HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2009
10. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Der unrichtige Feststellungsbescheid als nicht gerechtfertigter Steuervorteil

Besprechung zu BGH 1 StR 322/08 – Beschluss v. 10. Dezember 2008 (BGH HRRS 2009 Nr. 68).

Von Susanne Claus, Rechtsreferendarin in Berlin

I. Einleitung

Nach dem Wechsel der Zuständigkeit in Steuer- und Zollstrafsachen vom fünften zum ersten Strafsenat zum 1. Juni 2008 hat der nunmehr zuständige erste Senat binnen kurzer Zeit schon mehrere, seit Jahren kontrovers diskutierte Streitfragen des Steuerstrafrechts geklärt. Dies betrifft neben der öffentlichkeitswirksamen Entscheidung zum "großen Ausmaß" im Sinne des § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO, die für die Strafzumessung bei Steuerhinterziehung eine große Rolle spielt,[1] etwa auch die Frage, welches Deliktsstadium der Steuerhinterziehung ein Täter verwirklicht, der mittels unwahrer Angaben in der Feststellungserklärung den Erlass eines unrichtigen Feststellungsbescheides bewirkt.[2] Das Meinungsspektrum in der Literatur reichte hier von der Annahme einer straflosen Vorbereitungshandlung[3] über eine versuchte Steuerhinterziehung[4] bis hin zur Annahme der Vollendung[5] bzw. Beendigung[6] der Tat. Bedeutung hat die genaue Einordnung einerseits wiederum für die Strafzumessung (§ 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB), andererseits aber auch für den Beginn der Verjährung (§ 78a StGB). Im Beschluss vom 10. Dezember 2008 hat der 1. Strafsenat zu den einzelnen Konsequenzen nicht ausdrücklich Stellung genommen, die Rechtsfrage aber – obiter dicta – dahingehend entschieden, dass der unrichtige Feststellungsbescheid als nicht gerechtfertigter Steuervorteil im Sinne der zweiten Taterfolgsalternative des § 370 Abs. 1 AO anzusehen sei.[7] Im Folgenden sollen nicht nur die Lösung des BGH als solche, sondern auch die je nach Fallgestaltung für den Täter entstehenden Rechtsfolgen näher untersucht werden.

II. Steuerliche Besonderheiten des Feststellungsverfahrens

Das Verfahren zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß §§ 179 ff. AO dient in erster Linie der Vereinheitlichung von Sachverhalten, bei denen unterschiedliche steuerliche Ergebnisse mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen nur schwer in Einklang zu bringen wären.[8] Den Hauptanwendungsfall bildet die Ermittlung von Einkünften, an denen mehrere Personen beteiligt sind, sofern diesen Personen die Einkünfte auch steuerlich zuzurechnen sind (§ 180 Abs. 1 Nr. 2a AO). Mit der einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen durch das Betriebsfinanzamt wird sichergestellt, dass etwa die einzelnen Gesellschafter einer Personengesellschaft, die nach allgemeinen Grundsätzen jeweils einzeln von ihrem Wohnsitzfinanzamt zu veranlagen wären, steuerlich nicht unterschiedlich behandelt werden. Zugleich hat die gesonderte Feststellung erhebliche verfahrensökonomische Vorteile, da die Besteuerungsgrundlagen auf diesem Wege nur einmal und nicht für alle Beteiligten einzeln ermittelt werden müssen.[9] Besonders deutlich werden diese Vorzüge am Beispiel der – auf die Erzielung von abschreibungsfähigen Verlusten angelegten – Publikumsgesellschaften,[10] die häufig in der Rechtsform der GmbH

& Co.KG betrieben werden und nicht selten eine Anzahl von mehreren hundert Kommanditisten umfassen. Das Betriebsfinanzamt stellt hier die steuerbaren Einkünfte der Gesellschaft dem Grunde und der Höhe nach fest und nimmt eine Zurechnung zu den jeweiligen steuerpflichtigen Gesellschaftern vor.[11] Über das Ergebnis der Feststellungen ergeht ein Feststellungsbescheid, der – in der Regel ausschließlich – einem von den Feststellungsbeteiligten bestimmten Empfangsbevollmächtigten (vgl. § 183 AO) bekannt gegeben wird.

Nach Erlass des Feststellungsbescheides schließt sich in einem zweiten Schritt das eigentliche Steuerfestsetzungsverfahren an. Der Inhalt des Feststellungsbescheides wird über behördeninterne Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter der einzelnen Feststellungsbeteiligten weitergeleitet.[12] Damit ist eine Erklärung des einzelnen Gesellschafters zu diesen Einkünften in der Einkommensteuererklärung zwar nicht entbehrlich.[13] Die den Gesellschafter betreffenden Gewinne oder Verluste werden in der Praxis jedoch auch von Amts wegen berücksichtigt, wenn der Gesellschafter keine Angaben dazu macht oder machen kann, etwa, weil ihm der Feststellungsbescheid vom Empfangsbevollmächtigten noch nicht übermittelt worden ist.[14] Die Finanzbeamten der Wohnsitzfinanzämter müssen die im Feststellungsverfahren gesondert ermittelten Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensteuerveranlagung grundsätzlich ungeprüft heranziehen.[15] Nach § 182 Abs. 1 S. 1 AO ist der Feststellungsbescheid als Grundlagenbescheid für alle Folgebescheide bindend. Macht der Erklärungspflichtige in der Feststellungserklärung unrichtige Angaben und bewirkt dadurch einen unrichtigen Feststellungsbescheid, so führt dies in aller Regel auch zu unrichtigen Steuerfestsetzungen auf der Ebene der einzelnen Feststellungsbeteiligten. Diese Folge tritt bei einem regelhaften Ablauf innerhalb der Verwaltung, also bei ordnungsgemäßer Weiterleitung des Inhalts des Feststellungsbescheids vom Betriebsfinanzamt an die Wohnsitzfinanzämter und anschließender Berücksichtigung der Feststellungen im Festsetzungsverfahren, sogar zwangsläufig ein.[16]

Diese steuerlichen Besonderheiten des zweistufigen Verfahrens einerseits und der Bindungswirkung des Feststellungsbescheides andererseits bilden letztlich den Grund für die unterschiedlichen Auffassungen zum Beginn der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung im Steuerstrafrecht.

III. Frühe Vollendung der Steuerhinterziehung

Für den Fall der Abgabe einer unrichtigen Feststellungserklärung hat der 1. Strafsenat nunmehr klargestellt, dass der Täter den Tatbestand der Steuerhinterziehung bereits mit der Erlangung des Feststellungsbescheides voll verwirklicht hat. Der unrichtige Feststellungsbescheid selbst bewirke zwar noch keine Steuerverkürzung im Sinne der ersten Taterfolgsalternative des § 370 Abs. 1 AO. Mit dem Feststellungsbescheid habe der Steuerpflichtige aber einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil im Sinne der zweiten Alternative des § 370 Abs. 1 AO erlangt.[17] Im Gegensatz zu den "herkömmlichen" Fällen der Steuerhinterziehung, in denen die Vollendung der Tat erst mit der Festsetzung einer zu niedrigen Steuer eintritt und die Zeitspanne zwischen der Abgabe der unrichtigen Erklärung und der Steuerfestsetzung dem Versuchsstadium angehört,[18] ist die Tat mit dem Erwirken des Feststellungsbescheids vergleichsweise früh vollendet. Dies wirkt sich insbesondere in den Fällen zu Lasten des Täters aus, in denen eine Umsetzung des Feststellungsbescheides in den Einkommensteuererklärungen unterbleibt, etwa, weil eine Weiterleitung des Feststellungsbescheides an die Wohnsitzfinanzämter (noch) nicht erfolgt ist oder die Angaben noch vor der Veranlagung der einzelnen Feststellungsbeteiligten berichtigt werden. Für den Täter kommt hier eine Strafmilderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB ebenso wenig in Betracht wie ein – von der strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 AO zu unterscheidender[19] – strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 StGB. Ausgehend von der Prämisse, dass das Strafrecht jeweils konkrete Rechtsgüter vor Gefährdung bzw. Verletzung schützen soll,[20] stellt sich jedoch die Frage, ob das Bewirken eines unrichtigen Feststellungsbescheides tatsächlich schon eine vollendete Steuerhinterziehung darstellt.

1. Steuerverkürzung und nicht gerechtfertigter Steuervorteil

Eine Steuerverkürzung liegt nach der Legaldefinition des § 370 Abs. 4 S. 1 AO vor, wenn die Steuern nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Dies gilt nach dem Gesetz unabhängig davon, ob die Festsetzung der Steuer nur vorläufig (§ 165 AO), unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) oder als Steueranmeldung (§§ 167, 168 AO) erfolgt. Die Steuer wird in der Praxis in der Regel nicht endgültig festgesetzt, damit die Möglichkeit einer – der hohen Fehleranfälligkeit der Steuerverwaltung als Massenverwaltung Rechnung tragenden – Korrektur des Steuerbescheides verbleibt.[21]

Demgegenüber ist der Begriff des "nicht gerechtfertigten Steuervorteils" im Gesetz nicht näher definiert. Auch in der Literatur lässt sich keine eindeutige Definition des "Steuervorteils" – dessen inhaltliche Konkretisierung schon im materiellen Steuerrecht Schwierigkeiten bereitet – ausmachen.[22] Zum Teil wird statt einer inhaltlichen Bestimmung daher eine Abgrenzung nach Verfahrensabschnitten vorgeschlagen: Die Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile sei nur im Erhebungs- und Beitreibungsverfahren, nicht aber im Festsetzungsverfahren, das auf die erste Taterfolgsvariante der "Steuerverkürzung" hinauslaufe, möglich.[23] Auch diese Einteilung hilft jedoch nicht weiter, wenn es – wie vorliegend – um die Klassifizierung von Vorteilen geht, die der Steuerpflichtige im Vorfeld der eigentlichen Steuerverkürzung erlangt und bei denen zudem fraglich ist, welchem Verfahrensabschnitt sie angehören.[24] Die Schwierigkeiten bei der Begriffsbestimmung können jedenfalls nicht dazu führen, dass alles, was in irgendeiner Weise für den Steuerpflichtigen vorteilhaft wirkt und nicht dem Begriff der Steuerverkürzung, also der unrichtigen Festsetzung der Steuer unterfällt, einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil darstellt. Vielmehr müssen die beiden Taterfolgsalternativen von ihrem materiellen Unrechtsgehalt her vergleichbar sein, d.h. der nicht gerechtfertigte Steuervorteil muss zu einer gleichartigen Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts führen wie die Steuerverkürzung.

2. Gefährdung des Steueraufkommens

Geschütztes Rechtsgut des § 370 AO ist das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommen.[25] Das Gesetz stellt dabei in der Taterfolgsalternative der Steuerverkürzung nicht lediglich das bloße Nichtzahlen der Steuern, sondern bereits die unrichtige oder nicht rechtzeitige Festsetzung des Steueranspruchs unter Strafe. Darin liegt, im Vergleich zu einer an den eigentlichen und endgültigen Schadenseintritt anknüpfenden Strafbarkeit, eine graduelle Vorverlagerung des tatbestandsmäßigen Unrechts in ein bloßes Gefährdungsstadium. Diese Vorverlagerung gleicht jedoch derjenigen, die bei anderen Vermögensdelikten wie etwa dem Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB dadurch entsteht, dass Rechtsprechung und herrschende Lehre für das Merkmal des Vermögensschadens eine konkrete Vermögensgefährdung als ausreichend erachten.[26] Das verwirklichte Unrecht der Steuerhinterziehung entspricht damit im Hauptanwendungsfall der Steuerverkürzung regelmäßig dem typischen Unrecht bei den sonstigen – auf Täuschung basierenden – Vermögensdelikten. Mangels eines qualitativen Unterschieds kann somit auch offen bleiben, ob die Steuerhinterziehung aufgrund der Vorverlagerung der Strafbarkeit in das Gefährdungsstadium ein bloßes "Gefährdungsdelikt" ist[27] oder aufgrund der Parallele zum Betrug als "Verletzungsdelikt" bezeichnet werden muss[28]. Maßgeblich ist allein der Grad der Gefährdung des geschützten Rechtsguts, nämlich die spezifische "Nähe" zum endgültigen Schadenseintritt.

In der Taterfolgsalternative der Steuerverkürzung ist diese Nähe mit der konkreten Bezifferung der Höhe des aller Wahrscheinlichkeit nach eintretenden Schadens im Steuerbescheid gegeben.[29] Ebenfalls bekannt oder zumindest bestimmbar ist das Ausmaß der voraussichtlichen Schädigung des Steueraufkommens bei den im Schrifttum beispielhaft als nicht gerechtfertigte Steuervorteile angeführten erschlichenen Steuervergütungen, den Stundungsverfügungen (§ 222 AO) – hier in Höhe des Zinsvorteils – oder etwa dem Erlass (§ 227 AO).[30] Der Feststellungsbescheid als solcher lässt dagegen regelmäßig noch keine Schlüsse zu, wann und in welcher Höhe das Steueraufkommen konkret geschädigt wird.[31] Sowohl der Zeitpunkt der Umsetzung der Feststellungen in den Einkommensteuerbescheiden, als auch die Höhe der festzusetzenden Steuer hängt noch von verschiedenen – unvorhersehbaren – Variablen ab. So kann ein Gesellschafter seine Steuererklärungen im Einverständnis mit der Finanzverwaltung später als üblich abgeben. Eine Verrechnung des dem Feststellungsbeteiligten im Feststellungsbescheid zugerechneten Verlusts kann an mangelnden positiven Einkünften in entsprechender Höhe scheitern. In einem solchen Fall käme es unter Umständen, nämlich wenn auch der periodenübergreifende Verlustvor- bzw. -rücktrag nach § 10d EStG in andere Veranlagungszeiträume nicht möglich ist, gar nicht zu einer zu niedrigeren Steuerfestsetzung. Die mangelnde Bezifferbarkeit der voraussichtlichen Schädigung spricht somit gegen eine spezifische Nähe zum Schaden und damit gegen eine vollendete Steuerhinterziehung.[32]

Demgegenüber vermag die Bindungswirkung des Feststellungsbescheides für den Folgebescheid, auf die sich der BGH zur Begründung der vergleichbaren Gefährdung des Steueraufkommens im Wesentlichen stützt,[33] das Vorliegen eines vollendeten Delikts allein nicht zu begründen. Der Umstand, dass ein Geschehen bei ungehindertem Fortgang zum tatbestandsmäßigen Erfolg – im vorliegenden Fall zu einer hinreichend konkreten Gefährdung des Steueraufkommens – führt, ist gerade nicht

typisch für die Vollendung der Tat, sondern für das Versuchsstadium: Das Handlungsunrecht liegt vor, während das Erfolgsunrecht (noch) fehlt. Der erste Strafsenat bedient sich in der Entscheidung sogar einer ähnlichen Terminologie, indem er feststellt, dass die falschen Angaben des Täters "ohne weitere Zwischenschritte" in die Festsetzung "einfließen".[34] Wenn eine Handlung "ohne weitere Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmündet" ist nach ständiger Rechtsprechung aber regelmäßig nur ein "unmittelbares Ansetzen" im Sinne des § 22 StGB gegeben.[35]

Soweit der Senat ergänzend ausführt, dass die nach dem Erlass des Feststellungsbescheides mit der Umsetzung in den Einkommensteuerbescheiden erneut eintretende Steuerhinterziehung in der Variante der Steuerverkürzung der Vollendung des Delikts nicht entgegen stehe, da die mehrfache Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolges für die Steuerhinterziehung wegen ihrer Rechtsnatur als Gefährdungsdelikt typisch sei, ist dies bei näherer Betrachtung ebenfalls zweifelhaft. Zwar bewirkt tatsächlich erst die Nichtzahlung einer unrichtig festgesetzten Steuer den eigentlichen Steuerschaden, ähnlich der "Vertiefung" der konkreten Vermögensgefährdung bei Vorliegen eines Eingehungsbetruges zum Vermögensschaden beim (unechten) Erfüllungsbetrug.[36] Das bloße Nichtzahlen der Steuer bei zutreffender Festsetzung ist jedoch – mit Ausnahme des § 26c UStG – nicht strafbar.[37] Auch die Umsatzsteuerhinterziehung taugt als Beispiel für eine mehrfache Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolges nicht. Bei unrichtigen Angaben in den monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen und anschließender falscher Deklaration in der Umsatzsteuerjahreserklärung ist nicht jeweils ein und derselbe Steuerschaden gegeben. Die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen bewirken Steuerverkürzungen "auf Zeit" und verursachen lediglich einen Zinsschaden.[38] Dieser bliebe selbst dann bestehen, wenn der Steuerpflichtige in der Umsatzsteuerjahreserklärung zutreffende Angaben machen würde.[39] Ein von der sich im Festsetzungsverfahren anschließenden Steuerverkürzung losgelöster "eigener" Steuerschaden durch den Erlass des Feststellungsbescheides lässt sich dagegen nicht feststellen. Vielmehr ist hier nur eine – für die Tatvollendung nicht ausreichende – abstrakte Gefährdung gegeben, die sich durch die spätere Steuerfestsetzung zu einer konkreten Gefährdung verdichtet und bei Nichtzahlung der Steuern schließlich zur Schädigung des Steueraufkommens führt.

Im Ergebnis spricht daher trotz der Bindungswirkung des Feststellungsbescheids für die Einkommensteuerfestsetzung vieles für das Vorliegen eines – in mittelbarer Täterschaft begangenen[40] – Versuchs der Steuerhinterziehung, wenn der Feststellungserklärende eine unrichtige Feststellungserklärung abgegeben und das Geschehen damit "aus der Hand gegeben" hat.[41]

IV. Früher Verjährungsbeginn?

Die Annahme eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils und damit einer vollendeten Steuerhinterziehung bereits bei Abschluss des Feststellungsverfahrens würde sich für den Täter unter Umständen auch positiv auswirken, wenn – was der Senat in der Entscheidung allerdings offen gelassen hat – die mit der Erlangung des Feststellungsbescheides vollendete Steuerhinterziehung zugleich auch als beendet anzusehen wäre.

1. Verjährungsbeginn im Steuerstrafrecht

Für Steuerstraftaten gelten gemäß § 369 Abs. 2 AO die allgemeinen Gesetze über das Strafrecht, soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen. Die Verjährung beginnt damit gemäß § 78a S. 1 StGB auch für Steuerstraftaten grundsätzlich in dem Zeitpunkt, in dem die Tat beendet ist, nach Satz 2 ausnahmsweise in einem späteren Zeitpunkt, wenn ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später eintritt. In der Taterfolgsalternative der Steuerverkürzung beginnt die strafrechtliche Verjährung regelmäßig mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids, da die Steuerhinterziehung zu diesem Zeitpunkt vollendet und zugleich beendet ist.[42] Im Fall der Erlangung eines unrichtigen Feststellungsbescheides ist die Rechtslage – selbst bei Zugrundelegung einer vollendeten Tat – nicht eindeutig: An das Feststellungsverfahren schließt sich notwendig das Festsetzungsverfahren an. Dieses endet, da die Feststellungen im Grundlagenbescheid für die Einkommensteuerveranlagung nach § 182 Abs. 1 S. 1 AO bindend sind, im Falle unrichtiger Feststellungen im Feststellungsbescheid regelmäßig mit dem Erlass eines unrichtigen Steuerbescheids. Auf die Vollendung der Tat in der zweiten Taterfolgsvariante folgt daher bei regelhaftem Ablauf zwangsläufig der weitere Taterfolg der Steuerverkürzung. Sieht man die Tat gemäß § 78a S. 2 StGB erst mit dem Eintritt dieser Steuerverkürzung als beendet an,[43] entsteht für den Steuerpflichtigen die missliche Situation, dass die Tat

zwar zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt vollendet, aber erst nach Ablauf einer erheblichen Zeitspanne beendet ist. Bei Publikumsgesellschaften mit mehreren hundert Feststellungsbeteiligten können zwischen der Bekanntgabe des Feststellungsbescheides und der letzten Steuerfestsetzung auf der Ebene des einzelnen Kommanditisten unter Umständen Jahre liegen.[44] Auf den Zeitpunkt der Beendigung der Tat hat der Erklärungspflichtige keinen Einfluss. Um diese Rechtsunsicherheit für den Täter zu vermeiden wird im Schrifttum daher teilweise die Steuerhinterziehung parallel zur ersten Taterfolgsvariante mit der Vollendung zugleich als beendet angesehen.[45] Misst man der Entscheidung des 1. Strafsenats diese Bedeutung ebenfalls bei, so hätte der BGH – obwohl die Klassifizierung des Feststellungsbescheides als nicht gerechtfertigter Steuervorteil nicht überzeugt – für den Steuerpflichtigen immerhin in der Frage des Verjährungsbeginns ein erhebliches Maß an Rechtssicherheit geschaffen. Die Steuerhinterziehung würde danach unabhängig von der späteren Steuerfestsetzung innerhalb von fünf Jahren nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides verjähren.

2. Verjährung unter Berücksichtigung der neuen Verjährungsfrist für besonders schwere Fälle nach § 376 Abs. 1 AO

Folgt man der Auffassung, dass die Bekanntgabe des unrichtigen Feststellungsbescheides als vollendete Steuerhinterziehung zugleich auch den Verjährungsbeginn markiert, so ergibt sich bei Berücksichtigung der jüngsten Gesetzesänderung im Steuerstrafrecht in Verbindung mit der ebenfalls erst kürzlich ergangenen Entscheidung des 1. Strafsenats zum "großem Ausmaß" im Sinne des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO ein weiteres dogmatisch interessantes Problem. Die Verjährungsfrist der Steuerhinterziehung beträgt nach § 376 Abs. 1 AO nunmehr abweichend von der allgemeinen Regel des § 78 Abs. 4 StGB für die besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung zehn statt fünf Jahre.[46] Ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO liegt vor, wenn der Täter Steuern in großem Ausmaß verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Für die Frage, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt und welche Verjährungsfrist damit letztlich greift, ist die Höhe des voraussichtlich eintretenden Steuerschadens somit von entscheidender Bedeutung. Das Ausmaß der Steuerverkürzung kann jedoch im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Feststellungsbescheides noch gar nicht beziffert werden, so dass im Falle einer länger als 5 Jahre andauernden Zeitspanne zwischen der Bekanntgabe des Feststellungsbescheides und der (letzten) Steuerfestsetzung nicht ohne weiteres feststeht, ob die Tat überhaupt noch verfolgt werden kann. Denkbar sind etwa auch Fälle, in denen zwar vor Ablauf der 5-Jahres-Frist Steuerfestsetzungen auf der Ebene der Wohnsitzfinanzämter erfolgen, die Steuerverkürzung aber zunächst unterhalb des vom 1. Strafsenat jüngst für das große Ausmaß festgelegten Betrages von 50.000 Euro[47] verbleibt, diese Schwelle aber nach Ablauf der Frist überschritten wird. Das Überschreiten der Betragsgrenze im bereits verjährten Stadium dürfte hier wohl schwerlich zu einem "Wiederaufleben" der Verfolgbarkeit führen. Letztlich wird an dieser Problematik nochmals deutlich, dass die Annahme einer vollendeten Steuerhinterziehung vor der Bezifferbarkeit des eigentlichen Steuerschadens nicht in die Systematik des Steuerstrafrechts "passt".

V. Zusammenfassung

Der Auffassung des 1. Strafsenats, ein mittels unrichtiger Angaben in der Feststellungserklärung bewirkter Feststellungsbescheid stelle einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil dar, kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. Eine vollendete Steuerhinterziehung liegt zwar nicht fern, da der Erklärungspflichtige bereits mit der Abgabe der unrichtigen Feststellungserklärung aufgrund der Bindungswirkung der Feststellungen alles Erforderliche getan hat, damit eine Steuerverkürzung im weiteren Verlauf eintritt. Es fehlt bei näherer Betrachtung jedoch am Erfolgsunrecht, da eine mit der ersten Taterfolgsalternative der Steuerverkürzung vergleichbare Gefährdung des Steueraufkommens im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Feststellungsbescheids noch nicht gegeben ist. Die Konstellation entspricht vielmehr der Situation des Versuchs. Mit der Vorverlagerung der Strafbarkeit ins Versuchsstadium schließt der BGH den Täter damit letztlich von der Möglichkeit der Strafmilderung gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB und des Rücktritts gemäß § 24 StGB aus. Zu Gunsten des Steuerpflichtigen könnte zwar nach einer Ansicht im Schrifttum zu berücksichtigen sein, dass mit der Vollendung der Tat auch die strafrechtliche Verjährungsfrist zu laufen beginnt. Ob der 1. Strafsenat diese für den Täter günstige, nach dem Gesetz aber nicht zwingende und zudem mit Folgeproblemen behaftete Rechtsfolge allerdings bezweckt hat, bleibt abzuwarten.


[1] Vgl. BGH 1 StR 416/08, Urteil vom 02. 12. 2008 = BGH HRRS 2009 Nr. 127.

[2] BGH 1 StR 322/08 – Beschluss vom 10. 12. 2008 = BGH HRRS 2009 Nr. 68.

[3] Beckemper NStZ 2002, 518 ff.; Eschenbach DStZ 1997, 851, 855; Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 201. Erg.-lfg. (Stand: Dez. 2008), § 370 AO Rn. 299.

[4] Kohlmann, Steuerstrafrecht, 39. Erg.-lfg. (Stand: Dez. 2008), Rn. 788; Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, 88. Erg.-lfg. (Stand: Dez. 2008), § 370 AO Rn. 153; Seer, in: Tipke/Lang, 19. Aufl. (2008), § 23 Rn. 50; Seipl, in: Wannemacher, Steuerstrafrecht, 5. Aufl. (2004); Rn. 1036; Sorgenfrei wistra 2006, 370, 373 ff.

[5] Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. (2005); § 376 Rn. 21.

[6] Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, im Steuerstrafrecht, 1990, S. 170 ff.; AO-StB 2001, 273, 273; AO-StB 2002, 92, 95; Otto, in: FS für Lackner (1987), S. 715 ff., 735; Patzelt, Ungerechtfertigte Steuervorteile und Verlustabzug (1995), S. 136 f.

[7] BGH 1 StR 322/08 – Beschluss vom 10. 12. 2008 = BGH HRRS 2009 Nr. 68, Rn. 26.

[8] Brandis, in: Tipke/Kruse, 117. Erg.-lfg. (Stand: Nov. 2008), Vor § 179 AO Rn. 2.

[9] Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. (Fn. 3), § 180 AO Rn. 152.

[10] Zum Begriff und zur steuerrechtlichen Einordnung grundlegend BFHE 141, 405, 419 ff.

[11] Seer, in: Tipke/Lang a.a.O. (Fn. 4), § 21 Rn. 123.

[12] Wedelstädt BuW 2000, 627, 633; vgl. auch die Sachverhalte in BFHE 188, 548 ff.; BFH/NV 1990, 366; BFH/NV 1989, 138.

[13] Vgl. Anlage GSE zur Einkommensteuererklärung.

[14] Hardtke AO-StB 2001, 272, 275; Sorgenfrei wistra 2006, 370, 375.

[15] BFHE 150, 345, 349 f.; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. (Fn. 3), § 182 AO Rn. 7.

[16] Hardtke AO-StB 2001, 272, 275.

[17] BGH 1 StR 322/08 – Beschluss vom 10. 12. 2008 = BGH HRRS 2009 Nr. 68, Rn. 26.

[18] Vgl. Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. (Fn. 3), § 370 AO Rn. 311; Kohlmann, Steuerstrafrecht a.a.O. (Fn. 4), § 370 AO Rn. 810.

[19] BGHSt 37, 340, 345 f.

[20] Vgl. statt vieler Hassemer/Neumann, in: Nomoskommentar, 2. Aufl. (2005), Vor § 1 StGB Rn. 108 ff.

[21] Tipke, in: Tipke/Kruse a.a.O. (Fn. 8), § 164 AO Rn. 1.

[22] Hardtke a.a.O. (Fn. 6), S. 113 ff.; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks a.a.O. (Fn. 5), § 370 Rn. 83 ff.; Patzelt a.a.O. (Fn. 6), S. 65 ff.

[23] Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. (Fn. 3), § 370 AO Rn. 120.

[24] Vgl. Beckemper NStZ 2002, 518, 520 m. w. N.

[25] BGHSt 40, 109, 111; 36, 100, 102.

[26] RGSt 16, 1, 11; BGHSt 6, 115, 117; Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. (2006), § 263 Rn. 143; Hefendehl, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch (2006), § 263 Rn. 532 ff.

[27] So BGH 1 StR 322/08 – Beschluss vom 10. 12. 2008 = BGH HRRS 2009 Nr. 68, Rn. 30; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks a.a.O. (Fn. 5), § 370 AO Rn. 15.

[28] Beckemper NStZ 2002, 518, 520; Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. (Fn. 3), § 370 Rn. 57 ff.; Otto, in: FS für Lackner (1987) S. 715 ff., 733.

[29] Die Höhe der verkürzten Beträge ist so genau wie möglich festzustellen, vgl. BGH StV 1984, 497, 498; Kohlmann, Steuerstrafrecht a.a.O. (Fn. 4), § 370 AO Rn. 471.

[30] Gast-de Haan, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. (2006), § 370 AO Rn. 56; Kohlmann, Steuerstrafrecht a.a.O. (Fn. 4), § 370 AO Rn. 552; Patzelt a.a.O. (Fn. 6), S. 71.

[31] Zur Ausnahme für den Feststellungsbescheid gem. § 47 KStG Hardtke a.a.O. (Fn. 6), S. 134; Hardtke/Leip NStZ 1996, 217, 219.

[32] So auch Beckemper NStZ 2002, 518, 520 f.; Gast-de Haan, in: Klein a.a.O. (Fn. 30), § 370 AO Rn. 56.

[33] BGH 1 StR 322/08 – Beschluss vom 10. 12. 2008 = BGH HRRS 2009 Nr. 68, Rn. 30.

[34] Unter Verweis auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts, vgl. BGH 1 StR 322/08 – Beschluss vom 10. 12. 2008 = BGH HRRS 2009 Nr. 68, Rn. 29.

[35] BGHSt 26, 201, 203; 28, 162, 163; 31, 178, 181; 37, 294, 297; BGH NStZ 2001, 415, 416; BayObLG NStZ 1984, 320.

[36] Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 56. Aufl. (2009), § 263 Rn. 104; Mitsch, Strafrecht Besonderer Teil 2, Bd. 1, 2. Aufl. (2003), § 7 Rn. 98.

[37] BGH wistra 1997, 302, 303; Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler a.a.O. (Fn. 3), § 370 AO Rn. 65.

[38] BGH wistra 2002, 185 f.; Gast-de Haan, in: Klein a.a.O. (Fn. 30), § 370 AO Rn. 51; Kohlmann, Steuerstrafrecht a.a.O. (Fn. 4), § 370 AO Rn. 467.

[39] Die richtige Umsatzsteuerjahreserklärung kann jedoch eine strafbefreiende Selbstanzeige darstellen, vgl. BGH wistra 1999, 27, 28; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks a.a.O. (Fn. 5), § 371 AO Rn. 69.

[40] Dazu Sorgenfrei wistra 2006, 370, 373 f.

[41] BGHSt 4, 270, 272; 30, 363, 365; BGHR StGB § 22 Ansetzen 4; BayObLG NJW 1994, 2164; Überblick über den Streitstand zum Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft etwa bei Eser, in Schönke/Schröder a.a.O. (Fn. 26), § 22 StGB Rn. 54 f. m. w. N.

[42] BGH wistra 1984, 142; Gast-de Haan, in: Klein a.a.O. (Fn. 30), § 376 AO Rn. 17; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks a.a.O. (Fn. 5), § 376 AO Rn. 15 ff.

[43] Für den Zeitpunkt der Bekanntgabe des letzten unrichtigen Folgebescheids BGH NStZ 1984, 414 m. Anm. Streck, S. 414 f.; BGH wistra 1986, 257; nach Ansicht von Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks a.a.O. (Fn. 5), § 376 AO Rn. 21 und Gast-de Haan, in: Klein a.a.O. (Fn. 30), § 376 AO Rn. 17 ist wegen der Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Tat nunmehr jeder Folgebescheid isoliert zu betrachten.

[44] BGHSt 36, 105, 113; BGH NStZ 1984, 414; Hardtke AO-StB 2002, 92, 93; Sorgenfrei wistra 2006, 370, 375.

[45] Hardtke a.a.O. (Fn. 6), S. 170 ff.; AO-StB 2001, 273, 273; AO-StB 2002, 92, 95; Otto, in: FS für Lackner (1987), S. 715 ff., 735; Patzelt a.a.O. (Fn. 6), S. 136 f.

[46] Die Verlängerung der Verjährungsfrist nur für die besonders schweren Fälle erfolgte auf Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, vgl. BT-Drs. 16/11055, S. 144. Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung hatte die 10-Jahres-Frist für alle Fälle der Steuerhinterziehung vorgesehen, BT-Drs. 16/10189, S. 26, 82.

[47] BGH 1 StR 416/08, Urteil vom 02. 12. 2008 = BGH HRRS 2009 Nr. 127, Rn. 40.