HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2009
10. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Strafzumessung bei Kettengeschäften

Anmerkung zu BGH HRRS 2009 Nr. 565

Regierungsdirektor Stefan Rolletschke, Alfter/Köln

Die BGH-Entscheidung (1 StR 342/08 = BGH HRRS 2009 Nr. 565 ) enthält zwar keine bahnbrechenden Neuigkeiten. Interessant ist die umfassende steuerstrafrechtliche Aufarbeitung von "Kettengeschäften" aber allemal.

I. Vereinfachter Sachverhalt des Besprechungsfalles

Um den durch das LG festgestellten Sachverhalt und die Entscheidungsgründe einfacher verstehen zu können, wird der Besprechungsfall nachfolgend anhand einer einzigen (Schein-)Lieferkette beispielhaft dargestellt und steuer- sowie strafrechtlich bewertet.

Der ursprüngliche Halter H besitzt ein Gebrauchtfahrzeug, das tatsächlich 100.000 € wert ist. Dieses verkauft er für 60.000 € zzgl. 11.400 € USt an einen Erstankäufer E. Die Wertdifferenz in Höhe von 40.000 € erhält H "schwarz" von E.[1] E verkauft das Fahrzeug für 130.000 € zzgl. 24.700 € weiter an einen Zwischenhändler Z. Der wiederum veräußert weiter an J für 150.000 € zzgl. 28.500 €. J seinerseits verkauft das Fahrzeug umsatzsteuerfrei ins EU-Ausland für 170.000 €. Tatsächlich trifft J die Entscheidung, welches Fahrzeug von H angekauft wird. Das Fahrzeug wird unmittelbar von H an J geliefert.

J erklärt gegenüber dem Finanzamt USt-freie innergemeinschaftliche Lieferungen (170.000 €) und lässt sich die ihm von Z gesondert in Rechnung gestellte USt (28.500 €) vergüten. Z deklariert seinen Umsatz (150.000 €), zieht von der darauf entfallenden USt (28.500 €) aber die Vorsteuer ab, die in seiner Eingangsrechnung gesondert ausgewiesen ist (24.700 €). Die sich ergebende Zahllast (28.500 € - 24.700 € = 3.800 €) führt er an das Finanzamt ab. E gibt indes weder eine Steuervoranmeldung ab, noch entrichtet er die von ihm rechnungsmäßig geschuldete USt (24.700 € - 11.400 € = 13.300 €).

Das LG verurteilt J wegen USt-Hinterziehung in Höhe von 7.600 € (19%ige USt auf die "schwarz" von E an H bezahlte Wertdifferenz in Höhe von 40.000 €). Diesen Betrag legt das LG auch seiner Strafzumessung zu Grunde.

II. Tatbestandsmäßigkeit

Wenn man jede einzelne Scheinlieferung (H an E, E an Z und Z an J) für sich betrachtet, könnte man zunächst auf den Gedanken kommen, weder J noch Z hätten Steuerhinterziehungen begangen. Vielmehr haben sie ihre Umsätze ja gerade gegenüber den Finanzbehörden erklärt. Dabei würde aber verkannt werden, dass es sich im Sachverhalt der Besprechungsentscheidung nicht um gutgläubige fremde Dritte handelt, die das Fahrzeug tatsächlich in Kette weitergeliefert haben. Vielmehr haben die Beteiligten dolos zusammengearbeitet und nur eine echte Lieferung (H an J) bewirkt. Die "Zwischenlieferungen" sind als bloße Scheinlieferungen zu qualifizieren.

Dieser Umstand führt u.a. dazu, dass J der Vorsteuerabzug aus der Eingangsrechnung des Z zu versagen ist. Zum Vorsteuerabzug berechtigt eine ordnungsgemäße Eingangsrechnung nur dann, wenn ihr eine Lieferung eines Unternehmers (hier Z; tatsächlich hat aber H geliefert) an einen anderen Unternehmer (hier J) zu Grunde liegt (§§ 14, 15 UStG). Damit enthält die USt-Voranmeldung des J, mit der er die entsprechende Vorsteuer geltend macht, unrichtige Angaben i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Die Steuerverkürzung beläuft sich insoweit auf die geltend gemachte Vorsteuer (28.500 €).

Entsprechendes gilt für Z, der in seiner USt-Voranmeldung zu Unrecht Vorsteuer aus der Eingangsrechnung des E "zieht" (24.700 €).

E begeht seinerseits durch die Nichterklärung der von ihm angeblich an Z bewirkten Lieferung eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Er verkürzt die von ihm gesondert gegenüber Z ausgewiesene USt (24.700 €), die er als Scheinunternehmer anzumelden hat (§§ 14 Abs. 3 UStG a.F., 14c Abs. 2 UStG n.F.).[2]

III. Strafzumessung

Eine von der Tatbestandsmäßigkeit zu trennende Frage ist die der Strafzumessung. Der 1. Senat stellt insoweit eine "Selbstverständlichkeit" an den Beginn seiner Entscheidungsgründe. Die Höhe der verkürzten Steuer ist ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO. Dies bedeutet freilich nicht, dass bei einer Steuerhinterziehung der beschriebenen Art eine Addition sämtlicher Verkürzungsbeträge zu erfolgen hat. Im Zahlenbeispiel hätte das ansonsten zur Folge, dass sich die Verkürzung auf 28.500 € + 24.700 € + 24.700 € = insgesamt 77.900 € belaufen würde.

Maßgebend sind vielmehr die "verschuldeten Auswirkungen" der Tat" (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB). Diese bestimmen sich aber nach dem vom Vorsatz umfassten, aus dem Gesamtsystem erwachsenen deliktischen Schaden.[3] Sprich: aus einem Vergleich zwischen gezahlter Umsatzsteuer und gezogener Vorsteuer. Im Zahlenbeispiel wurde USt in Höhe von 28.500 € gezahlt (von Z). Dem stehen gezogene Vorsteuern in Höhe von 28.500 € (von J) + 24.700 € (von Z) = insgesamt 53.200 € gegenüber. Per saldo beläuft sich der "Steuerschaden" also auf 24.700 €.

IV. Strafaussetzung zur Bewährung

Mehr oder weniger in Fortschreibung seines "Strafzumessungsgrundsatzurteils" vom 2.12.2008 [4] weist der 1. Senat darauf hin, dass gerade bei einer USt-Hinterziehung der vorliegenden Art die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe geboten sein könne. USt-Hinterziehungen verursachten nicht nur große Steuerausfälle. Die Beteiligung an einem komplexen und aufwändigen Täuschungssystems weise auch Merkmale organisierter Kriminalität auf.


[1] Die Schwarzzahlung ist für die weitergehende Betrachtung ohne Bedeutung. Im Besprechungsfall diente sie wohl nur dazu, auch dem H einen "steuerfreien Gewinn" zu verschaffen.

[2] Vgl. BGH, Beschl. v. 20.2.2001 - 5 StR 544/00, wistra 2002, 220; Rolletschke, Steuerstrafrecht, 3. Aufl. (2009), Rn. 181.

[3] Vgl. BGH, Urt. v. 11.7.2002 - 5 StR 516/01, BGHSt 47, 343 = wistra 2002, 384, Beschl. v. 11.12.2002 - 5 StR 212/02, wistra 2003, 140; Rolletschke, Steuerstrafrecht, 3. Aufl. (2009), Rn. 149.

[4] 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 = wistra 2009, 107 = HRRS 2009 Nr. 127.