HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 178
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 494/24, Beschluss v. 17.10.2024, HRRS 2025 Nr. 178
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 27. Juni 2024 im Maßregelausspruch aufgehoben; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 2. Dezember 2022 wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet sowie eine Adhäsions- und Kompensationsentscheidung getroffen. Auf seine Revision hob der Senat diese Entscheidung mit Beschluss vom 17. Oktober 2023 (6 StR 227/23, JR 2024, 540) im Straf- und Maßregelausspruch unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen auf und verwarf das weitergehende Rechtsmittel als unbegründet. Das Landgericht hat den Angeklagten auf Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs und unter Einbeziehung der Strafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung nunmehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und einem Monat verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben.
2. Hingegen hat die Maßregelanordnung keinen Bestand, weil das Landgericht die Reichweite der Bindungswirkung des Senatsbeschlusses vom 17. Oktober 2023 und damit den Umfang der erforderlichen tatgerichtlichen Neuentscheidung verkannt hat.
a) Das Landgericht hatte im ersten Rechtsgang die Rückfallverjährung nach § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB fehlerhaft berechnet. Die diesbezüglichen Feststellungen vermochten die Ablehnung der Rückfallverjährung für die vom Landgericht herangezogene erste Symptomtat nicht zu tragen. Im zweiten Rechtsgang hat die Strafkammer insoweit ergänzende Feststellungen, insbesondere zu weiteren Haftzeiten des Beschwerdeführers, getroffen. Zur Begründung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen hat sie auf die „in Rechtskraft erwachsenen Feststellungen zum Vorliegen eines Hangs und der darauf beruhenden Gefährlichkeit im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB“ Bezug genommen. Anhaltspunkte für eine seitdem geänderte Gefährlichkeitsprognose hätten sich nicht ergeben, dies gelte namentlich mit Rücksicht auf das nunmehr abgelegte Geständnis, einen abgeschlossenen zivilrechtlichen Vergleich und die Teilnahme an einem „Antigewalt-Workshop“.
b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Die Aufhebung einer Maßregelanordnung bei zugleich aufrechterhaltenen zugehörigen Feststellungen hat zur Folge, dass für das neue Tatgericht eine innerprozessuale Bindungswirkung ausschließlich für Feststellungen eintritt, die sich auf den Maßregelausspruch beziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020 - 4 StR 151/20, StV 2021, 222). Dazu zählen namentlich Zeitpunkte und Gegenstände der Vorverurteilungen, die Zeiten behördlich angeordneter Verwahrung (§ 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB) sowie die tatsächlichen Grundlagen der Gefährlichkeitsprognose (vgl. BGH, aaO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.
bb) Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht zwar die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StGB rechtsfehlerfrei belegt. Insbesondere hat es im Wege widerspruchsfreier Ergänzung der vom Senat aufrechterhaltenen Urteilsfeststellungen eine Rückfallverjährung tragfähig ausgeschlossen. Zur Begründung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB hat es aber ausschließlich auf die Erwägungen des früheren Urteils Bezug genommen. Damit hat es übersehen, dass die Annahme eines Hangs zu erheblichen Straftaten und eine daraus folgende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nicht an der innerprozessualen Bindungswirkung teilnehmen.
Es handelt sich beim Hang um einen Rechtsbegriff, dessen tatsächliche Voraussetzungen vom Tatgericht festzustellen sind (vgl. BGH, Urteile vom 14. März 1990 - 3 StR 22/90, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 3; vom 9. Mai 2019 - 4 StR 511/18, NStZ-RR 2020, 10, 12). Dieses hat das Vorliegen eines Hangs im Sinne eines gegenwärtigen, eingeschliffenen inneren Zustands, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lässt, auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung wertend in eigener Verantwortung festzustellen (vgl. BGH, Urteile vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; vom 4. Juli 2024 - 5 StR 632/23). Daran fehlt es hier.
Dies gilt gleichermaßen für die gebotene eigenverantwortliche Gefährlichkeitsprognose der Strafkammer. Die Ausführungen zum Nachtatverhalten des Angeklagten im Rahmen des zweiten Rechtsgangs können diese nicht ersetzen.
3. Das Urteil ist daher aufzuheben, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Insoweit bedarf die Sache - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) - neuer Verhandlung und Entscheidung. Einer Aufhebung der im zweiten Rechtsgang ergänzend getroffenen Feststellungen bedarf es nicht, da diese vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 178
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede