HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 554
Bearbeiter: Stephan Schlegel
Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvQ 26/09, Beschluss v. 17.06.2009, HRRS 2009 Nr. 554
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Der Antragsteller ist wegen eines von ihm begangenen Tötungsverbrechens, bei dem er Teile seines Opfers verspeiste, in der Öffentlichkeit als der "Kannibale von Rotenburg" bekannt. Mit Urteil vom Mai 2006 - rechtskräftig seit Februar 2007 - wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, die er derzeit verbüßt. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG möchte er verhindern, dass ein Kinofilm über sein Leben und seine Tat, dessen deutsche Uraufführung alsbald vorgesehen ist, vor Entscheidung über eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gezeigt wird.
Im Jahr 2005 hatte eine in den Vereinigten Staaten ansässige Filmproduktionsgesellschaft auf der Grundlage der Tat des Antragstellers einen Spielfilm produziert, in dem die Lebensgeschichte und die Persönlichkeitsmerkmale des Antragsteller sowie der Hergang seiner Straftat nahezu detailgetreu entsprechend den realen Gegebenheiten dargestellt wurden. Der Antragsteller, der mit einer deutschen Vermarktungsgesellschaft einen Kooperationsvertrag zur exklusiven Verwertung seiner Lebensgeschichte abgeschlossen und in verschiedenen Medien über seine Person und seine Tat Auskunft erteilt hatte, forderte die Produktionsgesellschaft auf, die ursprünglich für März 2006 in Deutschland vorgesehene Vorführung der deutschen Fassung des Spielfilms und dessen weitere Verwertung zu unterlassen. Nachdem dies abgelehnt worden war, nahm der Antragsteller die Produktionsgesellschaft gerichtlich auf Unterlassung der Vorführung und Verwertung des Spielfilms in Anspruch. Das fachgerichtliche Verfahren fand seinen Abschluss in dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Mai 2009 - VI ZR 191/08 -, mit dem die Klage des Antragstellers abgewiesen wurde.
Der Antragsteller beabsichtigt, das Urteil des Bundesgerichtshofs mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, sobald ihm die schriftlichen Entscheidungsgründe vorliegen. Bis zur Entscheidung über die Hauptsache begehrt er den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG, mit der der im Ausgangsverfahren beklagten Produktionsgesellschaft die Vorführung und anderweitige Verwertung des Spielfilms vorläufig untersagt werden soll. Er macht geltend, dass die geplante Filmvorführung ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen würde. Der Film enthalte eine Vielzahl von Szenen, die erkennbar sein Lebensbild nachzeichneten und dabei namentlich seine Intimsphäre beträfen. Dabei gehe es der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht um Aufklärung, sondern um die schockierende Wirkung. An keiner Stelle des Films erfahre der Zuschauer etwas über die Hintergründe menschlichen Kannibalismus. Besonders schwer wiege, dass der Film den Eindruck der Authentizität erwecke, dabei aber zum Zweck der Effekthascherei Einzelheiten abweichend von der Realität wiedergebe - wie etwa die Darstellung der Hauptfigur als homosexuell statt, wie es der tatsächlichen Veranlagung des Beschwerdeführers entspreche, bisexuell. Insgesamt werde das Persönlichkeitsbild des Antragstellers auf das Klischee eines "perversen Lebens" verkürzt. Der Antragsteller werde dabei im Unterhaltungsinteresse zur Erzielung von Horroreffekten instrumentalisiert, die in dem Film mit den typischen Mitteln des Genres erreicht würden.
Hinzu komme die Verletzung des Rechts des Antragstellers am eigenen Bild. Durch den Hauptdarsteller des Films werde das Bild des Antragstellers nachgeahmt. Zwar sei dieser relative Person der Zeitgeschichte. Dennoch sei seine Einwilligung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG nicht entbehrlich gewesen, denn die Beklagte komme mit der Veröffentlichung des Bildes keinem schutzwürdigen Informationsinteresse nach.
Der Umstand, dass der Antragsteller selbst über verschiedene Medien die Öffentlichkeit gesucht habe, stehe seiner Berufung auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht entgegen. Ihm gehe es nicht darum, jede öffentliche Auseinandersetzung mit seiner Tat zu unterbinden, sondern nur die reißerische, unsachliche Befassung mit dem Thema.
Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.> ). Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr).
2. So liegt der Fall hier. Mangels vorliegender Entscheidungsgründe des Revisionsurteils, das der Antragsteller mit seiner zu erhebenden Verfassungsbeschwerde anzugreifen beabsichtigt, lässt sich weder deren Zulässigkeit noch deren Begründetheit derzeit zuverlässig beurteilen. Es ist demnach eine Beurteilung und Abwägung der Folgen geboten, die im Falle des Erfolgs oder Misserfolgs einer Verfassungsbeschwerde einträten. Dabei kann es allerdings auf eine Gegenüberstellung der jeweiligen Folgen nur insoweit ankommen, als die im Fall der Ablehnung einer einstweiligen Anordnung zu erwartenden Nachteile für den Antragssteller isoliert betrachtet als "schwere Nachteile" im Sinne des § 32 BVerfGG einzustufen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. Juli 2000 - 1 BvQ 17/00 -, NJW 2000, S. 2890 m.w.N.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt mithin voraus, dass anderenfalls Folgen eintreten würden, die erstens für sich genommen hinreichend gewichtig sind und zweitens gegenüber den Nachteilen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, die noch mögliche Verfassungsbeschwerde aber keinen Erfolg hätte, überwiegen. Vorliegend fehlt es schon an der erstgenannten Voraussetzung. Die Ausführungen des Antragstellers lassen einen hinreichend gewichtigen Nachteil durch die bei Nichterlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu erwartende Vorführung des Films "Rohtenburg" nicht erkennen.
Soweit der Antragsteller geltend macht, dass der Film seine Biografie und seine Tat unter Wiedergabe zahlreicher zutreffender Details auch aus seinem Intimleben abbilde, liegt hierin schon deshalb kein schwerer Nachteil, weil davon auszugehen ist, dass diese Informationen einer breiten Öffentlichkeit ohnehin bereits bekannt und - im Hinblick auf die zeitliche Nähe des Abschlusses des Strafverfahrens gegen den Antragsteller - auch noch aktuell bewusst sind. Dies folgt zum einen aus dem großen öffentlichen Aufsehen, das die beispiellose Straftat des Antragstellers und ihre Würdigung durch die Strafgerichte erregt haben, zum anderen aber daraus, dass der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben selbst in vielfältiger Weise die Öffentlichkeit gesucht und namentlich sowohl an einem Buchprojekt als auch an einer Fernsehsendung über seine Tat und sein Leben mitgewirkt hat. Da der Antragsteller noch mehrere Jahre in Strafhaft wird verbringen müssen, ist auch eine Beeinträchtigung seines Resozialisierungsinteresses nicht ersichtlich.
Dasselbe gilt für die vom Antragsteller befürchtete Verletzung seines Rechts am eigenen Bild. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass die Vorführung eines Filmes - in dem der Antragsteller durch einen ihm ähnlich sehenden Schauspieler dargestellt wird - ihn schwer in rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigen könnte, nachdem er selbst freimütig an der Veröffentlichung von ihn zeigenden Fotos in der Presse mitgewirkt hat und auch ein Buch autorisiert hat, das auf dem Umschlag eine Portraitaufnahme des Antragstellers trägt. Soweit der Antragsteller außerdem anführt, dass das Drehbuch des Films trotz seiner großen Realitätsnähe einzelne Darstellungen enthalte, die unzutreffend seien, zeigt auch dies keinen besonders schweren Nachteil auf. Bei den in der Antragsschrift genannten Fehldarstellungen handelt es sich um lediglich geringfügige Abweichungen von der Wirklichkeit, die eine gegenüber der Wiedergabe der wahren Umstände gesteigerte Rufbeeinträchtigung nicht befürchten lassen.
Schließlich liegt auch in der vom Antragsteller gerügten Aufbereitung seiner Lebensgeschichte mit den Mitteln eines Horrorfilms jedenfalls kein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender schwerer Nachteil. Zwar mag der Einsatz der genretypischen Stilmittel dazu führen, dass der Antragsteller durch die Kinozuschauer als eine Person wahrgenommen wird, die monströse, furchteinflößende Persönlichkeitszüge trägt. Indes ist zu berücksichtigen, dass bereits ein neutraler Bericht über die Tat des Antragstellers geeignet wäre, derartige Reaktionen auszulösen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Akzentuierung dieses Geschehens als Schauergeschichte diesen Effekt in einer die Persönlichkeitsbelange des Antragstellers erheblich zusätzlich belastenden Weise steigern wird.
Der Wunsch des Antragstellers, dass seine Tat nur behutsam und unter sachlicher Würdigung ihrer Beweggründe dargestellt werden möge, vermag das Fehlen eines schweren Nachteils nicht zu kompensieren.
3. Mangels Erfolgsaussicht des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 554
Bearbeiter: Stephan Schlegel