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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2025
26. Jahrgang
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1. Ein bedingter Verletzungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Schadens als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit seinem Eintritt abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Ob der Täter hiernach bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Die Prüfung, ob Vorsatz (oder lediglich [bewusste] Fahrlässigkeit) vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht.
2. Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch
für das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Gleichwohl kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an. Das Tatgericht hat daher die jeweils in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen.
3. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Dementsprechend muss sich das Tatgericht bei einer naheliegenden Eigengefährdung einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien.
4. Ein bedingter Gefährdungsvorsatz liegt vor, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet.
1. Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Erforderlich ist hierfür nicht die Verwirklichung mindestens eines Tatbestandsmerkmals. Genügend ist vielmehr auch ein für sich gesehen noch nicht tatbestandsmäßiges Handeln, soweit es nach der Vorstellung des Täters der Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals räumlich und zeitlich unmittelbar vorgelagert ist und nach dem Tatplan im ungestörten Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll. Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen der wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls. Maßgeblicher Orientierungspunkt ist dabei angesichts der Fassung des § 22 StGB die Vorstellung des Täters, das heißt der Tatplan, der über die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium entscheidet.
2. Der Versuch der räuberischen Erpressung beginnt regelmäßig, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat im Sinne des § 22 StGB unmittelbar zur Nötigungshandlung ansetzt.
1. Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, muss in der Regel – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – in einem ersten Schritt die Frage beantwortet werden, ob und gegebenenfalls welche relevante Störung beim Angeklagten vorlag. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob diese tatsächlich festgestellte Störung rechtlich unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Auf dieser Grundlage ist in einem dritten Schritt zu klären, ob sich eine von § 20 StGB erfasste Störung auf die Einsichts- oder auf die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung in einem relevanten Ausmaß ausgewirkt hat.
2. Für die Tatsachenbewertung ist das Gericht auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.
3. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt.
4. Arglos ist das Opfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches“ Vorgehen. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen.
5. Arglosigkeit scheidet im Allgemeinen aus, wenn das Opfer in der Tatsituation mit ernsthaften Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet hat. Eine auf früheren Aggressionen beruhende latente Angst des Opfers hebt indes seine Arglosigkeit erst dann auf, wenn es deshalb im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet. Bei Opfern, die auf Grund von bestehenden Konfliktsituationen oder früheren Bedrohungen dauerhaft Angst um ihr Leben haben, kann ein Wegfall der Arglosigkeit erst dann in Betracht gezogen werden, wenn für sie ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der stän-
dig befürchtete schwerwiegende Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit nun unmittelbar bevorstehe.
6. Ein Täter handelt gegenüber seinem Opfer auch dann heimtückisch, wenn er dessen Arglosigkeit nur bewusst ausnutzt, ohne dass es darauf ankommt, ob er sie bewusst herbeigeführt oder bestärkt hat.
7. Arglos ist regelmäßig auch der Schlafende. Er überlässt sich dem Schlaf im Vertrauen darauf, dass ihm nichts geschehen werde; in diesem Vertrauen überliefert er sich der Wehrlosigkeit. Arglos ist er hingegen nicht nur, ehe er einschläft. Wer sich zum Schlafen niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den Schlaf; sie begleitet ihn, auch wenn er sich ihrer nicht mehr bewusst ist, sofern er nicht gegen seinen Willen vom Schlaf übermannt wurde oder wenn er auf Grund sonstiger Umstände – und nicht wegen seiner Arglosigkeit – nicht in der Lage war, die (Angriffs-)Absicht des Täters zu erkennen und dessen Angriff wirksam entgegenzutreten.
8. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Er muss die Lage nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst haben, und ihm muss bewusst gewesen sein, einen durch Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen; das kann allerdings „mit einem Blick“ geschehen. Dabei können sich aus der Vorgeschichte der Tat, dem psychischen Zustand des Täters oder aus im Einzelfall gegebenen Modalitäten der Tatausführung Beweisanzeichen dafür ergeben, dass dem Täter das Ausnutzungsbewusstsein fehlte. Insoweit können auch psychische Ausnahmezustände unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Ausnutzungsbewusstseins entgegenstehen. Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage.
9. Wenn ein Geschädigter mit einem Angriff gegen sich rechnete, ist das Mordmerkmal der Heimtücke objektiv zu verneinen. Glaubt der Täter jedoch bei dem Angriff gegen das Leben seines Opfers, dieses sei arglos, und wollte er seine Tat unter Ausnutzung der daher von ihm angenommenen Wehrlosigkeit des Opfers begehen, so kommt eine Verurteilung wegen eines heimtückisch begangenen Mordversuchs in Betracht.
1. Ein jugendpornographischer Inhalt liegt vor, wenn er sexuelle Handlungen von, an oder vor einer jugendlichen Person, die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten jugendlichen Person in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes einer jugendlichen Person zum Gegenstand hat. Die Aufnahme des nur unbekleideten Körpers der Person erfüllt für sich diese Voraussetzungen noch nicht.
2. Die Grundtatbestände des § 177 Abs. 1 und 2 StGB und der sich auf diese beziehende besonders schwere Fall nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB erfassen nach dem Wortlaut des Gesetzes auch sexuelle Handlungen des Opfers an sich selbst. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter räumlich anwesend ist.
3. Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat liegt bei Handlungen des Täters vor, die nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht, wobei auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen ist.
4. Nicht als Zwischenakte in diesem Sinne anzusehen sind Handlungen, die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan des Täters als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden; dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind unter anderem die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechtsgutgefährdung.
1. Für das Ausnutzungsbewusstsein im Rahmen des Mordmerkmals der Heimtücke ist nicht entscheidend, ob es dem Täter gerade darauf ankommt, ein arg- und wehrloses Opfer zu töten, sondern nur, ob er die hierfür relevanten Umstände wahrnimmt und in dem Bewusstsein handelt, einen infolge der Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Hierfür ist relevant, ob die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, beeinträchtigt ist. Das Ausnutzungsbewusstsein kann dabei im Einzelfall bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt.
2. Indizien erlangen ihre relevante Beweisbedeutung erst, wenn sie zueinander in Beziehung gesetzt werden. Eine solche umfassende Gesamtwürdigung ist bei der Vorgeschichte der Tat allerdings nicht immer geboten. Erlangt die Frage, ob die Tat geplant war oder nicht, aber entscheidendes Gewicht für die gesamte Beurteilung des Falls, muss die Beweiswürdigung dem gerecht werden, wenn die Umstände des Einzelfalls dazu drängen.