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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2009
10. Jahrgang
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1. Die Annahme, die Verwurzelung in einem archaischen Wertesystem spräche bei Gewalttaten gegenüber einer Frau grundsätzlich für einen minder schweren Fall, ist rechtsfehlerhaft.
2. In die Prüfung eines solchen Falles ist einzubeziehen, ob die in Rede stehenden Verhaltensweisen im Heimatland des Täters (seiner Familie) tatsächlich gestattet oder tatsächlich strafbar sind. Es muss nicht erst auf den Zeitpunkt abzustellen sein, ab dem der Angeklagten bereits in Deutschland lebte.
3. Es kann auch dahinstehen, ob ein menschenunwürdiger Umgang mit einer Frau den Vorstellungen der ethnischen Gruppe, der der Angeklagte angehört, über das Zusammenleben in einer Familie entspricht.
1. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf auch bei der Prüfung einer möglichen Sicherungsverwahrung nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urt. vom 20. November 2007 - 1 StR 442/07 m.w.N.). Zu Lasten eines Angeklagten darf hier auch nicht herangezogen werden, dass die Therapie vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gegen den weitgehend bestreitenden Angeklagten eine Auseinandersetzung mit den ihm vorgeworfenen Taten vermissen lasse. Die berührt das Schweigerecht des Angeklagten und bei entsprechender Ausrichtung der Therapie den Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare.
2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dies unterliegt zwar nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass sich der Tatrichter seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war; sie müssen auch nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (BGH, Beschl. vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02 m.w.N.). Die revisionsrechtliche Überprüfung erstreckt sich dann vor allem darauf, ob der Tatrichter bei der Ermessensausübung von einem zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Ansatz ausgegangen ist.
3. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen dieser Ermessensentscheidung grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Es besteht zwar keine Vermutung dahingehend, dass langjährige, erstmalige Strafverbüßung stets zu einer Verhaltensänderung führen wird. Je länger die verhängte Freiheitsstrafe und je geringer die bisherige Erfahrung des Täters mit Verurteilung und Strafvollzug ist, desto mehr muss sich der Tatrichter aber mit diesen Umständen auseinandersetzen (BGH aaO). Von vorneherein offen lassen kann er dies jedenfalls nicht.
1. Erteilt der Tatrichter einem psychiatrischen Sachverständigen durch Beschluss den Gutachtenauftrag, „auch zur Frage der Sicherungsverwahrung Stellung zu nehmen“, so ist damit der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 und 2 StPO für die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht genügt.
2. Zwar kann auch in der gerichtlichen Anordnung eines Gutachtens zur Frage der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grundsätzlich ein Hinweis im Sinne des § 265 StPO liegen. Dafür muss der die Beweisanordnung enthaltende Beschluss dem Angeklagten aber eindeutig erkennbar machen, auf welche Maßregel das Gericht möglicherweise zu erkennen gedenkt. Dem genügt die allgemein gehaltene ergänzende Beauftragung eines Sachverständigen „zur Frage der Sicherungsverwahrung“ vor dem Hintergrund der bei § 66 StGB zu wahrenden Formenstrenge nicht. Denn angesichts seiner sich deutlich unterscheidenden Anordnungstatbestände lässt sich einem so unspezifizierten Hinweis nicht entnehmen, welche Variante für das Gericht in Betracht kommt.
1. Für den Täter-Opfer-Ausgleich bedarf es insbesondere bei schweren Gewaltdelikten regelmäßig eines Geständnisses (vgl. BGHSt 48, 134, 141). Hinzukommen muss ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer. Dieser ist jedenfalls dann erfolgreich, wenn das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (vgl. BGHSt aaO 142). Schließlich wird verlangt, dass das Verhalten des Täters im Verfahren Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und erkennbar wird, dass er die Opferrolle respektiert, so dass der Konflikt über die Rollenverteilung von Täter und Opfer beendet ist (vgl. BGHSt aaO 141).
2. Diese Anforderungen sind in einem Fall, in dem sich der Angeklagte in einer durch das Opfer verursachten Notwehrlage befand, abzuwandeln. Da der Angeklagte somit zunächst selbst Ziel eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs war, ist seine geäußerte Einschätzung, eigentlich gehöre der Geschädigte auf die Anklagebank, rechtlich dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Hierin liegt nicht ohne Weiteres ein Bestreiten der (späteren) Opferrolle. Soweit sich der Angeklagte mehrfach als unschuldig bezeichnet, kann dies seinem Verteidigungsvorbringen entspringen, er habe im Tatzeitpunkt „unglaubliche und panische Angst“ gehabt. Hiermit aber rekurrierte er auf die Voraussetzungen des § 33 StGB, der im Falle seiner Anwendung zur Straflosigkeit infolge fehlender Schuld geführt hätte. Durch das Abzielen auf diesen persönlichen Schuldausschließungsgrund wird die Opferrolle des späteren Opfers auch dann nicht in Frage gestellt, wenn die Angst zu Unrecht behauptet worden war.
Auch bei Sexualdelikten ist die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Das Tatgericht darf nicht von der allgemeinen Erwägung ausgehen, dass die Erfolgsaussichten bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung deliktstypisch deutlich reduziert seien und damit Zweifel aufkommen lassen, ob er das ernsthafte Wiedergutmachungsstreben des Täters ernsthaft geprüft und erkannt hat.
1. Neben der positiven Feststellung eines länger andauernden Defekts, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet, setzt die Maßregelanordnung die Begehung einer oder mehrerer rechtswidriger Taten in diesem Zustand voraus, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen sind, mit diesem also in einem symptomatischen Zusammenhang stehen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 15).
2. Gemäß § 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 261 StPO hat das erkennende Gericht die zur Urteilsgrundlage gemachten Feststellungen in einer geschlossenen Darstellung niederzulegen und erschöpfend zu würdigen. Gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen dürfen – mit Ausnahme des in § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO geregelten Falles – nicht durch Bezugnahmen ersetzt werden, weil sonst eine revisionsgerichtliche Kontrolle nicht möglich ist (BGH NStZ 2007, 478; BGH, Beschluss vom 25. November 2003 – 3 StR 405/03).
3. Einer Wiedererkennungsleistung, welche den anerkannten kriminalistischen Standards ersichtlich nicht entspricht (hier: Wiedererkennung des allein in einer Verwahrzelle schlafenden Angeklagten) kommt nur ein geminderter und daher erörterungsbedürftiger Beweiswert zu.
4. Die ICD-10 zählt lediglich Erkrankungen und Verhaltensstörungen auf und ordnet sie ein. Eine Aussage dahin, dass die Schuldfähigkeit eines Täters im Sinne der §§ 20, 21 StGB berührt ist, trifft sie nicht. Die Aufnahme eines bestimmten Krankheitsbildes in den Katalog entbindet den Tatrichter nicht davon, konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen und ihre Auswirkungen auf die Tat darzulegen. Auch wenn der Sachverständige, wie im vorliegenden Fall, in seiner Diagnose vom Vollbild der Schizophrenie ausgeht, ist dies nicht zwangsläufig mit einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit im konkreten Fall verbunden (BGH, Beschluss vom 3. Juli 1991 – 3 StR 69/91). Deshalb ist es regelmäßig unerlässlich, sich auch mit dem konkreten Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat auseinanderzusetzen (BGH NStZ 1997, 383).
1. Nötigt die Zäsurwirkung einer einzubeziehenden Verurteilung zur Bildung mehrerer Gesamtstrafen, so muss das Gericht einen sich daraus möglicherweise für den Angeklagten ergebenden Nachteil infolge eines zu hohen Gesamtstrafübels ausgleichen.
2. Kommt eine Zäsur, die zur Bildung von zwei nachträglichen Gesamtstrafen nötigt, durch einen im Verantwortungsbereich der Justiz liegenden Umstand (etwa die ganz ungewöhnliche Dauer eines Berufungsverfahrens) zustande, während bei gewöhnlichem Lauf der Dinge keine Zäsurwirkung anzunehmen gewesen wäre, so bedarf dieser Umstand der Erörterung und Berücksichtigung bei der Bemessung der Gesamtstrafen.
Liegen die Tatzeitpunkte neu abzuurteilender Taten zwischen mehreren nach § 460 StPO auf eine Gesamtstrafe zurückzuführenden Verurteilungen, so darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet wer-
den. Denn bereits die erste, mit den neuen Taten nicht gesamtstrafenfähige Vorverurteilung bildet eine Zäsur.
1. Schon ein Zusammentreffen durchschnittlicher und einfacher Milderungsgründe kann die Bedeutung besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB haben.
2. Der Umstand, dass bereits der weit überwiegende Teil (etwa: sechs Siebtel) der erkannten Freiheitsstrafe verbüßt ist, erlangt maßgebliche Bedeutung bei der im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB gebotenen Beurteilung, ob die Strafaussetzung nicht unangebracht erscheint und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderläuft.
Bei der nachträglichen Bildung der Gesamtstrafe bedarf es keines Ausspruchs über die Aufrechterhaltung der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Einziehung des Führerscheins, auf die in einer Vorverurteilung erkannt wurde, weil diese Rechtsfolgen unmittelbar mit der Rechtskraft des Erkenntnisses wirksam wurden und sich deshalb erledigt haben.