HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2009
10. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

226. BGH 1 StR 158/08 - Urteil vom 14. Januar 2009 (LG Münster)

BGHSt; Wesen des militärischen Dienstes und sozialwidrige Behandlungen von Untergebenen in der Bundeswehr; entwürdigende Behandlung von Untergebenen in der Bundeswehr bei „Geiselnahmeübungen“; Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr über die Rechtmäßigkeit seines Handeln (gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften oder rechtmäßiger Befehl; Schuldausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 WStG: offensichtlich); Abgrenzung von Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum; gefährliche Körperverletzung; Zurechnung bei der Mittäterschaft; Schutz der Menschenwürde und Einwilligung.

§ 30 Abs. 1 WStG; § 31 Abs. 1 WStG; § 5 Abs. 1 WStG; § 16 Abs. 1 StGB; § 17 StGB; § 224 StGB; § 223 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; Art. 1 GG

1. Wesen des militärischen Dienstes und sozialwidrige Behandlungen von Untergebenen in der Bundeswehr. (BGHSt)

2. Entwürdigende Behandlung von Untergebenen in der Bundeswehr bei „Geiselnahmeübungen“. (BGHSt)

3. Der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr, sein Verhalten sei durch gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften oder einen rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt, unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 WStG. (BGHSt)

4. Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Mittäter begeht, ist nach den gesamten Umständen des konkreten Falles in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür sind der Grad des eigenen Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille hierzu, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (st. Rspr. - vgl. nur BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 13 m.w.N.). Zwar haftet jeder Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes, ist also für den Erfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt. Jedoch werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders vorgestellt hat. Ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen gleichgültig ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32 m.w.N.). Dabei kann bei einem mehraktigen Geschehen Täter auch derjenige sein, welcher nicht sämtliche Akte selbst erfüllt. Es genügt, wenn er auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Willensübereinstimmung 3). (Bearbeiter)

5. Der Begriff der Misshandlung des § 30 WStG setzt ebenso wie der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraus, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt (BGHSt 14, 269, 271). Die Beurteilung der Erheblichkeit bestimmt sich dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters - nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen - und richtet sich insbesondere nach Dauer und Intensität der störenden Beeinträchtigung. (Bearbeiter)

6. Ob eine üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung gegeben ist, entscheidet sich nach dem Wesen des militärischen Dienstes, der seiner Natur nach hohe körperliche Anforderungen an den Soldaten stellt. Mutet ein Vorgesetzter im Rahmen seiner allgemeinen Befugnisse und zu Zwecken der Ausbildung einem Soldaten besondere Anstrengungen zu und verstößt er dabei nicht offensichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen, rechtmäßige Dienstvorschriften und Befehle, so fehlt es an einer Misshandlung (BGHSt 14, 269, 271). (Bearbeiter)

7. Erkennt der Untergebene die Strafrechtswidrigkeit des Befehls nicht, beurteilt er sie unzutreffend oder hat er insoweit Zweifel, so handelt er nur dann schuldhaft, wenn die Strafrechtswidrigkeit nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. § 17 StGB ist im Rahmen

des § 5 WStG angesichts der ausdrücklichen Regelung der militärischen Befehlsverhältnisse nicht anwendbar (BGHSt 5, 239, 244; 22, 223, 225 [zu § 47 MStGB]). (Bearbeiter)

8. Der Begriff „offensichtlich“ ist objektiv zu verstehen. Er umfasst das, was jedermann ohne weiteres Nachdenken erkennt, was jenseits aller Zweifel liegt (vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2). Abzustellen ist damit auf die Erkenntnisfähigkeit eines gewissenhaften, pflichtbewussten Durchschnittssoldaten. Beurteilungsgrundlage für diesen sind allerdings die dem Täter subjektiv bekannten Umstände - und zwar nicht nur die allgemeinen Tatumstände, sondern alle für die Beurteilung des Sachverhalts bedeutsamen Umstände – wie etwa die Kenntnis von vorangegangenen Ereignissen, von Befehlen, Belehrungen, Dienstvorschriften und dergleichen. Auch wenn einem Untergebenen regelmäßig keine Sachverhaltsprüfungspflicht obliegt (vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2) und er grundsätzlich zu unverzüglichem Gehorsam verpflichtet ist, so muss er dennoch Gegenvorstellung erheben oder den Gehorsam verweigern, wenn er aufgrund der ihm bekannten Umstände der Überzeugung ist oder er ohne den berechtigten Vorwurf der Rechtsblindheit die Überzeugung haben müsste, dass der Befehl strafrechtswidrig ist. (Bearbeiter)

9. Entwürdigende Behandlung ist jedes Verhalten eines Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen, das dessen Stellung als freie Persönlichkeit nicht unerheblich in Frage stellt, das die Achtung nicht unerheblich beeinträchtigt, auf die der Untergebene allgemein als Mensch in der sozialen Gesellschaft und im besonderen als Soldat innerhalb der soldatischen Gemeinschaft Anspruch hat. Der Untergebene darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt degradiert und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (BayObLG NJW 1970, 769, 770). Ob eine entwürdigende Behandlung vorliegt, beurteilt sich, wenn die Handlung nicht bereits wegen ihres absolut entwürdigenden Charakters unter § 31 Abs. 1 WStG fällt, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Tatumstände (BayObLG NJW 1970, 769, 770). (Bearbeiter)

10. Eine Einwilligung in eine entwürdigende Behandlung hat zu den §§ 30, 31 WStG keine rechtfertigende Wirkung. (Bearbeiter)

11. An die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung von Beweismitteln. Der Tatrichter darf diese seiner Entscheidung nur dann zu Grunde legen, wenn er in seine Überzeugungsbildung auch die Beweisergebnisse einbezogen hat, die gegen die Richtigkeit der Einlassung sprechen können (vgl. BGH NJW 2006, 522, 527). Das Tatgericht ist nicht gehalten, entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07). (Bearbeiter)

12. § 30 WStG kann mit § 224 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) stehen. § 30 WStG geht nur § 223 StGB vor, enthält aber keine alle Körperverletzungsdelikte ausschließende Sonderregelung (vgl. BGH NJW 1970, 1332 zu § 226 StGB aF). (Bearbeiter)


Entscheidung

241. BGH 1 ARs 3/2008 (1 BGs 20/2009) – Beschluss des Ermittlungsrichters vom 20. Februar 2009

Beweisantragsrecht der Minderheit in Untersuchungsausschüssen (Antrag auf Entscheidung: Zulässigkeit; BND-Untersuchungsausschuss; Begriff des Beweisantrages und Prüfung der Ablehnungsgründe: Unzulässigkeit, Unerreichbarkeit; Antrag auf Beiziehung von Unterlagen der Bundesregierung zu Mitteilungen eines BND-Mitarbeiters).

Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG; § 17 PUAG; § 18 PUAG; § 244 Abs. 3 StPO

1. Die Anwendung der einfachgesetzlichen Regelung des § 17 PUAG ist nicht dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, sondern obliegt – verfassungsrechtlich unbedenklich – nach §§ 17 Abs. 4, 36 Abs. 1 PUAG (zumindest auch) dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs.

2. Unter einem Beweisantrag wird im Strafverfahren und grundsätzlich auch nach Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG das Begehren eines Prozessbeteiligten verstanden, mit einem bestimmten, nach der Strafprozessordnung zulässigen Beweismittel eine konkrete, für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch relevante Beweisbehauptung festzustellen. Er ist mithin durch die Bezeichnung eines Beweismittels und die Angabe der durch dieses zu beweisenden Behauptung, also eine äußere oder innere Tatsache bzw. einen Sachverhalt, gekennzeichnet.

3. Für Anträge, welche die Vorlage von Akten im Sinn des § 18 Abs. 1 PUAG betreffen, gelten Besonderheiten. Eine uneingeschränkte Übernahme der Definition des Beweismittels nach der StPO würde den Bedürfnissen und Besonderheiten des Verfahrens eines Untersuchungsausschusses nicht gerecht. Die Aktenübersendung ist notwendige – und durch die Verfassung abgesicherte – Grundlage für die Ausübung des parlamentarischen Kontrollrechts (vg. BVerfGE 67, 100, 132: „Wesenskern“). Darüber hinaus ist die Aktenanforderung aber bereits Teil der Beweiserhebung. Dienen die Akten mithin aber zunächst der Informationsbeschaffung, so kann – soweit sie die Beweisaufnahme vorbereiten – zumindest im Regelfall nicht verlangt werden, dass der Antragsteller in seinem Beweisantrag bereits das auf den (ihm regelmäßig jedenfalls im Detail noch nicht bekannten) Inhalt der Akte bezogene Beweisthema mitteilt; schlichtweg „ins Blaue hinein“ aufgestellte Behauptungen oder Vermutungen hinsichtlich des Akteninhalts sind von ihm nicht zu verlangen und wären für die mit der Entscheidung über den Antrag Befassten auch nicht weiterführend. Ein Beweisantrag ist hier auch dann anzunehmen, wenn ein erkennbarer Zusammenhang mit dem Untersuchungsauftrag besteht.

4. Der Frage, wie der Vorsitzende, der oder die Antragsteller bzw. die weiteren Ausschussmitglieder den Antrag qualifiziert haben, kommt keine maßgebliche Bedeutung für die rechtliche Bewertung des Antrages zu.