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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2009
10. Jahrgang
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Hans Achenbach / Andreas Ransiek (Hrsg.): Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 1303 Seiten, C.F. Müller, 2. Aufl. Heidelberg 2008.
1. Es braucht keine hellseherischen Gaben, um vorauszusagen, dass die im Zuge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise in Gang gesetzte Rückkehr des Staates in den Markt auf kurz oder lang auch das Strafrecht erreichen wird. Erste Rufe nach einem verschärften Einsatz des Strafrechts sind erklungen und haben bereits Kritik seitens der Strafrechtswissenschaft erhalten. Ein Beispiel hierfür sind die Vorschläge von Altbundeskanzler Helmut Schmidt zur Eindämmung der "Spekulation" auf den Finanzmärkten (Die Zeit v. 15.01.2009). Vier von sechs Vorschlägen sehen vor, bestimmte Verhaltensweisen "unter Strafe" zu stellen, u.a. das Tätigen von Geschäften außerhalb der Bilanz, der Handel mit nicht an einer Wertpapierbörse zugelassenen Finanzinstrumenten oder der Verkauf von Finanzinstrumenten, die dem Verkäufer nicht gehören. Lüderssen demgegenüber fordert eine genaue "Rechtsfolgenabschätzung" der Neukriminalisierungen ein und warnt vor der (trügerischen) "Bequemlichkeit" einer obrigkeitlichen Zwangsausübung durch Strafrecht (FAZ v. 19.01.2009, S. 10). Gleichwohl oder gerade mit Blick auf den drohenden Einsatz des Strafrechts lohnt der Blick auf die bisherigen Grundprinzipien des Strafrechts im Bereich des Wirtschaftslebens. Das nunmehr in zweiter Auflage von Hans Achenbach und Andreas Ransiek herausgegebene Handbuch Wirtschaftsstrafrecht begünstigt dieses Unternehmen in vorbildlicher Weise. Die Neuauflage des "Achenbach/Ransiek" ist im Umfang zur Erstauflage aus dem Jahr 2004 leicht gewachsen und versammelt nun 50 Beiträge von 29 Experten aus Lehre und Praxis des Wirtschaftsstrafrechts. Die Fülle der behandelten wirtschaftsstrafrechtlichen Themen ist beeindruckend: Sie reicht von den allgemeinen Vermögensdelikten wie Betrug und Untreue, den Spezialtatbeständen des StGB (wie etwa die Insolvenzdelikte nach §§ 283 ff. StGB), über außer- und nebenstrafrechtliche Vorschriften (z.B. aus HGB, AktG, GmbHG oder WpHG) bis hin zu Bußgeldtatbeständen wie etwa nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Ausgeklammert bleiben allein die eigenständig zu behandelnden Bereiche Steuerstrafrecht und Umweltstrafrecht (zu Letzterem neuestens Saliger, Umweltstrafrecht, 2009, i.E.). Diese Bandbreite zwingt den Rezensenten zu Beschränkungen, weswegen sich die Besprechung auf einige Schlaglichter zu den Grundprinzipien eines Wirtschaftsstrafrechts konzentriert.
a) Ein von Hause aus problematischer Punkt des Wirtschaftsstrafrechts betrifft dessen Begriffsbildung. In einigen Bereichen hat die wirtschaftliche Betrachtungsweise zur Aufweichung der normativen Anforderungen strafgesetzlich bestimmter Begriffsbildung geführt. Eines der Beispiele ist die von der Rechtsprechung entwickelte und mittlerweile auch in weiten Teilen der Literatur anerkannte Rechtsfigur des faktischen Organs. Nach dieser Konzeption können auch denjenigen Pflichten eines Organs, etwa des Geschäftsführers, treffen, der zwar nicht förmlich bestellt ist, der aber gleichwohl im Einverständnis der Gesellschafter maßgebliche geschäftsführende Funktionen tatsächlich ausübt (grundlegend BGHSt 3, 32[GmbH], 21, 101[AG]). Die Bearbeitung der gesellschaftsrechtlichen Bilanz-, Prüfer- und Falschangabedelikte von Ransiek (Kap. VIII 1-3, S. 675 ff.) zeichnet sich in der Bearbeitung dieses Themas durch eine bemerkenswerte Prinzipientreue aus. Ransiek lehnt die Lehre vom "faktischen Organ" ab, da er in deren Einsatz einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG ansieht (Kap. VIII 1, Rn. 22 ff., insb. 26[Bilanzdelikte, etwa § 331 HGB]; ebenso Kap. VIII 2, Rn. 11 und Kap. VIII 3, Rn. 11). Er kann sich dabei auf beachtliche Gründe stützen. So vernachlässigt diese Lehre die in vielen Delikten tatbestandlich vorgesehene Beschränkung auf einen bestimmten Täterkreis (sog. Sonderdelikte). Dass damit sowohl das formell bestellte, aber wirtschaftlich-machtlose Organ als auch das nicht-formell bestellte, faktische Organ strafrechtlich zu Verantwortung gezogen wird, bedeutet eine Ausweitung der Strafbarkeit und stellt die ursprüngliche Anlage als Sonderdelikt - wie Ransiek zu Recht bemerkt - "auf den Kopf" (Kap. VIII 1, Rn. 28; zur allgemeinen Bedeutung des Bestimmtheitsgebots für das Verhältnis von Gesellschafts- und Strafrecht s. auch Ransiek, Kap. VIII 3, Rn. 2 f.; VIII 1, Rn. 6 ff.).
b) Ein fast notorischer Kandidat mangelnder Bestimmtheit ist die Strafvorschrift der Untreue gemäß § 266 StGB. Als zunehmend "alles überstrahlende[s]Universaldelikt" (Rn. 201) wird der Untreuetatbestand mit großer Sicherheit auch im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung der Wirtschafts- und Finanzkrise eine herausragende Bedeutung einnehmen. Die umfangreiche Bearbeitung von Seier (Kap V 2, S. 366-457) zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen deutlichen Schwerpunkt auf die fallgruppenorientierte Darstellung legt ("Lexikon besonderer Untreue-Konstellationen im Wirtschaftsleben", Rn. 207-364; ähnlich MüKo-Dierlamm, § 266 StGB, Bd. 4, 2006, Rn. 200-233). Entsprechend differenziert Seier unter anderem nach Gesellschaftsformen (z.B. AG Rn. 217 ff.), Berufsgruppen (z.B. Ärzte Rn. 247 ff.), Wirtschaftsbereichen (z.B. Bauwirtschaft, Rn. 263 ff.) und Geschäftsformen (z.B. Risikogeschäfte Rn. 339 ff.). Die Probleme des Untreuetatbestandes sind bekannt und
gehen weit über die häufig beklagte Unbestimmtheit des Tatbestandes hinaus (Nachw. bei Seier, Rn. 19). Strukturelle Probleme gibt es etwa im - in der Praxis häufig vernachlässigten - "Zurechnungszusammenhang" zwischen Pflichtverletzung (Missbrauch oder Treubruch) und Schaden bzw. Vermögensnachteil (Kap. V 2, Rn. 196 ff.). Seier unterscheidet hier Fragen der Kausalität, des Pflichtwidrigkeits- und Schutzzweckzusammenhangs sowie der Unmittelbarkeit (zur restringierenden Bedeutung einer objektiven Zurechnung bei der Untreue s. auch Saliger, HRRS 2006, 10[21 ff.]). Nicht nur, dass der Schaden auf die Pflichtverletzung "rückführbar" sein müsse (Rn. 197) und sich Rückschlüsse vom Schaden auf die Pflichtverletzung verbieten (Rn. 196; kritisch zu dieser häufigen Praxis Saliger, aaO., 14). Die vom Täter verletzte Verhaltensnorm müsse auch auf den Schutz des Vermögens des Geschädigten angelegt sein, wodurch Seier insbesondere nicht-vermögensbezogene Treupflichten, etwa aus § 30 OWiG, aus der Untreue ausklammern möchte (Rn. 200). Ein weiteres Problem der Untreue betrifft die Anforderungen an den Vermögensnachteil bzw. Schaden und hier insbesondere die "in geradezu inflationärer Weise eingesetzt[e]" (Rn. 183) Rechtsfigur der schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung. Neben der Diskussion um die objektive Schadensberechnung eines Gefährdungsschadens (Rn. 183) gibt es neuerdings eine Kontroverse um die subjektive Tatseite einer Vermögensgefährdung (Rn. 184 ff.). Ausgehend von der Kanther-Entscheidung des BGH (BGHSt 51, 100) stellt sich die Frage, ob der Untreuevorsatz nicht nur die Gefährdung umfassen muss, sondern auch die realisierte Gefahr, also den Schaden (BGH, NJW 2007, 1760; s. hierzu auch die Stellungnahmen von Nack, StraFo 2008, 277 ff.; Fischer, StraFo 2007, 269 ff.). Zwar ist diese Entwicklung in seiner strafbarkeitseinschränkenden Stoßrichtung zu begrüßen, doch bleibt mit Seier zu fordern, die vom BGH eingeforderten Restriktionen "generell schon in die objektive Schadensbeurteilung" einzubeziehen (Rn. 186).
c) Neue Kriminalisierungen sind in vielen Bereichen zu verzeichnen und weiter zu befürchten. Eine Neuerung, die ihren Ursprung schon vor der Wirtschafts- und Finanzkrise hatte, ist im Bilanzstrafrecht zu verzeichnen. Hier wurde vor zwei Jahren nach US-amerikanischem Vorbild und aufgrund einer europäischen Richtlinie eine neue Strafvorschrift in das HGB eingeführt (§ 331 Nr. 3a HGB), die u.a. die Abgabe einer unrichtigen Versicherung über die Richtigkeit des Jahresabschlusses unter Strafe stellt (Ransiek, Kap. VIII 1, Rn. 60a-60b; Übersicht bei Ziemann, wistra 2007, 292 ff.). Man mag dem sog. "Bilanzeid" mit Blick auf die übrigen Strafvorschriften des § 331 HGB wohl zu Recht eine nur geringe praktische Relevanz zusprechen (Ransiek Rn. 60b), doch könnte die Vorschrift wegen ihrer transatlantischen Entstehungsgeschichte (Sarbanes-Oxley-Act/EU-Transparenzrichtlinie) und wegen ihrer betont symbolgesetzlichen Ausrichtung zu einem Musterfall zukünftiger Wirtschaftsstrafgesetzgebung werden (hierzu auch Hefendehl, in: FS Tiedemann, 2008, S. 1065 ff., der die Einführung des Bilanzeides - in kritischer Absicht - auf eine "Amerikanisierung der Kriminalpolitik" und symbolische Gesetzgebungspolitik zurückführt[aaO., 1083 f.]).
d) Eine weitere, derzeit in Planung befindliche Neukriminalisierung betrifft dagegen die Strafvorschrift der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 StGB, die von Rönnau in einem mit "Wirtschaftskorruption" überschriebene Abschnitt bearbeitet wird (Kap. III 2, S. 76-126). Der Sache nach erfasst § 299 StGB die Annahme oder Gewährung eines Vorteils als Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb (Rn. 27 ff.). Die geplante Neukriminalisierung (Gesetzesentwurf der BReg, BT-Drucks. 16/6558), die der Umsetzung europäischer und internationaler Vorgaben dient, will auch solche Fälle erfassen, in denen der Vorteil als Gegenleistung für eine "Pflichtverletzung gegenüber dem Geschäftsherrn" dient (Rn. 65). Diese Erweiterung ist nicht nur deliktssystematisch zweifelhaft, da sie der Angestelltenbestechung einen "untreueähnlich[en]Charakter" gibt (zutreffend Rönnau, Rn. 67); sie ist auch kriminalpolitisch problematisch, da sie die Strafbarkeit auch auf Verletzungen von Nebenpflichten und nicht-vermögensbezogene Pflichten erweitert, deren Strafwürdigkeit nicht ohne Weiteres einleuchtet (Rn. 68 f.). Einen Wertungswiderspruch bedeutet es schließlich, wenn durch die Neuregelung auch "Vorbereitungshandlungen zur Untreue" unter Strafe gestellt werden, die, würde man sie als versuchte Untreue ansehen, straflos wären (Rn. 69; ebenso jüngst Lüderssen, FS Tiedemann, 2008, S. 889[891]).
e) Der durch Salvenmoser und Schreier bearbeitete Abschnitt zum Thema "Private Ermittlungen" (Kap. XV, S. 1229-1270) ist eine der Neuerungen der 2. Auflage und versteht sich als eine Reaktion auf den zunehmenden Einsatz privater Ermittler zur Ermittlung von Wirtschaftsstraftaten. Mit der Etablierung sog. "Forensic Services"-Abteilungen haben sich Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer ein neues Betätigungsfeld erschlossen, das angesichts des vielerorts zu beobachtenden Misstrauens in die Effektivität der Strafverfolgungsbehörden ein Wachstumsmarkt ist. So sind laut einer von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in Zusammenarbeit mit der Universität Halle-Wittenberg durchgeführten Studie über "Wirtschaftskriminalität 2005" nur 27% der deutschen Unternehmen mit der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden zufrieden (Nachw. bei Salvenmoser/Schreier, Kap. XV, S. 1229 ff., Rn. 1 mit Fn. 5). Die Behandlung des Themas ist also gut begründet, wenngleich die Umsetzung an einigen Stellen - zugegebenermaßen nicht immer unvermeidlich - stark kompilatorische Züge trägt (etwa bei den materiell-strafrechtlichen Grenzen der privater Ermittlungstätigkeit, Rn. 37 ff.). Sehr informativ ist dagegen die Übersicht einzelner Ermittlungshandlungen, angefangen von der Informationsbeschaffung aus öffentlichen Quellen über die Auswertung des E-Mail-Verkehrs bis hin zur Videoüberwachung (Rn. 73 ff.).
2. Die vorstehend gemachten Ausführungen konnten zwar nur wenige Schlaglichter setzen, geben aber doch einen Eindruck vom Grundton der verschiedenen Bearbeitungen. Das Handbuch Wirtschaftsstrafrecht will nicht nur konsultativ zur Hand genommen werden, sondern ermöglicht und verlangt an vielen Stellen auch strafrechtsdogmatische Grundlagenarbeit, wobei auch straf-
rechtskritischen Positionen Gehör verschafft wird (siehe z.B. Ransiek zum faktischen Organ und Seier zur Untreue). Wie bereits zur Vorauflage bemerkt, verzichtet das Handbuch Wirtschaftsstrafrecht auf einen Allgemeinen Teil des Wirtschaftsstrafrechts. Allenfalls in der Bearbeitung Achenbachs über "Zurechnung unternehmensbezogenen Handelns" (Achenbach, Kap. I 3, S. 3-37) finden sich solche allgemeinen Ausführungen. Die Gründe hierfür mögen gut überlegt sein, sollten aber mit Blick auf die zunehmende Zerfaserung der Rechtsmaterie Wirtschaftsstrafrecht und dem damit verbundenen Bedürfnis nach themenübergreifenden Grundsätzen rechtsstaatlicher Wirtschaftsstrafgesetzgebung noch einmal überdacht werden. Eine sinnvolle und praxisbezogene Ergänzung könnte hier in einem Beitrag zur Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen liegen, der sich mittlerweile eigene Handbücher widmen (etwa Volk[Hrsg.], Münchener Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2006).
Dr. Sascha Ziemann, Frankfurt am Main
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