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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1426

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 178/23, Beschluss v. 04.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1426


BGH 2 StR 178/23 - Beschluss vom 4. Juli 2023 (LG Kassel)

Konkurrenzen (Tateinheit: Klammerwirkung, annähernde Wertgleichheit, konkrete Gewichtung der Taten, Fahren ohne Fahrerlaubnis, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln).

§ 52 StGB; § 21 StVG; § 29 BtMG

Leitsatz des Bearbeiters

Zwischen zwei eigentlich selbständigen Delikten kann durch das Vorliegen eines dritten Delikts Tateinheit hergestellt werden, wenn mit diesem jedes der beiden Delikte ideal konkurriert. Eine solche Klammerwirkung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn zwischen dem dritten und zumindest einem der beiden verbundenen Delikte „annähernde Wertgleichheit“ besteht. Dabei ist der Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierten Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen; minder schwere Fälle oder wegen vertypter Milderungsgründe vorzunehmende Strafrahmenverschiebungen sind mithin zu berücksichtigen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 11. Januar 2023

a) im Schuldspruch zu Fall II. 2 und 3 der Urteilsgründe dahingehend geändert, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei tateinheitlichen Fällen strafbar ist,

b) im Strafausspruch zu Fall II. 3 der Urteilsgründe aufgehoben; dieser entfällt,

c) hinsichtlich der für die Fälle II. 2 und 4 der Urteilsgründe verhängten Einzelgeldstrafen dahingehend ergänzt, dass der Tagessatz auf ein Euro festgesetzt wird.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Außerdem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte am 30. März 2022 gegen 13.40 Uhr mit einem Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehr in K., ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. In seiner rechten Hosentasche führte er 1,33 Gramm Kokainzubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 82,1% mit sich. Die Fahrt unternahm er jedenfalls auch zum Zwecke des Transports der Betäubungsmittel (Fall II. 2 der Urteilsgründe). Nach einer einige Minuten dauernden Unterbrechung der Fahrt, zu der er das von ihm genutzte Auto verlassen hatte, entschloss er sich erneut, ein Kraftfahrzeug ohne die hierfür erforderliche Fahrerlaubnis im öffentlichen Verkehr zu führen. Er bestieg ein anderes Auto und fuhr damit davon, bevor er an einer Ampelanlage von der Polizei gestellt wurde. Das Kokain wurde sichergestellt (Fall II. 3 der Urteilsgründe).

2. Das Landgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG in zwei tatmehrheitlichen Fällen verwirklicht hat. Es hat weiter zu Recht angenommen, dass der Angeklagte während beider Taten durch das Beisichführen des Kokains (zum Eigengebrauch) jeweils tateinheitlich unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln ausübte (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG). Allerdings hat die Strafkammer zu Unrecht von einer Verklammerung der Taten nach § 21 Abs. 1 StVG durch § 29 BtMG abgesehen.

a) Zwischen zwei eigentlich selbständigen Delikten kann durch das Vorliegen eines dritten Delikts Tateinheit hergestellt werden, wenn mit diesem jedes der beiden Delikte ideal konkurriert. Eine solche Klammerwirkung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn zwischen dem dritten und zumindest einem der beiden verbundenen Delikte „annähernde Wertgleichheit“ besteht (vgl. dazu Fischer, StGB, 70. Aufl., vor § 52 Rn. 30 mN zur Rspr.). Dabei ist der Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierten Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen; minder schwere Fälle oder wegen vertypter Milderungsgründe vorzunehmende Strafrahmenverschiebungen sind mithin zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 2 StR 322/84, BGHSt 33, 4, 7; Urteil vom 28. Oktober 2004 - 4 StR 268/04, NStZ 2005, 262; Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 3 StR 203/08, NStZ 2009, 692; Urteil vom 13. Dezember 2012 ? 4 StR 99/12, NStZRR 2013, 147, 149).

b) Gemessen daran liegen die Voraussetzungen für eine Verklammerung vor. Die von dem Angeklagten begangenen Straßenverkehrsdelikte wiegen entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht „maßgeblich schwerer als der Besitz einer geringen Menge Betäubungsmittel, die ausschließlich zum Eigenkonsum bestimmt war“.

