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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2019
20. Jahrgang
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1. Wird in der Hauptverhandlung ein Vermerk über ein außerhalb der Hauptverhandlung geführtes Verständigungsgespräch verlesen, ist der Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO genügt, wenn der Vermerk durch die Angabe der Aktenfundstelle unverwechselbar bezeichnet wird. (BGHSt)
2. Reicht für die Protokollierung beim Urkundenbeweis (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO) die Bezeichnung einer eindeutigen Aktenfundstelle aus, um nicht nur die Tatsache, sondern auch den Inhalt der Beweiserhebung ausreichend zu dokumentieren, muss Gleiches für die Erfüllung prozessualer Mitteilungspflichten gelten. Entscheidend ist, dass sich nicht nur die Tatsache einer Mitteilung, sondern auch deren Inhalt dem Protokoll in Verbindung mit den Akten zuverlässig entnehmen lässt. (Bearbeiter)
3. Wird in der Hauptverhandlung über den Inhalt eines außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächs durch Verlesung eines Vermerks eine vollständige und inhaltlich zutreffende Mitteilung gemacht, genügt dies regelmäßig den Anforderungen des § 243 Abs. 4 S. 2 StPO. Es stellt insbesondere keinen unzureichenden bloßen Verweis auf einen über das Gespräch aufgenommenen Vermerk dar, wenn der Inhalt des Gesprächs vollständig und zutreffend in der Hauptverhandlung zur Kenntnis gebracht wird. (Bearbeiter)
Tätig der zunächst als Zeuge vernommene (spätere) Beschuldigte ein Spontanäußerung, die vom Vernehmungsbeamten ohne Durchführung einer Befragung lediglich passiv entgegengenommen wird, sind die Verwertbarkeit dieser Äußerung und deren Vorhalt bei der späteren Beschuldigtenvernehmung auch dann rechtlich unbedenklich, wenn der Angeklagte schon zuvor als Beschuldigter hätte belehrt werden müssen.
1. Mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 hat der Gesetzgeber in § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO die Hinweispflicht des § 265 Abs. 1 StPO auf Fälle erweitert, in denen sich in der Hauptverhandlung die Sachlage gegenüber der Schilderung des Sachverhalts in der zugelassenen Anklage ändert und dies zur genügenden Verteidigung vor dem Hintergrund des Gebots rechtlichen Gehörs und des rechtsstaatlichen Grundsatzes des fairen Verfahrens einen Hinweis erforderlich macht. Der Gesetzgeber hat dabei an die Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht. Die durch den Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Gesichtspunkte wollte der Gesetzgeber kodifizieren, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht einführen.
2. Danach bestehen Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, die Tatrichtung, die Person eines Beteiligten oder bei der Konkretisierung einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung des Anklagesatzes. Hingegen sind Hinweise etwa hinsichtlich der Bewertung von Indiztatsachen nach dem Willen des Gesetzgebers auch zukünftig nicht erforderlich. Ebenso wenig muss das Gericht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens vor der Urteilsberatung seine Beweiswürdigung offenlegen oder sich zum Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen erklären.
3. Dies bedeutet für das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, dass der Angeklagte nicht nur davon in Kenntnis zu setzen ist, durch welche bestimmten Tatsachen das Gericht das Mordmerkmal als erfüllt ansieht; vielmehr ist er auch darüber zu informieren, dass sich diese Tatsachen aus Sicht des Gerichts gegenüber der Anklageschrift oder aber auch einem früher erteilten Hinweis geändert haben können
1. Hat ein Angeklagter einen Verteidiger, so hindert seine Abschiebung den Fortgang des Revisionsverfahrens im Grundsatz nicht. Das gilt insbesondere dann, wenn der im Revisionsverfahren tätige Verteidiger dem Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren beigeordnet worden war und an der Hauptverhandlung teilgenommen hat.
2. Im Fall der Abschiebung ist ein Prozesshindernis allerdings ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, falls es dem Angeklagten tatsächlich nicht möglich ist, mit seinem Verteidiger in Verbindung zu treten. Da sich ein Angeklagter zu diesem Zweck moderner Kommunikationsmittel bedienen kann, wird mit der Abschiebung jedoch selten die Vereitelung einer Kontaktaufnahme einhergehen.
1. Eine Zurückgabe der Sache zur Bestellung eines anderen Verteidigers noch vor der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt in Frage, wenn ein das Verschulden des Angeklagten ausschließender „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorliegt (vgl. BGH HRRS 2018 Nr. 269).
2. Der Senat lässt offen, ob ein solcher „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung darin zu sehen ist, dass der Verteidiger das eingelegte Rechtsmittel nicht begründet, nachdem er erklärt, er sehe keine Revisionsgründe. Er gibt jedoch zu bedenken, dass der EGMR zwar (für das polnische Prozesskostenhilferecht) darauf erkannt hat, es sei nicht Aufgabe des Staates, einen - beigeordneten - Prozesskostenhilfeanwalt dazu zu zwingen, ein nach seiner Überzeugung aussichtloses Rechtsmittel einzulegen, es jedoch gleichermaßen als notwendig erachtet hat, dass der Mandant noch ausreichend Zeit habe, einen anderen - beizuordnenden - Prozesskostenhilfeanwalt zu finden.
1. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn
der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. BVerfGE 133, 168 Rn. 127).
2. Das Urteil beruht regelmäßig nicht auf der unterlassenen Belehrung nach § 257c Abs. 5 StGB, wenn dem Angeklagten die beschränkte Bindungswirkung nach § 257c Abs. 4 StPO auf andere Weise bekannt geworden ist. Ein Angeklagter, dem bewusst ist, dass das Gericht von dem in der Verständigung in Aussicht gestellten Ergebnis unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 StPO abweichen darf, kalkuliert in seine „Abwägungsentscheidung“, ob er ein Geständnis ablege oder trotz Hinweises auf die Unverwertbarkeit seines bisherigen Geständnisses dieses aufrechterhalte, als Risiko seines Handelns auch eine Verurteilung in Abkehr von der gerichtlichen Zusage ein.
1. Der Tatbestand des Vollrauschs gemäß § 323a StGB ist für sich keine zum Anschluss als Nebenkläger berechtigende Tat. Die Strafvorschrift des § 323a StGB schützt nämlich nicht das im Rausch schließlich verletzte Einzelrechtsgut, sondern soll die Allgemeinheit vor rauschbedingten Ausschreitungen bewahren.
2. Eine Straftat nach § 323a StGB berechtigt allerdings zur Nebenklage, wenn eines der in § 395 Abs. 1 StPO bezeichneten Delikte die Rauschtat ist. Die Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers ist jedoch nur dann gegeben, wenn er mit seiner Revision eine Verurteilung wegen dieses Delikts erstrebt. Begehrt er hingegen lediglich eine andere Würdigung der Rauschtat, um eine höhere Bestrafung des Angeklagten aus § 323a StGB zu erreichen, verfolgt er kein zulässiges Ziel, und die Revision ist nach § 400 Abs. 1 StPO unzulässig.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Staatsanwalt, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen worden ist, insoweit an der weiteren Wahrnehmung der Aufgaben als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gehindert, als zwischen dem Gegenstand seiner Zeugenaussage und der nachfolgenden Mitwirkung an der Hauptverhandlung ein unlösbarer Zusammenhang besteht (vgl. BGHSt 21, 85, 89 f.). Nimmt der Staatsanwalt im Rahmen der weiteren Sitzungsvertretung eine Würdigung seiner eigenen Zeugenaussage vor oder bezieht sich seine Mitwirkung auf einen Gegenstand, der mit seiner Aussage in einem untrennbaren Zusammenhang steht und einer gesonderten Bewertung nicht zugänglich ist, liegt ein relativer Revisionsgrund nach § 337 StPO vor, der zur Aufhebung des Urteils führt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil hierauf beruht (vgl. BGHSt 34, 352).
Der Senat lässt erneut offen, ob sich aus § 67 JGG ein „Elternkonsultationsrecht“ und eine dahingehende Belehrungspflicht herleiten lässt (vgl. bereits BGH HRRS 2019 Nr. 801). Jedenfalls wäre die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes im Falle eines etwaigen Verstoßes abhängig von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei spricht regelmäßig gegen ein Verwertungsverbot, wenn sich der Angeklagte mit seiner Mutter vor der Vernehmung kurz besprechen konnte, sie dabei ihren Rat, was aus ihrer Sicht zu tun sei, eindeutig formuliert und ihre spätere Abwesenheit bei der Vernehmung dem ausdrücklichen Wunsch des Angeklagten entspricht, der zudem darüber belehrt wird, sich jederzeit anders entscheiden zu können.
1. Dem Begriff des Verletzten im Sinne des § 403 StPO unterfallen auch Personen, die mittelbar durch die Straftat geschädigt sind, sofern ihre Ansprüche unmittelbar aus der Straftat erwachsen sind; die verletzte Strafnorm muss nicht dem Schutz des Betroffenen dienen. Hierzu gehören nicht nur die Ansprüche der Hinterbliebenen auf Ersatz des ihnen entgangenen Unterhalts gemäß § 844 Abs. 2 BGB, sondern auch auf Ausgleich des ihnen durch die Straftat entstandenen seelischen Leids nach § 844 Abs. 3 BGB.
2. Feststellungen über die Höhe des Anspruchs sind im Grundurteil grundsätzlich unzulässig; sie vermögen das mit dem Betragsverfahren gemäß § 406 Abs. 3 Satz 4 StPO befasste Zivilgericht nicht zu binden.
1. Sobald ein Urteil vollständig verkündet worden ist, dürfen nur noch offensichtliche Schreibversehen und Unrichtigkeiten berichtigt werden. „Offensichtlich“ im Sinne dieser Rechtsprechung sind nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus sol-
chen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen.
2. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht. Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn die Berichtigung sich nicht auf Nebensächlichkeiten, sondern auf wesentliche Elemente des Urteils bezieht, so dass durch sie zugleich ein dem Urteil in der ursprünglichen Fassung anhaftender rechtlicher Mangel beseitigt wird.
Erforderlich für eine Entscheidung nach § 14 StPO ist, dass zwischen mehreren Gerichten ein Streit über die Zuständigkeit besteht. Ein negativer Kompetenzkonflikt liegt vor, wenn sämtliche mit derselben Sache befassten Gerichte sich für unzuständig halten. Es ist nur dann nach § 14 StPO zu verfahren, wenn zwischen den Gerichten „Streit“ besteht, d.h. wenn mindestens zwei Entscheidungen anfechtbar sind.