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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1365

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 146/23, Beschluss v. 18.10.2023, HRRS 2023 Nr. 1365


BGH 1 StR 146/23 - Beschluss vom 18. Oktober 2023 (LG München I)

BGHSt; falsche Bescheinigung einer Schutzimpfung (Allgemeindelikt; Sonderdelikt); Fälschung technischer Aufzeichnungen (Begriff der störenden Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang: erforderliche Beeinflussung des Aufzeichnungsvorgangs, reine Input-Manipulation nicht erfasst); Betrug (Vermögensschaden beim Anstellungsbetrug).

§ 75a Abs. 1 IfSG a.F.; § 22 Abs. 5 IfSG a.F.; § 268 StGB; § 263 StGB

Leitsätze

1. Bei § 75a Abs. 1 Alt. 1 IfSG i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 28. Mai 2021 handelt es sich um ein Allgemeindelikt. (BGHSt)

2. Die Tathandlung des störenden Einwirkens auf den Aufzeichnungsvorgang verlangt Eingriffe, die den selbsttätig fehlerfreien Funktionsablauf des aufzeichnenden Geräts in Mitleidenschaft ziehen (vgl. BGHSt 28, 300, 305), die also in den geräteautonomen Aufzeichnungsvorgang eingreifen. Wer das Gerät bloß mit inhaltlich unrichtigen Daten beschickt, die durch den Automatisierungsvorgang korrekt wiedergegeben werden, stellt keine unechte Aufzeichnung her. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 25. November 2022 - auch soweit es die nicht revidierende Mitangeklagte P. betrifft -

a) im Schuldspruch betreffend die Fälle B. 6. (Fälle 438. bis 1.074. der Urteilsgründe) dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte der unrichtigen Bescheinigung einer Schutzimpfung in 637 Fällen schuldig ist; die jeweils tateinheitliche Verurteilung wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen entfällt,

b) aufgehoben in den Strafaussprüchen in den Fällen B. 2. bis B. 6. (Fälle 2. bis 1.074. der Urteilsgründe) und im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung in 1.073 Fällen, davon in 637 Fällen in Tateinheit mit Fälschung technischer Aufzeichnungen, wegen Fälschung beweiserheblicher Daten in Tateinheit mit versuchtem Betrug sowie wegen Betruges in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die nicht revidierende Angeklagte P. hat es u.a. wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung in 1.074 Fällen, davon in 637 Fällen in Tateinheit mit Fälschung technischer Aufzeichnungen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 97.034,83 Euro angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Das Landgericht hat - soweit für die Revision von Relevanz - Folgendes festgestellt und gewertet:

1. Die nicht revidierende Angeklagte P., die mit dem Angeklagten befreundet war und diesen finanziell unterstützte, arbeitete als angestellte pharmazeutisch-technische Assistentin in einer Apotheke in M. Als solche hatte sie Zugriff auf die Apothekenrechner und konnte nach deren Einführung auch digitale COVID-Impfzertifikate der EU (im Folgenden: digitales Impfzertifikat) ausstellen. Hierzu mussten sich die Apothekenmitarbeiter zunächst auf der Webseite „www.meinapothekenportal.de“ mit den der jeweiligen Apotheke zugewiesenen Zugangsdaten anmelden. Über das Apothekenportal wurde der Anmelder auf die Webseite „dav.impfnachweis.info“ weitergeleitet, die nur über ein geschlossenes Intranet, dessen Zugang ein VPN-Konnektor herstellte, aufgerufen werden konnte. Nach der Eingabe der notwendigen Daten (u.a. Name, Geburtsdatum, Impfdatum) durch die Mitarbeiter wurden jene an das Robert-Koch-Institut (im Folgenden: RKI) übermittelt, welches ohne weitere Prüfung der Korrektheit der Daten automatisiert einen QR-Code generierte und diesen an die eine Ausstellung beantragende Apotheke sandte.