Der vorzunehmende Wertevergleich ergibt ? auch bei konkreter Gewichtung der Taten ? vielmehr, dass der Unrechtsgehalt des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG jedenfalls nicht hinter demjenigen des Straßenverkehrsdelikts zurückbleibt. Dies folgt schon aus dem Vergleich der Strafrahmen, der deutlich macht, dass § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG im Ausgangspunkt weit größeres Unrecht erfasst als § 21 Abs. 1 StVG, und gilt hier auch unter Berücksichtigung von § 29 Abs. 5 StGB, der ein Absehen von Strafe beim Besitz einer geringen Menge zum Eigenverbrauch ermöglicht. Denn ein solcher Fall ist nicht gegeben, weswegen das Landgericht § 29 Abs. 5 BtMG in seine „konkrete“ Betrachtung gar nicht hätte aufnehmen dürfen.

In der Sache nimmt die Strafkammer bei ihrem Vergleich der verwirklichten Delikte auch keine „konkrete Gewichtung“ der von dem Angeklagten begangenen Taten vor, denn dann hätte sie einerseits etwa Art und Menge des Betäubungsmittels sowie Dauer des Besitzes und andererseits Länge der Fahrstrecke und damit einhergehende Gefährdung von Verkehrsteilnehmern in den Blick nehmen und daran den Unrechtsgehalt der Taten bestimmen müssen. Sie gewichtet letztlich den abstrakten Unrechtsgehalt der vom Angeklagten begangenen Straftaten, dies allerdings unter Missachtung der vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen nach eigenen Maßstäben. Dass dieser Betrachtung eine abstrakte Sichtweise zugrunde liegt, wird schließlich auch in der konkreten Strafzumessung zu den Taten II. 2 und 3 der Urteilsgründe deutlich, die die Wertung des Landgerichts bei der Konkurrenzfrage nicht aufnimmt. Dort entnimmt das Landgericht die Strafen jeweils dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG, ohne - was ansonsten nahe gelegen hätte - darauf hinzuweisen, dass der Besitz der Betäubungsmittel zum Eigenkonsum erfolgt ist und deshalb am unteren Rand des von § 29 Abs. 1 BtMG erfassten Unrechtsgehalts liegt. Ebenso wenig wird strafschärfend auf die tateinheitliche Begehung des nach Ansicht des Landgerichts in seinem Unrechtsgehalt maßgeblich schwerer wiegenden Straßenverkehrsdelikts hingewiesen.

c) Mit der Annahme einer Verklammerung liegt insoweit nur eine statt zwei Taten vor. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend; § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, da der geständige Angeklagte dadurch nicht in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt wird.

d) Die Annahme von Tateinheit führt zum Wegfall der Einzelstrafen für die Taten II. 2 und II. 3 der Urteilsgründe. Der Senat setzt für die nunmehr abgeurteilte Tat die bisherige Einzelstrafe von 90 Tagesätzen für Tat II. 2 der Urteilsgründe als neue Strafe fest. Er kann damit auch ausschließen, dass eine möglicherweise falsch gewichtete Bemessung der vom Landgericht verhängten Einzelstrafen sich bei der neuen Strafbemessung zu Lasten des Angeklagten (noch) auswirkt.

e) Der Wegfall einer Einzelstrafe von 60 Tagessätzen lässt den Gesamtstrafenausspruch unberührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht ohne diese Strafe eine noch niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.

f) Das Landgericht hat es versäumt, hinsichtlich der verhängten Einzelgeldstrafen eine Tagessatzhöhe festzusetzen. Der Senat holt dies nach und setzt den Tagessatz auf das gesetzliche Mindestmaß auf ein Euro fest, um damit jedwede Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen.

3. Die weitere Überprüfung der angegriffenen Entscheidung hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1426

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede