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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2025
26. Jahrgang
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1. Zuständig für die Entscheidungen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 EGStGB ist nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern stets das Gericht des ersten Rechtszugs. (BGHSt)
2. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB ist in den Fällen des Art. 313 Abs. 3 EGStGB entsprechend anzuwenden. (BGHSt)
3. Liegen bei einem Sachverhalt, der seit dem 1. April 2024 geltenden Rechtslage eine Strafbarkeit nach dem Konsumcannabisgesetz begründen würde, die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung der Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 EGStGB nicht vor, scheidet auch eine Analogie mangels planwidriger Regelungslücke aus. Es handelt sich vielmehr um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, solche Sachverhalte, die – sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – weiterhin auch nach dem Konsumcannabisgesetz unter Strafe stehen, von der Privilegierung auszunehmen. (Bearbeiter)
1. Zur Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers im Sicherungsverfahren. (BGHR)
2. Aus Gründen des Opferschutzes kann auch im Sicherungsverfahren die Nebenklage zuzulassen sein, um die spezifischen, vorrangig auf Schutz vor Verantwortungszuweisungen durch den Beschuldigten gerichteten Bedürfnisse des Verletzten zu berücksichtigen. Dem Geschädigten soll durch die Mitwirkung im Verfahren nicht zuletzt auch die Möglichkeit der Abwehr von Schuldzuweisungen durch den Beschuldigten eingeräumt werden; insoweit konkretisiert sich der Zweck des Sicherungsverfahrens (Sicherung der Allgemeinheit) in der Sicherung der konkret beteiligten Person. Aus der grundsätzlichen Möglichkeit, sich dem Sicherungsverfahren als Nebenkläger anzuschließen folgt aber keine umfassende Rechtsmittelbefugnis. Vielmehr richtet sich diese nach den auch insoweit geltenden allgemeinen Vorschriften. (Bearbeiter)
3. Die beschränkte Rechtsmittelbefugnis gem. § 400 Abs. 1 StPO soll es dem Nebenkläger in einem Strafverfahren erlauben, einen Freispruch auch dann anzufechten, wenn er auf der Schuldunfähigkeit des Angeklagten beruht und dieser nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde. Mit Blick auf das Sicherungsverfahren ist jedoch insofern zu beachten, dass in diesem ein Schuldspruch von vornherein nicht möglich und der Beschuldigte folglich im Tenor des Urteils auch nicht freigesprochen wird. Deshalb fehlt es insoweit an einer Beschwer des Nebenklägers in der Urteilsformel, die stets Voraussetzung eines zulässigen Revisionsangriffs ist. (Bearbeiter)
1. Ordnet der Vorsitzende die Selbstlesung von Urkunden nach § 249 Abs. 2 StPO an, muss deren – aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ersichtliche (§ 273 Abs. 1 StPO) – Bezeichnung so genau sein, dass sie identifizierbar sind.
2. Danach kann es auf rechtliche Bedenken stoßen, wenn die Anordnung im Zuge der Benennung von Urkunden einen abstrakten Ausschluss von Vernehmungsinhalten vorsieht. Insbesondere soweit den Mitgliedern des Spruchkörpers einschließlich der Schöffen sowie den anderen Verfahrensbeteiligten eine eigene Subsumtion unter den Begriff des Vernehmungsinhalts überantwortet wird, kann ein solches Vorgehen verfahrensfehlerhaft sein, wenn das Ergebnis der Subsumtion nicht feststellbar ist und damit unklar bleibt.
3. Die Unbestimmtheit einer Selbstleseanordnung führt nicht zwangsläufig zu deren Unwirksamkeit im Ganzen. Vielmehr ist das Selbstleseverfahren nur insoweit von diesem Verfahrensfehler betroffen, als die Auslegungszweifel reichen können. Es kommt darauf an, ob und inwieweit die Anordnung weiterhin ihre Funktion, die für die Verfahrensbeteiligten erkennbare Bestimmung von Gegenstand und Umfang der Beweisverwendung von Urkunden, zu erfüllen vermag. In dem Ausmaß, in dem solche Zweifel nicht bestehen, wirkt sich der Verfahrensfehler – als bloßer Formalverstoß – nicht aus.