a) Ohne Veranlassung durch den Angeklagten stellte die Mitangeklagte P. auf diese Weise am 14. Juni 2021 ein digitales Impfzertifikat für diesen aus, obwohl sie wusste, dass der Angeklagte nicht über eine entsprechende Schutzimpfung verfügte (Fall B. 1. der Urteilsgründe). Am selben Tag fertigte sie auf Nachfrage des Angeklagten, der ihr auch die notwendigen Personaldaten übersandte, ein digitales Impfzertifikat für dessen Verlobte K. an. Sowohl der Angeklagte als auch die Mitangeklagte P. wussten, dass K. keine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARSCoV-2 erhalten hatte (Fall B. 2. der Urteilsgründe).

b) Da aufgrund einer technischen Störung die digitalen Impfzertifikate des Angeklagten und seiner Verlobten nicht mehr gültig waren, stellte die Mitangeklagte P. am 21. Juni 2021 nach erneuter Übermittlung der notwendigen Personaldaten durch den Angeklagten für beide neue unrichtige digitale Impfzertifikate aus (Fälle B. 3. 3. bis 4. der Urteilsgründe).

c) Im Anschluss fassten der Angeklagte und die Mitangeklagte P. den Entschluss, arbeitsteilig digitale Impfzertifikate zu generieren und über das Darknet zu verkaufen, um so dem Angeklagten S. eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen. In Umsetzung des gemeinsamen Tatplans bot der Angeklagte ab dem 19. August 2021 in dem Darknetforum „Crimemarket.to“ unter dem Pseudonym „O.“ originale digitale Impfnachweise gegen Bezahlung in Bitcoin oder Monero an. Die von den Käufern übermittelten Daten leitete der Angeklagte zunächst an die Mitangeklagte P. weiter, welche diese während ihrer Arbeitszeit - ergänzt um ein fiktives Impfdatum und einen Impfstoff - in den Apothekenrechner eingab und elektronisch an das RKI übermittelte. Den so vom RKI generierten QR-Code fotografierte sie ab und schickte ihn an den Angeklagten, der ihn wiederum an die Käufer weiterleitete. Auf diese Weise stellten der Angeklagte und die Mitangeklagte P. im Zeitraum zwischen dem 23. August 2021 und dem 16. September 2021 insgesamt 185 digitale Impfzertifikate her (Fälle B. 4. 5. bis 189. der Urteilsgründe).

d) Um das Entdeckungsrisiko zu minimieren und eine größere Anzahl von Zertifikaten ausstellen zu können, änderten der Angeklagte und die Mitangeklagte P. am 17. September 2021 ihre Vorgehensweise. Mittels eines USB-Sticks installierte die durch den Angeklagten angeleitete Mitangeklagte P. die Fernzugriffsoftware „Teamviewer“ auf einem Apothekenrechner. Mit der ID des Rechners sowie einem zugehörigen Passwort, das sich regelmäßig änderte und ihm jeweils von der Mitangeklagten P. mitgeteilt wurde, war es dem Angeklagten nunmehr möglich, über einen von ihm angemieteten bulgarischen Server auf den Apothekenrechner zuzugreifen. Während nun der Angeklagte die Daten der Käufer mittels der Fernzugriffsoftware „Teamviewer“ in der zuvor geschilderten Weise an das RKI übermittelte, „blockierte“ die Mitangeklagte P. die Nutzung des entsprechenden Rechners in der Apotheke, um eine Entdeckung zu verhindern. Denn die mittels der Fernzugriffsoftware „Teamviewer“ ausgeübten Aktivitäten konnten auf dem Bildschirm des Zielrechners mitverfolgt werden. Vom 17. September 2021 bis zum 1. Oktober 2021 stellten der Angeklagte und die Mitangeklagte P. mit dieser Methode insgesamt 248 digitale Impfzertifikate her (Fälle B. 5. 190. bis 437. der Urteilsgründe).

e) Am 29. September 2021 aktivierte die Mitangeklagte P. in den BIOS-Einstellungen des Apothekenrechners einen „Wake-up Timer“, so dass sich dieser Rechner jeden Tag um 21.00 Uhr selbständig einschaltete. Der Angeklagte stellte von nun an die Zertifikate mithilfe der Fernzugriffsoftware „Teamviewer“ außerhalb der Öffnungszeiten der Apotheke her. Mit dieser Vorgehensweise erzeugten der Angeklagte und die Mitangeklagte P. vom 1. Oktober 2021 bis zum 22. Oktober 2021 weitere 637 digitale Impfzertifikate (Fälle B. 6. 438. bis 1.074. der Urteilsgründe).

