein befugt sein soll, über eine Aufteilung zu bestimmen.

3. Nach § 73e Abs. 1 StGB ist die Einziehung ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist. Dies ist hinsichtlich der Einziehung aus der Tat erlangter Gegenstände (§ 73 StGB) aber gemäß § 362 Abs. 1 BGB erst dann der Fall, wenn diese an den Geschädigten zurückgelangt sind, und nicht bereits dann, wenn dies nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens geschehen wird.


Entscheidung

207. BGH 2 StR 441/24 – Beschluss vom 4. November 2024 (LG Aachen)

Anrechnungsentscheidung (Gesamtstrafenfestsetzung; Festlegung des Anrechnungsmaßstabs); Handeltreiben mit Cannabis (Cannabis: Vermehrungsmaterial, Stecklinge).

§ 51 StGB; § 54 StGB; § 55 StGB; § 1 KCanG; § 34 KCanG

Die Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe nach § 54 Abs. 1 StGB und die Festlegung des Anrechnungsmaßstabs nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB sind voneinander unabhängige Entscheidungen, so dass die Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus der Vorverurteilung die Entscheidung

über den Anrechnungsmaßstab unberührt lässt. Es handelt sich auch nicht um eine Nebenstrafe, Nebenfolge oder Maßnahme im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB, auf die in der früheren Entscheidung rechtskräftig erkannt wurde und über deren Aufrechterhaltung nach § 55 Abs. 2 StGB zu entscheiden gewesen wäre.


Entscheidung

187. BGH 2 StR 240/24 – Beschluss vom 22. Oktober 2024 (LG Frankfurt am Main)

Besitz von Betäubungsmitteln (Cannabis; Generalamnestie für rechtskräftige, nicht vollstreckte Strafen); Einziehung von Tatobjekten (Erledigung der Einziehungsanordnung durch Rechtskraft der Entscheidung).

§ 74 StGB; § 33 BtMG; Art. 316p EGStGB

Bei der Anordnung der Einziehung von Tatobjekten gemäß § 74 Abs. 2 StGB erwirbt der Staat regelmäßig mit Rechtskraft der Entscheidung das Eigentum an den eingezogenen Gegenständen (§ 75 Abs. 1 StGB). Die Einziehungsanordnung hat sich damit erledigt; einer Aufrechterhaltung bedarf es nicht.


Entscheidung

119. BGH 1 StR 353/24 – Beschluss vom 28. November 2024 (LG Tübingen)

Geldstrafe (Bestimmung der Tagessatzhöhe auch bei Einbeziehung in eine Gesamtfreiheitsstrafe); nachträgliche Gesamtstrafe (erforderliche Angaben im Urteil zur einbezogenen Verurteilung).

§ 40 Abs. 2 StGB; § 55 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 2 Satz 1 StPO

Auch bei Einzelgeldstrafen, die in einer Gesamtfreiheitsstrafe aufgehen, muss die Tagessatzhöhe bestimmt werden.