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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2009
10. Jahrgang
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Von Prof. Dr. Ingeborg Puppe, Univ. Bonn
Im Ergebnis ist die Entscheidung richtig. Wer, im Umgang mit Hiebwaffen ungeübt, mit einer Axt auf einen Kopf zielt, der sich teils unmittelbar neben, teils unmittelbar über einem anderen Kopf bewegt, verursacht vorsätzlich den Tod eines anderen Menschen auch dann, wenn er den anderen Kopf trifft. Ein sog. wesentlicher Irrtum über den Kausalverlauf kommt nicht in Betracht, da diese Abweichung des Wirklichen vom angestrebten Kausalverlauf sowohl objektiv als auch aus der Sicht des Täters wahrscheinlich und leicht vorhersehbar war. Trotzdem hat der BGH große Schwierigkeiten, dieses Ergebnis zu begründen und kommt, wie wir sehen werden, dabei nicht ohne eine Unterstellung zu Lasten des Täters aus.
Es handelt sich nämlich um einen geradezu klassischen Fall der sog. aberratio ictus, bei der nach der h.L., die der BGH in diesem Urteil noch einmal bestätigt hat, nur eine Strafbarkeit wegen Versuchs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung in Betracht kommt. Der Täter hatte nämlich auf den Kopf seines Nebenbuhlers gezielt und den seiner Frau getroffen. Nach der Lehre von der Maßgeblichkeit der aberratio ictus wird der Vorsatz durch das Zielen auf ein bestimmtes Objekt auf dieses Objekt "konkretisiert", so dass dem Täter nur noch die Verletzung dieses Objekts zum Vorsatz zugerechnet werden darf.[1] Wie der Vorsatz das macht, sich auf ein Objekt zu konkretisieren, ist mir nicht klar, denn eine "Konkretisierung" des Täterwillens auf ein bestimmtes Objekt schließt grundsätzlich die Zurechnung der Verletzung eines anderen Objekts als Verwirklichung seines Vorsatzes nicht aus. Man spricht von einem unbeachtlichen error in objecto.[2] Mir ist auch nicht klar, warum sich der Vorsatz bei der aberratio ictus auf ein bestimmtes Objekt konkretisiert, denn eine solche Konkretisierung auf ein bestimmtes Objekt ist für den Tatbestandsverwirklichungsvorsatz gar nicht erforderlich. Niemand würde den Terroristen, der in der Fußgängerzone eine Bombe deponiert hat, vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung der getroffenen Passanten mit der Begründung freisprechen, sein Vorsatz sei nicht ausreichend auf bestimmte Opfer konkretisiert gewesen. Eine Tätervorstellung, die für den Vorsatz gar nicht erforderlich ist, kann die Zurechnung des Erfolges zum Vorsatz auch dann nicht einschränken, wenn sie falsch ist; sonst würde man die Bestimmung des Zurechnungsumfangs in das Belieben des Täters stellen.[3]
Aber nicht der Täter, sondern das Recht hat darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen dem Täter ein Erfolg zum Vorsatz zugerechnet wird. Wenn z.B. ein Gangster einen Tatzeugen, der bisher aus Angst vor ihm geschwiegen hat, durch einen sofort tödlichen Schuss endgültig zum Schweigen bringen will, ihn aber so ungenau trifft, dass das Opfer, das ihn nun nicht mehr fürchten muss, bevor es stirbt sein Wissen der Polizei offenbaren kann, so wird der Richter ihm die Versicherung glauben, dass er das nicht gewollt habe und die Abweichung im Kausalverlauf für ihn höchst wesentlich sei. Aber er wird ihn dennoch wegen vollendeter vorsätzlicher Tötung verurteilen, denn von Rechts wegen ist allein wesentlich, dass der Täter durch lebensgefährlichen Einsatz seiner Schusswaffe einen Menschen hat töten wollen und auch einen Menschen getötet hat. Nach der Lehre von der aberratio ictus soll das aber anders sein, wenn unser Gangster nicht den anvisierten Tatzeugen, sondern die unmittelbar neben diesem stehende Person trifft, denn, so lautet die gängige Begründung "der Täter hat doch den A und nicht den B töten wollen"[4]. Das kann man auch
im Falle eines error in objecto über den Täter sagen. Es ist denn auch heillos streitig, ob eine beachtliche aberratio ictus oder ein unbeachtlicher error in objecto vorliegt, wenn der Täter dem ausersehenen Opfer eine Falle stellt, aber zu seinem Bedauern ein falsches Opfer in diese Falle geht.[5] In solchen Fällen, in denen sich Täter und Opfer nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, empfiehlt es sich übrigens in der Klausur, einen unbeachtlichen error in objecto anzunehmen. Zu dieser Lösung tendiert nicht nur die Rechtsprechung[6], es ist auch die einzig richtige Lösung dieser Fälle. Wie wir noch sehen werden, sind es nur bestimmte Fälle des Fehlgehens eines Schusses oder Wurfes, in denen die Lehre von der aberratio ictus im Ergebnis richtig liegt.
Es handelt sich um diejenigen Fälle, in denen das Opfer nicht deshalb getroffen worden ist, weil es sich in unmittelbarer Nähe des vom Täter angezielten Opfers befunden hat, sondern deshalb, weil das Geschoss des Täters einen unwahrscheinlichen Lauf genommen hat. Wenn z.B. der Schütze auf eine Person mit einer Pistole zielt, diese verfehlt, die Kugel dann an der metallenen Querstrebe eines Lattenzauns abprallt und als Querschläger ein anderes Opfer trifft,[7] so hat sich in diesem Erfolg nicht die Gefahr realisiert, die darin bestand, dass der Täter in eine bestimmte Richtung gezielt hat, sondern lediglich die Gefahr des Schießens an unerlaubten Orten. Diese Gefahr begründet keine Zurechnung des Erfolges zum Vorsatz, sondern nur zur Fahrlässigkeit. Denn es ist keine Methode, einen Menschen zu töten, dass man in einer Gegend, in der sich Menschen aufhalten, in die Luft schießt.[8]
Der vorliegende Fall liegt anders. Mit dem auf den Kopf seines Nebenbuhlers gezielten Axthieb begründete der Angeklagte wissentlich auch eine Gefahr, den Kopf seiner Frau zu treffen, die so groß war, dass sie die Zurechnung des Erfolges zum Vorsatz begründet, unabhängig davon, ob dieser Erfolg dem Täter recht war oder nicht.
Aus einer intellektuellen Vorsatztheorie ist dieses Ergebnis auch dann ableitbar, wenn man eine aberratio ictus grundsätzlich als beachtlich ansieht. Denn nach der intellektuellen Vorsatztheorie genügt für diesen die Vorstellung einer gesteigerten Erfolgsgefahr.[9] Diese besteht, wenn anvisiertes und getroffenes Opfer sich nahe beieinander befinden, auch für das getroffene Opfer. Aber nach der herrschenden Theorie vom Vorsatz reicht die Erkenntnis des Täters, dass er eine große Gefahr begründet, auch seine Frau tödlich zu treffen, für Vorsatz nicht aus. Er muss vielmehr diese Möglichkeit, wie es in der Rechtsprechung heißt "billigend in Kauf genommen haben".[10] Hat er dies nicht getan, sondern, und sei es auch völlig unvernünftig, darauf vertraut, dass er nur seinen Nebenbuhler, nicht aber seine Frau treffen werde, so kommt nach der h.L. vom Vorsatz und von der Maßgeblichkeit der aberratio ictus nur eine fahrlässige Tötung seiner Frau in Betracht.
Es ist nur zu verständlich, dass der BGH sich mit diesem Ergebnis nicht abfindet. Aber nach der h.L. von der aberratio ictus gibt es nur einen Weg es zu vermeiden: Man muss dem Täter außer dem auf den Nebenbuhler konkretisierten Tötungsvorsatz einen weiteren Tötungsvorsatz nachweisen bzw. unterstellen, der auf seine Ehefrau konkretisiert ist. Dazu heißt es im Urteil: "Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte, dass der Angeklagte trotz der erkannten Lebensgefährlichkeit des Schlages mit dem Beil auch für seine Ehefrau ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben könnte, es würde seine Ehefrau nicht zu Tode kommen, sind nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern." Das genügt nicht den Maßstäben, die der BGH sonst an die Feststellung eines dolus eventualis bei Tötungsdelikten anlegt und die er auch in diesem Urteil wiederholt. Es heißt im vorhergehenden Abschnitt des Urteils: "Auch für das Willenselement stellt die Lebensbedrohlichkeit gefährlicher Gewaltanwendungen ein gewichtiges Beweisanzeichen dar, jedoch ist angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu prüfen, ob der Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt". Hätte der BGH sorgfältig geprüft, ob der Täter den Tod seiner Ehefrau, auf den es nach der von ihm anerkannten Lehre von der aberratio ictus ja allein ankommt, wirklich billigend in Kauf genommen hat, so wäre er schwerlich zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen. Dafür spricht zwar auf den ersten Blick, dass der Angeklagte mit dem Beilstiel weiter auf seine Frau einschlug, nachdem das Beil beim ersten Hieb zerbrochen war, aber das belegt letztlich nur einen Körperverletzungsvorsatz. Denn der Täter hatte nach den Feststellungen des Tatgerichts zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht bemerkt, dass er mit dem ersten Hieb den Kopf seiner Frau und nicht den des Nebenbuhlers getroffen hatte. Dass es dem BGH so leicht fällt, hier das "billigende In-Kauf-Nehmen" der Tötung der Ehefrau zu bejahen, hat seinen Grund letztlich darin, dass die Lehre von der aberratio ictus eben nicht überzeugt, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter statt des ausersehenen Opfers ein anderes trifft, objektiv und auch nach seiner Vorstellung groß ist. In solchen Fällen greift auch die Literatur oft zu dem Mittel, einen alternativen Tötungsvorsatz in Bezug auf das getroffene Opfer zu un-
terstellen, um das unangemessene Ergebnis zu vermeiden, den Täter gemäß der Lehre von der aberratio ictus nur wegen fahrlässiger Tötung des getroffenen Opfers in Tateinheit mit einem (vergeblichen) Tötungsversuch bestrafen zu können.[11]
[1] LK-Vogel, 12. Aufl. (2007), § 15 Rn. 25 ff.; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, 27. Aufl. (2006), § 15 Rn. 57; Jescheck/Weigend AT, 5. Aufl. (1996), 29 V 6 c; Baumann/Weber/Mitsch AT, 11. Aufl. (2003), 21/13; Kindhäuser AT, 2. Aufl. (2006), 27/57; Stratenwerth/Kuhlen AT, 5. Aufl. (2004), 8/95 f.; Jakobs AT, 2. Aufl. (1991), 8/81; Otto AT, 7. Aufl. (2004), 7/94 ff.; Hruschka JZ 1991, 488, 492; Hettinger GA 1990, 531, 549; kritisch dazu Puppe GA 1981, 1 = Strafrechtsdogmatische Analysen (2006), 355; dies. NK, 2. Auflage (2005), § 16 Rn. 32 ff., Rn 95 ff.; Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum (1987), 479 ff.
[2] BGHSt 11, 268; 37, 214; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben (Fn. 1) § 15 Rn. 59; Kindhäuser AT (Fn. 1) 27/41; Wessels/Beulke AT, 38. Aufl. (2008), Rn. 249; Maurach/Zipf AT/1, 8. Aufl. (1992), 23/25; Roxin AT/1, 4. Aufl. (2006), 12/194.
[3] Puppe GA 1981, 1, 10 = Strafrechtsdogmatische Analysen (2006), 355 (367); dies. Vorsatz und Zurechnung (1992), 10 ff.; dies. NK (Fn. 1) § 16 Rn. 102.
[4] Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, (Fn.1), § 15 Rn. 57; Lackner/Kühl, 26. Aufl. (2007). § 15 Rn. 12; SK-Rudolphi, 37. Lfg. 7. Aufl. (2002), Rn. 33; Jescheck/Weigend AT (Fn. 1) 29 V 6 c; Otto AT ( Fn. 1) 7/95; Jakobs AT (Fn. 1) 8/80; Streng JuS 1991, 910, 911; Bemmann Stree/Wessels-FS (1993), S. 392, 400; Toepel Jahrbuch für Recht und Ethik (1994), 413, 414 ff.
[5] Für aberratio ictus sprechen sich aus: Herzberg NStZ 1999, 217, 221; Roxin Spendel-FS (1992), S. 289, 294 f.; ders. AT/1 (Fn. 2) 12/197; auch LK-Vogel (Fn. 1), § 15 Rn. 87, der in Anlehnung an das Tatplanerfüllungskriterium von Roxin nur dann zurechnet, wenn der Täter auch gehandelt hätte, falls er gewusst hätte, dass ein anderer als Vorbedacht in die Falle geht. Warum verfährt Vogel beim error in persona nicht ebenso? [s. LK (Fn. 1) § 16 Rn. 76]. Error in objecto wird vertreten von: BGH NStZ 1998, 294 (295); Prittwitz GA 1983, 110, 128; Stratenwerth Baumann-FS (1992), S. 57, 61; Stratenwerth/Kuhlen AT (Fn. 1) 8/97.
[6] BGH NStZ 1998, 294.
[7] Vgl. LG München NStZ 1989, 25 = JZ 1988, 565 mit Anm. Puppe JZ 1989, 728.
[8] Näher Puppe Vorsatz und Zurechnung (1992), S. 49 f.; dies. AT/1, 1. Aufl. 2002, 20/44.
[9] NK-Puppe (Fn. 1), § 15 Rn. 64 ff.; dies. AT/1 (Fn. 7), 16/37 ff.; Kindhäuser AT (Fn. 1), 14/27.
[10] BGHSt 36, 1, 15; NStZ 1983, 407; 1984, 19; 1988, 175; 1994, 585; 2002, 314, 315; StV 1984, 187; 1986, 197, 198; 1997, 7; NStZ-RR 1997, 35; VRS 64, 112, 113. Weitere Nachweise bei NK-Puppe (Fn. 1), § 15 Rn. 31 ff., 89 ff.
[11] LK-Vogel (Fn. 1) § 16, Rn 64; Fischer , 56. Aufl. (2009), § 16 Rn 6; Lackner/Kühl (Fn. 4) § 15 Rn 12; Roxin AT/1 (Fn. 2) 12/164; Jakobs AT (Fn. 1) 8/80.