2. Im Februar 2018 bewarb sich der Angeklagte, der über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügte, auf die Stelle eines Mediengestalters bei der E. GmbH in I. Um seine vermeintliche Befähigung zu belegen, fügte er seiner Bewerbung drei von ihm hergestellte, angeblich von der IHK Sc., der IHK R. sowie der Berufsschule A. ausgestellte Zeugnisse hinzu. Der Angeklagte wurde ab dem 15. März 2018 eingestellt, und nach acht Monaten wurde ihm „aufgrund völlig unzureichender Arbeitsleistung“ gekündigt. Der E. GmbH entstand hierdurch ein Schaden in Höhe von 32.987,50 Euro (Fall B. 8. a) der Urteilsgründe).

II.

Das Urteil hält nur teilweise revisionsgerichtlicher Prüfung stand.

1. Der Schuldspruch in den Fällen B. 2. bis B. 6. (Fälle 2. bis 1.074. der Urteilsgründe) wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung nach § 75a IfSG aF i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 IfSG aF ist frei von Rechtsfehlern. Demgegenüber begegnet die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 438. bis 1.074. unter B. 6. der Urteilsgründe wegen 637 Fällen der Fälschung technischer Aufzeichnungen durchgreifenden Bedenken. Der Schuldspruch ist daher insoweit in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO abzuändern. Dies führt auch zur Aufhebung der in diesen Fällen (B. 2. bis B. 6. 1.074. der Urteilsgründe) verhängten Einzelstrafen.

a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung, begangen in Mittäterschaft mit der Mitangeklagten P., in den Fällen B. 2. bis B. 6. 1.074. der Urteilsgründe gemäß § 75a Abs. 1 IfSG aF i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 IfSG aF, § 25 Abs. 2, § 53 StGB erweist sich als rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass es sich bei § 75a Abs. 1 IfSG aF um ein Allgemein- und nicht um ein Sonderdelikt handelt, das den Täterkreis auf Ärzte und Apotheker beschränkt.

Nach § 75a Abs. 1 Alt. 1 IfSG in der Fassung vom 28. Mai 2021 (entspricht § 75a Abs. 1 Nr. 2 IfSG nach neuer Gesetzesfassung) macht sich schuldig, wer wissentlich entgegen § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG aF die Durchführung einer Schutzimpfung zur Täuschung im Rechtsverkehr nicht richtig bescheinigt. Der objektive Tatbestand bezieht sich in dieser Variante auf das digitale COVID-19-Impfzertifikat, das nachträglich von jedem Arzt oder Apotheker ausgefertigt werden kann (§ 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 IfSG aF). Unzweifelhaft kann der Straftatbestand des § 75a Abs. 1 Alt. 1 IfSG aF durch einen Arzt oder Apotheker begangen werden. Zu diesem Personenkreis zählt der Angeklagte jedoch nicht. Im Schrifttum sind Reichweite und Grenzen einer Auslegung im Hinblick auf den möglichen Täterkreis des § 75a Abs. 1 IfSG aF umstritten.

(1) Der Bundesgerichtshof hat sich zu der Frage, ob es sich bei § 75a Abs. 1 IfSG aF um ein Allgemein- oder um ein Sonderdelikt handelt, noch nicht geäußert.

(2) Im Schrifttum werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten.

(a) Nach einer Ansicht handelt es sich bei § 75a Abs. 1 IfSG aF um ein Sonderdelikt. Wer tauglicher Täter sein könne, werde durch den Verweis auf § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG aF bestimmt, weil nach dem Wortlaut des § 75a Abs. 1 IfSG aF entgegen dieser Vorschrift gehandelt werden müsse (vgl. Gaede/Krüger, NJW 2021, 2159, 2162 Rn. 22 bis 24; Lorenz, medstra 2021, 210, 216; Krüger/Sy, GesR 2021, 626, 632; Schmidhäuser, medstra 2022, 21, 23).

(b) Die Gegenauffassung verneint die Sonderdeliktsqualität des § 75a Abs. 1 IfSG aF (vgl. Wolf, zfistw 2022, 146, 163 f.; Pschorr, StraFo 4/2022, 135, 140 f.). Zur Begründung macht sie u.a. geltend, dass zur Qualifizierung eines Delikts als Sonderdelikt eine besondere Pflicht maßgeblich sei. Eine solche enthalte die Verweisung auf § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG aF jedoch nicht. Auch die teleologische Auslegung ergebe, dass es sich bei § 75a Abs. 1 IfSG aF nicht um ein Sonderdelikt handele.

(3) Die letztgenannte Ansicht ist zutreffend. Die vom Gesetzgeber genutzte Verweisungstechnik auf § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG aF schränkt den möglichen Täterkreis nicht ein. Bei § 75a Abs. 1 Alt. 1 IfSG i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 28. Mai 2021 handelt es sich um ein Allgemeindelikt.

(a) Der Wortlaut des § 75a IfSG aF steht dieser Auslegung nicht entgegen. Zwar könnte die Verweisung auf § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG aF und den dort aufgeführten Personenkreis darauf hindeuten, dass lediglich diese Personen Täter sein können. Dagegen spricht indes, dass der Gesetzgeber in § 75a Abs. 1 IfSG aF das Merkmal „wer“ und damit einen nicht beschränkten Täterkreis gewählt hat. Durch die vorgenommene Verweisung wird lediglich das Tatobjekt in Form des (nachträglichen) digitalen Impfzertifikats konkretisiert. Der in Bezug auf den möglichen Täterkreis indifferente Wortlaut des § 75a IfSG aF schränkt - wie auch die systematischen Erwägungen - eine Auslegung als Allgemeindelikt nicht ein.

(b) Das Verständnis der Norm als Allgemeindelikt entspricht dem Willen des Gesetzgebers. In den Materialien zu den kurze Zeit später eingeführten Änderungen (BGBl. I 2021, S. 1174) der insoweit maßgeblichen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass durch die Einführung des § 22 Abs. 5 und des § 75a Abs. 1 IfSG die noch zu erlassende Verordnung der Europäischen Union (EU-Verordnung „Digitales Grünes Impfzertifikat“) umgesetzt und bestehende Strafbarkeitslücken geschlossen werden sollen (BT-Drucks. 19/29870 S. 31 und 34). In den Erwägungsgründen Nr. 16 und 17 der Verordnung 2021/953 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2021 über einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate zur Bescheinigung von COVID-19-Impfungen und -Tests sowie der Genesung von einer COVID-19-Infektion (digitales COVID-Zertifikat der EU) mit der Zielsetzung der Erleichterung der Freizügigkeit während der COVID-19-Pandemie heißt es:

„(16) Am 1. Februar 2021 gab Europol eine Frühwarnmeldung über den rechtswidrigen Verkauf gefälschter COVID-19-Testzertifikate mit negativem Testergebnis heraus. Angesichts vorhandener, leicht zugänglicher technischer Mittel wie hochauflösende Drucker und Grafikprogramme sind Betrüger in der Lage, gefälschte COVID-19-Zertifikate von hoher Qualität anzufertigen. Es wurden Fälle von illegalem Verkauf gefälschter COVID-19-Testzertifikate gemeldet, an denen organisierte Fälscherbanden und opportunistische Einzeltäter beteiligt waren, die gefälschte COVID-19-Testzertifikate sowohl im Internet als auch außerhalb des Internets zum Kauf angeboten haben.

(17) Es müssen unbedingt ausreichende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um diese Verordnung durchzuführen und Betrug und illegale Praktiken im Zusammenhang mit der Ausstellung und Verwendung der Zertifikate, aus denen sich das digitale COVID-Zertifikat der EU zusammensetzt, zu verhindern, aufzudecken, zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen.“

Mit dem vom Gesetzgeber erstrebten effektiven Rechtsgutschutz steht nur eine Auslegung im Einklang, die den möglichen Täterkreis des § 75a Abs. 1 IfSG aF nicht auf Ärzte und Apotheker beschränkt. Anderenfalls würden zum einen auch berufsmäßige Gehilfen, die nach der Gesetzesbegründung zu § 22 Abs. 5 IfSG aF auch zur Ausstellung eines digitalen Impfzertifikats berechtigt sind (BT-Drucks. 19/29870 S. 31), aus dem Täterkreis ausgeschlossen. Zum anderen würden gerade die in dem Erwägungsgrund Nr. 16 der Verordnung 2021/953 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2021 angesprochenen „organisierte[n] Fälscherbanden und opportunistische[n] Einzeltäter“, die mittels geeigneter technischer Mittel gefälschte digitale Impfzertifikate herstellen, von einer strafrechtlichen Verfolgung nach § 75a IfSG aF nicht erfasst.

(c) Entscheidend sprechen auch Sinn und Zweck des Infektionsschutzgesetzes dafür, § 75a Abs. 1 IfSG aF als Allgemeindelikt auszulegen. Der Gesetzgeber hat als Standort das Infektionsschutzgesetz und nicht etwa den 23. Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetzbuchs gewählt. Nach § 1 Abs. 1 IfSG ist es Zweck des Gesetzes, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/2530 S. 43) ist Ziel des Gesetzes, Leben und Gesundheit des Einzelnen wie der Gemeinschaft vor den Gefahren durch Infektionskrankheiten zu schützen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11 Rn. 32). Das Infektionsschutzgesetz ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/29870 S. 1 und 25) im Hinblick auf die zu Beginn des Jahres 2021 durch das Auftreten von eigenschaftsveränderten ansteckenderen Virusvarianten des Coronavirus SarsCoV-2 gewonnene Dynamik des Infektionsgeschehens und der damit verbundenen erheblichen Belastung des Gesundheitssystems geändert worden. Dieser Regelungszweck des Infektionsschutzgesetzes würde konterkariert, wenn der Anwendungsbereich der neu eingeführten Strafnorm des § 75a Abs. 1 IfSG aF auf einen kleinen Täterkreis beschränkt wäre.

b) Indes hält die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen in 637 Fällen unter B. 6. 438. bis 1.074. der Urteilsgründe sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Angeklagte hat nach den getroffenen Feststellungen nicht den gesetzlichen Tatbestand in der Variante des § 268 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen störenden Einwirkens auf den Aufzeichnungsvorgang verwirklicht.

aa) Die Tathandlung des störenden Einwirkens auf den Aufzeichnungsvorgang verlangt Eingriffe, die den selbsttätig fehlerfreien Funktionsablauf des aufzeichnenden Geräts in Mitleidenschaft ziehen (BGH, Beschluss vom 6. Februar 1979 - 1 StR 648/78 Rn. 14, BGHSt 28, 300, 305), die also in den geräteautonomen Aufzeichnungsvorgang eingreifen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1990 - 1 StR 135/90 Rn. 27, BGHR StGB § 268 Aufzeichnung 1). Geschützt wird die „Unbestechlichkeit“ der selbsttätig arbeitenden Maschine, nicht die Korrektheit der eingegebenen Daten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1990 - 1 StR 135/90 Rn. 27 und Beschluss vom 16. April 2015 - 1 StR 490/14 Rn. 47). Wer das Gerät bloß mit inhaltlich unrichtigen Daten beschickt, die durch den Automatisierungsvorgang korrekt wiedergegeben werden, stellt keine unechte Aufzeichnung her (vgl. Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 268 Rn. 32 mwN). Im Gegensatz zu § 263a Abs. 1 Alt. 2 StGB wird vom Wortlaut des § 268 StGB die „Input-Manipulation“ nicht umfasst (vgl. Bär in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., StGB, § 268 Rn. 19 mwN).

bb) Rechtsfehlerhaft ist danach die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe durch die von ihm nach der Änderung der BIOS-Einstellung des Apothekenrechners, wodurch dessen fehlerfreie Funktion gestört worden sei, erstellten digitalen Impfzertifikate auf einen Aufzeichnungsvorgang störend eingewirkt. Tat- und damit Bezugsobjekt der Tathandlung des § 268 Abs. 3 i.V.m. § 268 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, wie das Landgericht im Ansatz auch zutreffend erkannt hat, der vom RKI generierte QR-Code als technische Aufzeichnung im Sinne des § 268 Abs. 2 StGB. Die von dem Angeklagten und der Mitangeklagten P. vorgenommene Änderung der BIOS-Einstellung sowie die Installation der Fernzugriffsoftware betrafen aber nur den Apothekenrechner selbst und schufen damit lediglich die Voraussetzung, die digitalen Impfzertifikate auch außerhalb der Öffnungszeiten der Apotheke ausstellen zu können. Der autonome Generierungsprozess zur Erstellung der QR-Codes durch das RKI als eigentliche technische Aufzeichnung blieb von der Einstellungsänderung unbeeinflusst. Bei der persönlichen Eingabe der falschen Daten durch den Angeklagten in den Computer handelt es sich lediglich um eine von § 268 StGB nicht geschützte sog. Input-Manipulation.

c) Der Senat schließt aus, dass in einem zweiten Rechtsgang noch entsprechende tragfähige Feststellungen getroffen werden können, und lässt die tateinheitliche Verurteilung wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen in 637 Fällen entfallen. Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen B. 6. 438. bis 1.074. der Urteilsgründe führt zum Wegfall der entsprechenden Einzelstrafen.

Um dem neuen Tatgericht eine in sich widerspruchsfreie Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat auch die Strafaussprüche in den Fällen B. 2. bis B. 5. 437. der Urteilsgründe insgesamt auf. Die Feststellungen bleiben vom Subsumptionsfehler unberührt (§ 353 Abs. 2 StPO) und können um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.

2. Soweit der Angeklagte im Fall B. 7. der Urteilsgründe wegen Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit versuchtem Betrug (§ 263 Abs. 1, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB) sowie in den Fällen B. 8. a) und b) der Urteilsgründe jeweils wegen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) verurteilt worden ist, ist dies nicht zu beanstanden. Ergänzend zum Fall B. 8. a) der Urteilsgründe ist auszuführen:

a) Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (sogenanntes „Prinzip der Gesamtsaldierung“). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2023 - 4 StR 225/22 Rn. 23; Beschlüsse vom 6. April 2018 - 1 StR 13/18, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 93 Rn. 8 f. und vom 16. Februar 2022 - 4 StR 396/21 Rn. 10; jeweils mwN). Ein eventueller Minderwert ist nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu beurteilen und der Vermögensschaden der Höhe nach konkret festzustellen und zu beziffern (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 229 zu § 266 StGB und vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a., BVerfGE 130, 1, 47 zu § 263 StGB).

b) Diesen Maßgaben wird das Urteil noch gerecht.

Die zum Vermögensschaden getroffenen Feststellungen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei beweiswürdigend belegt. Auf der Grundlage der durch die Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse hat es den tragfähigen Schluss gezogen, dass die Arbeitsleistung des Angeklagten „völlig wertlos“ war (UA S. 63). Dabei hat es insbesondere gewürdigt, dass der Angeklagte die für seine Stelle erforderliche fachliche Qualifikation nicht besaß und er die ihm übertragenen Aufgaben auch nicht erledigte (UA S. 114). So bereitete der Angeklagte u.a. die Messe nicht vor, beantwortete E-Mails nicht bzw. leitete diese nicht weiter und unterließ die Betreuung der „Infoline“. Infolgedessen sperrten Lieferanten die Geschädigte, da Lieferungen nicht bezahlt wurden, und Aufträge mit Kunden scheiterten (UA S. 113 bis 114).

3. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen B. 2. bis B. 6. 1.074. der Urteilsgründe entziehen auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

4. Die Entscheidung ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die nicht revidierende Mitangeklagte P. zu erstrecken. Auch bei ihr entfällt in den Fällen B. 6. 438. bis 1.074. der Urteilsgründe jeweils die tateinheitliche Verurteilung wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen. Dies bedingt auch bei ihr die Aufhebung der sie betreffenden Einzelstrafen in den Fällen B. 2. bis B. 6. 1.074. der Urteilsgründe sowie des Gesamtstrafenausspruchs.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1365

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede