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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2023
24. Jahrgang
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1. Derjenige, der sich an Misshandlungen eines Menschen beteiligt, ist nach § 13 Abs. 1 StGB verpflichtet, einen drohenden Tötungserfolg abzuwenden, wenn durch sein Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolges besteht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das vorangegangene Verhalten eine Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirkt, dass der aktiv handelnde Täter in seinen, die Misshandlung des Opfers übersteigenden und nunmehr auf dessen Tötung gerichteten Handlungen bestärkt wird. Auf die Frage, ob derjenige, der vorsätzlich einen Erfolg anstrebt, auch zugleich verpflichtet sein kann, diesen abzuwenden, kommt es vorliegend nicht an.
2. Die Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz setzt kein schuldhaftes, sondern
lediglich ein pflichtwidriges Vorverhalten voraus. Ein nach § 35 Abs. 1 StGB entschuldigtes Verhalten bleibt in diesem Sinne rechts- und mithin objektiv pflichtwidrig.
3. Im Rahmen des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB muss der Täter oder Teilnehmer bei mehreren in Frage kommenden Mitteln das mildeste wählen, das geeignet ist, der Gefahr wirksam zu begegnen. Kommen aus der Sicht eines verständigen Betrachters in einer Gefahrensituation mehrere Mittel in Betracht, dieser in zumutbarer Weise zu begegnen, so kann sich deshalb nur derjenige auf entschuldigenden Notstand berufen, der die Frage, ob die Gefahr auf andere zumutbare Weise abwendbar ist, nach besten Kräften geprüft hat. An die insoweit bestehende Prüfungspflicht sind dabei umso strengere Maßstäbe anzulegen, je schwerer die Rechtsgutverletzung durch die im Notstand begangene Tat wiegt. Vorrangig muss derjenige, der sich in einer Notstandslage befindet, prüfen, ob die Gefahr durch Ausweichen, Flucht oder Hilfe Dritter abgewendet werden kann.
1. Ob die einzelnen Beiträge des Gehilfen (§ 27 Abs. 1 StGB) zueinander in Tateinheit oder -mehrheit stehen, hängt von der Anzahl der Beihilfehandlungen auf der einen und der von ihm geförderten Haupttaten auf der anderen Seite ab. Tatmehrheit nach § 53 Abs. 1 StGB ist anzunehmen, wenn der Gehilfe durch seine Hilfeleistungen je eine andere Haupttat unterstützt, also den Haupttaten jeweils eigenständige Beihilfehandlungen eindeutig zuzuordnen sind. Nur dann, wenn es an einem individuellen, ausschließlich je eine Einzeltat fördernden Tatbeitrag fehlt, ist von einer (einheitlichen) Beihilfe im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB auszugehen (st. Rspr.).
2. Die einzelnen Beiträge sind nicht zu gewichten; jedes gesonderte Hilfeleisten führt zu Tatmehrheit, und zwar unabhängig davon, in welchem Ausmaß der Gehilfe dadurch die Haupttat gefördert hat. In diesem Sinne vermag etwa ein bedeutsamer Beitrag zu Beginn der Tatserie andere Teilnahmehandlungen, mit denen der Gehilfe den Haupttäter bei bestimmten Haupttaten unterstützt hat, nicht zu überlagern und nicht zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen.
3. Durch das voreilige Ausweichen auf eine einheitliche Beihilfe ist ein Gehilfe insbesondere dann beschwert, wenn eine einzelne Beihilfetat nach Beendigung der zugehörigen Haupttat verjährt ist. Auch können ihm im Falle weiterer nicht verfahrensgegenständlicher Straftaten Vorteile einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung genommen werden.
4.„Für die Tat“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB sind Vorteile erlangt, die einem Beteiligten als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, jedoch nicht auf der Tatbestandsverwirklichung beruhen (st. Rspr.). Von einem inkriminierten Tatlohn sind Zuwendungen abzugrenzen, die der Tatbeteiligte aus einem anderen, von der Tatbegehung unabhängigen Rechtsgrund erhält. Ob ein solcher Rechtsgrund tatsächlich besteht oder ob der Tatlohn lediglich unter dem Deckmantel eines solchen vorgetäuschten Anspruchs an ihn weitergeleitet wird, ist Tatfrage und im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
5. Für ein Erlangen „für die Tat“ ist nicht erforderlich, dass andere natürliche Personen dem Einziehungsbetroffenen den Vermögensvorteil für seine Tatbeteiligung zugewendet haben. Auch juristische Personen oder (teil-)rechtsfähige Personengesellschaften können als Leistende zwischengeschaltet werden.
Zwischen zwei eigentlich selbständigen Delikten kann durch das Vorliegen eines dritten Delikts Tateinheit hergestellt werden, wenn mit diesem jedes der beiden Delikte ideal konkurriert. Eine solche Klammerwirkung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn zwischen dem dritten und zumindest einem der beiden verbundenen Delikte „annähernde Wertgleichheit“ besteht. Dabei ist der Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierten Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen; minder schwere Fälle oder wegen vertypter Milderungsgründe vorzunehmende Strafrahmenverschiebungen sind mithin zu berücksichtigen.
Ein tateinheitliches Zusammentreffen von § 113 und § 114 StGB ist in der Fallgestaltung, in der der Täter mittels eines tätlichen Angriffs auf die Beamten zugleich gegen eine von diesen ausgeführte Vollstreckungshandlung vorgeht, nach sachlichem Recht möglich.
1. Bei § 75a Abs. 1 Alt. 1 IfSG i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 28. Mai 2021 handelt es sich um ein Allgemeindelikt. (BGHSt)
2. Die Tathandlung des störenden Einwirkens auf den Aufzeichnungsvorgang verlangt Eingriffe, die den selbsttätig fehlerfreien Funktionsablauf des aufzeichnenden Geräts in Mitleidenschaft ziehen (vgl. BGHSt 28, 300, 305), die also in den geräteautonomen Aufzeichnungsvorgang eingreifen. Wer das Gerät bloß mit inhaltlich unrichtigen Daten beschickt, die durch den Automatisierungsvorgang korrekt wiedergegeben werden, stellt keine unechte Aufzeichnung her. (Bearbeiter)
Trägt der Zahlungsdienstleister das Ausfallsrisiko für im elektronischen Lastschriftverfahren entstehende Rücklastschriften, dann ist bereits mit Abschluss des Vertrages über die Nutzung des Point-of-Sale-Terminals ein Eingehungsbetrug zum Nachteil des Zahlungsdienstleisters vollendet, wenn der Kunde bei den Vertragsverhandlungen verschwiegen hat, dass er das Terminal vertragswidrig für eine Lastschriftreiterei nutzen werde. (BGHR)
1. Ein Handeln, das von vornherein darauf angelegt ist, eine speziell vor staatlichen Interventionen geschützte Infrastruktur für kriminelle Aktivitäten zur Verfügung zu stellen, wird von der Haftungsprivilegierung für Diensteanbieter in § 10 Satz 1 TMG nicht privilegiert.
2. Einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB können ohne Weiteres - sogar ausschließlich - Personen angehören, die einander durch Verwandtschaft oder Freundschaft außerhalb ihrer kriminellen Betätigung verbunden sind.
3. Straftaten, die in einem Vereinigungszusammenhang begangen werden, können nicht ohne Weiteres allen Mitgliedern zugerechnet werden. Vielmehr ist für jede einzelne Tat, die zur Erfüllung des Vereinigungszwecks begangen wurde, zu prüfen, welches Vereinigungsmitglied sich daran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe beteiligte ober ob es insoweit überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag leistete.
4. Für eine Beihilfestrafbarkeit ist erforderlich, dass der Gehilfe die Handlungen des Haupttäters fördern und damit zur Tatbestandsverwirklichung durch diesen beitragen will. Zwar braucht der Beihilfevorsatz die Haupttat nicht in ihren Einzelheiten zu umfassen; der Teilnehmer muss keine bestimmte Vorstellung von ihr haben. Der Gehilfe muss aber die wesentlichen Merkmale der Haupttat, insbesondere deren Unrechtsgehalt und Angriffsrichtung, erkennen oder diese in seinen bedingten Vorsatz aufgenommen haben.
5. Zwar müssen Strafurteile aus sich heraus verständlich sein; die gebotene in sich geschlossene, klare, erschöpfende und verständliche Sachverhaltsdarstellung darf nicht durch Bezugnahmen oder Verweisungen auf Aktenbestandteile oder sonstige Dokumente jenseits der Urteilsurkunde ersetzt werden. Es kann aber zulässig sein, lediglich ergänzend zu einer bereits aus sich heraus verständlichen Darstellung in den Urteilsgründen auf Anlagen, die dem Urteil selbst angeschlossen sind, zu verwiesen, soweit diese Teil der durch die richterlichen Unterschriften gedeckten Urteilsgründe sind und mit ihnen eine Einheit bilden.
6. Die Vorgehensweise, im Urteilstenor lediglich die Einziehung in einer Anlage zu diesem aufgeführter Gegenstände auszusprechen und die Bezeichnung der Einziehungsobjekte allein in einer solchen zum Bestandteil der
Urteilsurkunde gemachten Liste vorzunehmen, ist statthaft und bei einer großen Zahl einzuziehender Gegenstände sachgerecht.
7. Ein Tatgericht darf die Einziehung von Tatmitteln nicht mit der Begründung ablehnen, dass eine von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Liste mit Einziehungsgegenständen nicht hinreichend individualisiert sei, sondern muss die für den Ausspruch der Einziehung erforderliche Konkretisierung selbst vornehmen. Die Staatsanwaltschaft hat insofern keine Beibringungsobliegenheit.
8. Die in § 32d Satz 2 StPO statuierte Pflicht zur elektronischen Übermittlung gilt nicht für die Staatsanwaltschaft. Für diese ist § 32b StPO einschlägig.
1. Eine Ausbeutung im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass dem Opfer in objektiver Hinsicht ein erheblicher Teil der Einnahmen entzogen wird und dies bei ihm zu einer gravierenden Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit führt, die geeignet ist, die Lösung aus der Prostitution zu erschweren. Hiervon ist ohne Weiteres auszugehen, wenn die Prostituierte ihre gesamten Einnahmen abgeben muss und nur gelegentlich geringe Summen zurückerhält. Abgaben in Höhe von 50 % der Einnahmen können die Annahme einer Ausbeutung nahelegen.
2. Ein Veranlassen zur Fortsetzung liegt vor, wenn die der Prostitution nachgehende Person, die den Willen hat, diese Tätigkeit zu beenden oder in einem geringeren Umfang auszuüben, zum Weitermachen in der bisherigen Form gebracht wird oder wenn die Person zwar grundsätzlich zur weiteren Ausübung der Prostitution bereit ist vom Täter aber entgegen ihrem Willen zu einer intensiveren Form der Prostitutionsausübung bewegt wird.
3. Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB liegt nur dann vor, wenn der Täter sich Einnahmen aus einer wiederholten Tatbegehung verschaffen will. Das Qualifikationsmerkmal ist mithin nur erfüllt, wenn der Täter den Straftatbestand des § 232a Abs. 1 StGB mehrfach verwirklicht bzw. bei seiner Tathandlung den Vorsatz hat, zukünftig weitere Taten der Zwangsprostitution zwecks Generierung einer fortdauernden Einnahmequelle zu begehen. Die Absicht der fortdauernden Ausnutzung einer durch eine einmalige Einwirkung auf das Tatopfer veranlassten Prostitutionstätigkeit genügt dagegen zur Erfüllung des Qualifikationsmerkmals der Gewerbsmäßigkeit nicht.
4. Grundlagen der Strafzumessung sind in erster Linie die Schwere einer Tat und ihre Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung sowie der Grad der persönlichen Schuld des Täters. Beide Elemente sind miteinander verknüpft. Einerseits darf das Unrecht einer Tat nur in dem Umfang für die Strafzumessung Bedeutung erlangen, in dem es aus schuldhaftem Verhalten des Täters erwachsen ist, andererseits kann die strafrechtlich relevante Schuld allein in einem bestimmten tatbestandsmäßigen Geschehen und seinen Auswirkungen erfasst werden. Die Zumessung einer Strafe erfolgt danach bezogen auf das jeweilige durch das begangene Delikt verwirklichte Unrecht. Demgegenüber findet eine Würdigung der Gesamtheit der Taten erst auf der Ebene der Gesamtstrafenbildung statt, wobei hier im Grundsatz gilt, dass diejenigen einzelfallbezogenen Gesichtspunkte, die schon auf Ebene der Einzelstrafen verwertet wurden, nicht erneut berücksichtigt werden.