1. Nach § 32a Abs. 3 und § 32d Satz 2 StPO muss die Revisionseinlegung, die gemäß § 341 Abs. 1 StPO schriftlich abzufassen ist, bei einer Übermittlung als elektronisches Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder aber – alternativ – von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die qualifizierte elektronische Signatur der verantwortenden Person tritt an die Stelle ihrer eigenhändigen Unterschrift und muss daher von derjenigen Person stammen, welche die formbedürftige Erklärung abgibt.
2. Im Fall der einfachen Signatur und Übertragung über das besondere elektronische Anwaltspostfach – als sicherem Übermittlungsweg – muss derjenige Verteidiger oder Rechtsanwalt, dessen Name im Schriftsatz als verantwortende Person aufgeführt ist, selbst die Einreichung vornehmen. Bei einer Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach muss die Übertragung über das Postfach dieses Verteidigers oder Rechtsanwalts erfolgen und zudem dieser selbst der tatsächliche Versender sein.
Dienstliche Beziehungen zu einem Verfahrensbeteiligten können eine Besorgnis der Befangenheit allenfalls dann begründen, wenn sie besonders eng sind oder sich zu einem engen persönlichen Verhältnis entwickelt haben.
1. Der Verzicht auf die Herausgabe von sichergestelltem Bargeld ist kein zulässiger Gegenstand einer Verständigung im Sinne des § 257c Abs. 1 StPO. Wird er gleichwohl in eine Verständigung aufgenommen, ist diese folglich gesetzeswidrig.
2. Was ein gesetzlich zulässiger Teil einer Verständigung sein kann, richtet sich gemäß § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO allein nach Maßgabe des § 257c Abs. 2 StPO. Darin ist mithin abschließend festgelegt, über welche Rechtsfolgen sich das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten verständigen darf. Alle in der Vorschrift nicht erwähnten Verhaltensweisen der Verfahrensbeteiligten sind daher als Verständigungsgegenstände ausgeschlossen. Dies gilt hinsichtlich des als Tatertrag sichergestellten Bargeldes umso mehr, als die Einziehung von Taterträgen nach §§ 73 ff. StGB aufgrund ihres zwingenden Charakters nicht zu den einer Verständigung zugänglichen Rechtsfolgen gehört, was mit der Zulassung einer „formlosen Einziehung“ als Gegenstand einer Verständigung umgangen würde.
3. Bei dem Verzicht auf die Herausgabe von sichergestelltem Bargeld handelt es sich nicht um verfahrensbezogene Maßnahmen (des Gerichts) oder ein Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 257c Abs. 2 Satz 1 StGB. Der Verzicht auf sichergestelltes Geld oder andere Gegenstände (teils sog. „formlose Einziehung“) ist keine Rechtsfolge, die Inhalt eines Urteils sein kann. Einen zum Urteil gehörenden Beschluss mit einem solchen Inhalt sieht das Gesetz ebenfalls nicht vor. Es handelt sich vielmehr um materiellrechtliche Erklärungen des Angeklagten, die eine an sich gesetzlich zwingende förmliche Anordnung der Nebenfolgen nach §§ 73 ff. StGB oder eine im Ermessen des Tatgerichts stehende Entscheidung nach §§ 74 ff. StPO in der Urteilsformel ersetzen können und deren rechtliche Folgen auf die Sachrüge hin zu überprüfen sind.
1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen – zusätzlichen – Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind.
2. Die Kognitionspflicht gebietet es, die Anklage, wie sie im Eröffnungsbeschluss zugelassen ist, zu erschöpfen, also die den Untersuchungsgegenstand bildende angeklagte Tat restlos nach allen tatsächlichen (§ 244 Abs. 2 StPO) und denkbaren rechtlichen (§ 265 StPO) Gesichtspunkten aufzuklären und abzuurteilen, ohne Rücksicht auf die der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung.
3. Für die Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist nicht entscheidend, ob er das Bild eines noch nicht 18-Jährigen bietet; vielmehr ist maßgebend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind.
4. Die Beurteilung, bei welchen Straftaten das Schwergewicht im Sinne von § 32 Satz 1 JGG liegt, im Wesentlichen Tatfrage, die der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat, und daher der Nachprüfung des Revisionsgerichts grundsätzlich entzogen. Maßgeblich für die Bestimmung des Schwergewichts ist, ob sich die späteren Straftaten als in den früheren bereits angelegt darstellen, ob sie bei Betrachtung der Persönlichkeitsentwicklung ihren Ursprung im Jugendalter haben bzw. wo die „Tatwurzeln“ liegen.
5. Die Schwere der Schuld ist im Rahmen des § 17 Abs. 2 JGG immer dann zu erörtern und in einer umfassenden Abwägung nach jugendspezifischen Kriterien zu bestimmen, wenn nach dem maßgeblichen Anknüpfungspunkt der inneren Tatseite und dem hierfür relevanten äußeren Unrechtsgehalt der Tat(en) die Verhängung von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld in Betracht kommt, so unter anderem bei schweren Gewaltdelikten.
Die Auslegung von Verträgen und der diesen zugrundeliegenden Erklärungen ist ureigene Aufgabe des Tatgerichts. Das Revisionsgericht kann sie nur auf Rechtsfehler hin überprüfen, insbesondere darauf, ob die Auslegung in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft oder Verstöße gegen Denk- oder Erfahrungssätze aufweist.
In den Fällen einer nach § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO gebotenen Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens zur Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist in aller Regel keine Pflichtverteidigerbestellung veranlasst, solange das Gutachten noch nicht vorliegt oder noch nicht einmal eine Entscheidung darüber getroffen worden ist, ob es einer kriminalprognostischen Begutachtung des Verurteilten bedarf.
Die an die gesetzliche Strafandrohung anknüpfende Verjährungsfrist des § 78 StGB richtet sich nach dem gemäß § 2 Abs. 3 StGB anzuwendenden Recht. Das gilt auch in Fällen einer Verurteilung wegen Handeltreibens mit Cannabis, für die seit dem 1. April 2024 die Strafvorschrift des § 34 KCanG gilt. Mit Blick auf die Bestimmung der absoluten Verjährungsfrist kann die Regelung des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB in diesem Zusammenhang nicht dahin ausgelegt werden, dass die absolute Verjährungsfrist nach dem bei Beendigung der Tat geltenden Recht zu bestimmen ist.
1. In Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht vorzunehmen. Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben. Weiter müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, die
die Entscheidung zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten beeinflussen können.
2. Schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel, aus denen sich eine Neigung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren. Die schädlichen Neigungen müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen.
3. Bei der Bemessung der Jugendstrafe (§ 18 Abs. 2 JGG) ist allein der Erziehungsbedarf vorrangig für die Höhe der Jugendstrafe bestimmend.
Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG hindert den Tatrichter nicht nur an der Berücksichtigung der Vorstrafe als solcher, sondern auch an der strafschärfenden Erwägung, der Vollzug der von dem Verwertungsverbot betroffenen Strafe habe nicht ausgereicht, um den Angeklagten von weiteren Straftaten abzuhalten.
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass in den Urteilsgründen wiederzugeben ist, ob und gegebenenfalls wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat. Hat er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, so ist auch dies mitzuteilen.
Die Kostenentscheidung richtet sich im Fall des Todes des Beschuldigten nach den Grundsätzen, die bei Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses allgemein anzuwenden sind. Die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, wonach das Gericht von der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten absehen kann, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, ist hingegen weder unmittelbar noch analog anwendbar.
Wird ein Verfahren im Hauptverfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO beschränkt, ist insoweit für eine Einziehung im objektiven Verfahren gemäß § 76a Abs. 1 und Abs. 3 StGB ein eindeutiger Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlich. Dafür bedarf es zwar weder eines schriftlichen Antrags noch – anders als sonst – weitergehender Angaben zur Bezeichnung der einzuziehenden Gegenstände sowie zu den Tatsachen, welche die Zulässigkeit der selbstständigen Einziehung begründen. Allein die Erwähnung der Einziehungsgegenstände in der Anklage und im Schlussantrag der Staatsanwaltschaft („Einziehung der sichergestellten Gegenstände“) genügt indes nicht für die Annahme eines hinreichend eindeutigen Antrags nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO.