HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2015
16. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

136. BGH 4 StR 556/14 – Beschluss vom 17. Dezember 2014 (LG Essen)

Konkurrenzen unter den Brandstiftungsdelikten (fahrlässige Brandstiftung; vorsätzliche schwere Brandstiftung; Gefahr einer Gesundheitsschädigung).

§ 306d Abs. 1 2. Alternative StGB; § 306a Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 52 StGB

Die fahrlässige Brandstiftung nach § 306d Abs. 1 2. Alternative i.V.m. § 306a Abs. 2 StGB wird nicht von der vorsätzlichen schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 StGB verdrängt. Es kann auch Tateinheit zwischen der schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 und derjenigen nach § 306a Abs. 2 StGB gegeben sein.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

91. BGH 1 StR 31/14 – Beschluss vom 2. Dezember 2014 (LG München II)

BGHSt; Falschbeurkundung im Amt (Begriff der öffentlichen Urkunde: Umfang des öffentlichen Glaubens, strenger Maßstab; Zulassungsbescheinigung Teil II).

§ 348 Abs. 1 StGB

1. Die Zulassungsbescheinigung Teil II ist hinsichtlich der darin enthaltenen Angaben zur Person keine öffentliche Urkunde im Sinne des § 348 StGB. Sie beweist weder zu öffentlichem Glauben, dass die Eintragungen zur Person richtig sind, noch dass die eingetragene Person Verfügungsberechtigter oder Halter des Fahrzeugs ist, auf das sich die Zulassungsbescheinigung bezieht. (BGHSt)

2. Der Begriff der öffentlichen Urkunde im Sinne von § 348 StGB umfasst nur solche Urkunden, die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen (vgl. BGHSt 22, 201, 203). Dabei erfasst auch bei einer öffentlichen Urkunde die Strafbewehrung in § 348 StGB nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen und Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d.h. die volle Beweiswirkung für und gegen jedermann, erstreckt. Welche Angaben dies im Einzelnen sind, ist, wenn es an einer ausdrücklichen Vorschrift fehlt, mittelbar den gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen, die für die Errichtung und den Zweck einer Urkunde maßgeblich sind (vgl. BGHSt 53, 34). (Bearbeiter)

3. Der erhöhten Beweiskraft unterliegen insbesondere diejenigen Tatsachen, deren Angabe gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist, in der Regel dagegen nicht solche Tatsachen, die weder nach dem Gesetz noch nach anderen Vorschriften zwingend anzugeben sind und deren unwahre Kundgabe die Wirksamkeit der Beurkundung nicht berührt (vgl. BGHSt 44, 186). (Bearbeiter)

4. Fehlt es an einer klaren Bestimmung der Reichweite der Beweiskraft durch den Gesetzgeber, sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung neben dem Beurkundungsinhalt als solchem das Verfahren und die Umstände des Beurkundungsvorgangs sowie die Möglichkeit des die Bescheinigung ausstellenden Amtsträgers, die Richtigkeit der Beurkundung zu überprüfen, in den Blick zu nehmen; auch ist die Anschauung des Rechtsverkehrs zu beachten. Die den öffentlichen Glauben legitimierende erhöhte Beweiswirkung kann auf den eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten des die Urkunde ausstellenden Amtsträgers beruhen (vgl. BGH wistra 1996, 142). Sie kann sich für den Urkundenaussteller aber auch aus den im Verfahren vorzulegenden Bescheinigungen anderer Stellen mit erhöhter Richtigkeitsgewähr ergeben (vgl. BGHSt 53, 34). Kann der Amtsträger hingegen die Richtigkeit der Angabe nicht überprüfen, fehlt ihm regelmäßig auch der Wille, die entsprechende Tatsache zu öffentlichem Glauben zu beurkunden (vgl. BGH NJW 1996, 470). (Bearbeiter)

5. Jedenfalls ist bei der Prüfung, ob einer Tatsache, die in einer von einer Verwaltungsbehörde ausgestellten Urkunde enthalten ist, die besondere Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde zukommt, ein strenger Maßstab anzulegen. Eine Beweiswirkung für und gegen jedermann kann nur dann angenommen werden, wenn kein Zweifel besteht, dass dies unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht (vgl. BGHSt 22, 201, 203). (Bearbeiter)


Entscheidung

159. BGH 5 StR 422/14 – Urteil vom 9. Dezember 2014 (LG Berlin)

BGHSt; schmerzhafte anale Penetrationshandlungen gegenüber Kindern als schwere körperliche Misshandlung.

§ 176a Abs. 5 StGB; § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB

1. Schmerzhafte anale Penetrationshandlungen gegenüber Kindern können eine körperlich schwere Misshandlung (§ 176a Abs. 5, § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB) darstellen. (BGHSt)

2. Der Senat verkennt nicht, dass namentlich anale Penetrationen bei Kindern auf dieser Basis nicht selten den Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 5 StGB (§ 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB) erfüllen werden. Er sieht jedoch keinen Grund, solche schwerwiegenden Taten nicht der verschärften Strafdrohung zu unterwerfen. Denn die Verursachung beträchtlicher Schmerzen ist nicht ohne Weiteres regelmäßige und damit vom Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (§ 177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB) abschließend umfasste Begleiterscheinung der darin bezeichneten Tathandlungen. Dass eine Privilegierung schon für sich genommen äußerst schmerzhafter Sexualhandlungen gegenüber sonstigen körperlichen Misshandlungen wie etwa heftigen und mit Schmerzen verbundenen Schlägen vom Gesetzgeber intendiert gewesen sein könnte, liegt im Übrigen nicht nahe. (Bearbeiter)


Entscheidung

106. BGH 4 StR 342/14 – Beschluss vom 3. Dezember 2014 (LG Essen)

Besitzverschaffung an kinderpornographischen Schriften (Begriff der kinderpornographischen Schrift; Tateinheit bei Empfang mehrerer Bilddateien über das Internet).

§ 184g Abs. 4 StGB; § 52 Abs. 1 StGB

1. Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes ist Kinderpornografie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB. Tatobjekte sind nur pornografische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben.

2. Zu den sexuellen „Handlungen“ von Kindern gehört zwar nach der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2008, S. 2149) auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung (vgl. BGH NStZ 2014, 220, 221). Voraussetzung ist aber, dass die von dem Kind eingenommene Körperposition objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist (vgl. BGH NStZ 2009, 29). Körperpositionen, die sich bei einem Handlungsablauf ohne eindeutigen Sexualbezug (z.B. Körperpflege, An- oder Umkleiden, Sport, Spiel etc.) naturgemäß ergeben sind auch dann keine sexuellen Handlung von Kindern im Sinne von § 184b Abs. 1 StGB in der derzeitigen Fassung, wenn sie für Bildaufnahmen zu pornografischen Zwecken ausgenutzt werden.

3. Bei der Übersendung und dem Empfang mehrerer kinderpornografischer Bild- oder Videodateien über das Internet liegt nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn vor, wenn der Täter mehrere Dateien während eines einheitlichen Kommunikationsvorganges herunterlädt oder versendet (vgl. BGH NStZ 2009, 208). Lassen sich dazu keine eindeutigen Feststellungen treffen, ist das Geschehen nach dem Zweifelsgrundsatz als eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn zu beurteilen (vgl. BGH NStZ 1983, 364, 365).


Entscheidung

95. BGH 2 StR 186/14 – Beschluss vom 5. November 2014 (LG Darmstadt)

Unerlaubtes bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Begriff der Bande; Begriff des Handeltreibens: Weiterbeförderung von Rauschgifterlösen an Hintermänner).

§ 30a Abs. 1 BtMG

1. Nicht jeder Beteiligte an einer Bandentat ist hierdurch schon Bandenmitglied; Bandenmitgliedschaft und Beteiligung an Bandentaten sind unabhängig voneinander zu beurteilen.

2. Die bloße Weiterbeförderung von Rauschgifterlösen an Hintermänner gehört nicht ohne Weiteres zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, mögen diese auch – als Lieferanten der Letztverkäufer – ihrerseits Ansprüche gegen diese haben. Dies ist nur dann anders, wenn der Weiterbeförderer mittäterschaftlich in ein eingespieltes Bezugs- und Vertriebssystem eingebunden ist und die Beförderung des Geldes in diesem Rahmen erfolgt (vgl. BGH StV 1992, 161).


Entscheidung

97. BGH 2 StR 54/14 – Urteil vom 26. November 2014 (LG Frankfurt a.M.)

Bedingter Tötungsvorsatz (umfassende Gesamtwürdigung durch Tatrichter).

§ 212 Abs. 1 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 StGB

Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Bei der Prüfung, ob ein bedingter Tötungsvorsatz festzustellen ist, hat das Tatgericht eine umfassende Gesamtwürdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 341, 342). Beide Vorsatzelemente müssen zudem durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH NStZ 2012, 443, 444).