HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1192
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 295/19, Beschluss v. 08.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1192
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. Februar 2019 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in Tateinheit mit Privatwohnungseinbruchdiebstahl in sechs Fällen und Wohnungseinbruchdiebstahls in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Mit der Verfahrensrüge beanstandet die Revision, dass der Vorsitzende der Strafkammer entgegen § 257c Abs. 5 StPO die Belehrung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis der Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO erst nach Zustandekommen der Verständigung und damit verspätet erteilt habe. Sie meint, dieser Verfahrensfehler habe sich ausgewirkt, weil die Feststellungen des Landgerichts zum Tatgeschehen auf den geständigen Angaben des Angeklagten beruhten und damit das vor der Belehrung abgegebene Geständnis in das Urteil eingeflossen sei.
a) Der zulässig erhobenen Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am 22. Januar 2019 unterbreitete die Strafkammer dem Angeklagten den Vorschlag, im Falle eines umfassenden Geständnisses hinsichtlich der Taten eins bis sechs aus dem ersten Tatkomplex und der Tat vier aus dem zweiten Tatkomplex der Anklage und Angaben zu den Tatbeteiligten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen vier Jahren neun Monaten und fünf Jahren drei Monaten zu verhängen. Der Angeklagte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft nahmen sodann den Verständigungsvorschlag an. Der Vorsitzende erklärte, dass mit dem Angeklagten eine Verständigung zustande gekommen sei, und erteilte die Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO. Im Anschluss daran ließ sich der Angeklagte geständig zur Sache ein.
In der Fortsetzung der Hauptverhandlung am 8. Februar 2019 machte der Angeklagte weiter Angaben zur Sache und setzte dies trotz Hinweises des Vorsitzenden, dass sein Geständnis über die Verständigung hinausgehe, in Absprache mit seinem Verteidiger fort. Der Angeklagte wurde vom Vorsitzenden „nach geheimer Umfrage“ darauf hingewiesen, dass die Verständigungsabsprache vom 22. Januar 2019 nicht mehr gelte, da er nun drei weitere Einbrüche zugegeben habe. Die Strafkammer erklärte die Verständigung vom 22. Januar 2019 für hinfällig. Der Vorsitzende wies den Angeklagten darauf hin (§ 257c Abs. 4 Satz 4 StPO), dass sein Geständnis daher gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO nicht mehr verwertbar sei.
Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung unterbreitete der Vorsitzende dem Angeklagten einen neuen Verständigungsvorschlag, der im Falle eines Geständnisses der Taten „A1 bis A6 und B1 bis B4“ die Verhängung einer Freiheitsstrafe zwischen fünf Jahren drei Monaten und fünf Jahren neun Monaten vorsah. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stimmte dem Vorschlag zu. Der Verteidiger des Angeklagten erklärte, sein Mandant bleibe bei seinem letzten umfassenden Geständnis. Dies bestätigte der Angeklagte. Sodann erteilte der Vorsitzende dem Angeklagten die Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO.
b) Die Revision rügt zu Recht eine fehlerhafte Anwendung der Vorschrift des § 257c Abs. 5 StPO, da die Belehrung über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung erst nach Zustandekommen der Verständigung und damit verspätet erteilt worden ist.
Die Verständigung kommt nicht erst mit der Belehrung zustande, sondern bereits durch die Zustimmungserklärungen gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168-241 Rn. 127; BGH, Beschlüsse vom 6. November 2018 - 5 StR 486/18 Rn. 5 und vom 8. November 2018 - 4 StR 268/18 Rn. 5, jeweils mwN).
c) Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn, eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte; hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden (BVerfG aaO Rn. 127).
d) Der Senat kann hier jedoch ausnahmsweise ausschließen, dass sich die Verletzung des § 257c Abs. 5 StPO ursächlich auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt hat, er also bei zeitgerechter Belehrung sein Geständnis nicht aufrechterhalten hätte. Es steht zweifelsfrei fest, dass dem Angeklagten auch ohne rechtzeitige Belehrung durch das Gericht bekannt war, unter welchen Voraussetzungen die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt.
Der Angeklagte war bereits vor dem neuen Verständigungsvorschlag der Strafkammer vom 8. Februar 2019 - wenn auch ebenfalls verspätet - in der Hauptverhandlung vom 22. Januar 2019 über die Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehrt worden. Dem Angeklagten waren im Zeitpunkt des neuen Verständigungsvorschlags nicht nur die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindung bekannt, sondern er hat die Konsequenzen dessen zeitnah an eigener Person erlebt, nachdem ihm die Strafkammer erläutert hatte, dass wegen seines Geständnisses dreier weiterer, nicht von der Verständigung erfasster Taten die Bindung des Gerichts an die (erste) Verständigung entfällt und sein bereits abgegebenes Geständnis nicht mehr verwertbar ist.
Einem Angeklagten, dem bewusst ist, dass das Gericht von dem in der Verständigung in Aussicht gestellten Ergebnis unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 StPO abweichen darf, kalkuliert in seine „Abwägungsentscheidung“, ob er ein Geständnis ablege oder trotz Hinweises auf die Unverwertbarkeit seines bisherigen Geständnisses dieses aufrechterhalte, als Risiko seines Handelns auch eine Verurteilung in Abkehr von der gerichtlichen Zusage ein.
2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1192
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 385; StV 2021, 15
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede