HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 106
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 342/14, Beschluss v. 03.12.2014, HRRS 2015 Nr. 106
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 22. April 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen A 2, B 9, 10, 11, 19, 20, 21, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, jedoch können in den Fällen B 9, 10, 11, 19, 20, 21, 25, 26, 28, 29, 30, 31 der Urteilsgründe die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben;
b) im Gesamtstrafen- und Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift, Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an eine andere Person in 14 Fällen und Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift (§ 184b Abs. 4 StGB) im Fall A 2 der Urteilsgründe und wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an eine andere Person im Fall B 24 der Urteilsgründe (§ 184b Abs. 2 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Urteilsgründe nicht belegen, dass die tatgegenständlichen Bilder die sexuelle Handlung (§ 184g Nr. 1 StGB) von einem Kind zum Gegenstand haben.
a) Nach den Feststellungen fertigte der Angeklagte am 7. Mai 2013 von der siebenjährigen V. S. zwei Fotos, als diese nackt mit ihrem Bruder in einem Planschbecken badete. Dabei fotografierte er zweimal eine Szene, in der sie mit gespreizten Beinen eine Frontalansicht bot. Bei der ersten Gelegenheit befindet sie sich in einer halb liegenden Position. Das eine Bein hat sie aufgestellt, während das andere Bein angewinkelt am Boden liegt, sodass ihr Geschlechtsteil aus der Kameraperspektive voll sichtbar ist. Bei der zweiten Gelegenheit liegt V. S. auf dem Rücken. Ihre linke Schulter und ihre linke Seite sind leicht erhoben. Anscheinend setzt sie sich gerade auf oder legt sich aus sitzender Position hin. Ihr rechtes Bein liegt leicht nach rechts abgewinkelt auf dem Boden, der linke Oberschenkel ist gerade ausgestreckt, mit der Folge, dass ihr Geschlechtsteil auch hier aus der Kameraperspektive gut sichtbar ist (Fall A 2 der Urteilsgründe). Am 5. September 2013 übersandte der Angeklagte mittels seines Computers eine dieser Fotografien an eine unbekannt gebliebene andere Person (Fall B 24 der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die von dem Angeklagten gefertigten Bilder als "pornografisch" bewertet, weil ihr alleiniger Zweck die Zurschaustellung des Geschlechtsteils des zur Tatzeit sieben Jahre alten Kindes gewesen sei und es sich nicht um eine zufällige Aufnahme gehandelt habe (UA 61 f.).
b) Diese Wertung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes ist Kinderpornografie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB. Tatobjekte sind nur pornografische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Zu den sexuellen "Handlungen" von Kindern gehört zwar nach der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2008, S. 2149) auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung (BGH, Urteil vom 16. Januar 2014 - 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220, 221; Beschluss vom 21. November 2013 - 2 StR 459/13, NStZ-RR 2014, 108; Beschluss vom 16. März 2011 - 5 StR 581/10, NStZ 2011, 570, 571; Ziegler in: BeckOK, StGB, § 184b Rn. 4; MüKo-StGB/Hörnle, 2. Aufl., § 184b Rn. 17; Röder, NStZ 2010, 113, 116 f.; vgl. auch BT-Drucks. 16/3439, S. 9; BT-Drucks. 16/9646, S. 2, 17). Voraussetzung ist aber, dass die von dem Kind eingenommene Körperposition objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2008 - 4 StR 373/08, NStZ 2009, 29; Urteil vom 20. Dezember 2007 - 4 StR 459/07, NStZ-RR 2008, 339, 340 mwN). Körperpositionen, die sich bei einem Handlungsablauf ohne eindeutigen Sexualbezug (z.B. Körperpflege, An- oder Umkleiden, Sport, Spiel etc.) naturgemäß ergeben sind auch dann keine sexuellen Handlung von Kindern im Sinne von § 184b Abs. 1 StGB in der derzeitigen Fassung, wenn sie für Bildaufnahmen zu pornografischen Zwecken ausgenutzt werden.
Die Feststellungen belegen nicht, dass V. S. in den Momenten, in denen sie von dem Angeklagten fotografiert wurde, ihr Geschlechtsteil "zur Schau gestellt" und damit eine Handlung vorgenommen hat, die ihrem äußerem Erscheinungsbild nach einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Möglich erscheint auch, dass der Angeklagte lediglich für seine Zwecke günstige Momente im natürlichen Bewegungsablauf des badenden Kindes dazu ausgenutzt hat, um dessen Geschlechtsteil aufzunehmen. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Die Verurteilung wegen real konkurrierender Taten der Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift gemäß § 184b Abs. 4 StGB in den Fällen B 9, 10 und 11 der Urteilsgründe und Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an eine andere Person gemäß § 184b Abs. 2 StGB in den Fällen B 19, 20, 21, 25, 26, 28, 29, 30 und 31 hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Bei der Übersendung und dem Empfang mehrerer kinderpornografischer Bild- oder Videodateien über das Internet liegt nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn vor, wenn der Täter mehrere Dateien während eines einheitlichen Kommunikationsvorganges herunterlädt oder versendet (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 4 StR 258/13, Rn. 14, insoweit in BGHSt 59, 28, NJW 2013, 3528 und NStZ 2014, 34 nicht abgedruckt; Beschluss vom 10. Juli 2008 - 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208; MüKo-StGB/Hörnle, 2. Aufl., § 184b Rn. 48). Lassen sich dazu keine eindeutigen Feststellungen treffen, ist das Geschehen nach dem Zweifelsgrundsatz als eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1983 - 3 StR 110/83, NStZ 1983, 364, 365).
b) Danach wird in den angeführten Fällen die Annahme materiell-rechtlich selbstständiger Taten von den Urteilsfeststellungen nicht getragen.
Die Fälle B 9, 10 und 11 betreffen das Herunterladen und Speichern von drei kinderpornografischen Bilddateien in einem Zeitfenster von zwei Stunden. In den Fällen B 19, 20 und 21 übermittelte der Angeklagte innerhalb von 22 Minuten drei Dateien mit kinderpornografischem Inhalt an denselben Empfänger. Die Fälle B 25 und B 26 beziehen sich auf die Übersendung von zwei kinderpornografischen Bilddateien an denselben Kommunikationspartner in einem Abstand von vier Minuten. In den Fällen B 28 bis 31 wurden vier kinderpornografische Bild- und Videodateien innerhalb von 24 Minuten an denselben Empfänger versandt. Nähere Feststellungen zur Dauer und zum Verlauf der Internetsitzungen des Angeklagten hat das Landgericht nicht getroffen. Es bleibt daher offen, ob dem Empfang oder der Versendung der kinderpornografischen Dateien in den angeführten Sequenzen jeweils nur ein einheitlicher oder mehrere getrennte Kommunikationsvorgänge zugrunde lagen. Angesichts des nur geringen zeitlichen Abstands zwischen den einzelnen Übertragungen ergibt sich in diesen Fällen die vom Landgericht angenommene (materiell-rechtliche) Selbstständigkeit auch nicht von selbst.
Die Sache bedarf daher auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können dabei jedoch bestehen bleiben.
3. Die Teilaufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Da das Landgericht die von der Aufhebung betroffenen Fälle A 2 (Einzelstrafe: ein Jahr und vier Monate Freiheitsstrafe) und B 24 (Einzelstrafe: ein Jahr Freiheitsstrafe) als Anlasstaten für die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung herangezogen hat, verliert damit auch die Maßregelanordnung ihre Grundlage.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin: Sollte der neue Tatrichter zu der Auffassung gelangen, dass mehrere der im ersten Rechtsgang als materiell-rechtlich selbstständige Taten ausgeurteilten Fälle des Empfangs oder des Versendens von kinderpornografischen Dateien nach § 184b Abs. 2 oder 4 StGB zu einer Tat im Rechtssinn zusammenzufassen sind, steht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) bei der Neufestsetzung der Einzelstrafe einer Erhöhung der höchsten im ersten Rechtsgang für diese Taten verhängten Einzelstrafe nicht entgegen. Allerdings darf die Summe der neuen und der verbleibenden Einzelstrafen ebenso wenig zum Nachteil des Angeklagten verändert werden, wie die neu zu bestimmende Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1995 - 3 StR 346/95, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 7). Soweit es wiederum zu einer Prüfung der materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 Satz 1 StGB kommen sollte, wird zu beachten sein, dass zulässiges Verteidigungsverhalten, wie das Bagatellisieren der Anlasstaten, weder bei der Prüfung des Hangs noch im Rahmen der Gefahrenprognose zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden darf (BGH, Beschluss vom 21. August 2014 - 1 StR 320/14, Rn. 7; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 106
Externe Fundstellen: StV 2015, 494
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel